Archiv für die Kategorie ‘Galerie Mai 36’

Der amerikanische Beuys

Giovanni Pontano am Dienstag den 24. März 2015

Das Werk des US-Amerikaners Paul Thek zählt zu den herausragenden Werken der Kunst nach 1945. Theks Einzigartigkeit für die Kunstgeschichte dieser Zeit ist vergleichbar mit derjenigen von Joseph Beuys. Ebenso wie dieser sprengte er den Werkbegriff und erweiterte die Wahrnehmung von Kunst und Leben. Thek gilt als Paradebeispiel eines «artist’s artist», der seit jeher junge Künstler beeinflusste, aber nicht die gebührende Anerkennung im Kunstmarkt fand.

Was: «Paul Thek – Ponza and Roma»
Wo: Mai 36 Galerie, Rämistrasse 37, Zürich
Wann: Vernissage am Samstag, 21.3., Ausstellung bis 25.4.

Doch seit ein paar Jahren erreicht diese lange nur Insidern bekannte Position weitherum Beachtung. Theks erste grosse Retrospektive fand 2010 im Whitney Museum in New York statt, 2015 zeigt das Boijmans-van-Beuningen-Museum in Rotterdam seine Arbeiten, und die umfangreichste Sammlung von Theks Werken befindet sich heute in dem wunderbar von Peter Zumthor architektonisch konzipierten Kolumba-Museum in Köln. Eine wichtige Ausstellung fand, lange ists her, im Jahr 1995 in der Kunsthalle Zürich statt. Höchste Zeit also für ein Lebenszeichen in Zürich, die Galerie Mai 36 mit ihrem feinen Gespür und ihrem Anspruch an Qualität ist hierfür zweifellos der richtige Ort. Es ist eine Ausstellung von musealem Format. Die meisten Arbeiten wurden zusammengetragen aus privaten Sammlungen oder aus Museumsbesitz, nur weniges ist überhaupt käuflich erwerbbar.

Unmittelbare Lebenskraft

Unmittelbare Lebenskraft: Theks Bilder «Pompeian Grapes», «Fleurs de mal», «Ponza Landscape», alle 1975.

Die ganze Karriere über hat Paul Thek (1933–1988) seine Kunst geflutet mit persönlichen Erfahrungen über die teils heitere, teils traurige Eigentümlichkeit, lebendig zu sein. Die zauberhafte Serie von Arbeiten, die in Italien entstanden sind, zählt eindeutig zur ersten Kategorie, der heiteren. Erschöpft vom Künstlerleben in New York und von grossen internationalen Erfolgen – gleich an zwei aufeinanderfolgenden Ausgaben der Documenta in den Jahren 1968 und 1972 nahm Thek teil –, zog sich der Künstler nach Rom, im Besonderen aber auf die kleine, südlich von Rom gelegene Insel Ponza zurück. Später kam er immer und immer wieder an denselben Fleck Erde zurück. Von diesen Reisen legt die intime Ausstellung bei Mai 36 Zeugnis ab.

Meer, Meer und immer wieder Meer

Meer, Meer und  Meer: Weitere 1975 auf Ponza entstandene Bilder Paul Theks.

Paul Thek selbst schreibt in einem Brief über seine Arbeit in Ponza, dass dort «eternal painting», eine Malerei für die Ewigkeit, möglich sei, so positiv färbe die Landschaft auf ihn ab. Und das trifft zu, die Werke zeugen von einer unmittelbaren Kraft des Erlebens. Die Natur würde ihn «spirituell und kreativ» nähren, beschreibt der Künstler diesen Zustand. Ohne die Lieblichkeit und Ursprünglichkeit von Ponza, steht in einem der wie Reliquien ausgestellten Skizzenbücher, würde er nicht leben können. Diese Urkraft ist in der Ausstellung spürbar. Der Künstler verwandelt vermeintlich banale Gegenstände wie etwa eine Tomate in eine Abbildung romantischer Sehnsucht nach dem Leben.

Eine intime Ausstellung von musealer Bedeutung

Eine intime Ausstellung von musealer Bedeutung: Aufzeichnungen Theks und Selbstporträtstudien von 1970.

Die Stillleben strahlen eine zarte Gelassenheit aus, mäandrieren aber auch zwischen Symbolik und Objekt, zwischen Verwundbarkeit und Schönheit. Eine noch intensivere Wahrnehmung lassen die Landschaftsabbildungen zu. Meer, immer wieder Meer und dazu die wilde und gleichzeitig liebliche Natur der zerklüfteten Insel. Man kann lange vor diesen Bildern verweilen: Es sind nicht nur Abbildungen, sondern gemalte Erfahrungen von Erlebtem und nun Vergangenem. Ein wunderbarer Tag am Strand stirbt, wenn er für unser Auge nicht mehr sichtbar ist. Der Künstler hält die Essenz davon am Leben.

Spaziergang durch Raum und Zeit

Giovanni Pontano am Montag den 15. September 2014

Während im Kunsthaus Zürich zur Vernissage von Hodler und Schnyder unter kundiger Führung von Peter Fischli das Licht ausfiel, fand sich ein munteres Grüppchen von Kunstaficionados zu Gast bei Victor Gisler in dessen Galerie Mai 36 an der Rämistrasse wieder: und es ward Licht!

Was: «memento» – Jacobo Castellano, Luigi Ghirri, Jürgen Drescher, Zoe Leonard, kuratiert von Maria de Corral
Wo: Galerie Mai 36, Rämistrasse 37, Zürich. www.mai36.com
Wann: Donnerstag 11. September (Ausstellung bis 25. Oktober)

Die international arrivierte Kuratorin Maria de Corral (leitete zusammen mit Rosa Martinez im Jahre 2005 die Biennale in Venedig) kuratiert, ja orchestriert meisterhaft eine feinfühlige und poetische Gruppenausstellung von Künstlern der Galerie rund um neue Werke des bei uns noch unbekannten spanischen Künstlers Jacobo Castellano, sie tut das übrigens wie man hört das allererste Mal in einer privaten Galerie (!).

Das Werk des Spaniers steht im Zentrum, es geht von konkreten Gegenständen als Rohmaterial aus, schafft eine ganz eigene Welt voller Erinnerungen und Erfahrungen und konstruiert so eine Vorstellungskraft mit Bildern aus der Vergangenheit. Dies alleine ist eine gute Ausstellung.

Jacobo Castellano, drei aktuelle Werke in der Galerie Mai 36

Jacobo Castellano, drei aktuelle Werke in der Galerie Mai 36

Die Ausstellung wird eine richtig gute, ja eine tolle, in der narrativen Verbindung dieser Werke durch Maria de Corral zu so entgegengesetzten Positionen wie sie die Fotografien von Luigi Ghirri und Zoe Leonard sind. Das Gedächtnis, das Andenken, «Memento», der Echoraum hinter den einzelnen Werken legt so einen erzählerischen Strang frei, der einen ganz selbstverständlich von Werk zu Werk führt, es werden überraschende Verbindungen geschaffen und auch die einzelnen Werke werden im ungewohnten Kontext neu und überraschend aufgeladen.

Zoe Leonard: «Niche», 2002/03, «Artist», 2004/06, «Green Door», 2001/02 (Courtesy Mai 36)

Zoe Leonard: «Niche», 2002/03, «Artist», 2004/06, «Green Door», 2001/02 (Courtesy Mai 36)

Insbesondere den grossartigen Italiener Luigi Ghirri, den Victor Gisler seit einigen Jahren im Programm führt und für eine breitere Sammlerschaft von Kunstfotografien recht eigentlich erst wiederentdeckt hat, erfährt so einen wunderbaren Auftritt. Ausgehend von den Skulpturen des jungen Spaniers Castellano, die einen plötzlich an Werke der arte povera gemahnen, drückt sich in den Aufnahmen Ghirris eine unglaubliche Sehnsucht nach Ästhetik besonders klassischen Vorbilds aus; die perfekt durchkomponierten Fotografien bilden spröde Szenerien ab, die der Künstler mit treffsicherem Auge stilisiert und überhöht. Leere, Sehnsucht, Abwesenheit sind die Themen, die Ghirri meisterhaft inszeniert. Fast würde man meinen, dass damit der Strang imaginär schon weitergelegt wird ins Fotomuseum Winterthur, wo tags darauf der filmische Meister von Sehnsucht und Ästhetik, Michelangelo Antonioni, gefeiert wird.

Luigi Ghirri:  Veneto (Serie: Paesaggio Italiano), 1985-89, Sirmione (Serie: Paesaggio Italiano), 1989,  Roma (Serie: Italia ailati, Topographie-Iconographie), 1977 (courtesy Mai 36)

Luigi Ghirri: «Veneto» (Serie: Paesaggio Italiano), 1985-89, «Sirmione» (Serie: Paesaggio Italiano), 1989, «Roma» (Serie: Italia ailati, Topographie-Iconographie), 1977 (courtesy Mai 36)

Ein angeleiteter Spaziergang durch Raum und Zeit also, so zwanglos schön kann Kunstgenuss sein!

15.09.2014, Giovanni Pontano