Archiv für die Kategorie ‘Galerie Eva Presenhuber’

Midnight in America

Ewa Hess am Mittwoch den 23. November 2016

So aktuell muss man sein: Mit dem Ausstellungstitel «Midnight in America» nimmt Künstler Adam Pendleton die Metaphorik des US-Wahlkampfs auf. «Morning in America» hiess die Werbekampagne Ronald Reagans, mit der er seine Wiederwahl 1984 unterstützte. Das inspirierte Hillary Clinton ihrerseits kürzlich zur Bemerkung, dass die Republikaner die einstige Hoffnung der amerikanischen Morgenröte in die ideologische Düsternis der Mitternacht verwandelt haben. («Donald Trump möchte, dass wir Angst vor der Zukunft haben und dass wir einander fürchten», war Hillarys Erklärung. Dass bereits Reagans Heile-Welt-Beschwörung in «Morning in America» nicht eigentlich fortschrittlich genannt werden konnte, blendete sie aus.) Jedenfalls, auf diese mitternächtliche Vision eines düsteren America spielt nun Pendleton an, mit seiner Installation in Eva Presenhubers Löwenbräu-Räumen. Und ja, sein Werk ist tatsächlich die sprichwörtliche «Schrift an der Wand». Vielseitig deutbar, wie das Menetekel aus der Legende von Belsazar.

Was: Adam Pendleton «Midnight in America»
Wo: Galerie Eva Presenhuber im Löwenbräu, Limmatstrasse 270 in Zürich
Wann: Vernissage am Freitag, dem 18.11.2016, Ausstellung bis 21.1.

Schwarz ist die Fetischfarbe Pendletons, «Black Dada» sein Wahlspruch. Mit seiner Performance «Revival» am Performa-Festival 2007 in New York eroberte er die Kunstwelt. Im weissen Smoking gab er da einem schwarzen Gospelchor Anweisungen für eine minimalistische Slampoetry-Session. Für einen echten Dadaisten ist sein Subtext wohl zu politisch. Aber gerade deshalb kann man seinen kraftvollen Auftritt im Löwenbräu als einen würdigen Abschluss des überfrachteten Zürcher Dada-Jahres betrachten. Er ist gleichzeitig Dada und auch seine Überwindung.

Black Dada! Die eindrücklichen Räume der Galerie Presenhuber mit Pendletons Installation «Midnight in America».

Black Dada! Die Räume der Galerie Presenhuber mit Pendletons Installation «Midnight in America».

Der Künstler versichert mir an der Vernissage, dass seine Zürcher Ausstellung eine direkte Antwort auf die gegenwärtige Situation in den USA sei. Er habe weiss Gott nicht Trump unterstützt, und doch hätte er wetten können, dass die Demokraten nicht so gut abschneiden würden. Zu bereitwillig habe sich die einst fortschrittliche Partei mit dem raubtierhaften Spätkapitalismus ins Bett gelegt. So heissen auch alle seine ausgestellten Werke «Untitled (A Victim of American Democracy)». Pendleton klagt mit den Worten seines Idols Malcolm X an, denn die Sache mit dem «Opfer der Demokratie» ist nicht etwa neu. Es ist ein Zitat aus der berühmten Rede «The Ballot or the Bullet» von Malcolm X (1964). Darin spricht der schwarze Aktivist von einer falschen Demokratie, die in den USA herrsche, es sei in der Tat keine Demokratie, sondern eine Heuchelei.

«And when I speak, I don’t speak as a Democrat. Or a Republican. Nor an American. I speak as a victim of America’s so-called democracy. You and I have never seen democracy – all we’ve seen is hypocrisy. When we open our eyes today and look around America, we see America not through the eyes of someone who has enjoyed the fruits of Americanism. We see America through the eyes of someone who has been the victim of Americanism. We don’t see any American dream. We’ve experienced only the American nightmare.» Malcolm X

courtesy blackandbrownnews.com

Courtesy blackandbrownnews.com

Pendletons Werke sind weniger eindeutig als diese Worte. Wandfüllende Bilder, Spraybilder und Collagen bestehen aus Wortfetzen und Formen. Knisternde Intensität beseelt die Ausstellungsräume, die intellektuelle Auseinandersetzung mit den Inhalten lässt sich nicht delegieren. Im Vergleich zu seiner Installation im belgischen Pavillon an der Biennale Venedig von 2015 (das war, als ich sein Werk erstmals bemerkte), sind die neuen Arbeiten schärfer und emotionaler. Dabei war Pendleton damals schon wütend, er stand unter dem Eindruck der Unruhen wegen rassistischer Polizeigewalt in Ferguson, Missouri.

Installationsansicht in den Löwenbräu-Räumen der Galerie Presenhuber, Adam Pndleton und Galeriedirektor Markus Rischgasser in der Ausstellung

Installationsansicht in den Löwenbräu-Räumen der Galerie Presenhuber, Adam Pendleton und Galeriedirektor Markus Rischgasser in der Ausstellung.

Der Künstler ist so etwas wie ein Wunderkind. Er kam mit 18 Jahren nach New York, sein Vater fuhr ihn und seine Bilder aus dem heimatlichen Virginia mit einem Lieferwagen in die Stadt. Auch begleitete er den Sohn zu seinen Vorstellungsbesuchen in den Galerien. In der Gallery 128 an der Lower East Side fand das die Besitzerin Kazuco Miyamoto lustig und nahm eines der Bilder in ihrer Gruppenausstellung auf. Per Zufall kam Sol LeWitt in die Galerie, ihm gefiel das Bild des Unbekannten, und er tauschte es gegen eines seiner eigenen Bilder ein. Nicht jeder junge Künstler kann einen so prominenten ersten Sammler vorweisen.

Inzwischen ist Pendleton im Programm der renommierten Pace Gallery und eben neu im Programm bei Eva Presenhuber, die übrigens kurz vor der Eröffnung ihrer New Yorker Branch steht. Nachdem letztes Wochenende eine fantastische Schau des schottischen Künstlers Douglas Gordon in den riesigen Maag-Räumen der Galerie eröffnet wurde (noch bis 21.1., unbedingt hingehen!), folgen jetzt zwei Ausstellungen im Löwenbräu – nebst Pendleton auch noch Sue Williams – beide eindrücklich. Die Räume im Löwenbräu sind eigentlich «Zweitlocation» der Galerie; man staunt dennoch, wie grosszügig diese bemessen sind.

Einblick in die Ausstellung von Sue Williams (links), die «Prototypen» und die rosa Vinyl-Kaskade von Sonia Kacem (Mitte), die Künstlerin Kacem erklärt ihr Werk.

Einblick in die Ausstellung von Sue Williams (links), die «Prototypen» und die rosa Vinyl-Kaskade von Sonia Kacem (Mitte), die Künstlerin Kacem erklärt ihr Werk.

Zur gut besuchten Vernissage kreuzten Anita und Poju Zabludowicz auf, die hochkarätigen Sammler aus London, die das Werk des jungen afroamerikanischen Intellektuellen schätzen. Auch gesichtet: Modemacherin Sissi Zöbeli, Kunstsachverständiger Niklaus Künzler, ehemals Phillips-Auktionshaus, jetzt mit einem neuen Projekt on his own, Benjamin Eymère, der CEO des Mutterhauses der französischen Modezeitschrift «L’Officiel» mit Gattin Victoire de Pourtalès, Besitzerin der Galerie VNH in Paris (aktuelle Ausstellung: Michelangelo Pistoletto), Alex Ritter, Fachleiter Kunst und Bau der Stadt Zürich, Paul Tanner, ehemals ETH-Grafiksammlung, und viele andere mehr.

Natürlich hat es niemand versäumt, vor dem Vernissagendinner noch die schöne Ausstellung der Genfer Künstlerin Sonja Kacem bei der Galerie Gregor Staiger zu besuchen. Geometrische Formen aus Holz und Stahl (die Künstlerin nennt sie «Prototypen») gingen in dem schönen Raum eine spannungsgeladene Verbindung mit einer rosafarbenen Vinyl-Kaskade ein. Kacem, die im Sommer eine viel beachtete Ausstellung «Night Shift» im Centre d’Art Contemporain in Genf hatte, ist ganz sicher «one to watch».

Und hier noch ein Talk an der Art Basel zwischen der Kuratorin Jenny Schlenzka von PS1 und dem Künstler:

Black Dada is a way to talk about the future while talking about the past. It is our present moment. The Black Dada must use irrational language. The Black Dada must exploit the logic of identity. Black Dada is neither madness, nor wisdom, nor irony, nor naiveté. Black Dada: we are successive. Black Dada: we are not exclusive. Black Dada: we abhor simpletons and are perfectly capable of an intelligent discussion. The Black Dada’s manifesto is both form and life. Black Dada your history of art. Adam Pendleton, «Black Dada Manifesto», 2008

Totems und Module

Ewa Hess am Montag den 7. April 2014

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Unterwegs zur neuen Ausstellung von Joe Bradley (im Tram Nr. 17) fährt die Frage mit: Was wird es diesmal sein? Denn – Picasso lässt grüssen – Bradley malt immer wie ein anderer Künstler. Die Galeristin Eva Presenhuber zeigt «SS Potlicker And Friends» in der grossen Halle ihrer Galerie im Maag-Gebäude. Sie hat noch kleinere Räume im Löwenbräu, doch gewisse Künstler mögen den grossen Raum besser. Den zu bespielen hat etwas Heroisches an sich. Dieser «Bigger than life»-Raum braucht grosse Kunst.  Es wäre fatal, wenn sich «gross» nur in der Dimension, nicht aber im geistigen Format offenbarte.

“SS-Potlicker”: Was für ein Titel! Seine Bedeutung entzieht sich der Ratio und der Künstler macht uns nicht einmal an der Eröffnung den Gefallen, irgendetwas zu erklären. Ist  auch besser so, denn Künstler, die stundenlang im Kuratoren-Jargon über ihre Kunstwerke schwadronieren, sind schwer ernst zu nehmen.  Die Bilder selbst treffen aber in die Magengrube. Ich weiss nicht, ob sich das aus den Abbildungen hier erschliesst, aber sie haben eine direkt unheimliche Ausstrahlung. Bradley hat sie in seinem Atelier Upstate New York mit einem Roller, wie man ihn zum Streichen der Wände  braucht, auf die am Boden ausgelegte Leinwand gestrichen und in der Rolle transportiert. Erst in Zürich wurden sie in der Galerie auf die Rahmen gespannt, unter der Aufsicht des Zeremonienmeisters Bradley. Seine früheren Bilder, vor allem in der vorhergehenden Ausstellung bei Eva Presenhuber, waren figurativ, sentimental, zuweilen auch aggressiv. Man kann nicht sagen, dass all das in den neuen geometrischen Totems abwesend wäre. Diese «Checker» mit ihrem mir-nichts-dir-nichts Schachbrett-Muster haben es faustdick hinter den Ohren. Vor allem der mit der gelben oberen rechten Ecke. Ist das vielleicht der ominöse SS-Potlicker (SS-Hungerleider) des Ausstellungstitels? Polkes höhere Wesen lassen grüssen.

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Der Auktionator Simon de Pury kommt spät mit seiner grossgewachsenen Frau Michaela Neumeister. Sie trägt Netzstrümpfe in Farbe nude und silberfarbene Pumps – die Frau von Mars! Als de Pury noch Philips war, tauschten unter seiner kundigen Anleitung einige Bradleys die Hand, zu Preisen, die in ihrer Höhe angenehm überraschten. Die Bilder in der Ausstellung kosten zwischen 9000 Dollar für kleine Werke auf Papier bis zu 175000 Dollar für die grossen Totems in der Haupthalle. Einige wurden schon an der Vernissage Sammlern versprochen.

De Pury ist in Stimmung  und erzählt am Dinner nach der Vernissage (Zürich 5, Lokal namens Times) über sein Leben nach dem Ausstieg aus dem Geschäftsleben (Philips heisst nicht mehr Philips de Pury). Beatrix Ruf (Kunsthalle Zürich) kommt mit Künstler Jamie Cameron, sie unterhält sich mit Paul Tanner von der grafischen Sammlung der ETH. Es stellt sich heraus, dass sowohl de Pury wie Jamie Cameron gern als DJ unterwegs sind. Als de Pury erzählt, wie er einst einen Maybach versteigert hat, den Jay Z und Kanye West für ein Video zu Schrott gefahren haben, hört der ganze Tisch zu. Ausser Peter Fischli und dem Star des Abends Joe Bradley, die tief in einem Fachgespräch stecken  – die Werke der beiden Künstler gründen  tief, um auf eine (scheinbar!) schnell lesbare Formel zu kommen. Es ist einer der ersten lauen Abende des Jahres und zur späten Stunde sitzt man in Decken gewickelt vor dem Lokal. Einer nach dem anderen gehen die Gäste, zurück in ihre Hotels und Wohnungen. Adieu, good bye, winkt man –  eine instant Familie bricht auseinander.

 

Simon de Pury und Michaela Neumeister

Simon de Pury und Michaela Neumeister

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Joe Bradley (links) im Gespräch mit Peter Fischli

 

Beatrix Ruf und Jamie Cameron

Beatrix Ruf und Jamie Cameron

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Eva Presenhuber hält eine Rede, vorne Galerist Gavin Brown

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Gertraud Presenhuber  und Alex Ritter (Kunstabteilung der Stadt Zürich) vor dem Lokal nach dem Dinner