Früher Vogel fängt den Wurm, und wenn es auch uns reichlich Vögel gab am Sonntagmorgen beim Kornfeld, muss ich euch, die nicht dabei waren, den Speck durch den Mund ziehen: Ihr habt was verpasst. Es wurde ein epochales Werk gefeiert. Die Publikation «One Cent Life» von 1964 ist ein Meilenstein der Pop-Art, und der Galerist Eberhard W. Kornfeld (91) steht im Zentrum ihrer wundersamen Geschichte.
Was: Vernissage der Ausstellung «Fifty Years of ‹One Cent Life›»
Wann: Sonntag, 18. Januar, um 11.30 Uhr (die Ausstellung dauert bis 28.2.)
Wo: Galerie und Auktionshaus Kornfeld an der Laupenstrasse in Bern
Wenns um die Kunst geht, haben die Schweizer stets ihre Nüchternheit links liegen lassen. Erstaunlich, nicht? Mit Leidenschaft stürzten sich die grossen Figuren des Schweizer Kunsthandels in moderne Kunstabenteuer. Ernst Beyeler, Bruno Bischofberger, Eberhard W. Kornfeld – sie alle und noch einige mehr hatten das Herz auf dem rechten Fleck, wenn es darum ging, der Poesie und der Verrücktheit der Kunst einen soliden Platz zu erobern. So war es in den frühen 60er-Jahren, als Eberhard W. Kornfeld, Auktionator, Verleger und Galerist in Bern, zum Kreis der jungen Künstler in New York stiess, die sich im Atelier von Sam Francis am Broadway trafen.
Der Eingang zum Atelier im ehemaligen Auktionssaal befand sich gegenüber dem Flatiron-Gebäude an der Fifth Avenue – das ist jener erste Skyscraper New Yorks, dessen dreieckige Form und schmale scharfe Ecke bis heute ein Wahrzeichen von Big Apple geblieben ist. Man trank, man lachte, Träume und Fantasien der jungen Künstler hingen wie eine bunte Wolke unter der hohen Decke des Raums.
Einer von ihnen war ein Chinese mit dem Namen Walasse Ting. Er war Dichter, Maler, Abenteurer und Fantast. China lag damals noch am ganz anderen Ende der vorstellbaren Welt, doch Walasse träumte schon damals den Globalisierungstraum. Natürlich schwebte ihm keinesfalls eine Weltvereinigung im Zeichen des internationalen Kapitals vor. Die Poesie und die ästhetische Tollkühnheit waren seine Leitsterne. Man beschloss, die Weltveränderung mit einem Buch zu initiieren. Einem Buch der Bücher, in dem Tachismus, Dadaismus, Pop-Art und was es sonst noch damals an verrückten Bewegungen gab, gemeinsam mit Walasses Gedichten als ein Gesamtkunstwerk zwischen zwei Buchdeckeln zu Ehren kamen.
Gut, dass «Ebi» Kornfeld, damals ein gestandener Geschäftsmann von 40 Jahren, dabei war! Mit Schweizer Vorliebe für gut gemachte Arbeit und dem helvetisch soliden Portemonnaie stand er von nun an dem Projekt Pate, dessen Realisierung zwei Jahre in Anspruch nahm. Walasse Ting, ein ehemaliger Matrose, war ein grosseur Charmeur und hat sie alle gekriegt, alle wichtigen Künstler dieser Zeit. Mirakulös. «Dass damals Bern eine Schlüsselrolle bei der Publikation und dem Vertrieb übernehmen durfte, ist auch heute noch erstaunlich», sagt Kornfeld in seiner Eröffnungsrede.
Lest mal die Künstlerliste und lasst eure Vorstellungskraft wirken:
Pierre Alechinsky (5 Lithos);
Karel Appel (5 Lithos);
Enrico Baj (2 Lithos);
Alan Davie (2 Lithos),
Sam Francis («Pink Venus Kiki» + 5 andere Lithos);
Robert Indiana (2 Lithos);
Asger Jorn (2 Lithos);
Roy Lichtenstein (Cover + 1 Litho);
Joan Mitchell;
Claes Oldenburg (3 Lithos);
Mel Ramos (2 Lithos),
Robert Rauschenberg (2 Lithos);
Allan Kaprow,
und Rinehound, Jim Dine, Jean-Paul Riopelle, James Rosenquist; Antonio Saura, Kimber Smith, K. R. H. Sonderborg, Bram Van Velde; Oyvind Fahlstrom, Andy Warhol, Tom Wesselmann …

Es gab 2000 Stück der «Regular edition», alle nummeriert, und folgende Spezialausgaben: 20 «New York edition», 20 «Paris edition», 20 «Rest of the world»-Editionen und 40 Stück für Künstler. Diese waren auf handgeschöpftem Velin gedruckt und jede Litho signiert … Rechts: Walasse Tings Brief an Eberhard Kornfeld.
Es hat schon seine Richtigkeit, dass Kornfeld die führende Rolle Berns bei der Herstellung des Buches so hervorhebt. Denn Bern tut sich schwer mit seinem Kunst(selbst)bewusstsein. Erst am Vortag fand aus Anlass des Galerienwochenendes in der Kunsthalle eine Diskussion statt, die hiess: «Bern – eine Kunststadt!» (übrigens moderiert von ebenfalls hier anwesendem Partner Kornfelds, Bernhard Bischoff). Trotz des Ausrufszeichens im Titel war die Diskussion kleinlaut: Als ob man selbst nicht so recht daran glaubte, dass Bern eine Kunststadt sein könnte.
Nun gut, die Matinée bei Kornfeld erinnert kraftvoll an bessere Zeiten. Die Lithos aus einer Vorzugsausgabe und Werke der Künstler aus dem Umfeld des «One Cent Life» werden präsentiert und feilgeboten. Und wenn ich sage feil, ist das keine Floskel. Ab 300 Franken kann man schon eine dieser Lithos erwerben – und sie gehen auch weg wie die warmen Semmeln! Um 13.30 Uhr ist die Ausstellung mit roten Punkten nur so gesprenkelt. Kein Wunder. Es sind wirklich sehr schöne Trouvaillen.
Nebst Lithos der «Grossen» gibt es an den Wänden auch Werke von sehr feinen Künstlern, um die sich der heutige Markt weniger schert. Der Berner Fotograf Dominique Uldry macht mich auf Kimber Smith aufmerksam. Zwei Gouachen und zwei Ölgemälde des eigenwilligen Abstrakten hängen im Raum 3 – wunderschön! Der Fotograf Uldry ist übrigens der Sohn des legendären Serigrafen Albin Uldry, der mit seiner Frau Noëlle die weltweit berühmte Siebdruckstätte in Hinterkappeln gegründet hat, in der Künstler wie Jean Tinguely und Max Bill ihre Werke herstellen liessen und in der immer noch auserlesene Druckkunst entsteht. Sie wird heute von Dominiques Bruder Jacques geführt. Berner, Ihr seid eine Kunststadt!
Kornfelds Vernissagegäste sind lauter Habitués, darunter der Berner Design-Guru Christian Jaquet (er war beim Aufbau der Hochschule für Gestaltung, Kunst und Konservierung, HGKK, und ihres Studiengangs Visuelle Kommunikation federführend) sowie die Berner Galeristenlegende Martin Krebs. Erst vor wenigen Tagen haben wir erfahren müssen, dass Krebs seine Traditionsgalerie an der Münstergasse schliessen muss – das Gebäude wird saniert. Bis es so weit ist, ist eine Ausstellung von Urs Stoos dort zu sehen.
Die in Bern lebende Enkelin des grossen Marc Chagall, Meret Meyer Graber, ist von der Ausstellung begeistert. Sie erzählt mir, dass ihr Grossvater, der ja fast 100 Jahre alt wurde und erst 1985 gestorben ist, die farbstarke Pop-Art durchaus wahrgenommen hat. Natürlich war aber die Farbgebung von Matisse und Chagall auch eine wichtige Referenz für die Pop-Art-Künstler. Die sympathische Mme Meyer spricht von den starken Farben als «Yves Saint Laurent»-Farben. Stimmt eigentlich, nicht wahr, meine Damen?

Full House bei Kornfeld (v.l.): «Kunstkorridor» der Galerie, Chagalls Enkelin Meret Meyer, der sogenannte Raum zwei.
Ganz am Anfang hält Kornfeld eine Rede. Auch das ist hier Tradition. In wohl gewählten Worten beschreibt der 91-jährige Unermüdliche in dem an die Galerie angrenzenden Glaspavillon die Geschichte, die mit der Ausstellung zusammenhängt. Es ist, als ob man der Geschichte selbst beim Entstehen zuhören würde. Der Auktionator ist eine wandelnde Enzyklopädie der zeitgenössischen Kunst.
Seit der Name Kornfeld im Zusammenhang mit der Affäre Gurlitt so zwiespältig in die Schlagzeilen kam, scheinen viele meiner Kollegen komplett zu vergessen, wer hier alles an der Laupenstrasse sonst noch verkehrt hat, ausser Cornelius Gurlitt selig. Es ist eine Welt für sich, in der die Kunst regiert. Denn selbst wenn es um die Auktionen geht, bleibt Kornfeld der klassische «scholar dealer», einer, der selbst beim Verkauf noch der Wissenschaft dienen möchte. Partner Bernhard Bischoff und Christine Stauffer, seit 1967 in der Galerie tätig, helfen dem Doyen dabei und auch, honneurs zu machen. (In Bischoffs eigener Galerie, die er weiterführt – im Progr – sind zur Zeit übrigens Werke der Berner Künstlerin Elsbeth Böniger zu sehen. Don’t miss.) Am Sonntag beim Kornfeld sind sogar die Schwestern Bischoffs anwesend – eine Berner Familie wie aus dem Bilderbuch. Und ein Buffet mit Berner Burehamme gibt’s auch.

Kornfeld-Partner Bernhard Bischoff mit Eberhard W. (rechts) und mit den Schwestern Nina, Linda, der Nichte Finja und der Partnerin Tanja Stettler.
Und dann muss ich noch von den The Repeatles erzählen. Kennt ihr die Band? Nein? Schade. Sie besteht aus Berner Rocklegenden. Housi Wittlin ist Gitarrist, Sänger, witzigster Songwriter. Am Schlagzeug Sam Mumenthaler, Medienjurist und Musikhistoriker, dazu Stöffu Kohli (Span) und Stefan Gardo – do I need to say more? Sie rocken den Glaspavillon mit Evergreens aus der Zeit. Selbst Mme Meyer ersteht danach zwei CDs.
Die farbige Dekoration übrigens, die ihr hinter der Band seht, das sind Ausschussbögen der «One Cent Life»-Publikation, also die Bögen, die man durch die Druckmaschine schickt, um die Farbe zu justieren. Die gibt es für nur Franken 20 zu kaufen. Wenn ihr mich fragt: schnellstens zugreifen!