Archiv für die Kategorie ‘Galerie Gregor Staiger’

Themenpark auf Crack

Ewa Hess am Mittwoch den 30. August 2017

Es geht wieder los, im Löwenbräu riecht es nach Herbst. Man wartet. Wir warten. Das Warten hängt wie eine Wolke unter den weissen Decken und dämpft die Festlaune. Die hier in der letzten Zeit eh in vornehmer Eleganz dahindümpelt. Worauf wird da eigentlich gewartet? Auf den Winter? (Nein, ist ja nicht «Game of Thrones».) Auf die Kunst? Sie ist schon da. Und zwar, wie so oft in Zürich, in schwindelerregend guter Qualität, doch davon später. Aber ja, man wartet trotzdem. Vielleicht auf einen weiteren Umbau? Dabei sind die Baumängel des letzten gerade erst fertig ausgebessert.

Buchhandlung Kunstgriff im Löwenbräu mit der Clare-Goodwin-Wand. Im März muss sie einem neuen Konzept weichen, wird den Eingangsbereich verlassen und sich räumlich zum JRP-Ringier-Verlag im ersten Stock gesellen.

Was: Saisoneröffnung im/in und um Löwenbräu, Migros-Museum, Kunsthalle, Galerien
Wann: Freitag, 25. August
Wo: Zürich, Limmatstrasse 270–277

Aber ja, es wird einiges anders in den kargen Hallen. Die Buchhandlung Kunstgriff am Eingang muss weichen – dabei sieht sie heute mit ihrer Clare-Goodwin-Wand hinten besonders chic aus. Übrigens, eine tolle Schau der 44-jährigen britischen Geometrikerin Goodwin (für die Bezeichnung Konstruktivistin sind ihre Linien, Formen und Muster doch etwas zu kapriziös) wird gerade bei der Galerie Lullin+Ferrari eröffnet, wenige Häuser weiter. Lauter neue Werke, mit einem neckischen Hang zur Fast-Gegenständlichkeit.

Von links: Galeristin Francesca Pia vor einer Skulptur Fabrice Gygis, Marie Lusa (Galerie Gregor Staiger) mit Flyer der Ausstellung von Vittorio Brodmann, Kunstgriff-Buchhändler Markus Schmutz.

Und doch ja, das mit der Transformation bestätigen alle. Wenn auch niemand wirklich die letzten Details kennt. Das Löwenbräu will etwas gegen seinen Wohlstands-Spleen unternehmen (auch «ennuie» genannt, also Weltschmerz oder schlicht Langeweile) und verfolgt jetzt ein Ziel: mehr Besucher und mehr Fun! Der Belustigungsplan ist dem ehemaligen Zürcher Hot Spot von der ehemaligen Co-Chefin der Art Basel (und jetzigen kaufmännischen Direktorin des Kunstmuseums Basel), Annette Schönholzer, verschrieben worden.

In ihrer Funktion als Beraterin hat sie einen Genesungsplan für das lethargisch dämmernde Kunstzentrum entworfen. Gut, ich muss gestehen, dass ich bisher die elegant-zurückhaltende Erscheinung von Frau Schönholzer NICHT mit irgendwelchen euphorischen Zuständen assoziiert habe, aber man kann sich ja täuschen. Was sicher seltsam ist: Die Details des Löwenbräu-Transformationsplans werden so geheim gehalten, man könnte meinen, es handle sich dabei um Baupläne für nordkoreanische Luftraketen. Dabei … Jeder Mensch mit gesundem Menschenverstand kann sich in etwa vorstellen, was Frau Doktor da verschreiben konnte. Prost!

Shirana Shabhazis «Fire/Works for Parkett», noch bis Oktober zu sehen.

Am Freitag war schon mal genug Tranksame da. Ich kam spät von den Bergen herunter und eilte sofort ins «kleine Löwenbräu», wo die Galerien Francesca Pia und Gregor Staiger Eröffnungen feierten (sowie die wunderbaren Räume besichtigt werden konnten, die Shirana Shabhazi fürs Parkett eingerichtet hat). Shirana übrigens eröffnet eine Einzelschau bei Peter Kilchmann im Maag-Areal kommenden Freitag – don’t miss. Lauter neue Werke.

Vergeistigter Konstruktiver? Neue Werke von Fabrice Gygi bei Francesca Pia.

Ich traf Francesca Pia beim Eingang ihrer Galerie und gratulierte ihr zu Fabrice Gygi. Die einst in Bern ansässige Galeristin mit kompromisslosem Gespür für gute Kunst wagt sich als eine der wenigen an die sogenannten Mid-Career-Künstler, eine Sorte, die im gegenwärtigen überheizten Kunstgeschehen oft zwischen Stuhl und Bank fällt. Es sind gute Künstler, die weder blutjung und vielversprechend erscheinen, noch so alt sind, dass sie schon ein sicherer Wert wären. Der Genfer Gygi (52) hat die Schweiz 2009 an der Biennale Venedig vertreten, doch in den letzten Jahren hörte man weniger von ihm. Pia zeigt nun wunderbare Aquarelle, die sich sehr nüchtern geben: Schon wieder ein falscher Konstruktiver! Bei Gygi ist es anders als bei Goodwin nicht die Intimität, welche die konstruktive Strenge konterkariert, sondern eher – soll ich es so nennen? – eine malerische Vergeistigung. Flacher Farbauftrag verleiht seinen Gittern eine durchscheinende Präsenz.

Vittorio Brodmann; «Oblique» und «Puddle of Pain», beide 2017.

Aus der reisst einen bei Gregor Staiger der lustige Vittorio Brodmann heraus (ein Schweizer von 30 Jahren). Der junge Tausendsassa war eben noch in der Kunsthalle Bern und auch schon bei Gavin Brown in New York. Und schon wieder eilt er weiter, manchmal als Stand-up-Comedian und immer als furioser Maler, der in der gegenwärtigen Ausstellung bei Marie (Lusa) und Gregor (Staiger) seine wilden Gouachen zeigt. Diese Werke vibrieren von Energie und guter Laune – ein echtes Antidepressivum. (Ja, auch «Puddle of Pain», also eine Schmerzpfütze, kann vital wirken.)

Als ich endlich im «richtigen» Löwenbräu ankam, war es schon spät: Ich musste um den Einlass betteln. Alle wollten raus, auf die Terrasse, und sich ein Bierchen schnappen. Dass jemand wegen der Band rausstürmte, glaube ich weniger – aber es stand doch ein ansehnliches Völkchen vor der improvisierten Bühne im Hof.

Luxus Heavy Heart? Die Band! Konzert im Hof.

Im oberen Stock der Kunsthalle musste ich dann meine ganze Überredungskunst in die Waagschale werfen, damit mir die Tür aufgemacht wurde (normal, es war schon nach 21 Uhr) – aber hey, es hat sich gelohnt! Der Brite John Russell, mir bis dato komplett unbekannt, hat wirklich Gas gegeben. Mit seinen von hinten beleuchteten monumentalen Leuchtpanoramen nimmt er einem kurz den Atem. Es ist die erste institutionelle Ausstellung Russells in der Schweiz, eigentlich erstaunlich. Ich habe aber danach versucht, Interviews mit ihm zu lesen – unlesbar. Die Bank, jene Gruppe, die er in den 90er-Jahren in London mitgegründet hat, war rebellisch drauf. Grosso modo gegen Kapitalismus, aber ohne einen missionarischen Eifer. Passend dazu sieht die von ihm verwandelte Kunsthalle wie ein Themenpark auf Crack aus.

John Russells Installation für die Kunsthalle – wild!

Ich muss da wieder hingehen, die Ausstellung erschöpft sich nicht mit diesen schwindelerregenden digitalen Prints. Es gibt noch Bücher, Filme, ich will mehr davon. Aus der ganzen Inszenierung weht einem ein Geist grosser Unabhängigkeit entgegen. Eine Haltung weder für noch gegen und immer zwischen tragisch und lächerlich.

Der Künstler John Russell war noch in der Ausstellung drin, als ich kam. Ich habe kurz gezögert – dann aber doch nichts gesagt. Jetzt aber muss ich meinen Gedanken verraten: Leute! Wollt ihr wirklich das Löwenbräu aus seinem Dornröschenschlaf küssen? Lasst doch John Russell das Konzept dafür machen. Mit allem Respekt für Beamte und Berater – könnte das am Ende doch besser herauskommen.

John Russell: «Judgement. The kangaroo is not happy. It is not clear who or what it represents, but it is not in good place».

Die Höhe der Eierstöcke

Ewa Hess am Dienstag den 9. Juni 2015

Ein heller Sommerabend lag auf dem Löwenbräu-Areal wie eine warme Babydecke. Es war die Ruhe vor dem Sturm, denn am kommenden Wochenende ist das Zurich Contemporary Weekend – das Wochenende vor der Art Basel. Dem Rummel zuvorkommend, haben die Galerien Gregor Staiger und Freymond-Guth schon letztes Wochenende eröffnet. Ihre zwei ganz unterschiedlichen, tollen Ausstellungen haben davon profitiert – wir konnten uns auf sie voll und ganz einlassen. Es gab dabei zwei herrlich unangepasste Frauen zu entdecken.

Was: «Moonblood/Bloodmoon», Lucy Stein bei Gregor Staiger,
«Sono Vietate Le Discussioni Politiche», Dani Gal bei Freymond-Guth Ltd. Fine Arts
Wann: Eröffnung war am Freitag, 5. Juni, Dauer Stein bis 18.7., Dauer Gal bis 4.7.
Wo: Beide im Löwenbräu, Gregor Staiger Limmatstrasse 268, Freymond-Guth Limmatstrasse 270

Ein Marmorblock mit der Inschrift «sono vietati gli discussioni politici» von Dani Gal, Galerist Jean-Claude Freymond-Guth und sein Hund, Werke von Lucy Stein in der Galerie Gregor Staiger

Ein Marmorblock mit der Inschrift «Sono vietate le discussioni politiche» von Dani Gal, Galerist Jean-Claude Freymond-Guth (und sein Hund), Werke von Lucy Stein in der Galerie Gregor Staiger

Der Grund, weshalb ich von zwei Frauen spreche, obwohl Dani Gal ja ein männlicher Künstler ist, liegt daran, dass wir das Werk von Gal schon seit einer Weile kennen und bewundern – er ist ja einer der interessanteren Künstler, die im blinden Winkel zwischen Geschichte und Kunst Wahrheiten aufdecken, die zugleich historisch und auch brandaktuell sind. Dani Gal kannte ich also, nicht aber seine neuste Arbeit, die sich «A Woman of Valor» nennt und ein filmisches Porträt der 90-jährigen Menschenrechtsaktivistin Hedy Epstein ist. Ich habe – mea culpa – noch nie von Frau Epstein gehört, und ich bin froh, diesen Mangel nun behoben zu haben. Die Holocaust-Überlebende setzt sich für Entrechtete ein, und zwar aller Nationalitäten und Couleurs. Sie nahm am International Gaza Freedom March teil und wurde erst letztes Jahr erneut verhaftet, als sie an einer Demonstration gegen die Polizeiwillkür in Ferguson (USA) teilnahm.

Hedy Epstein bei ihrer Verhaftung während der Ferguson-Demo in St. Louis, als sie für Gaza einen Hungerstreik machte, in Dani Gals schönem Film «A Woman of Valor», 2015

Hedy Epstein bei ihrer Verhaftung während der Ferguson-Demo in St. Louis (links), beim Hungerstreik für Gaza (Mitte), in Dani Gals schönem Film «A Woman of Valor», 2015.

Die andere Frau ist Lucy Stein, eine junge englische Künstlerin mit vielerlei Begabungen, die wie eine Filmheldin aussieht und auf eine ebenso britische wie kluge Art den vielen Klischees, die es über Kunst von Frauen gibt, ein Schnippchen schlägt. Bei Gregor Staiger sind ihre neuen Malereien ausgestellt – sie sind, ganz abgesehen von allen Interpretationen und Bedeutungsspielen, auch sehr schön anzusehen – leicht pastos, an der Grenze zur Figuration flimmernd, formal ausufernd.

Lucy sagt gerne provokante Sachen, etwa dass sie es mag, wenn ihre Werke wie «am Rande eines hysterischen Anfalls» aussehen. Was im vorliegenden Fall insofern präzise zutrifft, als die quadratischen Gemälde laut der Auskunft, die sie mir selbst an der Vernissage in ihrem sympathisch lispelnden Englisch gab, eine «Eierstock-Energie» zum Ausdruck bringen. Die Werke sind übrigens auf halber Höhe an der Wand aufgehängt, damit der Dialog mit dem besagten Organ direkt stattfinden kann. Ich kam müde nach einer hektischen Woche in die Galerie – nennt es Selbstsuggestion, wenn ihr wollt –, aber die Begegnung mit dieser Kunst hat mich erholt. (Das tut aber die Begegnung mit guter Kunst oft, auch ohne den Umweg über die Eierstöcke.)

Lucy Stein (Mitte) und ihre Werke - Marie Lusa reicht ihr ein Bier

Ein multibegabtes freies Wesen: Lucy Stein (Mitte) und ihre «Moonblood»-Werke.

Hedy Epstein und Lucy Stein, die eine 1924 in Kippenheim, Süddeutschland, geboren, die andere eine 1979 zur Welt gekommene Professorentochter aus Oxford: Sie haben mich beide an diesem friedlichen Abend in Zürich mit Bewunderung für unangepasste weibliche Lebenshaltungen erfüllt. Wie viel Mut braucht eine Holocaust-Überlebende, um gegen die unwürdigen Lebensbedingungen der Menschen in Gaza zu kämpfen? Erstaunlicherweise eine ganze Menge. Gerade kürzlich sprach ich mit der Kunsthaus-Kuratorin Cathérine Hug über das «never again», welches nach den Nazigräueln des Zweiten Weltkriegs zu einem Gründungsmythos des neuen, vereinten Europas wurde (in der am 12. Juni beginnenden Kunsthaus-Ausstellung «Europa» ist übrigens auch ein schönes Werk von Dani Gal vertreten). Hedy Epstein geht aber einen riesengrossen Schritt weiter und sagt: «Never again? Soll das denn nur für uns Juden gelten?» Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Danke für die Erinnerung, Dani Gal und Hedy Epstein.

Die Malerin Lucy Stein andererseits, mit allen modernen Freiheiten ausgestattet (und auch mit dem Wissen um die moderne feministische Theorie), behält sich die Luzidität des Blicks, um die immer noch vorhandenen weiblichen Beschränkungen auf die Schippe zu nehmen. Unter anderem diese: dass eine Frau nicht hemmungslos Frau sein darf. Dass sie immer mit einem rationalen Korrektiv im Hinterkopf dem Klischee von der Furie Frau etwas entgegensetzen soll. Lucy tut es aber nicht, sie geht aufs Ganze. Zelebriert Obsessionen. Wertet das Verachtete auf. Macht sich über die Welt lustig, indem sie auch über sich selber lacht.

Sie ist Dichterin, Musikerin, ein obsessives, multibegabtes freies Wesen. «Moonblood, Bloodmoon» nennt sie ihre Schau bei Gregor Staiger. Dazu legt sie ein Gedicht auf: «I bled Moonblood as we passed though the threshold, without asking permission…» Schwellen passieren, ohne um Erlaubnis zu fragen? Genau.

Löwenbräu-Terrassenstimmung: Ugo rondinones Werk vor dem Abendhimmel, Künstler Dani Gal, Oscar Weiss mixt Pimm's

Löwenbräu-Terrassenstimmung: Ugo Rondinones Werk vor dem Abendhimmel, Künstler Dani Gal (Mitte) , Oscar Weiss mixt

Als wir, erquickt von der Begegnung mit Mut, Engagement und Schönheit, danach auf der Terrasse des Löwenbräu sassen, war den meisten philosophisch zumute. Der Himmel glühte sanft, Ugo Rondinones Regenbogenschrift «Love Invents Us» bekam vor den rosa Wolken im Hintergrund eine fast überirdische Intensität. Kunsthistorikerin Laura Arici diskutierte mit Galerist Gregor Staiger über die Schriften von Kunsttheoretikern, Migros-Museum-Kurator Raphael Gygax lachte mit dem Zeichner Marc Bauer, Künstlerin Loredana Sperini war da, natürlich auch Dani Gal und Lucy Stein, die ein Stipendium der Tate St. Ives hat und bereits wenige Tage später bei einer Riesenveranstaltung in Cornwall die Gastgeberin spielen sollte. Ich selbst hatte ein langes Gespräch mit der Keramikerin Grazia Conti Rossini Schifferli, auch Modemacherin Sissi Zöbeli vom Modelabel Thema Selection war da (ich hatte eine Bluse von ihr an) und der Kunstexperte der Stadt, Alex Ritter. Zu den Würstchen vom Grill gab es von Oscar Weiss gemixte Pimm’s-Cocktails… Schön wars.

Zur Ausstellung Moonblood/Bloodmoon  gibt es übrigens eine wunderbare schmale Publikation «Feminax», erschienen in 1000 Exemplaren – die Grafikerin Marie Lusa gehört gemeinsam mit Gregor Staiger zum starken Duo hinter dem Programm der Galerie