Archiv für die Kategorie ‘Fondation Beyeler’

Tillmans’ Offenbarungen

Ewa Hess am Mittwoch den 13. September 2017

Es gibt einen Saal in der Ausstellung von Wolfgang Tillmans in der Fondation Beyeler, der mich verblüfft hat. Da sieht man Bilder von offenen Kopiergeräten, aus welchen ein mystisches Licht nach aussen dringt. Im gleichen Saal sieht man auch ein Bild von einem rot und rosa aufglühenden Himmel – interessante Inszenierung. Ich schaute mir diese Saalinstallation kurz vor dem Artist Talk mit Tillmans in Riehen an. In diesem Saal erschienen Kopierer, diese allzu prosaischen Geräte, fast wie Boten einer anderen Welt.

Was: Artist Talk mit Wolfgang Tillmans, organisiert von Fondation Beyeler und UBS
Wann: 7. September 2017
Wo: Fondation Beyeler in Riehen (Die Ausstellung dauert nur noch bis 1. Oktober – don’t miss)

Übersinnliche (und sehr sinnliche) Kleidungsstücke: Wolfgang Tillmans, «Faltenwurf, shiny», 2001, und «Sportflecken», 1996, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne (Fotos: Maureen Paley, London, David Zwirner, New York)

Und wie das manchmal einfach so, ohne Vorwarnung, passiert, haben diese Kopiererbilder meinen Blick auf das Werk des deutschen Fotokünstlers in eine ganz neue Bahn gelenkt. Ich dachte nämlich bisher an Tillmans als an einen vor allem sozial interessierten Fotografen. Und sah seine Werke als Erzählungen, Geschichten von Menschen und ihren Lebenszusammenhängen. Auch die abstrakten kann man so lesen! Als Spuren des Lebens.

Doch die Kopierer und auch die ganze Anordnung der Ausstellung in Riehen zeigten in eine etwas andere Richtung. Als ob es nicht nur um die Menschen und ihre Welt darin ginge, sondern um etwas mehr. Um was? Vielleicht um eine unsichtbare Aura (Walter Benjamin sprach von einer solchen). Mystiker aller Couleur ahnten eine «Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit» (auch der grosse britische Kunstdeuter John Berger).

Wolfgang Tillmans, dachte ich im Zug auf der Heimreise, ein Mystiker des technologischen Zeitalters? Ein Anti-Benjamin?

Wolfgang Tillmans, «Kopierer», e, 2010, und «Kopierer», a, 2010 (Photo courtesy Tillmans and Fondation Beyeler)

Wir erinnern uns, Walter Benjamin, der deutsche Philosoph im Pariser Exil, schrieb seinen berühmten Aufsatz «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» 1935, da war Faschismus in seiner Heimat so weit erstarkt, dass die visionären Köpfe einen nahenden Krieg für unausweichlich hielten. Benjamin hat in dem Aufsatz die technische Reproduzierbarkeit der Kunstwerke mit dem Aufkommen einer neuen Zeit zusammengedacht.

Die Kernaussage geht dahin (aber ich weiss, den Aufsatz kann man endlos deuten), dass unter den Bedingungen der technischen Produktion von Kunst (also in der Fotografie und im Film) die Aura des Kunstwerks «zertrümmert» werde. Dadurch komme es zu einer Emanzipation der Kunst, die aus ihrer kultischen (oder religiösen) Rolle befreit werde, die ja sowieso nur dienend war. Sie, die Kunst, erleide dadurch zwar einen Prestigeverlust, könne aber fortan für praktische Funktionen wie z. B. die Dokumentation der Lebens- und Arbeitsverhältnisse der modernen Massen verwendet werden. Der Nachteil dabei: sie wird manipulierbar (siehe die faschistische Ästhetisierung der Politik).

Artist Talks ist ein Programm der Fondation Beyeler und von UBS. Wolfgang Tillmans im Gespräch mit Kuratorin Theodora Vischer. (Foto: Matthias Willi)

Und nun sass ich im unteren Saal der Fondation Beyeler dem grossen, ruhig sprechenden und klar formulierenden Deutschen gegenüber, der von seiner Kuratorin sanft befragt wurde. Von meinem Erlebnis in der Ausstellung oben sensibilisiert, sah und hörte ich auch hier lauter Hinweise auf diese neue Sicht. Tillmans sprach etwa vom «Wunder der fotomechanischen Medien». Keine reproduzierende Klappertechnik klang da heraus, wir waren mitten in einer durchaus kultischen Metaphorik.

Und als ob das des Numinosen nicht genug wäre, doppelte der Künstler nach, mit der während des Fotoprozesses stattfindenden «Verwandlung» – weil das Bild im «richtigen» fotografischen Prozess wie aus dem Nichts auf dem chemisch vorbehandelten Träger erscheint. Ich dachte über die übersinnlich strahlenden Kopierer, über die barocken Faltenwürfe der hundskommunen T-Shirts nach, und auch daran, dass mit dem Wort Verwandlung wir schon ganz nah an der Transsubstantion der katholischen Messe waren, in der sich ja Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu verwandeln.

Weder spontan noch gestellt: Wolfgang Tillmans, Lutz & Alex on beach, 1992

Tatsächlich, wenn man Wolfgang Tillmans so vor sich sieht, kräftig gebaut, mit Turnschuhen und seinem grossen, lachbereiten Mund, dann hat man manchmal Mühe, ihn mit der Behutsamkeit seiner Bilder zusammenzudenken. Im Gespräch mit Frau Vischer kam aber so deutlich wie selten zutage, wie suchend  Tillmans’ Schaffen ist. Stets sich selbst, seinen Objekten und seiner Kamera misstrauend, tastet er sich vorsichtig an Bilder heran, die weder spontan noch beabsichtigt sein sollen.

Bei Porträts, sagte er einmal im Verlauf des Gesprächs, würde er versuchen «die Kamera wegzurechnen». Distanznahme als ein Weg zur höheren Erkenntnis. Da war er wieder, der Anti-Benjamin. Hat doch der Pariser Flüchtling von damals gerade in der «eindringenden» Art der Kamera den Unterschied zu der ruhigen Distanziertheit der früheren Porträt-Maler gesehen.

Wolfgang Tillmans in der Fondation Beyeler. (Foto: Matthias Willi)

Den Fotografien Wolfgang Tillmans kommt von vielen Menschen eine fast schon familiäre Zuneigung entgegen. Was zeichnet aber seine Bilder eigentlich aus? Er ist keiner, der einen ausgeprägten «Stil» hätte. Er fotografiert alles und wechselt souverän zwischen gänzlich abstrakten und sehr konkreten Motiven ab.

«Der Kunstwille ist der grösste Feind des Künstlers», sagt er mit seiner ruhigen Stimme während des Talks und horcht diesen Worten kurz nach. Der Künster ist  also ein Werkzeug einer höherer Macht? Hinter Tillmans  ist seine «Concorde»-Serie an die Wand gepinnt. Das Flugzeug erscheint auf diesen nicht ganz scharfen Blättern wie ein Besucher aus einer anderen Welt am Himmel – und verschwindet. Auch so eine Tillmans-Offenbarung.

Bedrohte Schönheit: Tillmans’ Bild «Ostgut-Freischwimmer» left, 2004

Zum ersten Mal wird mir in dieser Ausstellung und in diesem Talk klar, was dem modernen Fotografen Tillmans mit seinen manchmal atemberaubend schönen und manchmal irritierend chaotischen Bildern gelingt: Er schenkt dem technisch Reproduzierten die Aura des Kunstwerks wieder.

Für diese Interpretation spricht auch die Art, wie er seine Fotografien ausstellt. Mal solide gerahmt, mal als ungeschütztes Blatt an der Wand zitternd. Er habe so viel Respekt vor dem Blatt, gesteht er im Gespräch. Die Schönheit komme bedroht nun mal besser zur Geltung. Doch die Reinheit überlebe in einem Rahmen besser (falls ich mich richtig erinnere, ist sein Wort nicht «Reinheit», sondern «Purheit»).

«Concorde» 1997

Die Concorde-Serie, längst ausverkauft, habe er nie wiederauflegen wollen. Er erzählt die Geschichte ihrer «Verwaschenheit» – er habe aus Spargründen die Fotoflüssigkeiten so lange gebraucht, bis sie ganz erschöpft waren. Die Concorde-Bilder wurden mit solchen «müden» Flüssigkeiten entwickelt, sodass die Schwarztöne lila erschienen.

Dann trägt Tillmans seinen eigenen Text zur Serie vor: Concorde sei ein «supermoderner Anachronismus und ein Bild für den Wunsch, Zeit und Entfernung durch Technologie zu überwinden». Er sagt nicht «den vergeblichen Wunsch», doch dieses Adjektiv schwingt im Satz mit. Sage ich doch, die Benjamin’sche Aura. Wie heisst das im Aufsatz genau? «Einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag.» Sie ist wieder da.

Wer hat den Basler Gauguin gekauft?

Ewa Hess am Dienstag den 10. Februar 2015

Er hätte gerne auf den zusätzlichen Werbeeffekt für die Gauguin-Schau verzichtet, gestand mir Fondation-Beyeler-Chef Sam Keller, ihm wäre es viel lieber, wenn das bisher im Kunsthaus ausgestellte Werk «Nafea faa ipoipo» in Basel bliebe. Während sich die Vernissagengäste vor dem Bild  scharten, vielleicht zum letzten Mal in Basel, war der soeben bekannt gewordene Verkauf (der Staechelin-Familientrust veräusserte es für angeblich 300 Millionen) natürlich das Thema unter den anwesenden Insidern (Herr Staechelin mit Frau und Sohn war übrigens auch da). Hier schon mal fünf Antworten auf die drängenden Fragen.

Noch in Basel: «Nafea faa ipoipo» in der Gauguin-Ausstellung in der Fondation Beyeler

Noch in Basel: «Nafea faa ipoipo» in der Gauguin-Ausstellung in der Fondation Beyeler

Frage 1: Warum verkauft der Sammler ausgerechnet sein Spitzenwerk?
Kein Zweifel, Gauguins Mädchen sind das beste und wertvollste Werk der staechelinschen Sammlung, es könnte eigentlich nur von Van Goghs «Jardin de Daubigny» unter gewissen Umständen konkurrenziert werden (das Bild mit der Katze, über dessen Authentizität viel spekuliert wurde – eine andere Version befindet sich in der geheimnisumwitterten Hiroshima-Sammlung). Die anderen Manets, Monets, Degas, Cézannes etc. sind natürlich auch äusserst wertvoll (einige wichtige sind unten aufgelistet: *), aber doch in einer anderen Kategorie. Es spricht einiges dagegen, ausgerechnet das Spitzenwerk zu verkaufen, also das Aushängeschild, nach dem die Bedeutung des ganzen Konvoluts beurteilt wird. Die Antwort gibt indirekt Rudolf Staechelin selber im Interview, das er der «Basler Zeitung» gab. Er sagt, er wolle von der gegenwärtigen Hausse des Kunstmarkts profitieren, denn wer weiss, wie lange die noch andauern wird. Diese Hausse ist eine Tatsache. Auch eine Tatsache ist, dass ausgerechnet in einer um viele Milliardäre reicher gewordenen Welt ausserordentliche Spitzenwerke einen ganz besonderen Marktwert haben. Denn teure Kunst leisten sich heute viele. Darum sind Ausnahme-Meisterwerke, die aus dem Werk eines einzelnen Malers herausstechen und als Ausdruck einer bestimmten Epoche legendär geworden sind, die allerheissesten Trophäen in einem heissen Umfeld. Die sich obendrein nur ganz wenige weltweit leisten können – diese dafür umso lieber.

* Van Gogh: «Tête d’une vieille femme», «Les harengs saurs», «Le jardin de Daubigny». Corot: «Olevano la Serpentera». Hodler: «La malade», «La morte», «Le Mont Blanc aus nuages roses». Pissarro: «La carrière, Pontoise», «Le sentier du village», «Vue de la Seine». Cézanne: «La maison de Docteur Gachet», «Verre et pommes». Picasso: «Arlequin au loup». Degas: «Femme à sa toilette». Manet: «Tête de femme». Monet: «Temps calme, Pourville» und noch ein Gauguin: «Paysage aux toits rouges».

Private View

Kunstkennerin mit unbeschränkten Mitteln: Sheikha Al Mayassa Al Thani (hier mit Robert de Niro). Foto: AFP

Frage 2: Wer ist der geheimnisumwitterte Käufer?
Vielleicht sollte es heissen: Käuferin. Denn vieles deutet darauf hin, dass das Bild nach Katar ging. Was heissen würde, dass der Kauf eine Entscheidung der Schwester des amtierenden Emirs von Katar, Sheikha Al Mayassa Al Thani war. Wenn es um grosse Gesten und raffiniertes Kennertum geht, ist sie die amtierende Königin der Kunstwelt – zumal sie über einen Ankaufsetat von jährlich einer Milliarde Dollar verfügt. Die erst 32-Jährige ist zwar keine Kunsthistorikerin – sie hat Literatur und Politikwissenschaften an der Duke University in den USA studiert –, doch ihre Kunstgeschichte kennt sie aus dem Effeff. Sie wurde als Besucherin schon manches Mal in Basel gesichtet. Für ihr künftiges Museum, in dem die arabische Kunst vor dem Hintergrund der westlichen Spitzenwerke umso heller leuchten soll, könnte dieser wunderbare Gauguin genau richtig sein. Schliesslich spricht das Bild Bände über das Verhältnis zwischen einer alten naturnahen Kultur und der verführerischen, aber auch etwas traurig machenden westlichen Moderne. Ich halte Abu Dhabi für den weniger wahrscheinlichen Anwärter auf den Spitzen-Gauguin. Denn die dortigen Museen entstehen als Joint Ventures mit Louvre und Guggenheim, und die haben eigene Sammlungen. Natürlich kauft Abu Dhabi auch eigene millionenteure Werke, bisher aber doch nicht in dieser Preisklasse.

Rudolf Staechelin vor Van Goghs «Le Jardin de Daubigny»

Ruedi Staechelin vor Van Goghs «Le Jardin de Daubigny»

Frage 3: Wird der Rest der Staechelin-Sammlung verkauft?
Die Mächtigen des Kunstmarkts zittern bereits, dass das ganze Staechelin-Konvolut verkauft wird, was zu einer enormen Erschütterung führen würde. Die Werke würden den Markt überfluten. Die Auktionshäuser würden lange keine Werke von dieser Qualität mehr bekommen. Die Provisionsbestimmungen der Auktionshäuser (Sothebys nimmt 25 Prozent) sind hart, private Verkäufe dieser Grössenordnung könnten eine brutale Konkurrenz bedeuten. Doch: Dass gerade ein Spitzenwerk veräussert wird, könnte ein Zeichen dafür sein, dass der Rest nicht zum Verkauf steht. Was Staechelin auch so sagt (wobei, wie man weiss, der Trust sich jederzeit anders entscheiden könnte).

Frage 4: Wenn die Sammlung nicht verkauft wird, wo wird sie eine neue Bleibe finden?
In Zürich sicher nicht. Mit der fest versprochenen Bührle-Sammlung hat das Kunsthaus bessere Karten im Spiel. Es wäre schlecht beraten, mit dem mittlerweile als Trouble-Maker verschrienen Staechelin-Familientrust gemeinsame Sache zu machen. Aber bestimmt sind auch die verbleibenden Werke ein ganz besonderer Leckerbissen für ein weniger gut dotiertes Museum. Nur, im Interesse der Besitzer wäre gerade ein bedeutendes Haus besser. Je bekannter das Haus, in dem die Sammlung präsentiert wird, desto höher später ihr Marktwert. Darum kann Familie Staechelin sich beim Kunstmuseum Basel ruhig bedanken. Wer weiss, ob der hohe Verkaufspreis auch erzielt worden wäre, wäre die Sammlung nicht jahrzehntelang in einem der ersten Häuser Europas ausgestellt gewesen. Man muss wohl abwarten, wer an die Spitze des Kunstmuseums Basel kommt. Die Bewerbungsfrist ist abgelaufen, die Findungskommission müsste in nicht allzu langer Zukunft ihre Wahl bekanntgeben. Vielleicht kann sich der/die Neue mit den Staechelins doch noch einigen. Ansonsten gibt es nicht wenige US-Museen, die interessiert wären. Schliesslich war die Sammlung schon mal in Texas – als der Besitzer sie aus Protest gegen die Einführung des Unidroit-Kulturgüterschutzrechts dorthin verfrachtete. Und wenn meine Fantasie mit mir durchgeht, sehe ich die gerade angekündigte Dépendance der Fondation Beyeler als ein mögliches Domizil vor meinem geistigen Auge. Das Renommee der Fondation ist riesig. Was aber heisst, dass sie auch Bedingungen stellen kann. Und die könnten hart ausfallen, denn:

Der Monet-Giacometti-Saal der Fondation Beyeler. Ihr Renomee ist riesig

Der Monet-Giacometti-Saal der Fondation Beyeler. Ihr Renomee ist riesig

Frage 5: Muss die ganze Sache mit Dauerleihgaben auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden?
Ganz sicher. Denn selten ist der Unterschied zwischen einer Dauerleihgabe und einem Geschenk deutlicher vorgeführt worden. Dabei machen doch die Museen die ganze Arbeit, die man nicht sieht: Konservierung, Aufarbeitung, Vermittlung. Und wenn es hart auf hart kommt, fragt niemand nach ihrer Meinung zum bevorstehenden Deal. Die Schweiz kennt Beispiele einer vorbildlichen Zusammenarbeit zwischen Besitzern und den Museen. Es gab aber auch schon Knatsch. Erinnert sei an den Fall Hermann Gerlinger in Bern oder an die Auseinandersetzung zwischen Baron Thyssen-Bornemisza und der Stadt Lugano, die mit dem Abzug der früher in der Villa Favorita untergebrachten Sammlung nach Madrid endete. Das Kunstmuseum Basel, das jetzt etwas verdutzt aus der Wäsche guckt, war auch schon der Gewinner eines Wettbewerbs um die Gunst einer Stiftung, nämlich im Fall der Sammlung Im Obersteg, die jahrelang vom Berner Kunstmuseum gehegt und gepflegt wurde und dann doch nach Basel kam. Ich könnte mir auch eine Lösung nach dem Beispiel der Nationalbank vorstellen: An den besten Standorten bekommen Stiftungen eine Art Negativzins aufgebrummt. Und müssen auch verbindlich die Laufzeit ihres Darlehens verhandeln.

Le Corbusiers Geisterhaus

Ewa Hess am Dienstag den 18. November 2014

Als ich letzte Woche nach Riehen fuhr, um Peter Doig zu treffen, gabs schon während der Zugfahrt Farbalarm. Als ob die Wälder entlang der Bahnlinie den für seine psychedelische Farbgebung berühmten Maler übertrumpfen wollten. Danach drehte sich ein grosser Teil meines Gesprächs mit Doig in der Fondation Beyeler um Landschaften. Und auch um jenes Wäldchen in Frankreich, in der Nähe der Stadt Briey, wo ein legendäres Gebäude von Le Corbusier steht. Es ist eine der sogenannten Unités d’Habitation oder Cités radieuses. Es gab mehrere davon, eine frühe in Marseille (1952), eine spätere in Rezé (1955), dann kam eben Briey-le-Forêt, (1959) und danach noch Firminy-Vert 1965, während deren Bau Le Corbusier gestorben ist.

Diese Unités muss man sich als Wohnblöcke vorstellen, wahrscheinlich wurde Corbusier ihretwegen immer unterschwellig vorgeworfen, dass er der Vorläufer der Plattenbauten und anderer Wohnsilos gewesen sei. Doch sie sind natürlich sehr schön auf ihre Art. Alles zwar klein, aber wunderbar ästhetisch nach Corbusiers Modulor-Konzept mit Goldenem Schnitt und Fibonacci-Reihen angeordnet.

Ansichten der Unité d'habitation in Briey-le-Forêt aus den 50-er Jahren, Peter Doigs Gemälde «Concrete Cabin» von 1994

Ansichten von Le Corbusiers Unité d’Habitation in Briey-le-Forêt aus den 50er-Jahren, Peter Doigs Gemälde «Concrete Cabin» von 1994.

Doig lernte die Unité von Briey kennen, als er mit einigen Malern und Architekten dorthin fuhr, um das Ding zu restaurieren. In Lothringen brach nämlich kurz nach dem Einzug der Einwohner in das Haus die Krise aus. Minen wurden geschlossen, Menschen hatten kein Geld. Die Unité war nicht lange radieuse, sie verkam langsam zu einem Slum, bis sie irgendwann nur noch als ein Gespenst im Wäldchen stand. In den 90er-Jahren fuhr ein Trüppchen Kunstsinniger hin, um dem Ding neuen Glanz zu verleihen. Oder wenigstens um zu retten, was noch zu retten war.

Doig begann damals mit einer Serie der Gemälde, die meistens «Concrete Cabin» oder so ähnlich heissen und schemenhafte Umrisse des Hauses zeigen, die durch ein Dickicht der Bäume zu sehen sind.

Peter Doig: «Concrete Cabin» 1991, «Cabin Essence» 1994, das gleiche Sujet als Druckgrafik

Peter Doig: «Concrete Cabin» (1991), «Cabin Essence» (1994), das Sujet als Druckgrafik.

Peter Doig, Sind Ihre Darstellungen von Le Corbusiers Bau im dichten Wald eine Kritik an der Moderne?
Nein, es war vielmehr so, dass ich von der Stimmung dieses Ortes gefangen wurde. Diese hat mich zu einer Gruppe von Gemälden inspiriert, die ich aber nicht als Gruppe malte. Sie entstanden während einer Zeitstrecke von mehreren Jahren.

Welche Rolle hat die Tatsache gespielt, dass es gerade Le Corbusier war, der dieses Haus entworfen hat?
Es hätte genauso gut ein von jemand anderem entworfenes Haus sein können. Ich hatte aber Glück, dass es gerade Le Corbusier war.

Nun ja. Sollen wir das dem Künstler wirklich glauben? Natürlich muss er eine starke Beziehung zu Le Corbusier selbst haben. Doig, muss man wissen, ist einer, der seine Kunstgeschichte im Detail kennt. Der Übervater der modernen Architektur ist für ihn bestimmt nicht irgendjemand. Doigs eigenes Familienhaus auf Trinidad – das sieht man auf manchen Bildern – ist auch ein modernistischer Betonbau. Es gibt private Fotos von Corbusier, die Doig irgendwo aufgestöbert hat und als Vorlage für Grafiken und Gemälde brauchte.

Peter Doigs eigenes Haus auf Trinidad

Peter Doigs eigenes Haus auf Trinidad.

Peter Doig, irgendetwas muss Sie an dem Gebäude fasziniert haben.
Es ist ein sehr einfaches Gebäude. Ein «Low Level»-Le-Corbusier. Wenn man es etwa mit der Unité d’Habitation in Marseille vergleicht, wirkt es wie ein Auto, das nicht einmal ein Radio hat, neben einem Luxusstrassenkreuzer. Das gefiel mir. Es ist ein wunderschönes Ding. Und der Wald rund um das Gebäude hat es mir angetan. Ja, der Wald ist essenziell. Es ist ein trauriger, melancholischer Ort.

Also doch die Melancholie der strengen Moderne vor dem Hintergrund der freien Natur?
Nein, die Traurigkeit kommt von den Gräbern.

Welchen Gräbern?
Den Soldatengräbern. Wenn man durch die lothringischen Wälder fährt, merkt man, dass hier die wichtigsten Schlachtfelder des Ersten und Zweiten Weltkriegs waren. Ich fuhr diese Strecke mehrmals von Calais her. Man fährt wörtlich durch die Friedhöfe. Weisse und schwarze Kreuze überall.

Das Haus von Le Corbusier, das eine neue, bessere, strahlende Zukunft hätte repräsentieren sollen, ist also in Ihren Gemälden ein Friedhofswärter?
Tatsächlich hat dieses Haus etwas Menschliches für mich. Wie es mit seinen dunklen Fensterhöhlen durch die Äste lugt.

Ist es böse?
Böse? Das ist ein zu starkes Wort. Es gibt eine seltsame Ausstrahlung an diesem Ort. Ich würde sie… (sucht nach einem Wort) «deathliness» nennen.

Welches der vielen Gemälde, welche diesem Ort gewidmet sind, erachten Sie als das beste?
Ganz klar «Cabin Essence» von 1994. Wir haben es zum Glück für die Ausstellung in Riehen bekommen.

Warum ist es das beste?
Ich weiss es nicht. Es zeigt das Haus nicht in einem Winkel, sondern frontal. Es drückt am besten die Stimmung aus.

Die Ausstellung «Peter Doig» in der Fondation Beyeler geht übrigens am 23. November auf. Ich überlege, ob ich vorher noch nach Briey-le-Forêt fahren soll, um den Ort zu sehen, an dem Le Corbusiers Bote der Zukunft als einsamer Grabwärter in einem verwunschenen lothringischen Wald spukt.

Auf Droge: Richter

Ewa Hess am Dienstag den 20. Mai 2014

Gerhard Richter in der Fondation Beyeler, das ist eine Verdoppelung der Superlative. Ich schaffe es erst zur 18-Uhr-Vernissage am Samstag. Die Gäste der 16-Uhr-Preview trinken noch ihren Champagner im Garten, während die Schlange vor dem Eingang, selbst für die publikumsverwöhnte Fondation auf eine imposante Dicke angeschwollen, auf den Einlass wartet. Die mit der «Betty»-Einladungskarte ausgestattete Menge (die Art-Club-Mitglieder um 16 Uhr hatten «Ella» auf dem Einladungskarton) guckt kollektiv feindselig, als ich mich an ihr vorbeischlängle.

Gruppenbild mit Bundesrat Berset (links), Schlange vor dem Haus (Mitte), Hausherr Sam Keller

Gruppenbild mit Bundesrat Berset (l.), Schlange vor dem Haus (Mitte),  Sam Keller.

Kaum drin, renne ich dem Fondation-Chef Sam Keller in die Arme. Dem beliebtesten Mann der Kunstszene ist Allüre fremd, das schmeckt bestimmt nicht nur mir wie ein Schluck sauberes Wasser. Drei Wochen lang Richter einrichten hätte alle in der Fondation glücklich gemacht, wirklich, versichert mir Keller. Sie seien alle high auf Richter-Droge und kein bisschen gestresst. «Man muss die Ausstellung sehen, wenn sie leer ist», raunt er mir noch ins Ohr, wohl in angenehmer Sicherheit, dass es nie möglich sein wird.

Am Mittag waren die Grossen da, die Leihgeber, die Sammler, und Alain Berset hielt eine Rede. «Was ist es, dass uns so fasziniert an Gerhard Richters Werk?» fragte der Landesvater und versuchte auch sofort eine Antwort darauf zu geben (bzw. ihrer viele: Vielseitigkeit, Verzicht auf eine einzige Identität, Geschichtsbewusstsein und  Bekenntnis zur Schichtenmalerei, die  auch als gesellschaftliche und politische Vielschichtigkeit zu verstehen ist. Aha, und, last but not least, Offenheit dem Neuen Gegenüber). Nice try, muss man sagen, und bestimmt trifft auch jede der Antworten mehr oder weniger zu. Allerdings ebenso auf den Maler zu, wie (in einer freundlichen Extrapolation) auf seinen Laudator.

«Ella», «Betty», «Verkündigung nach Tizian»

«Ella», «Betty», «Verkündigung nach Tizian».

Die Richter-Bekenntnis der besten Basler Gesellschaft fiel um einiges konkreter aus. Mit Hilfe der schnell in der Kaffeekasse einiger Familien gefundenen Millionen (30? 40? 50? Man spricht von einer zweistelligen Summe.) kauften sie drei grosse Gemälde für ihr Museum an. Und weil gerade vier billig zu haben waren, fragte man noch die Schaulager-Herrin Maja Oeri an, ob sie nicht den vierten noch in Alleinregie dazu kaufen würde, weil ihre Kaffeekasse doch um einiges grösser als die der anderen sei, was die Dame dann gerne tat. Die Serie stammt aus dem Umfeld der Zürcher Crex-Sammlung, hört man. Und wie Christoph Heim in der «Basler Zeitung» bestimmt korrekt vermutet, heissen die Verkäufer Robert Strebel, 83, als ehemaliger Devisenhändler einer der Gründer der Crex-Sammlung, und seine Gattin. (Und ja, es sind die gleichen Sammler, die mit den Schaffhauser Neuen Hallen jahrelang einen Rechtsstreit um ein Beuys-Werk führten. Aber das ist eine andere Geschichte).

Pressekonferenz der Superlative: Gerhard Richter, Hans Ulrich Obrist, Sam Keller

Pressekonferenz: Gerhard Richter, Hans Ulrich Obrist, Sam Keller.

Richter verachte die hohen Preise seiner Werke, heisst es immer. Die Pressekonferenz, an der er vergnügt den von nah und fern angereisten 200 Journalisten Rede und Antwort stand, differenziert die Legende. Der 82-jährige Maler präzisiert auf seine wohltuende No-nonsense-Art, dass er das viele Geld, welches Menschen bereit sind, für seine Werke zu zahlen, durchaus auch als eine Wertschätzung anerkenne. Nur dass die Summen so absurd hoch seien, findet er obszön. Da aber 50 Millionen für vier grosse Tableaus mittlerweile als ein «mäzenatischer Preis» (Formulierung des Kunstmuseums) einzustufen sind, ist ja alles i.O.

Richter stört etwas ganz anderes: Dass das fünfte Bild der Serie nicht dabei sein wird, da es dem Hirschhorn Museum in Washington gehöre. Blöderweise ist es just das Bild, welches die Serie erst verständlich macht, weil es am klarsten als Kopie von Tizians «Verkündigung» zu erkennen ist. Ohne dieses Bild müsse man meinen, die Werke seien ungegenständlich, weil ihre Verwandtschaft mit Tizian sich so weit in der Richterschen Unschärferelation verliere. (Man würde meinen, sagt der Maler, da habe einer nur so wisch-wisch gemacht. Wenn das nicht wunderbar formuliert ist?) Richters Vorschlag: eine Kopie des fünften Werks dazuzuhängen. Die grosse Aufregung im Auditorium um einen solchen «Fälschungsvorschlag» vom Meister wischt er auch schnell weg – da sei doch nichts dabei, die Technik heute erlaube eine solche Informationskopie ohne Weiteres.

Hypnotische Wirkung: eines der neusten Streifenbilder, Baaders Plattenspieler

Hypnotische Wirkung: eines der neusten Streifenbilder, Baaders Plattenspieler.

Vorläufig ist aber alles im Original und schön beieinander in den zenbuddhistisch ausgewogenen Räumen des Renzo-Piano-Baus zu sehen. Auch die Vernissagenbesucher sind mittlerweile auf Droge. Die hypnotische Wirkung von Richters Malerei entfaltet ihre Wirkung. Der kuratorische Einfall, die in verschiedenen Sälen luftig arrangierten Serien mit kleinen Knaller-Bildchen zu betonen, ist ein Geniestreich. Überwältigend der Saal mit den grauen Bildern. Das sind die selten zu sehenden Tafeln aus Mönchengladbach – einer der ersten Museumsankäufe für den Künstler. Ja, sie sind grau, diese Bilder, aber ihre Oberfläche ist bewegt. Sie nehmen mit ihrer grauen Monumentalität den Raum in Gewahrsam. Das kleine Porträt von Richters Tochter Ella als «Kontrapunkt» – so nennt es der Kurator Hans Ulrich Obrist – setzt diese Totalität schachmatt. Dabei hebt das scheue Mädchen auf dem Bild nicht einmal die Augen.

Leise: Der graue Saal mit «Ellla» und laut: «4900 Farben»

Leise: Der graue Saal mit «Ellla» und laut: «4900 Farben»

Die allerneuste Serie ist auch grau. Doppelgrau – spiegelglatte Flächen in verschiedenen Grau-Nuancen zeigen, dass auch die modernsten Bildherstellungsverfahren die Differenz nicht ausser Kraft setzen. Soviel zum Kulturpessimismus – auch diesen wischt der alte Virtuose einfach vom Tisch.

Angesichts all der betörten Menschen fange ich an, mich zu fragen, wie ein Werk überhaupt zu verstehen ist, das so perfekt ist. Irgendwie ist es doch feige, sich immer hinter der Formulierung, dass er der Bedeutendste ist, zu verstecken. Die Richter-Methode tut not, denke ich. Das Wundersame anerkennen und ihm gegenüber gleichzeitig misstrauisch bleiben. Da kommt mir Richters alter Freund und Konkurrent Sigmar Polke zu Hilfe. Polke! Die beiden deutschen Maler führten den Kunstrudel jahrelang gemeinsam an. Mal war der, mal der andere vorne. Bis nach der grossen Richter-Retrospektive im MoMA 2002 die Amis dem Neo-Klassiker verfielen. Von da an war es nur noch Richter. Und Richter. Und Richter.

Alte und neue Zeiten: Polke und Richter scherzen beim Boxen und im Bad, James Koch vor «1024 Farben»

Alte und neue Zeiten: Polke und Richter scherzen beim Boxen und im Bad, James Koch vor «1024 Farben».

Polke, seit vier Jahren tot, wird sinnigerweise gerade jetzt im MoMA mit einer Retrospektive gefeiert. Beide können mit einem einzigen Bild ganze Welten aufreissen. Polke, der mit toxischen Substanzen hantierende Alchemist, bleibt der Risikofreudigere – und der humorvollere. Polkes Bilder machen sich mit dem Zuschauer augenzwinkernd gemein. Richters Grösse lässt sich aus unserer Ameisenperspektive heraus vor allem offenmundig anschmachten.

Wie in der Kirche: Bilder aus der Serie «Bach», «Oktober 18»

Wie in der Kirche: Serie «Oktober 18» (links), «Bach»

Andächtig wie in einer Kirche schleichen wir der Serie «Oktober 18» entlang. Die grauen Bilder der RAF-Anführer verfehlen ihre Wirkung nicht. Schmale Gestalten, wie Gespenster, erzählen vom Scheitern grosser Ideen. Von den Dämonen, welche einem hemmungslosen Idealismus innewohnen. So wie Andreas Baaders Todeswaffe unbemerkt in seinem alten Plattenspieler schlummerte. Das kleine Bild dieses Plattenspielers ist das Erschütterndste der Serie.

Doch natürlich wäre eine Vernissage keine solche, wenn man nicht auch ein bisschen tratschen könnte. Maja Oeris Abfall von ihrer Doktrin, sich nicht fotografieren zu lassen, gibt zu reden. Sie hat sich an der Gartenparty des MoMA vor wenigen Tagen, an der sie Ehrengast war, in einem flammenden roten Kleid erstmals fotografieren lassen. Es waren allerdings Umstände, die ihr jede Frau gerne nachsieht. Flankiert vom James Bond / Daniel Craig und dem gutaussehnden Oscargewinner Steve McQueen (den sie im Schaulager ausstellte) konnte man doch als Dame nicht anders, als den Fotografen einfach nur freundlich zuzulächeln.

Mehr als ein Lächeln, ein ansteckendes Strahlen erhellt das Gesicht des kaufmännischen Direktors von Beyeler, James Koch. Mit einer zu Richters 1024 Farben passenden Krawatte verrät mir Koch, warum er Beyeler bald verlässt. Er geht zu Hauser & Wirth Zürich. Wenn das kein Wechsel von einem Powerhouse zum anderen ist? Da fragt man sich, was Iwan Wirth mit der Zürcher Filiale sonst noch vorhat – den tatkräftigen Koch holt man nicht einfach so. Es geht weiter!