Wer ist hier das Monster?

Ewa Hess am Mittwoch den 7. Februar 2018

Willkommen im neuen Jahr, liebe Leserinnen und Leser der Private View. Ihre Chronistin hat ein kleines Winterschläfchen gemacht – zumindest was den Blog anbelangt. Doch die Augen sowie Ohren blieben offen, ich stelle also fest: Das Jahr 2018 hat genau dort wieder angefangen, wo das Jahr 2017 aufgehört hat – die Welt gleicht einem Comic.

Superman zum Selberbasteln. (Bild: Kringel/Panini)

Überall Hulks und vermeintliche Supermänner, dazwischen einige Wonderwomen, deren Superkräfte – verzeiht, Geschlechtsgenossinnen – auch nicht immer über allen Zweifel erhaben scheinen. (Selbst die gesellschaftlich notwendige #MeToo-Debatte wird zuweilen in einer kruden Comicsprache geführt, die aus lauter Sternen, Totenschädeln, Ausrufzeichen und Urrrgh oder Wow-Ausrufen besteht.)

Ich weiss ja nicht, ob Sie zu diesem Millionenpublikum gehören, welches die Nerd-Sitcom «The Big Bang Theory» (oder kurz: TBBT) ab und zu geschaut hat, aber ich schon. Die Serie begann ihren Siegeszug irgendwann in den Nullerjahren und wurde zum Überraschungserfolg, obwohl sie zumindest ihrer Form nach zu den Dinosauriern des Fernsehens gehört – eine Sitcom, die mit einer Lachkonserve unterlegt ist. Sie ist eine der letzten ihrer Gattung. Moderne Serien ticken ganz anders. Doch eines ist darin signifikant vertreten: die grosse Liebe der Nerds zu den klassischen Comics. 

Nerds, Comic, Big Bang Theory und wir: Eine Szene aus der CBS-Sitcom (via pinterest)

Da rieben sich die TV-Götter die Augen und verstanden nicht, warum alle Menschen rund um den Globus plötzlich nicht genug von sozial behinderten Computerfreaks bekommen konnten. Spätestens jetzt, zehn Jahre nach dem Start der ersten Folge, können wir die Wahrheit vielleicht aussprechen. Die TBBT-Nerds sind Brüder und Cousins dieser emotional verkümmerten Genies, die vom Silicon Valley aus unsere Wirklichkeit formen, unsere Algorithmen ersinnen und warme Luft in unsere Filter Bubbles blasen.

Das Lachen über sie erweist sich wieder einmal als eine wirksame Symptomlinderung bei Angst und Ohnmacht. Und die in der Serie beschriebene kindliche Vorliebe für einfach gestrickte Welt der Comics (sowie die ebenso kindlichen Allmachtsphantasien über Superpowers) gehören offensichtlich zu dieser glänzenden neuen Welt der Superhirne dazu.

Kein Gesicht und doch erkennbar: Tawan Wattuyas «Untitled (Trump Erased),» und «Famous Monster 4» (Courtesy The Lodge Gallery).

Aber eigentlich fragten wir uns, warum die Welt immer stärker einem plakativen Comic gleicht. Denn das tut sie, wenn man sich das Personal eines klassischen Comics vor Augen führt: Grössenwahnsinnige (und meist schizophrene) Good Guys stehen den noch grössenwahnsinnigeren (und meist paranoiden) Bad Guys gegenüber. Dazwischen absurd reiche Milliardäre und eine unkritische Menschenmenge, die mal den einen, mal den anderen zujohlt. Hand aufs Herz – kommt das Ihnen nicht bekannt vor?

Tawan Wattuya, «Monsters, Villains & Hellbent Politicians» (Courtesy The Lodge Gallery).

Mir schon, und darum war ich vor wenigen Tagen hocherfreut, auf das Werk des Künstlers Tawan Wattuya zu stossen. Tawan schreibt so über sich selbst: «Meine Heimat ist Thailand. In meiner Arbeit kann ich mich dem Sog von Politik und Gewalt nicht entziehen. Bei der Vorbereitung meiner ersten Einzelausstellung in den USA malte ich, wie das so meine Art ist, zur Entspannung, viele Aquarellbilder von alten Filmmonstern. Gleichzeitig entstanden mir unter der Hand seltsame Bildnisse von Politikern. Dann ging ich noch weiter – ich verschmolz einige Monster mit den Politikern. Die Monster und die Politiker – sie sind alle Monster.»

Tawan Wattuya, «Monsters, Villains & Hellbent Politicians» (Courtesy The Lodge Gallery).

Natürlich erkennt man, wer da gemeint sein könnte. Wladimir, Donald, Bashar al-Assad, Robert Mugabe, «Rody» Duterte, sogar der sauber gescheitelte Jared Kushner – ehrlich gesagt, verblassen neben diesen Fratzen die Klassiker Dracula, Frankenstein & Co. Neben den wahren Übeltätern, den machtgierigen und mörderischen Potentaten, erscheinen einem die Comicmonster geradezu niedlich.

Wattuyas ganzes, so wunderbar aufs Papier gezaubertes Universum ist spielerisch, voller Farbe, wild fantasierend, komisch und auf eine kindliche Art subversiv, kurz: höllisch gut.

Sympathisch geht anders: Holbeins Porträt des Heinrich VIII. (auf Schloss Belvoir in Leicestershire), Goyas Bildnis der Familie von Carlos IV. (im Prado, Ausschnitt).

Die Darstellung der verrückten Könige, Diktatoren und anderer machthungriger Monster ist natürlich nicht neu. Früher geschah das etwas diskreter.  Auch wenn die Porträts zu Repräsentationszwecken eingesetzt wurden, haben sich die Maler erlaubt, die monsterhaften Züge der Monarchen ihrem Pinsel anzuvertrauen. Etwa im berühmten Holbein-Bildnis des englischen Monarchen Heinrich VIII.

Der für seinen Frauenverschleiss bekannte Tyrann  war so etwas wie ein Vorläufer des Brexit-Denkens, masslos, misstrauisch, depressiv, rücksichtslos in der Zerschlagung der nicht anglikanischen Kirchenkultur. Und Holbeins Bild zeigt das alles: Aufgedunsenes Gesicht, rücksichtsloser Blick, zusammengepresste Lippen, bullige Grätschstellung der Beine – sympathisch geht anders.

Oder Francisco Goyas unerbittliches Porträt der spanischen Königsfamilie: das stumpf dümmliche Gesicht von Carlos IV., die boshaft stechenden Augen der Königin Maria Luise.  «Wie ein Bäcker und seine Gemahlin nach einem Lotteriegewinn», schrieb ein Kritiker damals.

«Despots with Photoshop»: Augustin Rebetez’ Ausstellung bei Nicola von Senger, Zürich.

Jüngstes Beispiel aus der Schweiz ist das Werk des jurassischen Künstlers Augustin Rebetez, das ich noch letztes Jahr in der Galerie Nicola von Senger gesehen habe. «Despots with Photoshop» heisst die grossartige Bildserie, die in ihrem Titel schon klarmacht, wie den Diktatoren zu Leibe gerückt wurde.

 Interessant, dass die in Kunst gepackte Verhöhnung der Mächtigen uns wieder nötig erscheint. Es kann nur einen Grund dafür geben: Wir trauen unserer demokratischen Befugnis, die Welt mitzugestalten, nicht mehr so recht. Die Machtfülle der Allermächtigsten ist grösser geworden, und wir können nicht viel mehr tun, als ihnen – dank der Kunst – den Vogel zu zeigen.

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