Archiv für die Kategorie ‘Galerie Peter Kilchmann’

Das Leben, ein Transit

Ewa Hess am Dienstag den 26. Januar 2016

Gibt es glückliche Flüchtlinge? Natürlich, wie könnte es anders sein? Schliesslich flüchtet man, um sich selbst oder um die Familie zu retten, um ein besseres Leben zu finden, einen Ort, wo man zufriedener werden kann als dort, woher man aufbricht. Insofern ist die Migration grundsätzlich ein positives Konzept, ein konstruktives Wagnis, es setzt den Glauben daran voraus, dass es einen Ort gibt, der jenem, von dem man sich gerade verabschiedet, in einer wesentlichen Qualität überlegen ist. Doch der albanisch-italienische Künstler Adrian Paci interessiert sich weniger fürs Aufbrechen. Und auch nicht so sehr fürs Ankommen. Ihn fasziniert die Zeit, die Orte dazwischen – der Transit.

Was: Ausstellung «Sue proprie mani» von Adrian Paci
Wo: Galerie Peter Kilchmann an der Zahnradstrasse 21 in Zürich (Gebäude Diagonal neben dem Prime Tower)
Wann: Vernissage am Freitag, dem 22.1.2016, Ausstellung bis 12. März.

«Greeters», Acryl auf Papier und Leinwand, ein Gemälde Pacis aus der aktuellen Ausstellung bei Kilchmann

«Greeters», Acryl auf Papier und Leinwand, ein Gemälde Pacis aus der aktuellen Ausstellung.

Dazu muss man sagen, Adrian Paci wurde vor 47 Jahren in Albanien geboren, in der uralten Stadt Shkodër. Shkodër war seit der römischen Zeit eine wichtige Stadt mit Anschluss an die wichtigen Handelswege und darum auch ein saftiger Happen für allerlei imperialistische Anwandlungen, nicht zuletzt von den Italienern. Anfang der 90er-Jahre begannen in Shkodër jene Unruhen, die schlussendlich die von Enver Hoxha eisern durchgesetzte Diktatur (Hoxha starb allerdings bereits 1985) beendet haben. 1992 läutete eine demokratische Wahl die neue Zeit auch für Albanien ein.

«A Home to Go», links der Künstler selbst als menschliche Häuschenschnecke

«A Home to Go» – links mit dem Künstler selbst als menschliche Häuschenschnecke.

Paci, ausgebildet als Maler in einer noch klassisch geprägten albanischen Kunstakademie, siedelte 1997 nach Italien über und gilt heute als einer der wichtigen italienischen Künstler. Kuratorin Mirjam Varadinis zeigte unter anderem auch seine Werke in der Ausstellung «Shifting Identities» (2008), und ein Still aus seinem Video «Centro di permanenza temporanea» wurde zum Wahrzeichen des in der Ausstellung geschilderten Bewusstseinszustands der fluiden Identität zwischen hier und dort. In dem besagten Video, dessen Titel eine Art Oxymoron ist (und so viel wie das Zentrum der temporären Permanenz bedeutet), sieht man Menschen vermeintlich in ein Flugzeug steigen. Erst ganz am Schluss merkt man, dass die Treppe, auf der sie sich drängen, mitten im Nichts steht. Kein Flugzeug weit und breit.

Adrian Paci, ein Still aus dem Video «Centro di Permanenza Temporanea», 2007

Ein Still aus dem Video «Centro di permanenza temporanea», Adrian Paci, 2007.

Verbringen wir nicht alle unser Leben auf einer solchen Treppe? Wartend, hoffend, ellbögelnd, immer schon im Kopf anderswo, dort, wo es besser ist, wo man angekommen sein wird, endlich an einem guten Ort zu Hause… Hm. Eine andere Arbeit Pacis heisst «A Home to Go», da sieht man einen Mann (in gewissen Versionen ist es der Künstler selbst), der unter der Last des schützenden Dachs, das er mit sich schleppt, beinahe zusammenbricht. Gibt auch zu denken, nicht wahr?

Eine andere ältere Arbeit heisst «The Column», es ist ein wirklich geniales Video, das auf realen Fakten basiert. In China gibt es nämlich billigen Marmor. Viele Restauratoren in Italien bestellen darum das Material für Ausbesserungen der alten italienischen Palazzi nicht in Carrara, sondern in China. Während der Steinblock nach Europa unterwegs ist, hauen fleissige chinesische Arbeiter (ja, bereits auf dem Schiff) die gewünschte Form daraus. Diese Arbeit im Transit musste Paci natürlich faszinieren, und er machte daraus diesen tollen Film, in dem die Stille des Meeres sich mit dem Hämmern auf dem Schiff mischt und am Schluss eine perfekte römische Säule in Rom ankommt. Westliche Klassik made in China, oder noch besser: entstanden zwischen China und Europa, mitten in der Leere des Ozeans. Gespenstisch, nicht wahr?

«The Column» am Anfang und am Schluss der Reise

«The Column» am Anfang und am Schluss der Reise.

Und wenn wir schon von gespenstisch reden: Die aktuelle Arbeit bei Kilchmann bietet ein noch gerüttelteres Mass davon. Der Zufall hat dem Künstler nämlich einen seltsamen Fund zugespielt: zwei Jutesäcke voller alter Briefe. Die schrieben Italiener, die nach dem Krieg in Albanien gestrandet waren. Mussolini hat Albanien annektiert, ungefähr zur gleichen Zeit, als Hitler sich die Tschechoslowakei einverleibte. Nach dem Krieg liess dann Albanien die Italiener, die im Land waren, nicht mehr hinaus. Sie schrieben Briefe an ihre Familien: «Liebe Mutter, es sind schon beinahe drei Jahre, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, und seit sechzehn Monaten habe ich keine Nachrichten von euch.» Oder: «Nach langen Monaten kann ich dir die Wahrheit nicht mehr verbergen, dein Vater ist gestorben…» Die Briefe wurden abgeschickt und blieben auf dem Hauptpostamt stecken. Erst kürzlich fand man die Säcke mit diesen herzzerreissenden Nachrichten im albanischen Staatsarchiv. Dort fristeten die Nachrichten aus dem Transit jahrzehntelang eine einsame Existenz. Paci und sein Künstlerkollege Roland Seijko installieren diese Zeitzeugen auf vergilbtem Papier als eine Art Collage, zu der die handgeschriebenen Episteln ebenso gehören wie die abgestempelten und nicht beförderten Couverts.

«Sue Proprie Mani» von Adrian Paci und Roland Sejko, 2014

«Sue proprie mani» von Adrian Paci und Roland Seijko, 2014.

In einem alten albanischen Palast (des Königs Zog) rezitieren Schauspieler in dem dazugehörigen Video die Botschaften, deren Absender wie Adressaten es vielleicht gar nicht mehr gibt. Auf fünf grossen Leinwänden sehen wir sechs Personen, angezogen wie in den 40er-Jahren (die meisten Briefe stammen aus den Jahren 1945 und 1946). Und wir wissen nicht: Schrieben sie die Briefe? Sind Sie die Empfänger? Oder nur bewegte Zeugen einer Verwerfung der Geschichte, die viele menschliche Schicksale in Mitleidenschaft zog. (Es sollen über 20’000 Italiener gewesen sein, die damals gestrandet waren.)

Was ist mit ihnen allen passiert? Man kann sich ihr Leben vorstellen. Es geht immer weiter, weiter, jemand stirbt, jemand wird geboren, man macht eine Ausbildung, und man verliebt sich vielleicht auch. Man schreibt Briefe und schickt sie ab, wartet auf eine Antwort, stellt danach eine Schüssel Pasta auf den Tisch und lächelt denen, die hier sind, zu. Das ist es. Das ist das Leben. Egal wo wir gerade sind – wir sind im Transit.

Und noch ein «Greeter», unterwegs

Und noch ein «Greeter», glücklich unterwegs: Adrian Paci, 2015.

Food Porn im Gefängnis

Ewa Hess am Dienstag den 4. November 2014

Im Schatten des Prime Tower übt die Zürcher Festgemeinde Halloween. Mit gemischten Gefühlen gehe ich an Mördermasken und Vampirfratzen vorbei – denn ich werde meinen polnischen Landsmann Zmijewski treffen. Angstlust? Leute, nachdem Ihr seine Kunst geschaut habt, ist fertig gekichert. Da wird es richtig düster.

Was: Ausstellung «Imprisoned» von Artur Zmijewski
Wo: Galerie Peter Kilchmann im Maag-Gebäude an der Zahnradstrasse 21
Wann: Freitag, 31. Oktober 2014 (Ausstellung bis 20. Dezember)

Artur Zmijewski wurde 1966 geboren, wuchs also noch in dem sowjetisch geprägten Sozialismus bzw. in Zeiten auf, als in Polen Kriegsrecht galt. Dann wechselte das politische System und eine Zeit des raubtierhaften Kapitalismus begann für das vollends unvorbereitete Land. Es war vielleicht diese politische Achterbahn, die Zmijewskis Faszination fürs Gruppenverhalten befeuert hat.

Arbeiten von Artur Zmijewski: «Tattoo», «Fangspiel», «Wiederholung»

Arbeiten von Artur Zmijewski: «80064», «Fangspiel», «Wiederholung».

Nehmen wir mal sein Video «Sie» von 2007. Da hat er vier Gruppen eingeladen, um gemeinsam zu werken. Die Zusammensetzung der Gruppen kann man auf diesen Nenner bringen: polnische Nationalisten, katholische Frauen, polnische Juden und die neuen Linken. Sie sollten, jede Gruppe für sich, die ihrer Ideologie entsprechenden Poster entwerfen. Zuerst wird lieblich gemalt, hier Kirchen und Kreuze, dort grosspolnische Karte, man lobt sich gegenseitig. Der Künstler mischt sich nicht ein und guckt zu. Dann fangen die Feindseligkeiten an: Man fängt an, dem ideologischen Feind ins Bild zu pinseln. Die Symbole werden immer aggressiver. Man hängt einander den Schlötterlig in Form von Hakenkreuzen an. Dann rückt man mit Schere, Messer und Feuerzug dem fremden Plakatwerk zu Leibe. Am Ende schmeisst man unter Gejohle die Werke der anderen aus dem Fenster. So viel zum demokratisch geteilten Lebensraum.

Ja, ja, er ist ein gemeiner Entlarver, der Pole Zmijewski. Vergleichbar vielleicht mit dem ebenso gnadenlosen Österreicher, dem Filmemacher Michael Haneke. Noch berühmter ist Zmijewskis Nachinszenierung des berühmten Stanford-Gefängnisexperiments von 1971. Mit dieser «Wiederholung» ist Zmijewski seinerzeit übrigens zum Star der Venedig-Biennale 2005 avanciert. In seinem Experiment werden Studenten in Gefängnisinsassen und Gefängniswärter eingeteilt – wer was spielt, bestimmt der Zufall. Innerhalb weniger Tage mutieren die Wärter zu Sadisten und die Insassen zu Verrätern. Ein Mechanismus, dem sich die Studenten nicht entziehen können, weshalb sie um eine Unterbrechung des Experiments bitten. In anderen Werken lässt er Menschen in einer ehemaligen Gaskammer nackt Fangis spielen oder hilft einem 91-jährigen Holocaust-Überlebenden, sich seine Auschwitz-Nummer nochmals tätowieren zu lassen.

Szenen aus «Makingof»: Vorbereitung der Gefangenen

Szenen aus «Makingof»: Vorbereitung der Gefangenen.

Verglichen mit diesen Arbeiten ist das, was man gerade bei Kilchmann sieht, fast schon Peanuts. Die Aktionen für seine neuen Videos hat er mit der sozial engagierten Stiftung Dom Kultury in Warschau entwickelt. Da werden in einem Frauengefängnis, wo viele harte Verbrecherinnen einsitzen, lockere Happenings veranstaltet, die an Makeover-Shows der privaten Fernsehsender erinnern. Im Stück «Makingof» kommt ein Make-up-Team ins Gefängnis und verwandelt die gezeichneten Frauenkörper und Gesichter, denen man die Härte ihrer Lebensläufe ansieht, in glamouröse Divas, die anschliessend in den Gängen des Gefängnisses wie auf dem Catwalk laufen. In «Cookbook» sind es zeitgeistige Köche, die mit Ananas, Romanesco, Hummer und Trüffel im Gefängnis einlaufen und zusammen mit den pockennarbigen Mörderinnen Leckerbissen fabrizieren. In diesem Video hat Zmijewski eine Kontrastspur eingebaut: Bilder aus der echten Gefängnisküche, wo in riesigen Bottichen widerliche Speisen lieblos zubereitet werden.

Szenen aus «Makingof»: Catwalk im Gefängnisgang (Mitte) Wärterin schaut zu (links), Zurück hinter Gitter (rechts)

Szenen aus «Makingof»: Catwalk im Gefängnisgang (Mitte), Wärterin schaut zu (links), zurück hinter Gitter (rechts).

Die Absicht der gemeinnützigen Stiftung ist klar: Läuterung durch Steigerung der Selbstachtung (Carlos lässt grüssen!). Zmijewskis Blick unterwandert aber – fragen Sie mich nicht wie, denn er kommentiert nicht und mischt sich nicht ein, es muss also am Schnitt liegen – dieses gutmenschliche Setting. Schaut man in der dunklen Kammer bei Kilchmann die Zehnminuten-Videos, erscheinen sie einem unweigerlich wie eine düstere Metapher des Lebens überhaupt. Diese Gitter, hinter denen die Frauen am Schluss wieder verschwinden, eingeschlossen von durchaus mitfühlenden, dennoch unbarmherzigen Wärterinnen, kennen wir sie nicht alle? Und trösten wir uns nicht alle ab und zu mit Hummer, Luxus und Parfüm? Aus der Dunkelheit in die gleissende Helle der schönen Ausstellungsräume in Peter Kilchmanns Galerie kommend, muss ich die Augen zusammenkneifen. Vor mir laufen drei schick gestylte Frauen den Wänden mit Gemälden von Michael Bauer entlang. Wo warten auf sie irgendwo Wärter, Gitter und Zellen?, denke ich unwillkürlich. Pardon, meine Damen.

Szenen aus «Cookbook»: Leckereien wie die Ananas vs. widerlicher Frass aus der Garküche

Szenen aus «Cookbook»: Leckereien wie die Ananas vs. widerlicher Frass aus der Garküche

Zmijewski ist an der Vernissage selber anwesend. Wie viele Entlarver ist der Mann ein sensibler Idealist mit Hang zur Melancholie. Und ein polnischer Patriot! Als ich mit ihm das letzte Mal sprach, wohl anlässlich seiner vorletzten Ausstellung bei Kilchmann, hat er mich mit seinen strengen Ermahnungen, mich mehr um polnische Kultur und Politik zu kümmern, fast in eine schlimme Krise hineingeredet. Diesmal können wir dem gleichen Thema eine positive Wendung geben, und ich bekomme gute Tipps für Websites, auf denen man polnische Kultur besonders gut auch aus der Fremde verfolgen kann. Natürlich sind auch solche dabei, auf welchen die menschliche Dummheit und Borniertheit besonders gut zur Geltung kommen.

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Der Künstler erklärt der Kunsthistorikerin Marianne Karabelnik seine Europa-Karte (links), die er mit Rotwein und Messer auf die Spiesekarte zeichnet (Mitte und links)

Anschliessend bekommen wir bei einem Züri-West-Italiener wunderbares Essen. Soulfood nennen das die Amerikaner – lauter Sachen, die einem guttun. Polenta, Tomaten, Hackbraten; Sie wissen, was ich meine. Zmijewski illustriert seine Erzählungen mit Zeichnungen auf dem Menü – mit einem im Rotwein getauchten Messer malt er nach und nach seine Europakarte. In der Mitte Warschau, im Westen Zürich, im Süden Auschwitz, wo seine Freundin Zosia arbeitet – eine kluge und nette Soziologin, sie ist auch dabei –, im Osten Vilnius, Lemberg, das krisengeplagte Kiew, irgendwo weiter weg leicht bedrohlich, Moskau … Ich bitte ihn drum, auch Minsk einzuzeichnen. Seit ich mal Witebsk besucht habe, schlägt mein Herz für das arme Weissrussland – unter dem Diktator Lukaschenko hat es nie eine Chance demokratischer Entwicklung bekommen.

Halloween in Züri-West – was wie eine abstossende Retortengeburt klingt, wird zu einer nachdenklichen,  sentimentalen Reise.

Artur Zmijewski und seine kunstvollen Notizbücher

Artur Zmijewski und seine kunstvollen Notizbücher