Archiv für die Kategorie ‘Kunsthaus Zürich’

Im Bett mit Pipilotti

Claudia Schmid am Dienstag den 1. März 2016

Becker will nicht. Der Kunsthausdirektor will sich partout nicht fotografieren lassen. «Ich bin nicht der Protagonist hier, suchen Sie die Künstlerin», sagt Christoph Becker und lacht. Vielleicht ist er auch etwas fotomüde, weil im Kunsthaus gerade ein Anlass den anderen jagt: eben noch Dada-Kostümball. Und jetzt, zwei Wochen später, das Opening der grossen Pipilotti-Rist-Ausstellung. Die Menschen strömen ins Haus, die Vernissage gerät zum glorreichen Heimspiel für die in Zürich wohnhafte Künstlerin und das Museum.

Was: Pipilotti Rist, «Dein Speichel ist mein Taucheranzug im Ozean des Schmerzes»
Wo: Kunsthaus Zürich
Wann: Vernissage am Donnerstag, dem 25. Februar 2016, Ausstellung bis 8. Mai

Bilder, die man nicht vegisst: Pipilottis Kunsthaus-Zauber

Bilder, die man nicht vergisst: Pipilottis Zauberlandschaften. Fotos: C. Minjolle/Kunsthaus

Es sind mehrere Hundert Menschen, die der weltberühmten Rheintalerin am Donnerstag die Ehre erweisen. Der Vortragssaal, wo Kuratorin Mirjam Varadinis die Einführungsrede hält, ist schwarz vor lauter Vernissagegästen, es gibt kein Durchkommen, die Luft ist dick, die Stimmung familiär. Kinder toben herum, und es gibt auffallend viele (bunt gekleidete) Frauen.

Kennt sich mit X-Chromosom aus: Brida von Castelberg (links), die Architektin Tila Theus mit Neffe Nico und seiner Frau Gabriela, Rists Galerist, Executive Director von Hauser Wirth James Koch

Kennt sich mit X-Chromosomen aus: Brida von Castelberg (links), die Architektin Tila Theus mit Neffe Nico und seiner Frau Gabriela sowie Rists Galerist, Hauser & Wirths James Koch (Mitte), Künstler Costa Vece mit Angelika Bühler (Fondation Beyeler). Fotos: Claudia Schmid

Das hat wohl unter anderem auch damit zu tun, dass Pipilotti Rist viele (bunt gekleidete) Weggefährtinnen hat, die sie bei der Ausstellung unterstützt haben. Etwa Gynäkologin Brida von Castelberg, die im glossarartigen Katalog zur Ausstellung über das X-Chromosom sinniert. Rists Schwester Tamara hat die Vorhänge am Eingang genäht, und die vielen Videotechnikerinnen aus dem Team der Künstlerin stellten sicher, dass die zahllosen Videos der Künstlerin aus den letzten 30 Jahren tadellos auf Bildschirme, Textilien und Skulpturen projiziert werden konnten. Natürlich war auch der männliche Kulturbetrieb da. Die Verleger (Lars Müller, Patrick Frey und andere), Autoren wie Martin Suter, Künstler (Huber und Huber, Costa Vece) und Galeristen.

Gäste des Abends: Anne Keller Dubach, die kenntnisreiche head Citizenship & Art beim sponsor Swiss Re mit Schriftsteller Martin Suter und seiner Frau Margrith Nay Suter

Gäste des Abends: Anne Keller Dubach, Head Citizenship & Art des Kunsthaus-Sponsors Swiss Re, mit dem Schriftsteller Martin Suter und seiner Frau Margrith Nay Suter (links), die Künstlerin mit «ihrer» Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis. Schmid/Minjolle

Weil so viele kamen – wir wüssten nicht, wann wir im Kunsthaus mehr Leute gesehen hätten –, konnte man nicht einfach durch die Ausstellung spazieren. Man musste sich den Gang in Pipilottis einzigartiges Zauberland förmlich verdienen – und eine gefühlt endlose Weile anstehen, bis man überhaupt in den Bührle-Saal reinkonnte. Ein paar Gäste gönnen sich erst mal eine Bratwurst am Vorderen Sternen beim Bellevue in der Hoffnung, es möge später leerer werden.

Familiär und ausgelassen: Kinder und Künstlerin wirbeln umher

Familiär und ausgelassen: Kinder und Künstlerin wirbeln umher. Schmid

Die Künstlerin finden wir nicht in der Ausstellung, sondern ganz entspannt am Boden sitzend mit Freunden im Vortragssaal. Oder ist sie am Tanzen? Jedenfalls wirbelt sie wie ein Vögelchen umher. Kaum hat man sie auf einer Treppe ausgemacht, steht sie eine Minute später gegenüber vor dem DJ-Pult, wo DJane Hyde Serge Gainsbourg auflegt. Oder sie tanzt allein mit ihren selbst gemachten Kissen, die sie auf der Schulter trägt – ausgestopfte Hosen und Pullover –, froh und ausgelassen wie ein Kind. «Das sind die günstigsten Kissen zum Selbermachen überhaupt. Zuerst wollten wir sie in der Ausstellung auf den Boden legen, damit man sich darauf die Videos anschauen kann. Allerdings war uns das dann doch ein wenig zu makaber, so einzelne Beine und Oberteile.»

Die Künstlerin mit einer ihrer vielen Freundinnen, der Sängerin Erika Stucky sowie Stuckys Tochter Maxine, tanzend und lachend im Kunsthaus.

Die Künstlerin mit der Sängerin Erika Stucky sowie Stuckys Tochter Maxine (links), tanzend im Vortragssaal. Schmid

Pipi hatte sich für die Ausstellungseröffnung eine Party gewünscht. «Ich möchte, dass wir alle tanzen», war denn auch ihr Wunsch des Abends. «Und ich möchte, dass ihr mir alle erzählt, was ihr in der Ausstellung gearbeitet respektive gesehen habt.»

Zwillingsbrüder und Künstler: Huber Huber (links), Unterhosen-Leuchter, Pixelwald Stimmungen, die man nicht vergisst

Zwillingsbrüder und Künstler: Huber und Huber (links), Rists Unterhosenleuchter, Pixelwald. Schmid

Oh ja, Pipi, wir sahen Bilder, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst: einen fast vollständig abgedunkelten Bührle-Saal, dessen 1400 Quadratmeter fast vollständig ohne Stützen auskommen und so zu neuem Leben erweckt werden. Eine riesige, weiche Wohnlandschaft mit sanfter Musik, in der auf praktisch jedem Gegenstand und Möbel Videos versteckt sind. Und die neuste Arbeit der Künstlerin, einen Pixelwald aus 3000 LED-Leuchten. Man könnte Tage in diesem wohltuenden Kunst-Spa verbringen, ja gar im weichen Bett schlafen, auf dessen Bettwäsche auch eine Arbeit läuft. «Wir haben extra Bettwäsche zum Wechseln gekauft, weil sich die Leute ins Bett legen dürfen», sagte Kuratorin Mirjam Varadinis.

Nicht nur Künstlerin darf sich in ihr Bett legen - die Laken werden gewechselt . Foto L. Huber

Nicht nur die Künstlerin darf sich in ihr Bett legen – die Laken werden gewechselt. Foto L. Huber

Die letzten Monate hat sie mit Pipilotti an der Ausstellung gearbeitet. «Das war schon sehr praktisch und einmalig, mal mit einer Künstlerin zu arbeiten, die ganz in der Nähe wohnt und zu uns herunterkommen kann, wenn es ein Problem gibt.» Rist, die beim Triemli wohnt, ist nämlich erst die zweite lebende Schweizerin in der 110-jährigen Geschichte des Kunsthauses, die eine Einzelausstellung bekommt – nach Verena Loewensberg (und diese ist auch schon eine Weile her, nämlich 1981). Die dritte, Helen Dahm, musste sich 1963 den Raum mit Germaine Richier teilen.

Drei Generationen Schweizer Künstlerinnen: Werke von Verena Loewensberg (1981 im Kunsthaus), Helen Dahm (1963 im Kunsthaus), Pipilotti rist (2016 im Kunsthaus)

Zwei lebende Schweizer Künstlerinnen pro Jahrhundert: Werke von Verena Loewensberg (links, 1981 im Kunsthaus), Helen Dahm (Mitte, 1963 im Kunsthaus), Pipilotti Rist (rechts, 2016 im Kunsthaus)

Um 21 Uhr – zwei Stunden nach der offiziellen Eröffnungsrede – wurden die Gäste aus der Ausstellung hinauskomplimentiert und mit Hörnli und Ghacktem in den Vortragssaal gelockt. In Rists Wahlheimatstadt wird eben nicht lange gefackelt: Wenn das Kunsthaus schliesst, schliesst es eben. Das ist in Ordnung: Diese Ausstellung ist so schön, dass jeder nochmals (zu Randzeiten!) in Ruhe dorthin zurückkehren muss. Und in der Zwischenzeit feiert Pipilotti Rist mit uns ihre Party. Schön ists!

Zürich ist bezaubert - Party time im Kunsthaus. Minjolle

Zürich ist bezaubert – Partytime mit DJane Hyde im Kunsthaus. Minjolle

Der dechiffrierte Ball

Ewa Hess am Dienstag den 16. Februar 2016

Liebe Leute, am Samstag brachte es die kluge Kunsthistorikerin Laurence Frey auf den Punkt. «Ich staune», sagte sie, «offensichtlich haben auch Intellektuelle Lust auf Karneval.» Und ja, tatsächlich. Das sonst in striktes Schwarz gekleidete Publikum kam zum Dada-Ball ins Kunsthaus – und war verkleidet. Was NICHT heisst, dass die in diesen Kreisen so wichtigen Distinktionsmerkmale einfach schwups über Bord geworfen wurden. Nein. Deshalb habe ich hier, und nur für euch, meine lieben Leserinnen und Leser, die knifflige Aufgabe unternommen, den geheimen Code der samstäglichen Dada-Verkleidung zu knacken. Auf, auf, folgt mir zum Dechiffrier-Ball!

Was: Dada-Ball
Wo: Kunsthaus Zürich
Wann: Samstag, 13. Februar 2016

Dadaglobes und hübsche Kisten: Das war der Dadaball

Dadaglobes und hübsche Kisten: Das war der Dada-Ball. Fotos: D. Milnor und E. Hess

Ich muss zuerst etwas beichten: Ich habe meinen Bachtin aus der Bücherkiste rausgeholt, um das Konzept des Karnevalesken aufzufrischen. Michail Bachtin, der russische Literaturphilosoph, sagt ja in seinem berühmten Rabelais-Essay, die subversive Kraft des karnevalesken Lachens liege darin, dass die Hierarchien durchbrochen würden. Die Groteske sei das befreite Lachen des Volks, das sich der Starre der herrschenden Ordnung punktuell entledige. Im bachtinschen Sinn war historisches Dada übrigens schon eine Verkörperung des Karnevals: von der Veräppelung der Obrigkeit bis zur amorphen Körperstruktur kam da alles vor.

Edelmann mit kampfstiefeln und Handy: Künstler und Ur-Dadaist Marc Divo, Hoher Besuch aus Basel: Beyeler-Kurator Raphael Bouvier mit Freund als die schicksten Dadaisten des Abends, dicht gefolgt vom Mann mit den Goldleggings

Edelmann mit Kampfstiefeln und Handy: Künstler und Ur-Dadaist Marc Divo (links), Besuch aus der Karneval-Hochburg Basel: Beyeler-Kurator Raphael Bouvier mit Freund als die schicksten Dadaisten des Abends (Mitte), dicht gefolgt vom Mann mit den Goldleggings (rechts)

Aber gut, wir schreiben 2016, die Strukturen sind längst zum digital gemixten Birchermüesli geworden, und wenn wir auch nicht leugnen können, dass es nach wie vor Herrschende und Beherrschte gibt, sind sie längst nicht mehr an ihren angestammten Plätzen, nämlich unten beziehungsweise oben, zu orten. Vielmehr turnen sie die soziale Leiter konstant rauf und runter, sodass allein die Benennung der Verhältnisse zum Kraftakt gerät, geschweige denn ihre Veräppelung. Ausserdem, meine Damen und Herren, falls wir von der Voraussetzung ausgehen, dass es Eliten gibt, dann ist das Kunsthaus bestimmt ihr angestammtes Zuhause. Wie veräppelt man die Verhältnisse, in denen man selber der Veräppelte sein sollte? Voilà, wir sind mitten im modernen Dada. Kostümmässig ergibt das einige Strategien, die ich mir hier erlaubt habe, zu karnevalistischen Clustern zu bündeln.

Ich bin Dada? Hugo B'Allah!

Ich bin Dada? Hugo B’Allah!

Strategie 1: Der Buchstabe als Werkzeug des Widersinns

Ja, ich weiss, eigentlich ist die Schrift das Zuhause des Sinns. In der Sprache, vor allem der geschriebenen, werden wir zu Vernunftwesen. Als besonders neckisch erscheint also die Strategie der Umkehr, in der man die Buchstaben als Werkzeug des Unsinns verwendet. Wie das geht, haben die Dadaisten ja lustvoll vorgeführt. Die Strategie feierte im Kunsthaus Urstände – mit durchwachsenem komischen Erfolg. Den eigenen Schädel mit Dadaglobe anzuschreiben, mag auf den ersten Blick lustig sein, doch es mangelt der Sache am karnevalistischen Befreiungslachen. Es gab zwar noch einen Herrn, der mit einem iPad behängt war, das Unsinnsilben generierte, das sah cool aus, war aber überhaupt nicht lustig. Es gab ein Paar mit «DORT» am Rücken (und Kleiderbügel auf dem Kopf) – das wirkte eher sehnsuchtsvoll romantisch als widersinnig. Stellen wir also fest: Reiner Unsinn hat seine Provokationskraft verloren. Vielleicht weil wir in den Codes der Programme den Sinn des scheinbar Unsinnigen erleben. Punktum. Strategie gescheitert.

 

Expat-Füchse mit doppeldeutiger Botschaft, falscher Trump

Expat-Füchse mit doppeldeutiger Botschaft, falscher Trump.

Strategie 2: Politische Subversion in poetischer Form

In dieser Kategorie hätten wir den Donald-Trump-Verschnitt mit dem Käppi «Make America Great Again» auf dem Kopf und die Expat-Füchse mit ihren Transparenten «Immigrant Fox Hunt» und «Gold Lives Matter». Beides ambivalente Botschaften, die zwar nicht zum Lachen reizen, jedoch durchaus zum Nachdenken anregen. Die Goldfüchse waren fast einen Tick zu schön, um subversiv zu wirken, und ehrlich gesagt wären sie glaubwürdiger gewesen, wenn sie nicht konstant Selfies von sich geschossen hätten. Mein Liebling in der Gruppe der poetischer Politik war die bereits oben erwähnte Laurence Frey, die auf ihrem orientalischen Gewand das Schildchen «Hugo B’Allah» trug. Haha! Finden Sie es auch so lustig wie ich? Also da ist in kurzer Form alles veräppelt: die grassierende Dada-Verzückung des offiziellen Zürichs (Hugo balla balla), der formalistische Überwachungswahn der Amis (bei der Nennung des Schlüsselworts Allah wird das Abhörtonband eingeschaltet). Und es klingt sogar der unschuldig-verschmitzte Wortwitz der schweizerischen Mani-Matter-Tradition mit (dr Sidi Abdel Assar vo El Hama, der sich ja im Lied auf Pijama und Drama reimt). Dada-mässig schiesst Familie Frey den Vogel ab (den Verleger und Kabarettisten Patrick habe ich allerdings am Ball nicht gesichtet).

Vogel-Strauss-Politik oder Selbstbezichtigung? Köpfe und Käfige

Vogel-Strauss-Politik oder Selbstbezichtigung? Köpfe und Käfige.

Strategie 3: Kopf im Käfig

Warum bloss? Ich kam nicht drauf, warum so viele Kopfkäfige? Die zwei Brustkäfige mit Vögelchen muss man wohl dazuzählen. Vogel-Strauss-Politik? Wir sind selber hinter Gittern? Die zivilisatorischen Zwänge haben sich selbstständig gemacht, wir werden derer nicht mehr Herr? Eng verwandt übrigens mit Nr. 4: Kopf in der Kiste.

Anina Frei als intellektuelle Kiste, amorphe Kiste sowie Facebook-Kiste: Frevel gegen gottähnliche Technik?

Anina Frey in der intellektuellen Kiste, amorphe Kiste sowie Facebook-Kiste: Frevel gegen gottähnliche Technik?

Strategie 4: Kopf in der Kiste

Dass die Berichterstatterin des nationalen Fernsehens in einer Kiste kam, lässt sich ja noch erklären. Bei SRF symbolisiert schon seit einer Weile ein Packkarton die Intellektualität schlechthin, wie man dem Logo des «Literaturclubs» entnehmen kann. Wenn also Anina Frey in einer Kiste kommt, will sie damit zeigen, dass sie heute Abend nicht als Klatschreporterin unterwegs ist, sondern als karnevaleske Hinterfragerin. Warum aber so viele andere in Kisten kamen? Ich habe eine Erklärung, aber sie ist sehr vollmundig: Seit Gott in öffentlicher Wahrnehmung in die Richtung eines (nicht immer erfolgreichen) Sozialarbeiters gerutscht ist, hat die Technik alle gottähnlichen Funktionen übernommen: Sie lenkt uns, sie sieht uns mit göttlichem Auge von überall her, sie kennt unsere Sünden sowie Schwächen, und manchmal verzeiht sie sie uns auch (dank der Löschtaste) – und so weiter. Kopf in der Kiste ist also eine subtile Veräppelung unseres Herrn, des Computers. Verwegen!

 

Kamel und Perücke: Die Klassiker

Kamel und Perücke: Die Klassiker.

Strategie 5: Klassisch Karnevaleskes

Geht auch! Als Kamel verkleidet oder mit roten Haaren – ein kluger Kopf braucht doch keine Kompliziertheiten, um anzudeuten: Heute mache ich mich über meine alltägliche Perfektion lustig. Unter der roten Perücke, bin ich mir fast sicher, steckte der Kult-Fotograf Walter Pfeiffer. Bien joué.

Ein haariges Ding aus der «Adams Family», Butt plug auf dem Kopf, Mr. Penis

Ein haariges Ding aus der «Adams Family», Butt Plug auf dem Kopf, Mr. Penis.

Strategie 6: Camp

Hier verlassen wir das Königreich Bachtins und treten in die Republik von Susan Sontag ein. Schlechter Geschmack als die ultimative Subversion des guten Geschmacks, der gerade in Zürich doch wirklich etwas penetrant Wohnungen, Bürointerieurs und Kleiderschränke beherrscht. Finde ich lustig! Aufblasbarer Penis, haariger «Cousin It» aus der «Adams Family» oder ein Zombie mit dem Sexspielzeug «Butt Plug» auf dem Kopf – hallo, ihr Camp-Dadaisten! Bestes Lachen ist primitives Gelächter, aber da sind wir wieder bei Bachtin. Ah, und übrigens, der Oberdadaist Stefan Zweifel entschloss sich auch für diese Strategie und kam in goldenen Leggings sowie einer räudigen Pelzjacke. Sah gut aus.

Duschbrigade, Damen aus den 50-ies, die Himmelblauen und die beiden Frida Kahlos

Die lustige Duschbrigade, die Damen aus den 50ies, die Himmelblauen sowie die beiden Frida Kahlos (die Kommunikations-Fachfrauen Barbara Brandmaier und Claudia Wintsch Lautner).

Strategie 7: Falscher Film

Verwandt mit 6, aber ehrlich gesagt ein bisschen weniger lustig. Man schert sich nicht um Dada, sondern folgt in seiner Verkleidung einem ganz anderen Thema. Interessanterweise vor allem eine Gruppenstrategie. Dazu gehörten: zwei Frida Kahlos. Die drei Damen aus den Fifties. Die drei Damen mit Ballonengirlanden, direkt von einem Kindergeburtstag. Die drei Herren in himmelblauen Wolkenanzügen. Die drei Duschvorhänge – die waren allerdings sehr lustig, weil die Idee so einfach war und der «amorphe Körper» eine moderne Interpretation fand, die erst noch einen anderen Gott unserer Zeit, die Körperhygiene, veräppelte. Und ja, auch der Herr im Marihuana-Anzug war lustig. Wahrscheinlich weil er selbst stets kicherte.

Immer schon Dada gewesen: DJ Untitled Campologo, Les Reines Prochaines

Immer schon Dada gewesen: DJ Untitled Campolongo, Les Reines Prochaines.

Strategie 8: Immer schon Dada gewesen

Auf beiden Musikbühnen aufs Glaubhafteste und ohne Verkleidung vertreten. In der Person von DJ Untitled Campolongo, der bei seinen unkorrumpierbaren Ansichten zum unabhängigen (Musik-)Stil und (Lebens-)Schneid nie Kompromisse machte. Und in der Band Les Reines Prochaines, die sich schon immer wenig um Moden und Konventionen scherten und mit neo-dadaistischen Texten ganz eigene Musik machten.

Voilà, so viel dazu, was der Dada-Ball zur Analyse unserer gegenwärtigen Lage leistete. Die bunten Luxemburgerli füllten nach Mitternacht die verbleibenden Theorielücken.

Rausch? Von wegen, dieser Wolf hat sein Schafspelz für die Performance schon mitgebracht

Rausch? Von wegen, dieser Wolf hat seinen Schafspelz für die Performance schon mitgebracht.

Die Wahrheit über Jenny

Ewa Hess am Dienstag den 14. Oktober 2014

Liebe Leserin, lieber Leser! Die Ausstellung «Egon Schiele/Jenny Saville» im Kunsthaus Zürich ist ein starker Tobak. An der Vernissage standen viele Menschen leicht ratlos vor Jenny Savilles Riesenweibern. Oder besser: Sie sassen. Vom grossen Fleisch bedroht, musste sich der eine oder die andere setzen. Jenny Saville selbst, eine kleine resolute Schottin, ging auf leisen Sohlen zwischen den Bildern umher, von den meisten als die Urheberin der fleischfarbenen Ungetüme unerkannt. (Unbedingt lesenswert in diesem Zusammenhang ist die Besprechung meiner Kollegin Paulina Szczesniak hier – sie malt in ihrem Text wunderbar mit Worten.)

Was: Ausstellung «Egon Schiele/Jenny Saville»
Wo:
Kunsthaus Zürich
Wann: Vernissage am Donnerstag, dem 9.10.2015, Ausstellung bis 25. Januar

Seit Charles Saatchi damals 1991 die junge Malerin Jenny Saville mit einigen anderen britischen Künstlerinnen und Künstlern zu einer «Bewegung» zusammengeschweisst hat (Sie wissen schon, die young british artists, die YBAs), habe ich mir selbst immer wieder Fragen über sie gestellt. Hier einige Antworten – so etwas wie meine Wahrheit über Jenny. Die Ihre finden Sie nur auf eine Art heraus: indem Sie die Ausstellung anschauen.

Jenny Saville, Porträts aus den Serien «Red Stare», «Stare» und «Bleach»

Jenny Saville, Porträts aus den Serien «Red Stare», «Stare» und «Bleach».

Sind ihre Bilder schön?

Ja. Vor allem die früheren Fleischberge oder die zerschundenen Porträts sind doch unwiderstehlich, finden Sie nicht auch? Diese suggestiv gemalten Brustwarzen, die prallen Bäuche, die schimmernde, atmende, verletzliche Haut sind für mich eine grossartige Antwort auf die Abgeklärtheit von Lucian Freuds dicken Nackten. Der Kurator Oliver Wick hat an der Pressekonferenz gesagt, er hätte sich zunächst überlegt, Lucian Freud zu Schiele zu hängen, sich dann aber für Saville entschieden, weil ihre Werke «leichter» seien. Ist Freud schwer und Saville leicht? Vielleicht in dem Sinn, dass bei Saville das Leben pulsiert; man meint, diese Leiber atmen zu sehen. In Freuds Nackten entdeckt man vor allem das, was sein Grossvater Sigmund «die Realitätskränkung» nannte. Der Körper ist, was er ist. Punktum. (Aber vielleicht waren Savilles Werke für die Ausstellung einfach nur leichter zu bekommen, kann ja auch sein.)

Blicke auf Werke »Ruben's Flapp», «Fulcrum» sowie (rechts): Dank der österreichischen Grosszügigkeit knallen an einer Vernissage im Kunsthaus wieder Korken. Österreich hat den grünen Veltliner und Liptauer-Schnittchen gespendet

Blicke auf die Werke «Ruben’s Flapp» und «Fulcrum». Rechts: Dank der österreichischen Grosszügigkeit knallen an einer Vernissage im Kunsthaus wieder einmal die Korken. Österreich hat den Grünen Veltliner und Liptauer-Schnittchen gespendet.

Ist Jenny Saville ein «Machwerk» von Saatchi und Gagosian?

Nein. Und ja. Natürlich braucht jeder Künstler Unterstützung. Und ich bin dieses Geschnöde über Saatchi irgendwie satt. Man muss sich das vorstellen, damals. Keine Subventionen, eisiger Thatcherismus und das traditionsbewusste England, in dem der gerechte Bürger (bis heute übrigens) bei jeder Erwähnung der zeitgenössischen Kunst sofort einen Protest-Menschenteppich veranstalten möchte. Und dann kam so einer wie Saatchi und sagte der Künstlerin: «Mach, was du für richtig hältst.» Jenny Saville erzählt das selber: Sie wohnte damals in Glasgow und fühlte sich selbst in der eigenen Familie so unverstanden, als ob sie vom Mars käme. Und Saatchi zahlte ihr Leinwand, Farbe, und war bedingungslos unterstützend, ermunterte sie zu den grossen Leinwänden, kaufte ihr alles ab und liess es unbesehen nach London schicken. Natürlich ist Saatchi ein Werber und keine so super zarte Natur, dafür hat er das Herz auf dem richtigen Fleck! Er hat mit Kunst viel Geld gemacht? Na und? Machs nach – das ist schon in die Fassade des Berner Münsters eingemeisselt.

Jenyy Saville vor ihrem Selbstporträt «The Mothers», Blick in den Saal, Vernissagenbesucher legen eine Ruhepause ein

Jenny Saville vor ihrem Selbstporträt «The Mothers», Blick in den Saal, Vernissagenbesucher legen eine Ruhepause ein.

(Über Gagosian lasse ich mich ein anderes Mal aus. Nur so viel: Galeristen, die ich mag, mögen den nicht. Von mir aus könnte Jenny S. den Galeristen wechseln. Gemacht hat er sie aber auch nicht, denn Gagosian nimmt lieber die schon Gemachten in sein Programm).

Dr. Elisabeth Leopold (links),  ein Blick auf Savilles «Rosetta II»,  Oliver Wick (vor Schieles «Tod und Mädchen»)

Dr. Elisabeth Leopold (links), ein Blick auf Savilles «Rosetta II», Oliver Wick (vor Schieles «Tod und Mädchen»)

Sind Schiele und Saville eine gute Paarung?

Kollege Samuel Herzog von der NZZ schreibt etwas von Zwieback und Sahne, und lässt keinen Zweifel daran, was er von einer solchen Kombination hält. Andererseits war der Galerist Etienne Lullin (Lullin + Ferrari) restlos überzeugt. Was zeigt, dass auch äusserst kritische Geister einer solchen ungewöhnlichen Gegenüberstellung etwas Besonderes abgewinnen können. Mir wäre Schiele allein genug. Oder Saville allein. Mir sind die beiden aufs Mal zu viel. Aber zu viel ist manchmal auch gut. Ich habe mir erlaubt, Dr. Elisabeth Leopold, die Gründerin der Wiener Stiftung Leopold, die an der Vernissage dabei war, danach zu fragen, ob ihr die Ausstellung gefällt. Schliesslich hat sie dem Kunsthaus «ihren Schiele», wie es Wick an der Pressekonferenz ausplauderte, überlassen. Die für ihre Direktheit bekannte Wienerin (die 88-jährige Augenärztin hat mit ihrem Mann Rudolf Leopold die berühmte Sammlung aufgebaut) hat mich leicht strafend angesehen und geantwortet: «Ich muss vorsichtig sein.» Das Kunsthaus war mit der Paarung unvorsichtig, sprich wagemutig. Allein das ist in meinen Augen schon eine grosse Tugend.

Sagt Fischli

Ewa Hess am Dienstag den 16. September 2014
Private View

Feiert sein Debut als Kurator: Peter Fischli im Kunsthaus. Foto: Dominique Meienberg

Peter Fischlis Debüt als Kurator hat Zürich elektrisiert. Ausgerechnet Hodler! Die halbe Stadt war unterwegs zur Vernissage am Heimplatz. Diese Eröffnung enttäuschte auch nicht: Nicht nur ist die Ausstellung Weltklasse. Es gab auch noch besondere Vorkommnisse, inklusive einer mysteriösen Lightshow. (Zur gleichen Zeit und an der Rämistrasse um die Ecke feierte Galerie Mai 36 Eröffnung. Privateview-Autor Giovanni Pontano berichtet darüber hier).

Was: Die Ausstellung «Ferdinand Hodler und Jean-Frédéric Schnyder» – kuratiert von Peter Fischli
Wo: Kunsthaus Zürich
Wann: Donnerstag, 11. September 2014 (Pressekonferenz um 11 Uhr, Vernissage um 19 Uhr). Ausstellungsdauer bis 26. April 2015

Das Zürcher Kunsthaus, muss man vielleicht im Vorfeld erwähnen, hat in der letzten Zeit wirklich Pech gehabt und konnte einem ein wenig leid tun. Da lief es doch schon so prächtig mit den Vorbereitungen für den Neubau und dann das: eine Einsprache, die den ganzen Prozess um Jahre verzögern kann. Genug, um gehörig sauer zu werden. Wer weiss, wie lange sich der Kampf um den «Klotz», wie die rekurrierende Stiftung Archicultura den geplanten Erweiterungsbau nicht allzu freundlich nennt, noch hinziehen wird. Und wer weiss, ob nicht inzwischen auch noch andere Menschen in Zürich plötzlich auf die Idee kommen, dass sie statt des Riesenbaus lieber was Leichteres hätten. Hm.

Ehemalige Kunsthaus-Kuratorin, heute Chefin der Fondation Van Gogh in Arles, Bice Curiger, Sotheby's Chef Stefan Puttaert (rechts), in der Mitte: das japanische Fernsehen interviewt den Sammlungskurator Philippe Büttner

Die ehemalige Kunsthaus-Kuratorin und Biennale-Direktorin, heute Chefin der Fondation Van Gogh in Arles, Bice Curiger (l.), Sotheby’s-Direktor Stefan Puttaert (r.), in der Mitte: das japanische Fernsehen interviewt den Kunsthaus-Sammlungskurator Philippe Büttner.

Nichts könnte besser sein, um sich von diesen unliebsamen Querelen abzulenken, als die soeben eröffnete Hodler/Schnyder-Schau. Ja, es ist der gleiche gelassene Charme, der Fischli/Weiss-Werke wie etwa die schwebenden Equilibre-Skulpturen oder die klugen Frageserien auszeichnet, welcher jetzt in den Sammlungssälen des Kunsthauses mit Fischlis Ausstellung bis im April nächsten Jahres zu erleben sein wird. Diese Säle, befreit von den nach Japan ausgeliehenen grossen Werken, bespielt nun Fischli seifenblasenleicht mit Fundstücken aus dem Hodler-Depot. Und fügt die aus Aarau, Bern und aus den Privatsammlungen geliehenen Werke und Werkserien von Jean-Frédéric-Schnyder hinzu. Seltsam, das Kunsthaus hat Schnyder bisher kaum gesammelt.

Zwei Niesen-Ansichten Thunersee-Serie von Schnyder (er malte auch den Niederhorn)

Zwei Niesen-Ansichten aus der Thunersee-Serie von Jean-Frédéric Schnyder.

Ich konnte nicht umhin, als den sympathischen Sammlungskurator Philippe Büttner zu fragen, ob das Kunsthaus jetzt Schnyder-Werke ankaufen werde. Das Kunsthaus freue sich, sagte mir Büttner, dass diese Ausstellung eine Annäherung an den Künstler erlaube. Nun. Jean-Frédéric Schnyder hat vielleicht etwas Sprödes. Im besten schweizerischen Sinn! Das Wichtigtun ist seine Sache nicht. Er unterhält sich lieber über Konkretes als über Abgehobenes und hat seine ganz eigene Vorstellung davon, wie ein Werk unprätentiös ausgestellt werden soll. Doch dass ein Museum Mühe haben sollte, sich ihm zu nähern, das hat man eigentlich noch nie gehört. Schliesslich sind doch Aarau und Bern irgendwie zu ihren schönen Konvoluten gekommen. Fürs Kunsthaus jetzt hat der Künstler netterweise sogar die Saalführer und Werklisten eigenhändig angefertigt (Bild unten). Allerliebst!

Handschriftliche Werkliste, Jean-Frédéric Schnyder im Kunsthaus, (k)ein Autoporträt

Handschriftliche Werkliste, Jean-Frédéric Schnyder im Kunsthaus, (k)ein Autoporträt.

Auch das Genie von Fischli/Weiss liegt darin, dass sie es schaffen, ihre Klugheit in Werke zu verpacken, die komplett frei von Pomp und Pose sind. Das analytische Denken ist dennoch, und war immer schon, ihre Stärke. Auch wenn David Weiss traurigerweise nicht mehr da ist – das Denken ist noch da. Fischli lässt uns grosszügigerweise daran teilhaben.

Peter Fischli im Gespräch mit der Journalistin Angelika Maas, bei der Vernissagenansprache, die Menge stürmt die Ausstellung

Peter Fischli im Gespräch mit der Journalistin Angelika Maas, der Künstler bei der Vernissagenansprache, die Menge stürmt die Kunsthaus-Treppe hoch (v.l.).

An der Pressekonferenz passiert es: Peter Fischli spricht. Als Künstler haben Peter Fischli und David Weiss immer die kluge Taktik verfolgt, die Wirkung ihrer Werke nicht mit vielen Worten zu konkurrenzieren. Als Kurator kann Fischli nun das Schweigen brechen. Ihm zuzuhören ist ein bisschen, wie der Präzisionsuhr (und damit meine ich das Fischli/Weiss-Gesamtkunstwerk) in die Rädchen zu schauen. Man stellt sich vor, um ähnliche Dinge ging es vielleicht bei den Gesprächen der beiden im Atelier, deren Inhalt zu den bestgehüteten Geheimnissen der zeitgenössischen Kunstwelt gehört.

Hodlers «Mädchen mit Blumen»

Ferdinand Hodlers «Mädchen mit Blumen».

In Kürze hier die Ausführungen: Konfrontiert mit der Frage, wie man sich Hodler nähert, tauchte Peter Fischli ins Depot ab. Er fuhr nach Genf, sah sich um. Dann entdeckte er die «Cahiers», Hodlers Notizhefte, die er ständig bei sich trug und die seine ersten Skizzen und Ideen aufnahmen (wie erinnern uns: David Weiss zeichnete auch in Hefte! Sie sind gerade als eine Faksimile-Ausgabe bei der Edition Patrick Frey herausgekommen). «Ich habe mich geweigert, Hodler ikonographisch zu sehen», sagt Fischli. Ihn interessierte, ganz modern, der Prozess.

Schnydis Wanderschuhe und Staffelei, Fischli und Schnyder im Berner-Veduten-Saal, Schnyder spricht mit Parkett-Chefin Jacqueline Burckhardt und Kunstbulletin-Chefin Claudia Jolles

Schnydis Wanderschuhe und Staffelei, Fischli und Schnyder im Berner-Veduten-Saal, Schnyder spricht mit «Parkett»-Chefin Jacqueline Burckhardt und «Kunstbulletin»-Chefin Claudia Jolles (v.l.).

Und dann kam ihm Kierkegaard in den Sinn, ja der olle dänische Existenzialist, der über Wiederholungen sinniert hat. Hodlers heldischer Parallelismus liess sich durchs Prisma der Philosophie in sein Gegenteil verkehren. Denn Kierkegaard wiederholte eine Kutschenfahrt, während der er immer in Fahrtrichtung sass, mal umgekehrt sitzend. So kam nun Fischli zu seiner «Retourkutsche»-Strategie. Hodler als Skizzierer, Blümchenmaler, Ideengenerator. Und dann Schnydi, der geniale Brachialpinsler in Wanderschuhen. Und alles das unter dem Motto: «Die Abwesenheit der Moderne». Stimmts etwa nicht? Hodler gilt als Vorläufer der Moderne, er läutet sie erst ein. Und Schnyder kommt nach ihr, er demontiert sie genüsslich. Dazwischen die grosse Abwesende: Mme M.

Fischlis Kommentare zu den Werken ergötzen in ihrer saloppen Familiarität: «Mutter und Kind» heisst ein Hodler-Bild – es ist eher «Kind und Mutter», lacht Fischli, weil das Kind so gespenstisch feiss und überpräsent im Vordergrund dräut. Oder zu einem Frauenbild des Symbolisten: «sieht aus wie eine Bardame, fehlt nur die Zigi in der Hand!». Man folgt dem listig gelegten Pfad mit lauter Ohs und Ahs. Und am Schluss stolpert man ermattet in den Saal, in dem die hodlersche Fähigkeit, Naturschönheit in ihrer ganzen sublimen Grösse darzustellen, schlichtweg überwältigt. Die Bilder für diesen Saal hat Fischli sogar aus den Büros der Kunsthaus-Leute geklaut. Eins, wunderschön und zurückhaltend, sogar aus dem Büro des Direktors.

Vor dem Licherlöschen: Galerist Peter Kilchmann spricht mit dem Sammler Hans Bollier, Kunsthaus-Direktor mit der Grafikerin und Leihgeberin Franziska Schott (Schott und Schibig), Autorin Katja Früh und Kunsthistorikerin Laurence Frey

Vor dem Licherlöschen: Galerist Peter Kilchmann spricht mit dem Unternehmer und Sammler Hans Bollier, Kunsthaus-Direktor Christoph Becker mit der Grafikerin und Leihgeberin Franziska Schott (Schott und Schibig), Autorin Katja Früh und Kunsthistorikerin Laurence Frey (v.l.).

Am Abend macht der Direktor, Christoph Becker, die Honneurs. Doch Punkt 20 Uhr – da sind die Besucher noch nicht mal eine halbe Stunde in den Sälen, geschieht Unheimliches. Langsam, wie von einer fernen Macht gesteuert, geht das Licht im ganzen Haus aus. Eisige Luft fängt an die Füsse zu blasen, die Vernissagengäste erschauern – was ist bloss los? Wenige Minuten später versuchen noch Unentwegte, in kompletter Dunkelheit die Bilder beim Schein ihrer Handy-Taschenlampen zu ergründen. Andere stolpern tastend die dunkle Treppe hinab. Über ihr, düster, das grosse Wandgemälde Hodlers – die Rache der verschmähten Ikonographie? Wackere Mannen, die Hand zum Schwur erhoben, blicken stumm dem chaotischen Gestolpere unter ihnen zu. Ihren heldischen Parallelismus verstärkt der Schattenwurf der Gitterstäbe des Hauptfensters – der einzigen schwachen Lichtquelle weit und breit.

Bildbetrachtung im Dunkeln, Hodlers Mannen mit Gitter-Schattenwurf

Bildbetrachtung im Dunkeln, dazwischen Hodlers Mannen mit Gitter-Schattenwurf.

(Die Erklärung ist dann simpel: Man vergass, die Nachtautomatik, die Lichter löscht und die Klimaanlage kälter stellt, von 20 auf 21 Uhr umzustellen).