Liebe Leserinnen und Leser, ich war nicht dort – doch die Berichte aus Miami zeigen das Bild einer nachdenklich innehaltenden Messe (falls so etwas überhaupt möglich ist). Es waren weniger Menschen da, ob wegen Zika, Trump oder der berüchtigten Fair-tigue, also grassierenden Messemüdigkeit, wer weiss. Einige Galeristen erzählen, dass gewisse US-Sammler – wir wollen hier mal keine Namen nennen – sich reicher fühlten, weil sie bereits die kommenden Steuererleichterungen der Trump-Zeit witterten. Die Partys waren weniger ausgelassen, es herrschte auch eine Unsicherheit punkto Stil: Blingbling? Anti-Blingbling? Hatten wir schon.
Was: Art Basel Miami Beach, Talk «Vaginal Globalism» von Nadya Tolokonnikowa, presented by The Hole
Wann: 3. Dezember 2016
Wo: Nautilus South Beach Hotel (at the pool)

Nadya Tolokonnikowa unterrichtet die US-Kunstszene, wie man in einem repressiven Klima ein Mensch bleiben kann. Fotos: Purple Magazine
Die New Yorker Galerie The Hole hat es wieder mal richtig hingekriegt, indem sie auf Punk setzte. Kathy Grayson, die Gründerin von The Hole, ist selber eine extravagante Persönlichkeit, sie lud die Pussy-Riot-Nadya (Tolokonnikowa) nach Miami ein, um ein «politisches Event» im Hotel Nautilus zu performen. Nadya, oder Natalya, ist in der letzten Zeit nicht mehr so stark auf dem Radar der Weltpresse, doch sie hat ihr erstes Soloalbum herausgebracht, in dem sie unter anderem «Make America Great Again» singt und in grausamen Fantasien schwelgt, was mit dem einstigen Auswanderer-Traumland passieren könnte, wenn ein sozial konservatives Regime durchgreift (die CD kam einige Wochen vor der Präsidentenwahl heraus). Nadya verarbeitet in dem dazugehörigen Video die schlimmsten Alpträume im Stil von Orwell (wobei die bösen Polizisten allesamt Trump-Perücken tragen, igitt).

«Make America Great Again»: Polizisten mit Trump-Frisur verpassen der politisch Unangepassten eine Zwangs-Brustvergrösserung, rechts: Nadya als Trump. Fotos: Youtube
Ihr Vortrag in Miami erwies sich allerdings genau als das, was der Doktor der müden Messe verschrieben hat. Die Russin ist nämlich studierte Philosophin und entschied sich, der versammelten Kunst-Intelligenzija etwas über Michel Foucault zu erzählen. Das ist bei ihr allerdings nicht Angeberei, sondern erlebte Wirklichkeit, denn das Foucaultsche «Überwachen und Strafen» kennt sie aus eigener Vergangenheit; seine Gefängnis-Theorie konnte sie in der sibirischen Praxis überprüfen. Zum Erstaunen des versammelten Publikums erlebte man am Pool des schicken Hotels keine schrille Göre, die unausgegorene Sprüche klopft, sondern eine reife und leise sprechende junge Frau, die sehr persönliche Ratschläge für ein Leben unter einem autoritären Regime geben konnte.

Links: Nadyas Pool-Lecture in Miami, rechts in der Mitte Kathy Grayson von The Hole. Fotos: Purple Magazine
Sie begann mit ihrem Steckenpferd der letzten Jahre, dem «vaginalen Globalismus», wobei sie nichts anderes meint als gleiche Rechte für alle Menschen. Warum vaginal? Weil alle, alle Menschen eben ursprünglich nicht aus Puerto Rico, Russland oder von der Elfenbeinküste kommen, sondern aus einer Frau gekrochen sind, was sie gleich und wertig macht. «Straight Outta Vagina» heisst auch ein Song zu diesem Thema auf ihrem letzten Album.
Diese Einstellung hat vieles für sich, schliesslich wurde Donald Trump, wie der Soziologieprofessor Roger Friedland in der neusten Ausgabe von «Lettre International» konstatiert, nicht als ein Politiker, sondern als ein Phallus gewählt (das Cover der neusten Nummer ziert übrigens ein schönes Bild der Schweizer Künstlerin Valerie Favre).
Friedland schreibt: «Bei dieser Wahl ging es um das Geschlecht des Staates. Donald Trump hatte sich als erigierter Phallus beworben, als sexuell aggressiver Mann, der die Regeln verletzen, Feinde zerschmettern und Amerika wieder stark machen könne. Trump war nicht mit einem politischen Programm angetreten. Die Leute haben seinen Schwanz gewählt.» Er schreibt auch: «Donald vs. Hillary: Das war ein Kampf zwischen der Faust und dem Schoss, dem Phallus und der Gebärmutter. Für Trump und seine Anhänger muss die männliche Bereitschaft zur Gewalt Vorrang haben vor der weiblichen Bereitschaft zur Fürsorge – für Kinder, für Frauen, für die Armen und die Einwanderer.»
In diesem Sinn hat Nadya den Künstlern, den Lebenskünstlern und allen Menschen, die wegen ihrer unorthodoxen Einstellung, ihrem Lebenswandel oder sexueller Ausrichtung mit Repressionen rechnen könnten, den Ratschlag gegeben, der ihr selbst durch die schwere Zeit geholfen hat: Helft anderen! An andere denken, die Schwächeren unterstützen: Das sei eine Einstellung, die stark macht. Unter Berufung auf Louis Althusser und Mikhail Bakhtin versicherte die artig in weisses T-Shirt und Pünktchen-Rock gekleidete Punkerin, dass «eine radikale Ehrlichkeit sich als eine gute Entscheidung für jeden Menschen erweisen könnte».

Nadyas Lehrmeister: Mikhail Bakhtin (1895–1975), Louis Althusser (1918–1990), Michel Foucault (1926–1984). Fotos: Wikipedia
Die charismatische Galeristin Kathy Grayson (The Hole, an der New Yorker Bowery zu Hause), eine Elevin des legendären Kunstpromotors Jeffrey Deitch, hatte also 100 Prozent recht, als sie die Pussy-Riot-Frontfrau bereits im Vorwahl-Herbst kontaktierte und sie um ihren Auftritt am Rande der Messe bat. Die politische Kunst sei so gut wie tot, sagte Grayson, doch es sei dringender denn je nötig, an das gesellschaftliche Grosse und Ganze zu denken. «Die Kunstwelt kann nicht so sorgenfrei bleiben, wie sie es jetzt zu sein scheint», gab Grayson in einem Interview mit dem Magazin «Purple» zu bedenken.
«Tut was!», predigte ihr Gast mit nur wenig russischem Akzent, «gründet alternative Kunsträume, schafft schon jetzt, aktiv, gesellschaftliche Oasen, in welchen sich alle Menschen entfalten können.» Die konstruktive Tat sei die richtige Antwort auf institutionalisierte Gewalt und soziale Repression, denn Worte allein haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Eine Portion Mut brauche es aber dazu schon. Am Schluss konnte die Punkfrau, deren Twitter-Account der Spruch «Pussy gonna win the race» ziert, sich einen kleinen Scherz doch nicht verkneifen. Sie erinnerte an die kalifornische Punkband «The Dead Kennedys», und fügte augenzwinkernd hinzu, dass «The Dead Trumps» rein phonetisch und auch von der Aktualität her fast der bessere Name wäre.