Auf der Einladungskarte der Ausstellung, von der ich heute berichte, wird einem ein Witz mit auf den Weg gegeben. Der geht so: Ein Telefonbieter ersteigert an einer Auktion viel zu hoch einen Papagei. Tags darauf im Auktionshaus schimpft der Käufer: «So viel Geld wollte ich nicht ausgeben, kann er wenigstens sprechen?» Und der Auktionator darauf: «Was denken Sie denn, wer die ganze Zeit gegen Sie geboten hat?»
Was: Ausstellung «Balance» von Ruedi Bechtler
Wo: Galerie Ziegler, Rämistrasse 34 (oberhalb Schauspielhaus Pfauen) in Zürich
Wann: noch bis 6.3.
Blöder Witz? Na ja, nicht so blöd, oder? Er zielt mitten auf die Diskrepanz zwischen der Kunst und dem Markt. Denn auch wenn wir zuweilen das Gefühl haben, der Markt habe das uneingeschränkte Primat in der heutigen Kunstwelt, ist die Kunst, liebe Leserinnen und Leser, ein sehr schlauer Fuchs geblieben. Oder, wenn wir in der Metapher des Witzes bleiben wollen, ein äusserst schlauer Papagei.

Froh, nicht um die Wette reden zu müssen: Künstler Ruedi Bechtler. Foto: Serge Ziegler
Es gibt viele Strategien der Künstler, dem Markt ein Schnippchen zu schlagen; sie sind viel älter als der gegenwärtige Kunstmarkt-Höhenflug. Sie tragen bereits ins Lexikon eingegangene Namen wie «Appropriation Art» oder Konzeptkunst, und wenn man an Richard Prince denkt, sind sie längst von den Begehrlichkeiten des Marktes wieder eingeholt worden. Viele halten nämlich ausgerechnet Prince, der die Appropriation Art als eine Art Protest gegen den Heldenstatus des Künstlers praktizierte, für einen Helden der neueren Prägung, für einen Cowboy des Marktes, dessen «angeeignete» Werke astronomische Summen an den Auktionen erreichen. Diese Sichtweise teile ich übrigens gar nicht, was ich hier sofort kundtun möchte. Ich zeige lediglich, wie tricky diese Sache mit der Kunst und dem Markt sein kann. Kunst als Hase, Markt als Igel. Und/oder umgekehrt. Es gibt nämlich Denker, welche die Konzeptkunst als einen Vorläufer des entfesselten neoliberalen Marketings ansehen, sozusagen als ein Übungsfeld für die ökonomisch effiziente Verwertung von Information und Kommunikation.
All das aber, liebe Leser, hat mit Ruedi Bechtlers Werk nichts zu tun. Eigentlich ganz im Gegenteil! Bechtlers Werk protestiert gegen nichts und nimmt niemanden auf die Schippe. Bechtlers Objekte haben die scheue Grazie von Wesen, die aus dem Dickicht des Waldes auf eine Lichtung herauskommen und die wir, Luft anhaltend, neugierig anschauen, in Angst, dass sie sofort wieder verschwinden. «Balance» ist ein perfekter Titel für die Schau in der Galerie Ziegler oberhalb des Schauspielhauses, mit Blick aufs Kunsthaus, also sozusagen auf Tuchfühlung mit allem, was Zürcher Kulturtradition ausmacht. Auch die Galerie ist ein Teil von ihr, wird sie doch von Renée und Maurice Ziegler schon seit 55 Jahren betrieben, wenn auch früher an einem anderen Standort, unweit des jetzigen, auch an der Rämistrasse. Der Sohn Serge Ziegler, einige Zeit mit einer eigenen Galerie in Zürich präsent, ist jetzt auch hier mit von der Partie.
Der Künstler Ruedi Bechtler und der Galerist Serge Ziegler sind ein erprobtes Gespann. Sie sind beide keine grossen Redner. Der Galerist vertraut auf die Kraft der Kunst, und der Künstler ist froh, nicht um die Wette mit einem Papagei reden zu müssen. Was – das will ich nicht verhehlen – die Aufgabe der Kritikerin nicht gerade erleichtert, muss sie doch notgedrungen in die Rolle des schwatzhaften Schnabeltiers verfallen. Gut, ich will es dennoch versuchen und einige Worte zu diesen Objekten sagen, die mich zunächst berühren, dann bewegen und nach einer Weile in eine beschwingt gute Laune versetzen.
Die naturnahe Grazie habe ich angedeutet. Naturnah, dabei bleibe ich, auch wenn diese Objekte aus Dingen bestehen, die zuerst mal als naturfremd erscheinen. Es sind Sachen, die man kennt oder auch nicht kennt, Lämpchen und Zylinder aus halbdurchsichtigen Materialien, die leuchten oder eben nicht. Sie sind anmutig anzusehen und allein darin begründet sich der Zweck ihres Daseins. Also sie erzählen mir keinen «Kontext» und verweisen nicht auf andere Zusammenhänge. Sie SIND. Sie bestehen zudem aus Anreihungen, Spiegelungen, Ballungen, alles Ordnungsprinzipien, die in der organischen und anorganischen Welt auch ganz spontan vorkommen. Mit leichter Hand für einen Moment zusammengefügt, in dieser momentanen Balance stets schwebend, sind sie so etwas wie Objekt gewordene Bewunderung der Kräfte, welche die Welt – unsere Welt – zusammenhalten. So, mehr kann ich dazu nicht sagen. Den Rest müsst Ihr selbst erstaunen. Mein Liebling in dieser Ausstellung ist «Rocket». Ein zarter Kerl, der auf einem umgekippten Tischchen sein Kunststück vorführt, indem er mit einer Neonröhre hantiert, als ob er eine geistesabwesende Majorette wäre. Mir ist es, als ob ich ihn leise vor sich hin pfeifen hörte. Ja, diese Ausstellung ist auf ihre Art Zen.
Nachdem ich nun also so viele Worte verloren habe über die Kunst, die ich am liebsten schweigend auf mich wirken liesse, komme ich noch auf das Paradoxon zu sprechen, das da heisst: Über Kunst reden (über Kunst schreiben ist da mitgemeint). So wie die Kunst immer den Mechanismen spotten muss, die sie hervorgebracht haben, muss das Sprechen über Kunst eigentlich immer das den Werken innewohnende Redeverbot durchbrechen. Vielleicht hat sich die Kritikergilde darum auf einen Jargon geeinigt, den nicht zu beachten immer eine Art Frevel ist. Sie wissen, was ich meine: Die formelhafte Sprache der Kunstkritik, gespickt mit Wörtern wie Wahrnehmung, Kontextualisierung, Grenzüberschreitung, Evidenz etc. Sie zu brauchen ist läppisch. Sie nicht zu brauchen schwierig.
Andererseits, gar nicht über Kunst zu reden, ist kein Ausweg. Ganz ohne Worte geht auch ihr, der grossen K., die Luft zum Atmen aus. Darum, mesdames et messieurs, verzeiht dem sprechenden Papagei, der an der Auktion mitbietet. Er verfolgt damit ein unmögliches Ziel: die Freiheit zu retten, indem er ihren Preis hochtreibt.
Am Donnerstag, 19. Februar, wird der Künstler von 17 bis 20 Uhr in der Galerie sein und Fragen beantworten. Am Samstag, 28. Februar, von 15 bis 18 Uhr findet die Finissage statt, die Ausstellung dauert aber bis am 6. März