Ein Haus aus Gold, das ist nicht gerade Understatement. Doch das neue Museum der Gegenwartskunst in Mailand, gestiftet von der Modegigantin Miuccia Prada und ihrem Mann Patrizio Bertelli, hat Stil. Sehr viel Stil. Zu viel? Ach was, das ist doch Mailand! Zu viel Stil ist gar nicht möglich.
Was: Erste Präsentation der Fondazione Prada, des privaten Kunstzentrums von Miuccia Prada und Patrizio Bertelli
Wo: Im Industriequartier Mailands, Largo Isarco 2, 20139 Milano, visit.milano@fondazioneprada.org
Wann: Ab 9. Mai fürs Publikum offen, jeden Tag von 10 bis 21 Uhr
Man könnte meinen, dass die von Firmen und privaten Mäzenen gesponserten Museen populärer zu sein versuchen als die öffentlichen Museen, die im öffentlichen Auftrag handeln. Oft ist aber das Gegenteil wahr. Während die öffentlichen Museen sich vor Gremien und Steuerzahlern durch Eintrittszahlen legitimieren müssen, machen die Mäzene mit ihrem Geld vor allem das, was sie selbst (und ihre meist den gesellschaftlichen Eliten angehörenden Freunde) für richtig halten. Und das ist oft: Intellektualität. Oder wie es Professor Salvatore Settis an der allerersten Pressekonferenz der Fondazione Prada sagt: «Far pensare!» Die Anregung zum Denken soll im neuen Kulturzentrum Mailands also ein Gebot sein.

Ein «güldenes» Haus: Die Fassade ist mit 24-Karat-Blattgold ausgelegt. Das sei das billigste (weil dünnste) Verkleidungsmaterial gewesen, sagt Koolhaas, und es reflektiere das Licht so schön!
Das Zitat zeigts schon. Obwohl die Modemarke Prada vor allem in New York und Hongkong zu dem wurde, was sie heute ist, also zum internationalen Luxusgiganten, herrscht in ihrer Kulturstiftung edle Italianità. Die Vorstellung wird auf Italienisch abgehalten, bis auf das Votum des Architekten Rem Koolhaas, welches er in seinem holländisch gefärbten Englisch hält. «Zu viel Individualität tut uns nicht gut», sagt Koolhaas. Patrizio Bertelli, der mit seinen weissen Locken und der dunkel gerahmten Brille wie ein distinguierter norditalienischer Avvocato aussieht, hält sich, während Koolhaas spricht, den Übersetzungsstöpsel ans Ohr. Kann das sein? Der Patron von Prada versteht kein Englisch?

Patrizio Bertelli (ganz links), lauscht der italienischen Übersetzung der Worte seines Architekten Rem Koolhaas, Miuccia Prada parliert mit dem Kulturminister Dario Franceschini, Professore Settis fordert: «Far pensare!»
«Kulhas» sagen sie hier, und natürlich ist der grosse Architekt mit seinem Thinktank/Architekturbüro OMA durchaus ein cooler Hase, gefragt überall, wo die Architektur mehr sein soll als nur gebaute Materie (aber dennoch gut aussehen soll). Koolhaas rühmt sich also an der Pressekonferenz, dem individualistischen Denken eine Absage erteilt zu haben . Weil er für Pradas nichts Neues erbaut, sondern die alte Schnapsfabrik am Rande Mailands transformiert habe. Geschmeichelt sei er, sagt er zudem, dass ihm, einem Mann des Nordens, die Südländer ihr Vertrauen schenkten. Damit spielt er auf das jahrhundertealte Kunstparadigma an: als die italienische Malerei die Schönheit suchte (in der Hochrenaissance), der Norden aber lieber die Wahrheit auf seine Leinwände bannte, auch wenn sie hässlich war.
Um den nahtlosen Übergang von Altem zu Neuem gehe es hier, das betonen alle auf dem Podium, auch der extra herbeigeeilte Kulturminister Dario Franceschini. Tatsächlich hat Italien, verliebt in seine Tradition, es bisher weitgehend versäumt, diese in einem modernen Kontext erstrahlen zu lassen. Ob das mit dem Umbau einer alten Destillerie zu einem Kulturzentrum schon getan ist? Damit allein wohl kaum. Denn Hand aufs Herz: Eine Industriebrache in ein Kulturzentrum umwandeln? Damit erfindet man 2015 nicht das Pulver.
Darum wohl hat Miuccia Prada, die in der Art italienischer Matriarchinnen den Gatten aufs Podium schickt und die Pressekonferenz aus der ersten Reihe dirigiert, die erste Wechselausstellung dem alten Professor Settis anvertraut, dem hochverehrten Archäologen und langjährigen Rektor der Scuola Normale von Pisa, einer italienischen Elite-Uni. Er habe sie beim ersten Treffen gefragt, warum gerade antike Kunst, erzählt Setti. Und Miuccia Prada habe ihm geantwortet: Das sei eine politische Geste. Die Tradition eben. In einer eindrücklichen Explosion der italienischen Suada macht der Professore klar und deutlich, dass die antike Kunst der Römer schon moderner als modern war, weil – dem Prinzip des Multiplen gehorchend – nicht nur eine berühmte Skulptur, sondern immer Serien davon, Kopien und Kopien von Kopien, erzeugt worden sind. Die Archäologie habe zudem das zutage gefördert, was er die «macelleria di arte antica» nennt, also die Metzgerauslage der antiken Kunst: unzusammenhängende Füsse, Hände, Torsi und Köpfe. Und kennen wir diese Zerstückelung des menschlichen Körpers nicht zur Genüge aus der zeitgenössischen Kunst? Ha!

Antike Skulpturen wirken modern, wenn ihre Bemalung rekonstruiert ist (links). Die «macelleria di arte antica» (Mitte). Kopie von Kopie war üblich – darum geht es in der ersten Schau der Fondazione Prada Milano.
Aber kommen wir zur Sache. Der Komplex der Fondazione, bestehend aus mehreren Gebäuden auf 19000 Quadratmetern, ist sehr, sehr edel geworden. Riesengross, mit viel Luft, mit wahrhaft imperialen Innenhöfen, einem grossen Kino, einer schönen Bar, vielen Galerienfluchten und einer extra eingerichteten – wir sind im Kinderland Italien! – Accademia dei Bambini (und es kommen noch die Bibliothek, der grosse Turm, weitere Lagerräume…). Alles aus den allerbesten Materialien. Den verschiedenen Gebäuden, die es schon gab, wurden neue hinzugefügt. Am sichtbarsten das goldene Haus, das (in plötzlicher Abkehr vom Italienischen) im modernen Englisch-Esperanto «The Haunted House», das verwunschene Haus, genannt wird. In diesem wurden Werke von Robert Gober und Louise Bourgeois als ständige Installation eingerichtet. Ja, da ist sie, die «macelleria» der Moderne. Gobers Füsse, Beine, Lavabos und in den Ausgusslöchern leuchtende Karfunkel-Herzen sprechen vom Schmerz des fremd gewordenen Körpers, von der Ausgrenzung der Sexualität, vom Verlust des Sakralen, von all den Themen, die uns der Amerikaner seit den 80er-Jahren mit seinen Inszenierungen nahegebracht hat. Im Basler Schaulager der Mäzenin Maja Oeri gibt es Gobers Räume, wir kennen diese Stimmung auch. Und Louise Bourgeois’ textile Skulpturen und Installationen, die etwas von Boudoir und viel von Gefängnis haben, sind doch auch denkwürdige Offenbarungen einer schmerzlich aufschreienden (weiblichen) Körperlichkeit.

Im «Spukhaus»: Blick aus dem goldenen Fenster, Robert Gobers «Untitled», Louise Bourgeois’ Figur am Boden.
Aus der legendären und geheimnisumwitterten Sammlung der Prada-Bertellis wurden Teile für wechselnde Präsentationen herausgegriffen. Aha! Das also sammeln die Modefürsten! In der «Introduction» genannten Ausstellung erkennt man in einer langen Reihe von an die florentinische Pinakothek erinnernden Kabinetträumen den Leitgedanken sofort. Die tollen Italiener, vor allem der wunderbaren Arte-Povera-Zeit, also der 60er-Jahre, (nicht umsonst ist der umtriebige Arte-Povera-Impressario Germano Celant der Generalkunstdirektor der Pradas), wurden nahtlos unter die schönsten Stücke der internationalen zeitgenössischen Prominenz gereiht. Die Schau fängt zwar mit dem Amerikaner Walter de Maria an. Doch war er nicht ein Kind von italienischen Einwanderern, hat sein Vater nicht den Kaliforniern Pasta serviert? Dann Piero Manzoni, Lucio Fontana, Emilio Vedova, Alighiero Boetti, dazu Gerhard Richter, Frank Stella und – nicht unbedingt erwartbar – Jeff Koons. Eine Serie von in Seide und Silber gewirkten italienischen Teppichbildern von 1560 («Trionfo di Bacco») umrahmt Werke von Kurt Schwitters und Joseph Cornell – den frühen Meistern der Collage.

Teile der legendären Prada-Sammlung: Natalie Djurbergs «Potato», Yves Kleins «Vague» von 1957 und Piero Manzonis «Achrome» von 1962, in einem weiteren Saal Meisterwerke dicht an dicht.
Alles vom Feinsten. So soll das hier sein. Es geht aber auch um die stimmungsvolle Inszenierung. So hat die Bar, die sich sinnig «Luce» nennt, obwohl sie im Schatten einer typischen schwarzen Koolhaas-Wand ihre Aussentischchen aufstellt, der amerikanische Filmregisseur Wes Anderson («The Grand Budapest Hotel», «The Magnificent Andersons») installiert. Sie ist eine Mischung aus der Galleria Vittorio Emmanuelle, Mailands gefeierter Shopping-Arkade, und einem italienischen Strandrestaurant aus den Fifties. Anderson konnte es sich nicht verklemmen, in einem der altmodischen Flipperkästen seinen eigenen Film «The Life Acquatic» mit der Figur des Meeresforschers Zissou zu verewigen. Im Kino: Ein anderer Meister der Stimmung. Roman Polanski erzählt in einem eigens hergestellten Dok-Film, woher er seine filmischen Inspirationen hat. Die dazugehörigen Filme, lauter Klassiker wie «Citizen Kane» etc., werden in einem extensiven Cinémathèque-Programm in dem in Altgold eingerichteten Kinosaal auch gezeigt. Das Zentrum ist ja schliesslich etwas für die Mailänder Bevölkerung und nicht nur für Touristen.

Das von Wes Anderson eingerichtete Café «Luce», Flipperkasten mit Zissou, Frau Prada empfängt beim Kaffee und Tramezzino.
Und über allem thront die magnificent Signora Prada, die so forsch dem gängigen Schönheitsgebot trotzt und sich wie eine in Würde alternde Mailänder Grossbürgerin präsentiert. An der «Anteprima», also Vorpremiere am Samstag, trägt sie eine stahlblaue Bluse mit einem gestreiften Wollschal, dazu einen dunklen Plisseerock (pikantes Detail: der Gürtel scheint verrutscht zu sein, doch es gehört sich so), unter den strammen Wädchen weinrote Sandalen mit Keilabsatz, die aus den 40er-Jahren zu stammen scheinen. Dazu gehört auch die schlichte Frisur, die ihr von keinem Schönheitschirurgen berührtes Gesicht sanft umrahmt. Sie geht herum, spricht mit allen, trinkt ab und zu ein Tässchen Kaffee in ihrer schönen neuen Bar, schmaust dazu ein liebevoll vom Personal gereichtes Tramezzino. Und als ihr Mann Patrizio auf dem Podium etwas sagt, das ihr nicht passt, ruft sie in bewährter Manier der italienischen Mammas laut die Berichtigung hinauf. Ich glaube, es ging ihr darum, dass sie ihre Modestylisten in ein ebenso inspiriertes Licht wie die Künstler stellen wollte. Anstand und Höflichkeit müssen sein.