Meine geschätzte Blogger-Kollegin Regina Pfister von «Brand New Life» hat den Finger auf den wunden Punkt gelegt: die Manifesta 11, die uns allernächstens ins Haus steht, zeigt gewisse ausbeuterische Tendenzen der Lokalbevölkerung gegenüber. Ich weiss nicht, welche Löhne die Wanderbiennale ihren festangestellten Mitarbeitern zahlt – es gibt eine Kerntruppe davon, locker an das Mutterhaus in Amsterdam gebunden – doch die lokalen Fachkräfte bekommen im Zürcher Vergleich offensichtlich wenig, also 3700 monatlich für einen befristeten Einsatz auf Hundertprozent-Basis. Die Frage ist natürlich auch, ob die Sizilianer (Manifesta 12 ist in Palermo) auch gleich viel bekommen? Das wäre dort mehr als hier. Und in St. Petersburg (Manifesta 10) mag das ein richtig guter Lohn gewesen sein.

Das Thema der Manifesta 11 in Zürich: Was die Menschen fürs Geld machen (und was auch ohne Geld, müsste man zufügen).
Vor allem aber ersetzt die Manifesta für die Zeit ihrer Dauer (also Juni bis September) die regulären Aufsichten der beteiligten Institutionen durch unbezahlte Freiwillige. Die «richtigen» Aufsichten müssen also in unfreiwilligen unbezahlten Urlaub, damit die Freiwilligen gratis ihre Arbeit machen können. Schon kurios. Und unerspriesslich! Für die Manifesta zu arbeiten, beschert nämlich einem im besten Fall internationale Kontakte und verwertbare Erfahrungen. Für Manifesta NICHT zu arbeiten, ist einfach nur Lohnausfall. Hätten sich die beurlaubten Aufsichten vielleicht als ihr eigener Gratisersatz melden sollen? Und diese Konstellation dann zu einem immateriellen Kunstwerk deklarieren?
Interessanter erscheint einem allerdings die Sache mit der Regina Pfister. Sie gibt es nämlich gar nicht. Es ist ein Pseudonym. So ist es auf dem Portal des «Brand New Life» ausgewiesen. Die Autorin oder der Autor hat sich nicht getraut, die Kritik unter dem eigenen Namen zu äussern. Zudem ist sie im Artikel gut versteckt – im zweiten Absatz in der Mitte. Trockene theoretische Ausführungen werden vorher und nachher abgespult. Nicht einmal anonym kommt die Kritik also direkt! Ist die Kunstwelt tatsächlich so restriktiv ihren einzelnen Akteuren gegenüber, dass sich diese nicht einmal im Dunkeln eine Faust zu machen trauen?

Geld kann dir Liebe kaufen: Collage von Barbara Kruger. Heute könnte es auch umgekehrt gelten.
Das gibt mir mehr zu denken als die Lohnpolitik der Manifesta. «Brand New Life» schreibt, dass bei ihnen jeder Regina Pfister sein darf, wenn er nicht mit dem eigenen Namen unterschreiben möchte. Offensichtlich besteht eine rege Nachfrage nach Anonymität. Dabei geht es auf dem Blog um die Kunstkritik! Himmelherrgott, der oft beweinte Niedergang des Kritikers liegt womöglich daran, dass sich niemand mehr traut, die allmächtigen Götter des Betriebs (sprich einflussreiche Künstler, Kuratoren, Mäzene) auch nur andeutungsweise anzugreifen.

Beuys meinte es richtig: Kunst = spirituelles Kapital. Seine Gleichung ist aber gespenstisch aufgegangen.
Auf «Donnerstag» (den wirklich guten Blog gibt es jetzt nicht mehr) war das anonyme Schreiben offensichtlich auch sehr verbreitet. Und ich kann nicht anders, als festzustellen, dass auch ich hier auf «Private View» mit Giovanni Pontano einen anonym bleiben wollenden Kritiker auf der Blogroll habe. Doch weder mag ich mich besinnen, dass die Donnerstag-Leute jemals scharf ausgeteilt haben, noch hat Giovanni bisher je etwas Negatives hier veröffentlicht. Und er ist, wie das intelligente Menschen so sind, durchaus eine kritische Natur. Alle kennen sich eben in der kleinen Szene. Und zu sehr fürchtet man, die Betroffenen zu kränken.

Eine Persiflage des Kunstblogs «vonhundert» nach einem Plakat von Klaus Staeck, 1972, Orginaltext: «Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen».
Gerade in der Bloggerszene ist ein so ängstliches Verhalten mehr als auffällig. Ein Blog, das steht eigentlich für die schreierische Freiheit des Internets. Blogs, das sind Meinungen, manchmal auch etwas zu wenig begründet. Wenn sich die Kunstblogger nun im huis clos, dem geschlossenen Kreis des internationalen Kunstgeschehens, keine direkte Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu äussern trauen … Dann ist das, glaubt mir, nicht nur für die Ängstlichen selbst, sondern auch für uns alle, die wir mit der Kunst zu tun haben, die komplette Bankrotterklärung.