Tillmans’ Offenbarungen

Ewa Hess am Mittwoch den 13. September 2017

Es gibt einen Saal in der Ausstellung von Wolfgang Tillmans in der Fondation Beyeler, der mich verblüfft hat. Da sieht man Bilder von offenen Kopiergeräten, aus welchen ein mystisches Licht nach aussen dringt. Im gleichen Saal sieht man auch ein Bild von einem rot und rosa aufglühenden Himmel – interessante Inszenierung. Ich schaute mir diese Saalinstallation kurz vor dem Artist Talk mit Tillmans in Riehen an. In diesem Saal erschienen Kopierer, diese allzu prosaischen Geräte, fast wie Boten einer anderen Welt.

Was: Artist Talk mit Wolfgang Tillmans, organisiert von Fondation Beyeler und UBS
Wann: 7. September 2017
Wo: Fondation Beyeler in Riehen (Die Ausstellung dauert nur noch bis 1. Oktober – don’t miss)

Übersinnliche (und sehr sinnliche) Kleidungsstücke: Wolfgang Tillmans, «Faltenwurf, shiny», 2001, und «Sportflecken», 1996, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne (Fotos: Maureen Paley, London, David Zwirner, New York)

Und wie das manchmal einfach so, ohne Vorwarnung, passiert, haben diese Kopiererbilder meinen Blick auf das Werk des deutschen Fotokünstlers in eine ganz neue Bahn gelenkt. Ich dachte nämlich bisher an Tillmans als an einen vor allem sozial interessierten Fotografen. Und sah seine Werke als Erzählungen, Geschichten von Menschen und ihren Lebenszusammenhängen. Auch die abstrakten kann man so lesen! Als Spuren des Lebens.

Doch die Kopierer und auch die ganze Anordnung der Ausstellung in Riehen zeigten in eine etwas andere Richtung. Als ob es nicht nur um die Menschen und ihre Welt darin ginge, sondern um etwas mehr. Um was? Vielleicht um eine unsichtbare Aura (Walter Benjamin sprach von einer solchen). Mystiker aller Couleur ahnten eine «Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit» (auch der grosse britische Kunstdeuter John Berger).

Wolfgang Tillmans, dachte ich im Zug auf der Heimreise, ein Mystiker des technologischen Zeitalters? Ein Anti-Benjamin?

Wolfgang Tillmans, «Kopierer», e, 2010, und «Kopierer», a, 2010 (Photo courtesy Tillmans and Fondation Beyeler)

Wir erinnern uns, Walter Benjamin, der deutsche Philosoph im Pariser Exil, schrieb seinen berühmten Aufsatz «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» 1935, da war Faschismus in seiner Heimat so weit erstarkt, dass die visionären Köpfe einen nahenden Krieg für unausweichlich hielten. Benjamin hat in dem Aufsatz die technische Reproduzierbarkeit der Kunstwerke mit dem Aufkommen einer neuen Zeit zusammengedacht.

Die Kernaussage geht dahin (aber ich weiss, den Aufsatz kann man endlos deuten), dass unter den Bedingungen der technischen Produktion von Kunst (also in der Fotografie und im Film) die Aura des Kunstwerks «zertrümmert» werde. Dadurch komme es zu einer Emanzipation der Kunst, die aus ihrer kultischen (oder religiösen) Rolle befreit werde, die ja sowieso nur dienend war. Sie, die Kunst, erleide dadurch zwar einen Prestigeverlust, könne aber fortan für praktische Funktionen wie z. B. die Dokumentation der Lebens- und Arbeitsverhältnisse der modernen Massen verwendet werden. Der Nachteil dabei: sie wird manipulierbar (siehe die faschistische Ästhetisierung der Politik).

Artist Talks ist ein Programm der Fondation Beyeler und von UBS. Wolfgang Tillmans im Gespräch mit Kuratorin Theodora Vischer. (Foto: Matthias Willi)

Und nun sass ich im unteren Saal der Fondation Beyeler dem grossen, ruhig sprechenden und klar formulierenden Deutschen gegenüber, der von seiner Kuratorin sanft befragt wurde. Von meinem Erlebnis in der Ausstellung oben sensibilisiert, sah und hörte ich auch hier lauter Hinweise auf diese neue Sicht. Tillmans sprach etwa vom «Wunder der fotomechanischen Medien». Keine reproduzierende Klappertechnik klang da heraus, wir waren mitten in einer durchaus kultischen Metaphorik.

Und als ob das des Numinosen nicht genug wäre, doppelte der Künstler nach, mit der während des Fotoprozesses stattfindenden «Verwandlung» – weil das Bild im «richtigen» fotografischen Prozess wie aus dem Nichts auf dem chemisch vorbehandelten Träger erscheint. Ich dachte über die übersinnlich strahlenden Kopierer, über die barocken Faltenwürfe der hundskommunen T-Shirts nach, und auch daran, dass mit dem Wort Verwandlung wir schon ganz nah an der Transsubstantion der katholischen Messe waren, in der sich ja Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu verwandeln.

Weder spontan noch gestellt: Wolfgang Tillmans, Lutz & Alex on beach, 1992

Tatsächlich, wenn man Wolfgang Tillmans so vor sich sieht, kräftig gebaut, mit Turnschuhen und seinem grossen, lachbereiten Mund, dann hat man manchmal Mühe, ihn mit der Behutsamkeit seiner Bilder zusammenzudenken. Im Gespräch mit Frau Vischer kam aber so deutlich wie selten zutage, wie suchend  Tillmans’ Schaffen ist. Stets sich selbst, seinen Objekten und seiner Kamera misstrauend, tastet er sich vorsichtig an Bilder heran, die weder spontan noch beabsichtigt sein sollen.

Bei Porträts, sagte er einmal im Verlauf des Gesprächs, würde er versuchen «die Kamera wegzurechnen». Distanznahme als ein Weg zur höheren Erkenntnis. Da war er wieder, der Anti-Benjamin. Hat doch der Pariser Flüchtling von damals gerade in der «eindringenden» Art der Kamera den Unterschied zu der ruhigen Distanziertheit der früheren Porträt-Maler gesehen.

Wolfgang Tillmans in der Fondation Beyeler. (Foto: Matthias Willi)

Den Fotografien Wolfgang Tillmans kommt von vielen Menschen eine fast schon familiäre Zuneigung entgegen. Was zeichnet aber seine Bilder eigentlich aus? Er ist keiner, der einen ausgeprägten «Stil» hätte. Er fotografiert alles und wechselt souverän zwischen gänzlich abstrakten und sehr konkreten Motiven ab.

«Der Kunstwille ist der grösste Feind des Künstlers», sagt er mit seiner ruhigen Stimme während des Talks und horcht diesen Worten kurz nach. Der Künster ist  also ein Werkzeug einer höherer Macht? Hinter Tillmans  ist seine «Concorde»-Serie an die Wand gepinnt. Das Flugzeug erscheint auf diesen nicht ganz scharfen Blättern wie ein Besucher aus einer anderen Welt am Himmel – und verschwindet. Auch so eine Tillmans-Offenbarung.

Bedrohte Schönheit: Tillmans’ Bild «Ostgut-Freischwimmer» left, 2004

Zum ersten Mal wird mir in dieser Ausstellung und in diesem Talk klar, was dem modernen Fotografen Tillmans mit seinen manchmal atemberaubend schönen und manchmal irritierend chaotischen Bildern gelingt: Er schenkt dem technisch Reproduzierten die Aura des Kunstwerks wieder.

Für diese Interpretation spricht auch die Art, wie er seine Fotografien ausstellt. Mal solide gerahmt, mal als ungeschütztes Blatt an der Wand zitternd. Er habe so viel Respekt vor dem Blatt, gesteht er im Gespräch. Die Schönheit komme bedroht nun mal besser zur Geltung. Doch die Reinheit überlebe in einem Rahmen besser (falls ich mich richtig erinnere, ist sein Wort nicht «Reinheit», sondern «Purheit»).

«Concorde» 1997

Die Concorde-Serie, längst ausverkauft, habe er nie wiederauflegen wollen. Er erzählt die Geschichte ihrer «Verwaschenheit» – er habe aus Spargründen die Fotoflüssigkeiten so lange gebraucht, bis sie ganz erschöpft waren. Die Concorde-Bilder wurden mit solchen «müden» Flüssigkeiten entwickelt, sodass die Schwarztöne lila erschienen.

Dann trägt Tillmans seinen eigenen Text zur Serie vor: Concorde sei ein «supermoderner Anachronismus und ein Bild für den Wunsch, Zeit und Entfernung durch Technologie zu überwinden». Er sagt nicht «den vergeblichen Wunsch», doch dieses Adjektiv schwingt im Satz mit. Sage ich doch, die Benjamin’sche Aura. Wie heisst das im Aufsatz genau? «Einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag.» Sie ist wieder da.

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