Archiv für die Kategorie ‘Biennale di Venezia’

Zwei Amis in Venedig

Ewa Hess am Mittwoch den 24. Mai 2017

Ist es Zufall? Zwei Ausstellungen amerikanischer Künstler am Rande der Biennale in Venedig beschäftigen mich nachhaltiger als Christine Macels «Viva Arte Viva», also die Hauptausstellung der Biennale. Es sind Schauen von Philip Guston und Paul McCarthy.

Es sind kaum vergleichbare Ausstellungen – Gustons wunderbare Gemälde betrachtet man in den Sälen der Accademia, spazierend zwischen Säulen, mit Durchblicken auf Tintoretto und Tiepolo. McCarthys neue Arbeit ist ein Werk der Virtual Reality. Das heisst, dass man, um es zu erleben, in eine Zelle tritt, den VR-Helm anzieht und sofort dem Werk ausgeliefert ist. Trotz der Verschiedenheit der beiden Schauen stossen sie beide ein Nachdenken über die jüngste amerikanische Geschichte an – über die USA überhaupt.

Was: «Philip Guston and the Poets», Gallerie dell’accademia, Dorsoduro, bis 3. September
Paul McCarthy, Christian Lemmerz in «New Media» (Virtual Reality Art), Fondazione Giorgio Cini, Isola San Giorgio Maggiore, bis 27. August

Philip Gustons schlafender Maler und Paul McCarthys oversexte Wildwest-Girls. (Courtesy of the artist, Hauser & Wirth, Xavier Hufkens, and Khora Contemporary)

Guston und McCarthy. Zwei Prinzipien: das Feine und das Grobe. Der eine ein Feingeist mit Vorliebe für Dichtung, Verehrer der italienischen Renaissance, ein abstrakter Expressionist, aber ohne Pollocks Rage, und einer, der im Spätwerk zu einer fast kindlichen, wunderbar lyrischen Figuration zurückfindet. Der andere ist der Wilde von der Westküste. Gewalt, Macht, Körper, Sexualität, Lust und Aggression durchschütteln seine Videos wie ein konstantes Erdbeben. Seine Skulpturen – Eruptionen aus der Tiefe des kollektiven Unterbewusstseins.

Intensive Gemälde Gustons in den Sälen der Accademia. (Bild: artnet)

Ich pilgerte zuerst zu Guston. Die Schau des spanischen Kurators Kosme de Barañano ist grösser und repräsentativer, als es der Titel ankündigt. In den schönen Sälen kommen Gustons Rot- und Blautöne fantastisch zur Geltung – man sieht ganze Fluchten von Bildern! (Es sind 50 Gemälde und 25 Zeichnungen). Es kommt einem so vor, als ob man nie genug Guston-Bilder sehen könnte. Eine Intensität umgibt diese Leinwände, die durch ihre Häufung nicht nervöser, sondern ruhiger wird. Diese Bilder sind Nahrung, die unseren Hunger nach «gemalt» stillen.

Philip Guston in Rom – im Dialog mit der Antike. (Bild: courtesy gallerie dell’accademia)

Was mich vor allem überrascht und begeistert hat: Gustons Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte. Es gibt in der Ausstellung Fotos, die den Maler bei seinen Studien der Antike neben den grossen Füssen und Händen zeigen, die für uns das römische und hellenische Erbe symbolisieren. Dadurch bekommen seine eigenen Gemälde von Händen und Füssen eine etwas andere Bedeutung. Man versteht: Diese sehnigen Hände, diese dicken Füsse versöhnen die europäische Tradition mit der amerikanischen Direktheit.

Philip Guston, «The Line» (1978) und «Rome» (1971)

 

Giovanni Bellinis Madonna mit Kind (1470) und Philip Gustons «Young Mother» (1944) (Bild: Lorenzo Palmieri, ©The Estate of Philip Guston, courtesy of the Estate, Gallerie dell’Accademia, und Hauser & Wirth.)

Mich hat auch ein anderes Werk in der Ausstellung berührt, in dem man den Maler und seine Frau, die Dichterin Musa McKim, einfach schlafend im Bett sieht. Es ist ein Werk von gemalter Vertrautheit und Liebe, wie ein Gedicht, schwer und leicht zugleich. In einer anderen Zeichnung findet sich ein kleines Gedicht wieder, das in wenigen Bildern einen Abend in Rom erzählt, an dem der Maler von einer Mücke geweckt wird und durch die Strassen irrt. Das ist Guston: melancholischer Amerikaner mit Sinn für leise Poesie.

Philip Guston, «In Bed» (1977)

Guston, «Awakened by a Mosquito» (1972)

Und dann fährt man mit dem Vaporetto auf die Insel San Giorgio Maggiore, wo Venedig zu Höchstform aufläuft und sich als eine Mischung von Hafenidylle und grossartiger Klosterarchitektur zeigt. Dort haben die dänische Faurschou Foundation und die venezianische Fondazione Giorgio Cini die Kräfte vereint, um einen kleinen Ausblick auf die mögliche Zukunft der Kunst zu geben, also auf Werke in Form von Virtual Reality (lesen Sie zu VR auch den Beitrag unseres Gastautors Claudio Bucher). Es gibt dort auf der Insel auch noch zwei andere tolle Ausstellungen, von Alighiero Boetti und Michelangelo Pistoletto, und wenn Sie schon mal dort sind, müssen Sie diese beiden Grössen der italienischen Kunst auch besuchen!

Die Insel San Giorgio Maggiore mit dem von Napoleon säkularisierten Benediktinerkloster, dank der Stiftung des italienischen Industriellen Vittorio Cini restauriert und als Kulturstätte betrieben.

Jetzt geht es aber um die Amis. Und ich komme grad zur Sache: Die Erfahrung, sich jäh mit Paul McCarthys entfesselten Gestalten in einem virtuellen Raum zu befinden, hat mich beinahe umgehauen. Das hängt natürlich zum Teil mit dem bereits beschriebenen VR-Effekt zusammen, dass man sofort nach dem Anziehen des Helms den Boden unter den Füssen zu verlieren meint. Ich hatte Tasche, Notizblock, Handy in der Hand und streute das alles um mich herum in einem Versuch, das Gleichgewicht zu wahren. Man ist jäh blind und weiss nicht, was mit einem geschieht.

Paul McCarthy, Coach Stage Stage Coach, Experiment Mary and Eve (2017) (Courtesy the artist, Khora Contemporary, Hauser & Wirth)

Man ist mitten im Kunstwerk! In einem grell erleuchteten, mit einem gemusterten Teppich ausgelegten Raum schweben seltsame Damen, sie steigen aufeinander, kämpfen, missbrauchen einander, zum Teil sind sie nur halb vorhanden. Sie sind neben, unter, über einem. Manchmal fliegen sie einem mitten durchs Gesicht. Sie sind laut – sie stöhnen und schreien «Fuck you!». Mit der Zeit merkt man, dass sie alle Replikantinnen sind – es sind eigentlich nur zwei Figuren, eine ältere Brünette im roten Satinkleid und eine jüngere Blonde mit blauem Folklorekleid, die sich endlos vervielfachen.

McCarthys Replikantinnen, Figuren aus seinem geplanten Westernfilm «Stage Coach Coach Stage»

So weit ich es übersehe, ist McCarthy in seiner Generation (er ist 71 Jahre alt) der einzige Pionier der neuen Medien, und das passt gut zu ihm. Für sein oppressives Universum ist eine Veranstaltung wie dieser VR-Loop ideal. Seltsam anziehend ist die Teilnahme an seiner zombiehaften Orgie, und gleichzeitig unendlich abstossend. Dieser spezifische McCarthy-Ekel, seine verliebte Wut auf den amerikanischen Lebensstil, seine Ideale und Ikonen (hier etwa die Frauen aus den Westernfilmen) kommen einem in diesem Werk verdammt nahe. Am Schluss reisst man sich den Helm vom Kopf und versucht sich zu sammeln, während man seine sieben Sachen einsammelt.

Und dann fängt das Nachdenken an: What happened? Und ich meine nicht nur dort, in der VR-Koje auf der venezianischen Insel, unter der Bilderhaube des medial induzierten psychotischen Anfalls. Aber auch – was ist mit unserer Welt, mit der amerikanischen Kunst geschehen?

Philip Guston war 66 Jahre alt, als er 1980 starb, er ist fast vierzig Jahre älter als Paul McCarthy. Nach dem Besuch der beiden Ausstellungen kommt es einem vor, als ob man dem älteren Künstler zusieht, wie er von seinen lyrischen, traditionsverbundenen Idealen leicht melancholisch für immer Abschied nimmt. Danach trifft einen die neuere Zeit mitten ins Gesicht, wenn McCarthys Emotionen eskalieren. Dieser Künstler begehrt gegen die Gewalt und Lüge auf und merkt gleichzeitig, dass sie zu seinem Lebenselixier geworden sind.

Paul McCarthy, Coach Stage Stage Coach, Experiment Mary and Eve (2017) (Courtesy the artist, Khora Contemporary, Hauser & Wirth)

Und man denkt: Eigentlich ist auch diese kraftvolle Wut ein Privileg der Vergangenheit. Der US-Künstler Jordan Wolfson, der in dem Jahr geboren wurde, als Philip Guston starb, und der jetzt 37 Jahre alt ist, hat vor wenigen Monaten an der Whitney Biennale in New York ein VR-Werk vorgestellt, in dem ein Mensch dem anderen den Schädel zerdeppert (das Opfer war eine sehr real aussehende Puppe). Doch Wolfsons Werk war alles andere als wütend. Seine Position ist die eines Kindes, das der Fliege zuschaut, während er ihr die Flügel ausreisst. Von neugieriger Melancholie über heilige Wut zum wissenschaftlich verklärten Sadismus. What a journey we made!

 

Das Spiel mit dem Feuer

Ewa Hess am Dienstag den 26. Mai 2015

Also doch. Am Freitag haben die venetianischen Stadtbehörden die als «Isländischer Pavillon» deklarierte Installation «The Mosque» des Schweizer Künstlers Christoph Büchel geschlossen. Nach zwei Wochen der Diskussionen und staatlichen Kontrollen nach Anzeigen, teilte die Stadtverwaltung von Venedig am Donnerstag den Verantwortlichen des Icelandic Art Center und der Biennale mit, dass die Genehmigungen für den isländischen Pavillon zurückgenommen wurden. Am Freitag verweigerte man den Gebetswilligen den Zugang. Spielte Büchel mit seiner Installation willentlich mit dem Feuer?  Natürlich – darin liegt das Wesen seiner Kunst.

Nachdem ich im Beitrag «Inside Venedig» schon kurz über die Eröffnung des Kunstprojekts berichtet habe – ich war dort und die Feier hat mich echt bewegt – , will ich, liebe  Leserinnen und Leser von Private View, nochmals auf «The Mosque» zu sprechen kommen. Der Fall ist interessant. Es geht um Sachen, die uns alle angehen: Unseren Umgang mit der Religion, dem interkulturellen Dialog, und auch um unsere Bereitschaft, die liberalen Tendenzen des Islams zu stärken. Eine politische Kunst hat der Biennale-Leiter Okwui Enwezor gefordert. Etwas ist sicher: Christoph Büchels «The Mosque» löst diese Forderung besser als die beiden Haupt-Ausstellungen der Biennale ein.

Hier eine kleine Zusammenfassung der Ereignisse:

Der Auftrag Anfang 2014 erhält der Schweizer Künstler Christoph Büchel, der seit sieben Jahren in Island lebt und mit einer Isländerin verheiratet ist, den Auftrag, den isländischen Pavillon solo zu bespielen. Die Ernennung des Schweizers sei eine «Geringschätzung» isländischer Künstler, giftelt der Künstler Steingrimur Eyfjord.

Chrstoph büchel und «seine» Kirche Sta Maria della Misericordia am Campo de L'Abazia

Christoph Büchel und «seine» Kirche Sta Maria della Misericordia am Campo de L’Abazia.

Die Idee Man kennt Büchel. Seine Projekte zielen immer in die Mitte einer schwelenden sozialen Unruhe. In Venedig, der traditionallen Pforte zum Orient, sind die islamischen Kultureinflüsse auf Schritt und Tritt anzutreffen. Büchel erfährt bei seiner Recherche, dass es im historischen Zentrum der Stadt trotzdem nie eine funktionierende Moschee gab. Voilà – das ist eine Aufgabe nach seinem Gusto. Nur – und das ist der provokative Teil seines Beitrags – diese Kunst-Moschee soll in einer katholischen Kirche eingerichtet werden.

Die Suche Büchel und die Mitarbeiter des Isländischen Art Center, welches den Pavillon kuratiert, laufen sich die Füsse wund, um eine Kirche, die im Geiste einer allumfassenden Ökumene mitmachen würde, zu finden – vergeblich. Die Biennale-Leitung sieht keine Chance, das Projekt zu verwirklichen und rät ab. Büchel gibt nicht auf.

Eine Rede im perfekten Italienisch:

Eine Rede in perfektem Italienisch: Mohamed Amin Al Ahdab, Architekt und Präsident der Islamischen Gemeinde von Venedig, spricht zu seinen Schäfchen sowie den Kunst-Aficionados an der Eröffnung am 8. Mai.

Der Fund Ganz spät findet sich die Kirche: die Santa Maria della Misericordia de L’Abazia, Anfang der 70er-Jahre privatisiert und  desakralisiert (die Gegener behaupten zwar, der Akt der Desakralisierung habe nicht stattgefunden, doch die Isländer haben Belege). Die ehemalige Kirche wurde bisher als Lagerraum gebraucht und kann gemietet werden.

Die Implementierung Schnell macht Büchel Nägel mit Köpfen: Er richtet die Kirche als eine Moschee ein, mit Teppich samt aufgemalten Gebetsnischen, orientalischem Lüster, Koransprüchen über den Türen, einer Mihrab-Nische, welche die Gebetsrichtung anzeigt und einem LED-Display mit aktuellen Gebetsstunden.

Die islamische Gemeinde Venedigs strömt in «ihre» neue Moschee, im «Lädeli» verkauft man ein Arabisch-Lehrbuch, die «fratelli maroccani» intonieren Allah Akhbar an der Eröffnung

Die islamische Gemeinde Venedigs strömt in «ihre» neue Moschee, im «Lädeli» verkauft man ein Arabisch-Lehrbuch, die «Fratelli Maroccani» intonieren Allah Akhbar an der Eröffnung.

Die Eröffnung Diese gerät am Freitag, dem 8. Mai, zu einer herzerwärmenden Feier der Verbrüderung.  Mohamed Amin Al Ahdab, ein Architekt und Präsident der Islamischen Gemeinde von Venedig, dankt in einer bewegenden Rede in perfektem Italiensich für die «Magie der Kunst», welche die «Herzen der Muslime» erleuchte. Er drückt die Hoffnung aus, dass die temporäre Nutzung der Moschee während der Biennale in einer Erlaubnis für einen permanenten Betrieb enden wird. Al Ahdab sagt auch Folgendes: «Island, das Land des Eises und der Steine, hat Venedig gewärmt. Es hat dieses architektonische Juwel vom Staub befreit und es in einen Ort des Lebens verwandelt. Es war einst eine Kirche, ist jetzt eine Moschee, doch es bleibt ein Ort, wo wir alle zum gleichen Gott beten, er möge uns Frieden schenken». Dann sprechen der Reihe nach: ein Imam von Venedig, der Oberhaupt der isländischen Islam-Gemeinde (ein ehemaliger Hippie), ein italienischer Funktionär, ein katholischer Priester, die Botschafterin Pakistans und weitere lange Reihen von Menschen, die hier aufzuzählen ich nicht mal Platz hätte. Manche Männer beten vom ersten Moment an. Frauen fühlen sich auf ihrer Empore wohl, Kinder kreischen. Das Kunstvolk zieht folgsam die Schuhe aus.

"The Mosque": Innenansichten mit Lüster, Koransprüchen und Frauenempore

«The Mosque»: Innenansichten mit Lüster, Koransprüchen und Frauenempore

Die Proteste beginnen sofort nach der Eröffnung und kulminieren in einer Anzeige, die der streitbare venetianische Kunsthistoriker Alessandro Tamborini  erstattet. Er weigert sich, beim Besuch der «Mosque» seine Schuhe auszuziehen mit folgender Argumentation: Da es sich um einen Pavillon der Biennale handelt, könne es sich nicht um einen Kultort handeln. Wenn es aber ein Kultort ist, wäre es kein islamischer, für den man die Schuhe ausziehen müsste, sondern ein katholischer. Die offiziell lutherische Republik Island könne eine katholische Kirche nur widerrechtlich usurpieren und daraus eine Moschee machen. Tamborini erstattet auch Anzeige gegen den isländischen Aussenminister, der die «Schändung» einer katholischen Kirche durchführen liess.

Schuhtrageverbot in «The Mosque», die erste islamische Predigt, die Gläubiger

Schuhtrageverbot in «The Mosque», die erste islamische Predigt, die Gemeinde

Die Schliessung Die Stadtverwaltung schliesst um der Ruhe willen zwei Wochen nach der Eröffnung, am Freitag, dem 22. Mai, Büchels «Mosque». Unter dem formalistischen Vorwand, dass die Maximalzahl von Besuchern überschritten wurde. Das befriedigt weder die Gegner, die ein Exempel statuieren wollten, noch die Organisatoren, die auf eine offene Diskussion über den Umgang mit den Grundrechten der islamischen Minderheit in Italien hofften.

Eine kleine Provokation vielleicht doch: Die Inschrift über der Eingangstüre der Kirche sagt: «Sacrosanctae Vaticanae Basilicae Perpetuo Aggregata», also für ewig dem Vatikan zugeordent. Immerhin aber ist die Kirche privat, sie funktionierte schon vor der Moschee nicht als Kirche. Rechts: Die neue Inschrift

Die Inschrift über der Eingangstüre der Kirche sagt: «Sacrosanctae Vaticanae Basilicae Perpetuo Aggregata», also für ewig dem Vatikan zugeordent. Rechts: ein Koranspruch im Inneren der Kirche

Die Polemik: Es regt sich allmählich auch in den Kunstkreisen Kritik. Büchel spiele mit dem Feuer, heisst es, er provoziere eine mediale Schlammschlacht, die auch islamische Fanatiker alarmieren könnte (wohin das führen kann, hat uns Paris jüngst aufs Traurigste vorgeführt). Indem er darauf bestehe, seine Aktion in einer Kirche zu inszenieren, riskiere er verletzende Bemerkungen und befeuere eine Hetze gegen just die Menschen, bei deren Integration er helfen wollte.

Das Gegenargument: Ganz abgesehen von allen kunstimmanenten Betrachtungen (z.B., dass das Nachdenken über die kontroverse Anlage des Kunstwerks den eigentlichen gesellschaftliche Mehrwert darstellt):  Es ist immerhin erstaunlich, dass die islamische Gemeinde Venedigs sich derart dem ganzen Kunst-«Betrieb» so geöffnet hat und die internationale Kunstgemeinde in ihrer Mitte mit offenen Armen empfangen hat. Jede Bestrebung, die den offenen, modernen Islam unterstützt und in den internationalen Kontext integriert, ist Gold wert. Und wem die Vermischung von Kunst und Religion nicht geheuer ist, wird höflich gebeten, in jede andere Kirche Venedigs einen Abstecher zu machen, wo die grössten Kunstwerke der abendländischen Kunst von Touristenmassen bestaunt werden, während alte venezianische Omas inbrünstig beten.

Architekturbiennale: We love.

TA Korrektorat am Dienstag den 10. Juni 2014

Ein Gastbeitrag von Michelle Nicol
Ich habe die Architektur Biennale besucht und ich möchte, dass Rem Koolhaas für immer der Dirigent, nein der Rockstar, der Dinge ist, die mich umgeben. Koolhaas wollte eine Biennale, die nichts mit Design zu tun hat und nichts mit Architekten. «Architecture. Not Architects.» druckte er auf den Katalogrücken. Deswegen hat er sich auf das Fundamentale berufen und die Biennale «Fundamentals» genannt.

Student erklärt, Rem Kohlhaas muss reingelassen werden, Balkon der Moderne

Student erklärt die Konzepte, Rem Koolhaas muss reingelassen werden, Balkon der Moderne

Fundamental ist für Koolhaas der Zeitpunkt, wenn die Moderne jeweils akut wird. Die einzelnen Länder wurden gebeten das Thema «Absorbing Modernity 1914-2014» zu inszenieren. Der Terminus «Modernismus» ist in dieser Ausstellung verpönt und von Koolhaas ausdrücklich verbannt. Und doch flirtet jede Länderdarstellung mit den sexy Möglichkeiten der Aera, welche die absolute Öffnung der Gesellschaft versprach.

Die Schweiz, unter der Leitung von Kuratorenstern Hans Ulrich Obrist, inszeniert den «Palazzo F» nach Vorbild von Architekt Cedric Price (wir kennen den «Fun Palace») und Soziologe Lucius Burckhardt. Studenten erklären die Burckhardt- und Price-Projekte vor Ort und darüber hinaus wurden zahlreiche Künstler kuratorisch dazu gebeten. Carsten Höller’s Beitrag etwa ist ein Baum, welcher den synthetisch erzeugten Körperduft von Cedric Price verbreitet. We love.

Carsten Höllers Duftbaum, Cedric Price (rechts) mit Freunden,Leuenberger hört zu

Carsten Höllers Duftbaum, Cedric Price (rechts) mit Freunden, Moritz Leuenberger hört zu

«Elements of Architecture» heisst die Ausstellung im zentralen Pavillon der Giardini. Hier hat Koolhaas, zusammen mit Harvard Studenten und anderen Mitdenkern, eine Serie von Räumen inszeniert, welche die Geschichte der grundlegenden Architekturelemente aufarbeiten: Korridore, Balkone, Türen, Treppen – was sich langfädig anhört ist eine Entdeckungsfreude. Zum Beispiel die installatorischen Ausführungen zur Rampe. Von der Rampe für Rollstuhlfahrer bis hin zum Hippy Wohnzimmer von Claude Parent ist alles dokumentiert.

«Monditalia» heisst die Ausstellung im Arsenale. Sie zelebriert Koolhaas Liebe für Italien. Ihre Schönheit, ihre Brutalität, ihre Sentimentalität. Die rechte Seite der Ausstellung ist dem filmischen Oeuvre des Landes gewidmet. Von Stromboli über Roma bis Le Mépris. Tausend Stunden möchte man hier verbringen, um alle cineastischen Höhepunkte zu erleben und mitzufühlen.

Pessimistisch macht das für die Zukunft. Traurig. Wie soll das Land aus dieser verblühten Grandezza wieder aufsteigen? Linkerhand wird zelebriert, was es sonst auch noch gibt in Italien: Theater, Tanz, Bühne, Musik. Darüber hinaus spannende Momente wie: Bilder von Häusern von italienischen Mafiosi. Nein wirklich – sie leben in Häusern mit ganz wenigen Fenstern und ganz und gar nicht grandios.

Bitte besuchen Sie diese der Architektur Biennale unbedingt. Sie ist eine der Besten. Sie wird Sie viele Stunden beschäftigen und amüsieren. Sie will sich abgrenzen von den Feldern Kunst und Design und demonstriert dabei, dass Architektur immer schon Teil eines kulturellen Ganzen war. Und: sie besiegelt Koolhaas Liebe zum Modernismus, den er ganz und gar aus dem Diskurs entfernt haben möchte.

Michelle* Michelle Nicol. Kunsthistorikerin und Gründungspartnerin der Kreativagentur Neutral Zürich AG. Kuratorin, Kritikerin und Werberin. Bringt Kunst, Architektur und Marken zusammen.