Archiv für die Kategorie ‘Kunsthalle Basel’

Zwischen Hochglanz und Naturtrip

Claudia Schmid am Dienstag den 1. Dezember 2015

Das erste Kunstwerk ist zerstört, bevor es die Leute richtig wahrnehmen: An Kristina Buchs Bodenarbeit, einem Teppich mit rätselhaften Mustern und Zeichen, putzen sich die Besucher beim Eingang die Füsse ab. Erst beim Rausgehen merken sie, dass es sich um ein Werk gehandelt hat. Die Ausstellung «Jungs, hier kommt der Masterplan», mit deren Eröffnung die Kunsthalle Basel am Samstag ihren Beitrag zur diesjährigen Regionale geliefert hat, ist voll solcher subtiler Überraschungen.

Was: Eröffnung der Regionale-Ausstellung «Jungs, hier kommt der Masterplan» in der Kunsthalle Basel.
Wo: Basel, am Samstag, dem 28.11.
Wann: Bis 3.1.2016. Infos zu der ganzen Regionale hier.

Basler Überraschungen: Ein Kunstwerk zum füsse abtreten

Basler Überraschungen: Plakat der Ausstellung, Kristina Buchs Kunstwerk zum Füsseabtreten (rechts).

Etwa die zwei Videoarbeiten von Lotte Meret Effinger. Präzise montiert die Berlinerin, die in Karlsruhe lebt und an der HFG Karlsruhe studiert hat, perfekt gestylte Bilder zwischen Hochglanz und Naturtrip: Da tröpfelt schwarzer Nagellack zwischen die Finger und werden Augenlinsen in Grossaufnahme ins Auge geführt, da werden Lippen bemalt und verzogen, und plötzlich kommen einem Wildschweine und Fasnachtslarven im Wald entgegen.

Von links nach rechts: co-Kurator Claudio Vogt, Kunsthalle Chefin Elena Filipovic, Bild aus dem Video von ........

Co-Kurator der Schau Claudio Vogt; Kunsthalle-Chefin Elena Filipovic (weisses Kleid) vor einem Werk von Philipp Schwab; eine Edition von Sophie Jung.

Effinger ist eine von acht Künstlerinnen und Künstlern, die dieses Jahr an der Regionale in der Kunsthalle teilnehmen. Alle sind sie Anfang der Achtzigerjahre geboren, haben eine Kunsthochschule besucht und leben in der Region. Denn nicht nur Basel, sondern das ganze Dreiland ist wiederum Teil der Regionale, die dieses Jahr zum 16. Mal stattfindet und aus der traditionellen Weihnachtsausstellung hervorgegangen ist.

Sie ist die einzige Kunstausstellung, die in drei Länder führt und die Besucher am Eröffnungsweekend dementsprechend fordert: Am Samstag standen nicht weniger als zehn Vernissagen in zehn Institutionen auf dem Programm. Die Besucher, darunter Galerist Stefan von Bartha oder Haus-Konstruktiv-Chefin Sabine Schaschl, schwirrten deshalb nur husch, husch durch das ehrwürdige Gebäude: Es gab nicht nur in der Kunsthalle viel zu sehen. Sogar der Basler Stadtlauf zog neben der Kunsthalle vorbei, weswegen die ganze Stadt in verschwitzten Turnkleidern und Turnschuhen unterwegs war – die Kunsttraube natürlich ausgenommen.

Galerist stefan von Bartha, Basels Kulturchef Philippe Bischoff (hielt die Eröffnungsrede), ein Wildschwein im Effingers Video

Galerist Stefan von Bartha, Basels Kulturchef Philippe Bischoff (hielt die Eröffnungsrede), ein Wildschwein im Video von Effinger.

Philippe Bischoff, Leiter Abteilung Kultur von Basel-Stadt, erinnerte bei seiner Eröffnungsrede daran, dass das Öffnen und Überwinden von Grenzen, die seit den Anschlägen in Paris besonders fragil und bewacht sind, in der Kultur besonders wichtig sei. Auch da war natürlich Elena Filipovic, neue Direktorin der Kunsthalle. Aber was heisst hier «neu»? «Eigentlich bin ich ja schon ein Jahr da. Die Zeit ist extrem gerast. Und das ist ein gutes Zeichen. Ich habe mich keinen Moment in Basel gelangweilt.» Mit Filipovic hat sich auch das Team der Kunsthalle verändert. So ist Claudio Vogt mit den blonden Mèches neu mit an Bord, der einen guten Draht zu jungen Künstlern hat und die Regionale mitkuratiert hat.

Die Jungfrauschaft der Basler Kunstszene: Lotte Meret Effinger, Künstlerin Sarah Bernauer vor ihrer Installation "Mily Ways", Stammgast in der Kunsthalle: Boutique-Besitzerin Corinne Grüter

Die Jungfrauschaft der Basler Kunstszene: Künstlerin Lotte Meret Effinger vor einem ihrer Videos, Künstlerin Sarah Bernauer und ihre Installation «Mily Ways», und Boutiquebesitzerin Corinne Grüter, ein Stammgast in der Kunsthalle.

«Jungs, hier kommt der Masterplan» ist der Titel eines Tocotronic-Lieds aus den Neunzigern und tönt aufs Erste einfach mal cool. Was genau der Masterplan der Ausstellung ist, bestimmten die Künstler gleich selbst. Den vielleicht besten Schachzug spielte Johannes Willi: Der 32-Jährige, der sich diesen Sommer einen Namen mit dem Konzert von Beethovens fünfter Sinfonie aus selbst gebastelten Instrumenten im KKL gemacht hat, bespielte einen Raum mit seiner «Free Willi»-Installation «Ruf der Freiheit». Er versuchte, «sich überflüssig zu machen». Im Vorfeld hatte er Freunde darum gebeten, ihm Kunstwerke zu schenken.

Der Künstler Johannes Willi vor seiner Installation, die ihn überflüssig machen soll sowie ein brennendes Kleid von Louise Guerra

Der Künstler Johannes Willi vor seiner Installation, die ihn überflüssig machen soll, sowie ein brennendes Kleid von Louise Guerra.

Um die 40 Exponate, die sich teilweise auf das Thema Freiheit respektive den Wal beziehen, sind in dieser kleinen Gruppenausstellung zusammengekommen. Angeschrieben sind sie nicht, man muss schon selber draufkommen, von wem sie stammen. Aber eigentlich ist es auch egal, wer was gemacht hat. Denn mit seiner Arbeit inszeniert Willi eine anonyme Gruppenausstellung – und das Künstlergeschenk. Nicht mal aufgehängt hat Willi die Kunstwerke selbst – das haben Vorkurs-Studenten gemacht. Willi hat dabei geübt, sich zurückzunehmen und zuzulassen, «dass andere Dinge tun, die ich so nie gemacht hätte». Er hat sich also in mehrfacher Weise vom «Masterplan» befreit – und plant zwei Fortsetzungen seiner «Free Willi»-Ausstellung. Die werden wie die Walfilme heissen: «Free Willi – Freiheit in Gefahr» und «Free Willi – die Rettung». Was er retten möchte, bleibt sein Geheimnis. Es könnte sein, dass unser aller Freiheit (von den selbst geschaffenen modernen Zwängen) auf dem Spiel steht. In diesem Sinn und gerade in der hektischen Jahreszeit: Never forget your free will(i).

Ein Grenzenloses Treffen: Der Auftakt zur Regionale in der Kunsthalle Basel

Ein grenzenloses Treffen im Zeichen der Kunst: Der Auftakt zur Regionale in der Kunsthalle Basel.

Hello and goodbye

Claudia Schmid am Dienstag den 23. September 2014

Was für ein heiterer Mensch! David Lamelas streift durch die Kunsthalle und plappert viersprachig mit den Gästen, als sei er mit allen befreundet. Der 68-jährige Argentinier setzt sich auch mal hinter die Ticketeria und ruft mit dem Festnetztelefon mitten im Gewühl seine Schwester in Buenos Aires an. Er erreicht sie dann allerdings nicht. Lamelas (sprich: LAmelas, nicht LamelAS), ein Pionier der Konzeptkunst der 60er- und 70er-Jahre, verwandelt sich später in einen Zauberkünstler und zelebriert eine Performance, an der auch Adam Szymczyk, Direktor der Kunsthalle, teilnimmt. Dieser bleibt noch bis Ende Oktober, danach ruft ihn die Documenta nach Kassel.

Was: Die Ausstellungseröffnungen «David Lamelas, V» und «Festival of the Eleventh Summer»
Wo: Kunsthalle Basel
Wann: Samstag, 20. September, 19 Uhr. Ausstellungsdauer bis 2. resp. 16.11.2014

Trotz der gleichzeitig stattfindenden Benefizgala in der Fondation Beyeler (der Abend war sehr schön!) fanden unentwegte Kunst-Aficionados am Samstagabend den Weg in die Kunsthalle Basel zur Eröffnung der zwei neuen Ausstellungen. Es gab genug Tannenzäpfle, das süddeutsche Hausbier der Kunsthalle, und man stand sich nicht auf den Füssen herum.

Kuratorin Mara Berger, Noch-Kunsthalle-Chef Adam Szymczyk mit dem legendären Lamelas, Kurator Fabian Schöneich mit dem Künstler Raphael Hefti

Co-Kuratorin Mara Berger, Noch-Kunsthalle-Chef Adam Szymczyk mit dem ausstellenden Künstler, der Konzeptkunstlegende David Lamelas, Kurator Fabian Schöneich (soeben an den Portikus in Frankfurt berufen) mit dem Künstler Raphael Hefti.

Das war gut so, denn die Ausstellung von David Lamelas (kuratiert von Ruth Kissling mithilfe von Mara Berger) brauchte Luft und Platz, um ihre Wirkung zu erzielen. Lamelas’ Arbeit «Time» etwa besteht nur aus zwei Fotografien und einer weissen Linie auf dem Boden. Die Linie soll die Besucher dazu auffordern, sich nebeneinander in eine Reihe zu stellen.

Das machen die Gäste Punkt 20 Uhr auch brav – denn Lamelas bittet zur Performance. Nach 1970, als er in den französischen Alpen diese erstmals aufführte, soll an diesem Abend die seither erste Wiederholung stattfinden. Die Performance geht so: Die erste Person der Reihe – in diesem Fall Adam Szymczyk – nennt die Zeit, zählt still eine Minute hinunter und lässt dann den Nachbarn eine Minute weiterzählen. Lamelas, der einen weiten, glänzenden Mantel trägt und die Leute anweist, sieht jetzt tatsächlich aus wie ein Zauberkünstler. Und es ist lustig zu sehen, wie nervös gewisse Leute sind, weil sie auf dieser Linie gefangen sind und warten müssen, bis sie mit Zählen dran sind.

Tannzäpfli-Biel, Lamelas ruft die Schwester in buenos Aires an, die Zeit-Performance geht los

Tannenzäpfle-Bier, Lamelas ruft die Schwester in Buenos Aires an, die Zeit-Performance.

Viele Gäste, darunter (Nachwuchs-)Künstler wie Gina Folly (betreibt in Zürich mit Freunden das Offspace Taylormacklin), Kilian Rüthemann (im Stiftungsrat der Kunsthalle Basel), Raphael Hefti oder Fabio Pirovino, machen nicht mit und gehen Bier trinken. Andere, etwa Liste-Chef Peter Bläuer, harren auf der Linie aus. Es wird eine gute halbe Stunde dauern, bis die gut 30 Leute ihre Minute durchgezählt haben – also gehts in der Zwischenzeit ab in die zwei weiteren Räume der Ausstellung.

Auch im Video «18Paris IV.70» (1970) beschäftigt sich Lamelas mit der Zeit. Es zeigt drei Freunde des Künstlers, darunter Daniel Buren, die je drei Minuten an drei verschiedenen Orten in Paris gefilmt werden. Ohne dass die Akteure viel machen, vergehen jeweils drei Minuten. Im Handyzeitalter, wo man kaum eine «leere» Minute verbringen kann, ist das Video kaum auszuhalten. Man wird total nervös und wartet darauf, dass die drei Minuten endlich vorbeiziehen.

Das Spiel mit der Zeit ist ein Hauptthema des Biennale-Teilnehmers von 1968, dessen Kunstwerke nicht nur aus Performances und experimentellen Filmen, sondern auch aus Skulpturen und Fotos bestehen. Weder geografisch – er pendelt zwischen Los Angeles, Paris und Buenos Aires – noch «medientechnisch» ist Lamelas ein steter Mensch. Den Moment, also die Zeit, in Kunst zu fassen, gibt ihm ein Zuhause.

Historische Performance-Fotos von David Lamelas: In der Mitte mit Hildegard duane bei den Dreharbeiten zum Film «Diktator», rechts ein Filmstill aus 18Paris IV.70

Historische Performance-Fotos von David Lamelas: In der Mitte mit Hildegarde Duane bei den Dreharbeiten zum Film «The Dictator», rechts ein Filmstill aus «18Paris IV.70».

Apropos zu Hause: Adam Szymczyk verlässt demnächst seine zweite Heimat Basel, wo er zehn Jahre gelebt hat, und geht nach Kassel, wo er bekanntlich Documenta-Chef wird. Ende Oktober soll es einen Abschiedsapéro für ihn geben – allerdings weiss Szymczyk das Datum nicht auswendig. «Ich glaube, es ist am 30. Oktober.» Was er an Basel vermissen werde? «Everything!», sagt er knapp – wie das der Stil des wortkargen Polen ist. Doch «alles», das sagt doch alles. Elena Filipovic, die per 1. November seine Nachfolgerin wird (und übrigens wie er einen slawischen Namen trägt, wenn sie auch in den USA aufgewachsen ist), zieht erst Ende Oktober nach Basel – sie war an der Vernissage nicht anwesend.

Fakt ist: Szymczyks Weggang hat im Kunsthalle-Team für Veränderung gesorgt. So wechselt Kurator Fabian Schöneich zum Frankfurter Ausstellungshaus Portikus. Die Ausstellung «Festival of the Eleventh Summer», die im Parterre der Kunsthalle parallel zu Lamelas Schau eröffnet wird, ist denn die letzte, die Schöneich kuratiert.

Ronnie Füglister, der das Ausstellungsplakat und die neue Website der Kunsthalle entworfen hat, Künstler Fabio Pirovino und Gina Folly, das Programm des historischen Festivals «of tenth summer»

Ronnie Füglister, der das Ausstellungsplakat und die neue Website der Kunsthalle entworfen hat, Künstler Fabio Pirovino und Gina Folly (Mitte), das Programm des historischen «Festival of the Tenth Summer» in Manchester.

Der Titel bezieht sich auf das «Festival of the Tenth Summer», das 1968 in Manchester stattfand und an dem Konzerte, Mode, Bandvideos oder Fotoausstellungen gezeigt wurden. Das Kunsthalle-Festival ist ebenfalls eine Hommage an die Musik und zeigt etwa die Plattencoversammlung des ehemaligen Kunstleiters der HGK, René Pulver, der auch anwesend ist. Podiumsdiskussionen und Konzerte sind genauso geplant wie wechselnde Videoarbeiten. Schöneich möchte mit seinem Festival explizit die Rolle von Kulturinstitutionen wie der Kunsthalle hinterfragen. Doch reicht das öffentliche Rahmenprogramm, um «unterschiedliche Bevölkerungsschichten der Stadt» anzuziehen? Am 16.11, wenn das Festival fertig ist, weiss Schöneich mehr.

Was wir wissen: Das erste Konzert des Portugiesen Garcia da Selva, der auf die Tasten seines Pianos einschlug, machte etwas Kopfweh. Aber vielleicht war es auch das warme Wetter.