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Dreiecke in Ekstase

Claudia Schmid am Dienstag den 29. September 2015

Das muss wieder mal gesagt sein: Im Helmhaus geht in Zürich die Sonne am schönsten unter. Kaum ein Ausstellungsraum kann bei diesem von der Limmat reflektierten Licht, das abends die Räume in einen Goldfilm taucht, mithalten. Auch die Aussicht auf fotografierende Touristen und die Altstadt ist bei schönem Wetter superb. Für eine Ausstellung mit dem Wort «Liebe» im Titel also mehr als perfekt. Kein Wunder, kamen am Donnerstag alle zur Vernissage – inklusive der Stadtpräsidentin in High Heels.

Was: Vernissage der Ausstellung «Das Dreieck der Liebe»
Wo: Helmhaus Zürich
Wann: Donnerstag, 24. September 2015 (Ausstellungsdauer bis 22.11.)

Helmhaus im Herbst: Goldenes Licht und heisse Abstraktion

Helmhaus im Herbst: Goldenes Licht und heisse Abstraktion.

Auch am diesem Abend war das Helmhaus wieder mal in dieses goldene Licht getaucht, und man hätte sich stundenlang auch Schrott angeschaut, so schön war alles erleuchtet. Bei der Vernissage «Das Dreieck der Liebe» gab es aber natürlich keinen Schrott zu sehen, sondern viel Sex, Körper und strenge Linien aus der Zürcher Kunstszene von jetzt und damals. Der Kurator der Ausstellung, der Kulturanthropologe Michael Hiltbrunner, hat dafür Werke ausgewählt, die Zürichs Extrempositionen zwischen Abstraktion und Körperlichkeit zeigen. Im besten Fall vereinen sich diese Gegensätze in der «dritten, vereinenden Kraft von Liebe und Mystik» – was eben das Dreieck ergibt.

Guckiguck: Kleinteiliges und Explizites von André Gelpke, Ton auf pink kommt gut: Sabina Baumann, Vernissagen-Ekstase im Treppenhaus

Guckiguck: Kleinteiliges und Explizites von André Gelpke (links), Ton auf Pink kommt gut: Sabian Baumann (Mitte), Vernissagen-Ekstase im Treppenhaus.

Für alle, die das mit dem Dreieck immer noch nicht gerafft haben, hier ein (kommentierter) Ausschnitt aus dem Ausstellungstext:

«Dem Aufspannen von Körperlichkeit und Abstraktion vor dem Hintergrund der Liebe liegt die Idee zugrunde»

(so weit, so gut)

«dass Körperlichkeit und Abstraktion nicht zu trennen sind»

(wirklich nicht? wir dachten immer, es seien Gegensätze?)

«so wie die Pythagoreer für alle Erscheinungen auch eine Zahl zu bestimmen suchten»

(aha, ja so, wenns die Pythagoreer taten, dann wollen wir das gelten lassen).

«Die Zahl 3 ist Symbol für Ende, Mitte und Anfang, und somit für das All. Dieses All, das Unendliche in der Mathematik, steht oft für das Göttliche und ist zentraler Gegenstand der Mystik.»

(Gemeint ist wohl hier die Kuratoren-Mystik?)

«Dies liegt der Konzeption der Ausstellung zugrunde: das Dreieck nicht als Form, sondern als Spannungsverhältnis zwischen Körperlichkeit, Abstraktion und dem dritten, kaum fassbaren kosmisch-unendlichen Element.»

(Okay, und wir dachten in unserer Naivität, dass wenn man Liebe sagt, man auch Liebe meint – und nicht «ein kaum fassbares kosmisch-unendliches Element». Aber natürlich, wo bliebe sonst die Mystik?)

Helmhaus-Hausherr Simon Maurer, Kurator Martin Hiltbrunner, rechts: Stadtpräsidentin auf dem Sprung ans Filmfestival

Helmhaus-Hausherr Simon Maurer und Kurator Michael Hiltbrunner vor einem Werk von Cristina Fessler (l.), Stadtpräsidentin auf dem Sprung ans Filmfestival.

In seiner Rede wird Kurator Hiltbrunner schon etwas deutlicher, wenn nicht zu sagen derber: «Viele Dreiecke sind in der Ausstellung nicht zu sehen. Dafür entschuldige ich mich», sagt er. Laut Helmhaus-Leiter Simon Maurer habe sich Hiltbrunner dafür an die «Königsdisziplin» gewagt – «nämlich nicht nur eine Ausstellung auszurichten, sondern damit auch gleich eine eigene These aufzustellen». Welche These? Ist immer noch nicht so klar, aber nicht zuletzt will die Ausstellung auch zeigen, dass Zürich schon immer zwischen kühler Kalkulation und heisser Ekstase pendelte. Dafür hatte es eigentlich Dreiecke und Kugeln genug unter den schönen Exponaten.

Essai de simulation de la manie aiguë, 1972, eine Radierung von Johannes Gachnang, Eva Kurz, o.T. (Wir in Irenes Höschen), Fotografie, 2015, C-Print, 10.5 x 7 cm, Walter Pfeiffer, Ohne Titel, 1979, Courtesy Galerie Sultana, Paris

Dreiecke und Kugeln: «Essai de simulation de la manie aiguë», 1972, eine Radierung von Johannes Gachnang (links), Eva Kurz, o.T. (Wir in Irenes Höschen), Fotografie, 2015, C-Print (Mitte) und Walter Pfeiffers Ohne Titel, 1979, Courtesy Galerie Sultana, Paris.

Für Corine Mauch, die die Ausstellung mit eröffnet, ist heute eher ein Abend der heissen Ekstase: Sie muss im Anschluss auch noch an die Eröffnungsnacht des Zurich Film Festival «abzischen» und ist denn auch mit Abstand am festlichsten gekleidet: Sie trägt ein rotes Kleid und ultrahohe Absatzsandalen aus Lackleder. Wirklich Zeit, die Ausstellung in Ruhe anzuschauen, hat sie nicht.

Dabei macht es richtig Spass, sich im gleichen Raum von den bunten Geometrien einer Verena Loewensberg und den kleinen, expliziten Siebzigerjahre-Aktfotografien eines André Gelpke verführen zu lassen. Dank Arbeiten von 1937 bis heute ist die Bandbreite gross, und alle sind angesprochen: Die Besucher Mitte 30 finden ihre Kollegen bei den kleinformatigen Nackt- und Unterhosenbildern von Eva Kurz (*1979) wieder; die Älteren entdecken Arbeiten der frühen F+F-Schule, von Manon oder Max Bill, wieder; die Jüngeren von Tobias Madison oder Rico & Michael.

Pseudo-Versace-Stil: Die Auslegeware von Michael und Rico

Pseudo-Versace-Stil: Die Auslegeware von Rico & Michael.

Das gleichnamige Künstlerduo, das sich von Beginn weg mit Körperlichkeit und Selbstdarstellung beschäftigt hat, bringt eine begehbare Bodeninstallation mit dekonstruierten Selbstporträts im Pseudo-Versace-Stil ins Helmhaus. «Ist recht praktisch; Meterware und einfach zu pflegen», sagen die beiden. Hinter ihnen steht Walter Pfeiffer. Der Fotograf, dank knallblauem Outfit immer von weitem sichtbar, will aber nicht auf ihrem PVC-Boden posieren, sondern führt uns zu seiner eigenen Arbeit – natürlich Akte. Mit seinen reizenden, blutjungen Assistenten Samuel Haitz und Jeannie Coco Schneider bildet er ein Dreieck, das sinnbildlich für diese generationenübergreifende Ausstellung steht.

Walter Pfeiffer mit seiner reizenden Doppelassistenz

Walter Pfeiffer mit seiner reizenden Doppelassistenz: Jeannie Coco Schneider und Samuel Haitz.

We get Sad-is-fiction

Ewa Hess am Montag den 28. April 2014
Installation von Mickry 3

Ein Blick in den Mickry-3-Saal

Nichts, das wirklich gut ist, geht verloren. Darum schenken uns der Kunstgott und die Eingebung des Kurators Simon Maurer ein Wiedersehen mit Alex Sadkowsky. Unter den Schweizer Rebellen der 60er-Jahre war er wohl der Plakativste, auch wenn es später H.R. Giger war, der mit seinem Engagement für Hollywood zum Dauergast der grossen Affichen wurde. In den 70ern gehörten die grossäugigen Schönheiten von Sadkowsky ebenso wie Klassenkämpferisches von Mario Comensoli und Melancholisch-Mysteriöses von Friedrich Kuhn zu den Musts der progressiven Zürcher Sammler. Sie waren die Befreiung aus dem Korsett des Konstruktiv-Konkreten. In Zürich waren sie weltberühmt. Ein Zürcher Weltruhm, der übrigens bereits in Basel nicht mehr galt, wie mir an der Vernissage im Helmhaus der Galerist Corrado Ferrari von Ferrari + Lullin erzählt. In seiner Galerie an der Limmatstrasse sahen wir jüngst einen anderen Beweis für die Jugendlichkeit der Kunst von damals – in den fantastisch frischen Leinwänden von Pierre Haubensak.

Nun aber Sadkowsky. Gerade erst 80 Jahre alt geworden, ist der Unermüdliche so lebhaft wie eh. Bereits an der Pressekonferenz macht er seine Runden durch die Säle, zieht sich mit jugendlicher Geschmeidigkeit blaue Socken an, erzählt mit dramatisch eindringlicher Flüsterstimme (eine überstandene Kehlkopferkrankung hinterliess Spuren) Anekdoten zu den Bildern. «Okay, häsch verschtande?», fragt er zur Bekräftigung des Gesagten.

Im ersten Saal brennt ein Klavier: «Sad-Is-Fiction», der 1969-Film von Fredi Murer, läuft. Da sieht man ihn, den Sadkowsky von damals, nicht einen jungen Mann, sondern bereits irgendwie zeitlos, ein fliegender Holländer, ruhelos unterwegs durch Raum und Zeit. Eine sprunghafte, eruptive Energiequelle, stets von Einfällen und Assoziationen überquellend. Erstaunlich für das rasante Naturell – Sadkowsky ist die ganze Zeit seinem Stil treu geblieben. Kein Wildern in Strömungen, keine Experimente mit ganz anderer Form. Der Stil, von dem Kurator Maurer schön sagt, es sei eine virtuose Malerei, der man den Autodidakten noch ansieht, ist seine Identität.

An der Vernissage trifft man die Weggefährten des Malers: Mr. Zürichkultur Christoph Vitali (er zeigte Sadkowsky im Strauhof), Guido Magnaguagno (er zeigte ihn im Kunsthaus), natürlich Fredi Murer, der ihn filmte. Die Verleger: Ricco Bilger, Thomas Howeg. David Bollag mit Gattin – sein Vater Max war Sadkowskys Galerist.

Die Schau ist als ein Generationentreffen angelegt. Mickry 3 – das sind die Damen Nina von Meiss, Dominique Vigne und Christina Pfander, alle etwas über 30, was erstaunt, schliesslich hat man sich daran gewöhnt, sie als blutjunges rotzfreches Grüppchen zu sehen. Das Werk «Hidden Story», das die Girls im Helmhaus präsentieren, nimmt selbstbewusst den grossen oberen Saal ein. Seit dem «Supermarket» von 2001 ist bei den Mickrys einiges passiert. Man erkennt noch die Thematik, doch die Formensprache hat sich entwickelt. Die aus Styropor geschnitzten und danach mit Fiberglas bezogenen Skulpturen sind keine lustigen, auf schnelle Wirkung ausgelegten Gags mehr. Nichts gegen die Gags, ich bin selbst stolze Besitzerin des Objekts «Weiblicher Orgasmus» von damals – doch das Mickry-3-Werk ist im guten Sinne reifer geworden. Diesen schwierigen Helmhaus-Saal so souverän zu bespielen, das muss ihnen erst mal einer nachmachen. Es ist eine mysteriöse Landschaft, mit wiederkehrenden Formen wie verspiegelten Schnittflächen, einem archetypischen Personal wie Nixen und Zwergen sowie jeder Menge selbstreferenzieller Verweise. Weibliches und Männliches spukt in diesem rosaroten Wald. Die Gebrüder Grimm hätten es nicht besser hingekriegt.

Wenn man etwas meckern will: Eine richtige Begegnung ist die Schau dann doch nicht. Die Protagonisten, die sich vor der Ausstellung gegenseitig überhaupt nicht gekannt haben, führen im Helmhaus keinen Dialog. Dennoch ist es wunderbar, die verschiedenen Generationen – in der Familie würden sie Grossvater und Enkelinnen heissen – als eine Kontinuität zu sehen. Ein erfrischend unmodisches Kontinuum der Fabulierlust.

Meine Lieblingsstelle in der Ausstellung ist eine Tür im oberen Stock, die den Übergang von Sadkowsky zu Mickry 3 markiert. Um diese Tür herum hat der Kurator die «Minis» aufgehängt, kleine Bildchen Sadkowskys, auf welchen viele seiner Motive klein vorkommen: Brote, Münder, Augen, Gesichter, Höschen. Durch ein so entstandenes, wie magisch beschütztes Tor betritt man den Zauberwald der Frauen.

Nach der Vernissage trifft sich die Gesellschaft im Zunfthaus zur Waage – für das auf junge Kunst abonnierte Helmhaus erstaunlich gediegen. In den holzgetäferten Räumen mischt sich die Klientel nun wirklich. Am späteren Abend fängt Fredi Murer zu zaubern an. Er kann es wunderbar! Objekte verschwinden und tauchen wieder auf. Sadkowsky schaut hingerissen zu. Es ist ein Abend der kleinen Wunder.

Noch ein Blick in den schönen Sadkowsky-Saal (Elfie Wollenberger macht Notizen)

Ein Blick in den Sadkowsky-Saal (Elfie Wollenberger fotografiert)

Fredi Murer zaubert, Simon Maurer macht einen Kontrollgang

Fredi Murer zaubert, Simon Maurer macht einen Kontrollgang

Galerist Gregor Steiger, Visuelle Gestalterin Marie Lusa (hat Ausstellungsplakate entworfen), Sakko zieht vor der Vernissage blaue Socken an

Galerist Gregor Staiger, visuelle Gestalterin Marie Lusa (hat Ausstellungsplakate entworfen), Sadko zieht blaue Socken an

Sadkowsky (links mit der Tischdame), Nina von Meiss (rechts mit Tischherr)

Sadkowsky (links mit Tochter Rahel!), Nina von Meiss (rechts mit Tischherr)

Das Zaubern geht weiter, am Schluss bleiben verbogene Gabeln - war doch Uri Geller da?

Das Zaubern geht weiter, Verleger Ricco Bilger schaut auch zu, am Schluss bleiben verbogene Gabeln – war doch Uri Geller da?