Der Louvre Abu Dhabi ist eröffnet – und in den internationalen Besprechungen des Events mischt sich Bewunderung mit Skepsis. Offensichtlich hat der französische Architekt Jean Nouvel auf einer künstlichen Insel des Wüstenstaates etwas Grossartiges geschaffen: Einen musealen Komplex von grosser Schönheit und enormer Anziehungskraft. Und doch … Ist das neue Museum wirklich das, was es zu sein vorgibt, nämlich ein Zeichen der kulturellen Verschmelzung der Welten? Der Slogan der Eröffnungsausstellung suggeriert es zumindest, er heisst «See humanity in a different light», «Sieh die Menschheit in einem anderen Licht». Der Osten, der Westen, der Süden, der Norden – wir können einander verstehen. Alles eine Frage des Blickwinkels.

Jean Nouvel zeigt ein Model seines geplanten Baus dem Scheich Sultan bin Tahnoon Al Nahyan. (Bild via Archilovers.com)
Das klingt zunächst nach einer wunderbaren Idee, die zu verbreiten es sich lohnt und die zu Recht mit schönster Kunst seit Menschenangedenken propagiert wird. Doch es gibt auch eine andere Lesart von Nouvels filigran geklöppeltem Stahldach (180 Meter Durchmesser, 7000 Tonnen Stahl): dass etwa die nationale Ölindustrie der Vereinigten Arabischen Emirate ein kulturell verbrämtes Symbol ihres globalen Machtanspruchs errichtet hat.
Die Frage folgt darauf: Macht sich ein Architekt, der solches möglich macht, zum «Handlanger der Repräsentationsbedürfnisse eines undemokratischen Regimes» (FAZ)? Hat Frankreich, das dem Emirat für eine Milliarde Euro erlaubt, den Namen Louvre mindestens 30 Jahre lang zu vermarkten und Leihgaben aus 13 französischen Museen zu zeigen, tatsächlich die «Seele des Louvre verkauft», wie es in den französischen Medien seit dem Zustandekommen des Deals so oft hiess?

Grossartig, doch nicht einem demokratischen System entsprungen: Pyramiden, Basilius-Kathedrale. (Bilder via Pinterest)
Vielleicht, auch wenn es so etwas wie «mildernde Umstände» gibt: Einerseits haben viele grossen Gebäude der Welt einen ähnlichen Hintergrund. Von den ägyptischen Pyramiden bis zur Basilius-Kathedrale in Moskau: Grossartige Bauten sind selten dem demokratischen Gedanken entwachsen. Zudem konnte bisher kaum eine erfolgreiche kulturelle Institution der Versuchung widerstehen, ihr Know-how in einem der neuen reichen Staaten gewinnbringend zu versilbern. Etwa das Londoner Victoria and Albert im chinesischen Shenzhen, oder die New Yorker Universität, die seit 2010 Studenten in Abu Dhabi ausbildet.

Ein ganzes Museumsdorf unter einem gigantischen Dach: Jean Nouvels Weltwunder-Bau in Abu Dhabi. (Bild @Abu Dhabi Tourism & Culture Authority)

Unter der lichtdurchlässigen Kuppel ergiesst sich ein «Lichtregen». @bcc
Es ist andererseits eine bekannte Tatsache, dass der Umgang Abu Dhabis mit Rechten wie freier Meinungsäusserung, Minderheitengleichstellung oder Frauenbeteiligung nach wie vor auf einem unbefriedigenden Niveau dümpelt. Dass Frauen aus den herrschenden Königsfamilien oder Töchter von hohen Funktionären eine Karriere als Kuratorinnen und Kunstkäuferinnen machen können, ändert eigentlich nichts an der Tatsache, dass den meisten anderen Frauen kein Weg der Entfaltung offensteht.
Im Louvre Abu Dhabi ist im Übrigen ein Franzose der oberste Boss, er heisst Manuel Rabaté (41), er ist ein hochkarätiger Museumsfunktionär, früher CEO der Agence France-Muséums. Seine Stellvertreterin hingegen gehört zum oben erwähnten Typus: Hissa Al Dhaheri, hoch gebildete Tochter einer angesehenen Business-Familie, mit Diplomen von der Zayed University in Abu Dhabi und der Exeter-Uni in England.

Direktor Manuel Rabaté, Stellvertreterin Hissa Al Dhaheri. (Bild: ©Abu Dhabi Tourism & Culture Authority)
Die ganz grossen Zweifel, muss ich sagen, beschleichen mich persönlich erst, wenn ich die zur Eröffnung des Museums bereitgestellten Werbematerialien sehe. Da ist eine Ästhetik am Werk, die nach Entlarvung schreit. Zum Beispiel das unten eingeklinkte Filmchen der obersten touristischen Behörde, welche die Kulturinsel Saadiyat beaufsichtigt. Schauen Sie sich das an – schöne, verklärte Menschen aller Rassen, die durch eine künstliche Welt mit einem Lächeln auf den Lippen schreiten, als ob sie unter der Einwirkung stark sedierender Drogen stünden.
Dieses Bildersprache kenne ich gut – aus dystopischen Horrorfilmen! Aktuell ist gerade «Blade Runner 2049» im Kino. Würde diese Sequenz aus einem ähnlichen Kinofilm stammen, könnte man sicher sein, dass unter dem künstlichen Paradies irgendwo eine russige, dunkle Welt zum Vorschein kommt, in der sich schlecht gehaltene Arbeitssklaven von Insektenbrei ernähren.

Das «beschützende» Dach wirkt auch bedrohlich: Als ob sich ein UFO aus «Independence Day» oder zumindest eine dunkle Wolke auf dem Museum niedergelassen hätte. Rechts sieht man die Silhouette des Architekten. (Bilder: AP, AFP)
Das Schlimme ist: Diese andere, schlechtere Welt existiert tatsächlich in Abu Dhabi. Seit an den vielen neuen Projekten auf der Insel gebaut wird (Nebst Louvre waren da noch die New York University, Gehrys Guggenheim und Zaha Hadids Performative Arts Center, die beiden letzteren aufs Eis gelegt), jagen sich die Nachrichten von der misslichen Lage der meist aus Pakistan und Indien stammenden Bauarbeiter. Sie werden von zwielichtigen Agenten in ihren Heimatländern angeworben (durch das sogenannte Kafala-System), bei der Ankunft wird ihnen der Pass abgenommen, ihre Arbeitsstunden spotten allen Sicherheitsbedenken (es gab schon Unfalltote), die Unterkünfte sind dürftig.

Arbeiterunterkünfte an der Baustelle der New York University Abu Dhabi vor vier Jahren (links) und im Vorzeige-Arbeiterdorf auf der Saadiyat-Insel. (Bilder: The National)
Abu Dhabi hat zwar auf die Protestaktionen von Aktivisten wie dem US-Soziologen Andrew Ross und der Organisation Gulf Labor Artists Coalition reagiert und das geltende Arbeitsrecht verbessert. Im Prinzip sind jetzt die Honorare für Anwerbung verboten, und auf der Insel Saadiyat ist ein Arbeiterdorf errichtet worden, das ein Minimum an menschenwürdiger Lebensführung sichert. Und doch – Kafala existiert trotzdem weiter, die Arbeitsstunden sind immer noch zu lang, und Proteste enden oft in einer sofortigen Ausweisung aller Störefriede.

Protest gegen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter in Abu Dhabi – Gulf Labor Artist Coalition während der Biennale in Venedig. (Bild: GLAC)
Für die Eröffnung wurden Künstler aus allen Ländern um Auftragsarbeiten gebeten: Jenny Holzer hat Schöpfungsmythen in die Wände gemeisselt, Giuseppe Penone einen Baum errichtet, Ai Weiwei einen Kristallturm entworfen. In den Sälen des Museums geht es um die Verbrüderung der Völker. In zwölf Galerien erzählen sie die Geschichte der Menschheit, von den Anfängen, der Gründung der ersten Dörfer etwa 4000 vor Christus, bis heute. Die Bibel, der Koran, die Thora liegen friedlich nebeneinander und zeugen von der Verwandtschaft der Religionen. Sie sollen eine Öffnung demonstrieren.
Doch Öffnung? Wie ein Hohn wirkt dazu das Inzident, das der Crew des Westschweizer Fernsehens während der Berichterstattung über die Louvre-Eröffnung widerfuhr. Der Journalist Serge Enderlin und sein Kameramann Jon Bjorgvisson wurden verhaftet, weil sie einen Markt in der Nähe des Museums filmten. Zehn Stunden Verhör ohne Kontakt zur Aussenwelt folgten. (Die beiden sind jetzt wieder in der Schweiz zurück). Dabei waren sie korrekt akkreditiert.

Römische, asiatische, afrikanische Köpfe: Sind wir alle Brüder und Schwestern? (Bild: Louvre Abu Dhabi)
«Soft power» nennen die Diplomaten am Golf die Aufrüstung der kulturellen Kompetenz der Gegend. So sagt etwa Zaki Anwar Nusseibeh, ein aus Palästina stammender Golf-Diplomat, dass es «nicht mehr genügt, militärische und ökonomische Macht auszubauen». Es sei ebenso wichtig, zu zeigen, dass man fähig sei, die gleichen Werte zu teilen. Wie richtig! Wie heisst schon wieder der Slogan des Museums? Es wäre tatsächlich an der Zeit, die Menschlichkeit am Golf in einem neuen Licht erstrahlen zu lassen.