Becker will nicht. Der Kunsthausdirektor will sich partout nicht fotografieren lassen. «Ich bin nicht der Protagonist hier, suchen Sie die Künstlerin», sagt Christoph Becker und lacht. Vielleicht ist er auch etwas fotomüde, weil im Kunsthaus gerade ein Anlass den anderen jagt: eben noch Dada-Kostümball. Und jetzt, zwei Wochen später, das Opening der grossen Pipilotti-Rist-Ausstellung. Die Menschen strömen ins Haus, die Vernissage gerät zum glorreichen Heimspiel für die in Zürich wohnhafte Künstlerin und das Museum.
Was: Pipilotti Rist, «Dein Speichel ist mein Taucheranzug im Ozean des Schmerzes»
Wo: Kunsthaus Zürich
Wann: Vernissage am Donnerstag, dem 25. Februar 2016, Ausstellung bis 8. Mai

Bilder, die man nicht vergisst: Pipilottis Zauberlandschaften. Fotos: C. Minjolle/Kunsthaus
Es sind mehrere Hundert Menschen, die der weltberühmten Rheintalerin am Donnerstag die Ehre erweisen. Der Vortragssaal, wo Kuratorin Mirjam Varadinis die Einführungsrede hält, ist schwarz vor lauter Vernissagegästen, es gibt kein Durchkommen, die Luft ist dick, die Stimmung familiär. Kinder toben herum, und es gibt auffallend viele (bunt gekleidete) Frauen.

Kennt sich mit X-Chromosomen aus: Brida von Castelberg (links), die Architektin Tila Theus mit Neffe Nico und seiner Frau Gabriela sowie Rists Galerist, Hauser & Wirths James Koch (Mitte), Künstler Costa Vece mit Angelika Bühler (Fondation Beyeler). Fotos: Claudia Schmid
Das hat wohl unter anderem auch damit zu tun, dass Pipilotti Rist viele (bunt gekleidete) Weggefährtinnen hat, die sie bei der Ausstellung unterstützt haben. Etwa Gynäkologin Brida von Castelberg, die im glossarartigen Katalog zur Ausstellung über das X-Chromosom sinniert. Rists Schwester Tamara hat die Vorhänge am Eingang genäht, und die vielen Videotechnikerinnen aus dem Team der Künstlerin stellten sicher, dass die zahllosen Videos der Künstlerin aus den letzten 30 Jahren tadellos auf Bildschirme, Textilien und Skulpturen projiziert werden konnten. Natürlich war auch der männliche Kulturbetrieb da. Die Verleger (Lars Müller, Patrick Frey und andere), Autoren wie Martin Suter, Künstler (Huber und Huber, Costa Vece) und Galeristen.

Gäste des Abends: Anne Keller Dubach, Head Citizenship & Art des Kunsthaus-Sponsors Swiss Re, mit dem Schriftsteller Martin Suter und seiner Frau Margrith Nay Suter (links), die Künstlerin mit «ihrer» Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis. Schmid/Minjolle
Weil so viele kamen – wir wüssten nicht, wann wir im Kunsthaus mehr Leute gesehen hätten –, konnte man nicht einfach durch die Ausstellung spazieren. Man musste sich den Gang in Pipilottis einzigartiges Zauberland förmlich verdienen – und eine gefühlt endlose Weile anstehen, bis man überhaupt in den Bührle-Saal reinkonnte. Ein paar Gäste gönnen sich erst mal eine Bratwurst am Vorderen Sternen beim Bellevue in der Hoffnung, es möge später leerer werden.

Familiär und ausgelassen: Kinder und Künstlerin wirbeln umher. Schmid
Die Künstlerin finden wir nicht in der Ausstellung, sondern ganz entspannt am Boden sitzend mit Freunden im Vortragssaal. Oder ist sie am Tanzen? Jedenfalls wirbelt sie wie ein Vögelchen umher. Kaum hat man sie auf einer Treppe ausgemacht, steht sie eine Minute später gegenüber vor dem DJ-Pult, wo DJane Hyde Serge Gainsbourg auflegt. Oder sie tanzt allein mit ihren selbst gemachten Kissen, die sie auf der Schulter trägt – ausgestopfte Hosen und Pullover –, froh und ausgelassen wie ein Kind. «Das sind die günstigsten Kissen zum Selbermachen überhaupt. Zuerst wollten wir sie in der Ausstellung auf den Boden legen, damit man sich darauf die Videos anschauen kann. Allerdings war uns das dann doch ein wenig zu makaber, so einzelne Beine und Oberteile.»

Die Künstlerin mit der Sängerin Erika Stucky sowie Stuckys Tochter Maxine (links), tanzend im Vortragssaal. Schmid
Pipi hatte sich für die Ausstellungseröffnung eine Party gewünscht. «Ich möchte, dass wir alle tanzen», war denn auch ihr Wunsch des Abends. «Und ich möchte, dass ihr mir alle erzählt, was ihr in der Ausstellung gearbeitet respektive gesehen habt.»

Zwillingsbrüder und Künstler: Huber und Huber (links), Rists Unterhosenleuchter, Pixelwald. Schmid
Oh ja, Pipi, wir sahen Bilder, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst: einen fast vollständig abgedunkelten Bührle-Saal, dessen 1400 Quadratmeter fast vollständig ohne Stützen auskommen und so zu neuem Leben erweckt werden. Eine riesige, weiche Wohnlandschaft mit sanfter Musik, in der auf praktisch jedem Gegenstand und Möbel Videos versteckt sind. Und die neuste Arbeit der Künstlerin, einen Pixelwald aus 3000 LED-Leuchten. Man könnte Tage in diesem wohltuenden Kunst-Spa verbringen, ja gar im weichen Bett schlafen, auf dessen Bettwäsche auch eine Arbeit läuft. «Wir haben extra Bettwäsche zum Wechseln gekauft, weil sich die Leute ins Bett legen dürfen», sagte Kuratorin Mirjam Varadinis.

Nicht nur die Künstlerin darf sich in ihr Bett legen – die Laken werden gewechselt. Foto L. Huber
Die letzten Monate hat sie mit Pipilotti an der Ausstellung gearbeitet. «Das war schon sehr praktisch und einmalig, mal mit einer Künstlerin zu arbeiten, die ganz in der Nähe wohnt und zu uns herunterkommen kann, wenn es ein Problem gibt.» Rist, die beim Triemli wohnt, ist nämlich erst die zweite lebende Schweizerin in der 110-jährigen Geschichte des Kunsthauses, die eine Einzelausstellung bekommt – nach Verena Loewensberg (und diese ist auch schon eine Weile her, nämlich 1981). Die dritte, Helen Dahm, musste sich 1963 den Raum mit Germaine Richier teilen.

Zwei lebende Schweizer Künstlerinnen pro Jahrhundert: Werke von Verena Loewensberg (links, 1981 im Kunsthaus), Helen Dahm (Mitte, 1963 im Kunsthaus), Pipilotti Rist (rechts, 2016 im Kunsthaus)
Um 21 Uhr – zwei Stunden nach der offiziellen Eröffnungsrede – wurden die Gäste aus der Ausstellung hinauskomplimentiert und mit Hörnli und Ghacktem in den Vortragssaal gelockt. In Rists Wahlheimatstadt wird eben nicht lange gefackelt: Wenn das Kunsthaus schliesst, schliesst es eben. Das ist in Ordnung: Diese Ausstellung ist so schön, dass jeder nochmals (zu Randzeiten!) in Ruhe dorthin zurückkehren muss. Und in der Zwischenzeit feiert Pipilotti Rist mit uns ihre Party. Schön ists!

Zürich ist bezaubert – Partytime mit DJane Hyde im Kunsthaus. Minjolle