Kunst und Mode sind ein Traumpaar. Sind sie es wirklich? Man kann es auch anders sehen. Ich sehe es anders. Ich beobachte, wie sie sich immer näher kommen: Mode und Kunst, Kunst und Design, bah, sogar Kunst und Innenarchitektur verschmelzen – Stichwort «installativ». Da ist nichts zu machen, das ist nun mal so, und der Prozess wird wegen mir wohl kaum einen Stopp einlegen. Im Gegenteil, die diesjährigen Fashion Runways zeigen ein direkt inflationäres Auftreten der Kunstsujets auf Rock und Bluse. Werfen wir einen kritischen Blick darauf.

Links ein Kleid aus Diors Spring/Summer-2018-Kollektion, rechts das Vorbild – ein Werk von Niki de Saint Phalle. (Bild via Nssmag)
Dior und Niki de Saint Phalle
Niki de Saint Phalle, die Schöpferin der farbenfrohen dicken Nanas, war ja eine geborene Catherine-Marie-Agnès Fal de Saint Phalle (1930–2002), darum verwundert es kaum, dass sie ihre aristokratische Seele irgendwann zu den Dior-Kleidern zog, trotz des Bohème-Lebens, welches sie als Künstlerin führte. Die Halbamerikanerin war eine aparte Erscheinung und man sieht auf Fotos, wie sich der Dior-Chefdesigner Marc Bohan in den 1980er-Jahren bei den Haute-Couture-Anproben mit der Exzentrikerin amüsiert.

Niki de Saint Phalle 1982 bei Anproben mit Dior-Chefdesigner Marc Bohan, rechts der für sie entworfene Schlangenhut. (© Dior)
Daran möchte die aktuelle Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri anknüpfen und macht die Zeichensprache der Künstlerin Saint Phalle zum Ornament auf den Kleidern. Das Thema «Frauen als Künstlerinnen» brennt der Dior-Kreativchefin in der Seele, und man kann das gut verstehen. Bestimmt fühlt sich die erste Frau an der Spitze des legendären Couture-Hauses etwas einsam unter alle den männlichen Starschneidern der Welt. Sie lässt es bei den Saint-Phalle-Motiven nicht bewenden, nein, sie schreibt noch den Slogan der US-Feministin Linda Nochlin «Why Have There Been No Great Women Artists» von 1971 auf eines ihrer bretonischen Matrosenleibchen (kommen diese eigentlich nie aus der Mode?).

Drachen im Werk, Drachen auf Kleid: Aus der aktuellen Dior-Kollektion. (© Dior)
Das ist alles löblich, verständlich, verträgt sich gut mit dem neu entdeckten Chic-Appeal des Feminismus, aber… ist eine Dior-Robe nicht etwas Wunderbares auch ohne Kunst darauf? Mir kommt es vor, als ob diese Marriage zwischen Couture und Kunst die beiden nur degradieren würde: Dior-Kleider werden zur «Unterlage für Muster» und Saint Phalles Motive zum «Ornament auf den Kleidern». Ich weiss, Niki de Saint Phalle hat selbst mit dem Blödsinn angefangen, indem sie sich von Bohan den Schlangenhut nach dem Vorbild ihrer Skulpturen machen liess und ein nach ihr benanntes Parfüm verkaufte. Ich finde sie allerdings erfrischender als blutjunge Debütantin in einem komplett unehrgeizigen Outfit der New Yorker Modedesignerin Ceil Chapman (Bild unten).

Links das Linda-Nochlin-Matrosenshirt aus der aktuellen Kollektion, rechts die Künstlerin Saint Phalle als amerikanische Debütantin in einem Outfit von Ceil Chapman. (Bilder © Dior, via Pinterest)
Prada und Comics/Mangas von Frauen
Miuccia Prada, wir kennen sie, würde sich (und den von ihr angekleideten Frauen) natürlich niemals «Feministin» auf die Brust schreiben (remember Beyoncé?). Nicht, weil sie etwa den Feminismus nicht gut fände. Nein, weil sie so etwas Plakatives bestimmt als grob empfinden würde. Ihre Frühlingskollektion 2018 zeigte während der Mailänder Fashion Week Kleider, die subtiler an das Thema gehen.

Runway mit weiblichen «Wham Bumm !?!!» (© Prada)
Sie hat sich junge Illustratorinnen herausgepickt, deren grafische Beschäftigung mit Comic, Sci-Fi und Manga-Stereotypen auf eine für Frauen besonders unterstützende Weise geschieht. Die Ladys heissen: Brigid Elva, Jöelle Jones, Stellar Leuna, Giuliana Maldini, Natsume Ono, Emma Rios, Trina Robbins und Fiona Staples – so viele Namen! Ihre Kreativität ziert jetzt diverse Kreationen aus dem Hause Prada und verhilft den sie tragenden Frauen zum Superwoman-Selbstbewusstsein (im besten Fall, natürlich).

Weibliche Kreativität und Empowerment auf dem Kopf und auf dem Rücken. (© Prada)
Was mir besonders gut am Prada-Approach gefällt, ist, dass das Modehaus auch eine historische Position berücksichtigt, nämlich die «Miss Fury» von Tarpé Mills. Hinter dem neutralen Namen Tarpé Mills versteckte sich nämlich eine Frau, sie hiess eigentlich June Mills und hat 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, ein erstes von einer Frau gezeichnetes rein weibliches Action-Heldinnen-Duo kreiert. Die für das Gute kämpfende Weltreisende Miss Fury und ihre Gegenspielerin Baroness Erika von Kempf.

Die Comiczeichnerin Tarpé (June) Mills und ihre elegante Miss Fury (via Talking Comics, Goodreads).
Die von einem Mann gezeichneten Wonderwoman und Catwoman sind zwar ungefähr zur gleichen Zeit entstanden, doch waren am Anfang noch nicht so definiert. So hat Catwoman ihr später dazugekommenes schickes Catsuit definitiv der eleganten Miss Fury abgeschaut. Tarpé Mills war ja ursprünglich Modezeichnerin, was man ihrem Strich ansieht. Lustigerweise erinnert mich ihre Miss Fury auch sehr an Niki de Saint Phalle, die mit Flintenschüssen auf eine Leinwand ihren Eintritt in die Kunstwelt erzwang.

Kampf fürs Gute: Miss Fury und ihre spätere Schwester im Geiste, Niki de Saint Phalle (via Pinterest).
Undercover und Cindy Sherman
Das japanische Label Undercover, das ist hauptsächlich der mysteriöse Jun Takahashi. Undercover gibt es schon 25 Jahre, und in Tokio ist Takahashi bekannt als Besitzer des Kultladens Nowhere, wo er auch T-Shirts mit geheimnisvollen Buchstaben und Zeichen feilbietet.

Der mysteriöse Kreative: Jun Takahashi und das Innere seines Concept Stores «Nowhere» in Tokio. (Bilder Dazed and Confused)
Takahashi steht in der Tradition des (von John Waters geliebten) anderen japanischen Labels, Comme des Garçons. Das heisst nichts anderes, als dass auch Undercovers Kleider grosse Seltsamkeiten an den Tag legen. In den letzten Modeschauen schickte der Japaner aufwendige Barockgebilde auf den Laufsteg. Sodass der gegenwärtige Flirt Takahashis mit dem Werk von Cindy Sherman, der in gut tragbaren Hängerkleidchen mündet, eigentlich schon ein Schritt in Richtung Normalität ist.

Prinzip Zwilling: Cindy Sherman auf Kleid. (© Undercover)
Einige Kleider tragen einfach Shermans Selbstporträts als Drucke. Und doch ist der Umgang Undercovers mit dem Kunstthema insgesamt inspirierter als derjenige von Dior. Es ist eben nicht nur die abgründige Fotografin Sherman, die hier zitiert wird. Es ist vielmehr die ganze Welt des Abgründigen, die hier in Anspielungen und Inszenierungen herangezogen wird – das gefällt mir schon besser. So ist etwa der grosse Filmmagier Stanley Kubrick nicht weit – vor allem sein Film «The Shining».

Rechts die unheimlichen Grady-Zwillinge aus «The Shining» als Vorbild für die Undercover-Modeschau (links). (Bilder via Thecut)
Die Kleidchen werden in der Modeschau von finster dreinblickenden Zwillingen vorgeführt. Damit sind die berühmten Grady-Zwillinge aus «The Shining» evoziert, aber auch eine andere wunderbare Fotografin, Diane Arbus, – denn Kubricks Vision der Schwestern war von einem Foto Arbus’ nachweislich inspiriert. Um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, präsentiert Takahashi in seinem Fashion-Finale echte Zwillinge in blauen Kleidchen, von welchen eins rote Kordeln als Verzierung trägt. Iiiiii – Blut, haben wir etwa schon Halloween?

Links Diane Arbus’ berühmte Fotografie der Zwillingsschwestern aus Roselle, New Jersey, rechts Kubrik. (Bilder via Pinterest)
So kann man die Undercover-Show eigentlich als so etwas wie eine Seminararbeit zur Welt von Cindy Sherman begreifen. Mit allen Assoziationen und Einflüssen der Künstlerin in Form von visuellen Fussnoten in die Kollektion eingewoben.

Wahlverwandtschaften: Cindy Sherman, Untitled #359 (2000); courtesy Moma, und Diane Arbus, «Woman Wearing A Mask», 1967, via Pinterest.
Comme des Garçons und Arcimboldo
Takahashi hat es gut gemacht. Aber natürlich konnte seine Mentorin und Lehrmeisterin, die grosse Rei Kawakubo von Comme des Garçons, die Sache mit den Kunstreferenzen nicht einfach so auf sich beruhen lassen. Sie ist eigentlich die kunstsinnigste der Modemacherinnen, schon immer gewesen. Jetzt durfte sie auch nicht fehlen.
In der Tat: In einer Modesaison, die derart kunstversessen ist wie der Frühling 2018, hat Kawakubo einfach die ganze Kunstgeschichte in Kleider umgesetzt: Vom 16. Jahrhundert bis zur Street Art. Und zwar nicht nur als «Druck auf Kleid», sondern in ihrer skulpturalen Art: 3-D. Sie überträgt die flachen Bilder in dreidimensional bewegte Formen der Kleider und Mäntel. Ihre Stoffe sind nicht nur mit Motiven aus Gemälden bedruckt, etwa des Spätrenaissance-Italieners Giuseppe Arcimboldo (das ist der, welcher die Porträts von Menschen aus Gemüse sampelte). In Kawakubos Interpretation wird ein solcher Gemüseberg zum mobilen Kunstspektakel. Die ganze Sache noch weiter treiben könnte man höchstens, wenn man die Kleider aus Gurken und Auberginen kochte.

Rechts Giuseppe Arcimboldos Porträt aus Gemüse, links eine Kreation von Comme des Garçons. (Bild via Artnetnews)
Na, dann bin ich mal auf die Kommentare gespannt. Ihr Vergleich der Kunst in Mode und das (nicht debütantische, sondern “Postdeb” im originalen Artikel) Outfit Niki Mathews trug als bezahltes Model passt hier irgendwie nicht, denn als Model kann man sich ja nicht aussuchen, was man trägt. Dass Niki’s Modestil nicht jedermanns Sache ist, ist ja ok, aber der war halt ausgefallen und etwas verrückt in den 80gern und 90gern. Was Dior dieses Jahr für den Laufsteg und die Boutique kreiierte ist eine geniale Mischung und Reinterpretation Bohan’s und Saint Phalle’s style and vision made for a younger generation.