Die Pressemitteilung war so unklar, dass man leicht verpassen konnte, um was es ging. In Rio, sogar in ganz Südamerika, schlug aber die Nachricht wie eine Bombe ein: Casa Daros macht zu. Das immense Kulturzentrum der Schweizer Mäzenin Ruth Schmidheiny in Rio de Janeiro, vor nur zwei Jahren glorreich eröffnet, ist am Ende. Das Haus soll, wie es der Euphemismus der Mitteilung ausdrückt, «einem neuen Zweck zugeführt werden». Was ist da bloss passiert?
Der aktuelle Direktor der Casa Daros in Rio, Dominik Casanova, gibt die hohen Kosten des Betriebs als Grund für die Schliessung an. Die Stiftung wolle diese Ressourcen lieber für die Organisation von Ausstellungen mit den Werken aus der Daros-Latinamerica-Sammlung in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern und weltweit nutzen. «Als private Einrichtung ohne Sponsoring» (hm, braucht man jetzt Sponsoren für Mäzene? Anmerkung von mir) sei die Casa Daros den finanziellen Aufwendungen nicht mehr gewachsen. Immer höhere Versicherungskosten und «bürokratische Schwierigkeiten» in Brasilien tragen zur Entscheidung bei.
Der künstlerische Direktor und Spiritus Rector der ganzen Sammlung, Hans-Michael Herzog, befindet sich auf einer «mehrwöchigen Südamerikareise», wie er mir freundlicherweise per SMS mitteilt. Als ich ihn gestern ausfragen wollte, stieg er gerade ins Flugzeug nach Kuba und signalisierte höflich «no comment». Der Stiftungsratspräsident Christian Verling ist auch auf Reisen, sagt aber der brasilianischen Zeitung «30 Minuten», dass man es gerne sähe, wenn das Kulturzentrum weiterbestehen würde. Nur fortan mit brasilianischem (oder sonst irgendwelchem) Geld. «Wir würden es begrüssen, wenn Casa Daros als künstlerische und kulturelle Plattform weitermachen würde. Wir sind offen für Vorschläge von Regierungen und Institutionen», sagt er. Mit dem Schliessungstermin im Dezember habe man extra den Zeitraum für einen eventuellen Neuanfang so gelegt, dass die neuen Betreiber von den Synergien mit der kommenden Olympiade von 2016 profitieren könnten. Aus Rio hört man, es habe bereits ein Treffen mit dem alarmierten Bürgermeister von Rio, Eduardo Paes, stattgefunden – ohne Ergebnis bisher.
Ach, ging das schnell! Im Januar 2013 reiste ich kurz vor der offiziellen Eröffnung des riesigen Kulturzentrums nach Rio, um mit Künstlern und Kuratoren zu sprechen (den Bericht, der damals in der «SonntagsZeitung» erschien, kann man hier lesen. Die Kolumne, die ich für die Zeitschrift «Du» schrieb, hier). Alle Zeichen standen damals auf Aufbruch und Neuanfang! Wir erinnern uns: Ruth Schmidheiny ist die Ex-Frau des Industriellen Stephan Schmidheiny. Beim Namen Schmidheiny denkt man an Zement. Aber da ist noch viel mehr, unter anderem auch die Fundación Avina, ein von Schmidheiny gegründetes grosses Hilfswerk mit Aktivitäten in 15 Ländern Südamerikas. Die Kunstsammlung Daros Latinamerica wurde allerdings komplett unabhängig von Avina ins Leben gerufen. Sie geht auf die Initiative Ruth Schmidheinys zurück, nachdem die Eheleute beschlossen, getrennt zu leben. Die Sammlung Daros, mit Daros Latinamerica nicht zu verwechseln, ein hochkarätiges Konvolut von Blue Chips europäischer und amerikanischer Kunst, das Stephan Schmidheiny von seinem früh verstorbenen Bruder Alexander geerbt hat, blieb bei ihm (es ist jetzt in der Fondation Beyeler deponiert). Ruth Schmidheiny hat seit 2000 mit dem deutschen Kurator Hans-Michael Herzog die Daros Latinamerica von null auf aufgebaut. 1200 Werke beinhaltet sie jetzt, darunter beste lateinamerikanische Künstler (etwa Cildo Meireles, Lygia Clark, Guillermo Kuitca, Doris Salcedo, Miguel Angel Rojas, Ana Mendieta).
Das Projekt Casa Daros war lange das Ziel, worauf man hingearbeitet hat. 2006 kaufte Frau Schmidheiny das alte neoklassizistische Waisenhaus im Quartier Botafogo (für 16 Millionen brasilianische Real, erzählte man mir, das wären jetzt ca. fünf Millionen Schweizer Franken, damals war es wohl mehr). Das Haus ist so riesig, dass man es, Schweizer Dimensionen gewohnt, zuerst gar nicht glauben kann: Es hat 500 Fenster! Sechs Jahre lang dauerte der Umbau – und kostete 25 Millionen Dollar. Alles vom Feinsten. Als man es damals besichtigte, mag ich mich erinnern, hatte man den Eindruck, dass weniger Perfektion es vielleicht auch getan täte. Aber na ja, Schweizer Standard. In Rio waren alle beeindruckt. Damals gab es noch einen Flügel, der nicht umgebaut war – mir hat die rohe Schönheit der alten Säle gut gefallen.

Die Struktur der Casa Daros, mit Bibliothek, Raum für Pädagogik, Café… Rot umrahmt: Der noch nicht umgebaute Flügel.
Trotz der Perfektion haben sich Schmidheiny und Herzog nicht getraut, die wertvolle Sammlung nach Rio zu zügeln. Auf Anfrage bezweifelte Herzog damals, dass die Sicherheitsstandards in Rio gewährleistet würden. Rund 20 Ausstellungen fanden aber in den zwei Jahren in Rio mit den Werken der Zürcher Sammlung und anderer Sammlungen statt, auch Performances, Vorlesungen, Künstlergespräche, Workshops… Es ist der Casa Daros gelungen, die Schwerpunkte der Sammlung in Brasilien zu präsentieren und – vor allem – einen Dialog über lateinamerikanische Kunst über Grenzen hinweg anzustossen. Und jetzt das. Aus. Man wolle weiterhin von Zürich aus die Ausstellungstätigkeit ausbauen, heisst es.
In den 15 Jahren, seit es die Sammlung Daros Latinamerica gibt, ist die Kunst aus Südamerika enorm im Wert gestiegen. Die Preise für die Werke gingen durch die Decke – das heisst, dass auch der Versicherungswert stieg und stieg. Möglicherweise ist das der Casa Daros zum Verhängnis geworden. Der Hinweis auf die «Bürokratie» könnte auch bedeuten, dass die Brasilianer bei der Ein- und Ausfuhr der Werke Stress machten. Wollte man Frau Schmidheiny zwingen, ihre Sammlung in Brasilien zu stationieren? Ist die Drohung mit der Schliessung ein Schachzug im Poker um Betriebsmodalitäten?
«Perfekter Ort für ein Casino», schreibt zynisch ein enttäuschter Leser der «Rio Times» im Kommentar zur Meldung. Hoffentlich nicht, denkt man.