John Armleder ist einer unserer wichtigsten Künstler, liebe Leserinnen und Leser, und heute will ich von einer aussergewöhnlichen Arbeit des Malers, Performers und Konzeptkünstlers aus Genf berichten. Ich habe sie in einer meiner Lieblingsgalerien entdeckt – bei Susanna Kulli im Kreis 4 in Zürich.
Was: «Jericho» von John M. Armleder
Wo: Galerie Susanna Kulli, Dienerstrasse 21, 8004 Zürich (Di–Fr 13–18, Sa 11–16)
Wann: Bis auf weiteres

John Armleder und Susanna Kulli 1983 beim Einrichten der ersten gemeinsamen Ausstellung in St. Gallen – es war die vierte Ausstellung der jungen Galerie Kulli überhaupt.
Es ist eine kleine Galerie, aber lasst euch nicht täuschen. Susanna Kulli ist unsere Marian Goodman, obwohl sie natürlich viel jünger ist als die allseits respektierte amerikanische Galeristin, die so viele tolle europäische Künstler als Erste in den USA vertrat – und still going strong mit Räumen in Paris und London! Susanna Kulli hat ihre Pioniertätigkeit in St. Gallen begonnen. In ihrem Programm machte sie von Anfang an keine Kompromisse, und in ihrem künstlerischen Urteil blieb sie bis heute unbeirrt. In ihrer zweiten Ausstellung überhaupt zeigte sie schon Gerhard Merz, in der vierten John Armleder. Wenig später war bei Susanna Kulli übrigens der andere wunderbare Romand dran, Olivier Mosset. 1993 widmete sie eine Schau dem jungen Thomas Hirschhorn. Den Namen hat damals zuvor noch niemand gehört.
Und erst vor wenigen Jahren hat mir die unermüdlich entdeckungsfreudige Galeristin das Werk von Bertold Stallmach vorgeführt, eines 31-jährigen in Zürich lebenden Künstlers, das mich mit seiner innovativen Energie verblüfft hat. Heute kennt man Stallmach besser, und bestimmt steht Kullis Interesse wieder am Anfang einer internationalen Karriere.
So kommt es, dass die inzwischen gross und grösser gewordenen früheren Schützlinge, die in der Weltliga mitmischen, mit ihren unkonventionellen Arbeiten schnurstracks in die Galerie Susanna Kulli marschieren. Sie wissen – hier wird man verstanden und unterstützt. Und just von Armleder hängt bei Frau Kulli seit einigen Monaten eine Arbeit an der Wand, die im Werk des Genfers absolut einmalig ist – die einzige, in welcher er sich mit Fotografie auseinandersetzt.
Ich wollte dieses «Jericho» schon lange anschauen gehen, am Samstag fand ich endlich Zeit. Und muss es sofort mit euch, liebe Leserinnen und Leser, teilen, denn es ist eine wunderbare Geschichte. Es handelt sich bei diesen 88 Fotos eigentlich um ein Fundstück. Der Künstler selbst hat sie mit seiner dafür berühmten feinen Hand arrangiert. Es war eine Schachtel, die bei einem Fotohändler stand. Armleder schaute ein Bild nach dem anderen an – und siehe da, es war eine ganz und gar ungewöhnliche Sammlung. Lauter Bilder von Showbusiness-Stars, die entweder gerade fotografiert werden oder gar zurückfotografieren.
Was heute gang und gäbe ist, nämlich dass jeder knipst so wie er atmet, war in den Jahren, aus welchen diese Bilder stammen, eher eine Ausnahme. In schönster Fluxus-Manier nimmt Armleder (die Arbeit ist auf 2013 datiert) den in der Fotoschachtel gefundenen Ton auf und beschäftigt sich mit dem Thema auf seine Weise. «Mir kommt es wie eine der Performances Armleders vor», sagt die Galeristin zu «Jericho». Es sei, als ob der Künstler mit dem Thema tanzen würde. Und auch mit den unbekannten Fotografen, welche diese Bilder geschossen haben sowie den leicht verblichenen Filmdivas, die hier abgebildet sind.
Was man aber in der Ausstellung nicht sieht, liebe Leser, sind die Fotorückseiten. Da die Bilder gerahmt an der Wand hängen, sind die Rückseiten unsichtbar. Aber die gehören unbedingt dazu. Die Galeristin hat sie eingescannt und zeigte sie mir am Bildschirm. Wir kamen ins Rätseln und manchmal auch ins Kichern! Schön wars.
Darum hier, nachfolgend, eine veritable Private View – nur für Euch, liebe Leserinnen und Leser, einige der Bilder und ihre Rückseiten. Enjoy.

Rückseite: Man hält es für wichtig, Caroline Kennedy, die Tochter von J.F.K., rechts zu erwähnen. Dass man die Schauspielerin Ali MacGraw (links) sowieso erkennt, nahm man vielleicht als selbstverständlich an.

Es ist Marlon Brando, April 1980 – wohl nicht am Set von «The Formula», sondern bei einem privaten Ausflug des Schauspielers.

Make-up-Touch-ups, fotografiert von Yul Brynner auf dem Set von «Anastasia» in London. «It is the first American-made movie in which Miss Bergmann has appeared since she left the U.S. eight years ago …» Wir schreiben das Jahr 1956.

Diese Rückseite gibt Rätsel auf. William Read Woodfield, muss man wissen, ist jener eigentlich wenig erfolgreiche Drehbuchautor, der der Serie «Mission Impossible» zu ihrem frühen Erfolg verholfen hat, indem er «magische Tricks» in den Plot eingeführt hat (er war Hobby-Magier). Danach wurde er Filmfotograf und erlangte eigenartigen Ruhm als einer jener Fotografen, die Marilyn Monroe am Pool fotografiert hatten, als sie sich entschloss, das Badekostüm komplett abzulegen (s.g. Blue Pool Aufnahmen). Doch welche Filmszene fotografierte er hier? Und wer ist die oder der mysteriöse F.P.G., dem das Foto zugeeignet ist? Die Dame könnte junge Liz Taylor sein…

Und schon wieder ist die weniger bekannte angeschrieben: Lauren Hutton (rechts). Die links kennt man auch heute, natürlich Geraldine Chaplin.

Ja, denn es ist das Jahr 1934 und Maurice Chevalier kommt gerade in New York an, das seinem Pariser Charme restlos verfällt.