Achtung, Hexen!

Ewa Hess am Mittwoch den 28. Juni 2017

Es war vorletzte Woche in Basel. Just als wir den Kunstbrocken, die uns der Parcours-Kurator Samuel Leuenberger gestreut hatte, quer durch die Stadt nachspürten, ging mir ein Licht auf. Ich roch es förmlich in der Luft: Die Hexen waren wieder voll da. Gut, es könnte sein, dass da ein atavistischer Instinkt in mir wach wurde, weil die sommerliche Sonnenwende vom 21. Juni nahte. Aber, und das ist um einiges wahrscheinlicher, der Gedanke könnte sich eingeschlichen haben, weil die Hexen eigentlich nie so richtig weg vom Fenster waren. Als ich also die tollen und lustigen Performances von Marvin Gaye Chetwynd in Basel sah (übrigens an einem Ort, der sich lustigerweise Elftausendjungfern nennt, was einen apokryphen Hintergrund hat), wusste ich: Es ist wieder Hexenzeit. Wie damals, in den Seventies. Und die Frage ist: Was ist jetzt anders?

Marvin Gaye Chetwynd in Basel: «The Green Room & Science Lab», eine Mischung zwischen Chemielabor und Hexenküche. Foto via Instagram

Marvin Gaye Chetwynd, muss man wissen, die wir bis vor wenigen Jahren auch als Spartacus Chetwynd kannten, ist eine Londoner Kulturfigur. Ihr richtiger Vorname ist Alalia, was in meinen Ohren sehr schön klingt. In ihren eigenen übrigens auch. Die Künstlerin, die vor einigen Jahren für den Turner-Preis nominiert war, ändert ihre Vornamen als eine Art Zauberritual. Um stärker zu sein oder vielleicht (mit Marvin Gaye) beschwingter. Am Rande der Art Basel hat die 44-jährige Britin mit ihrem «The Green Room & Science Lab» eine echte Hexenkammer kreiert, in der sie zweimal pro Tag geheime Rituale aufführte. In Zürich hat sie übrigens zurzeit eine wunderbare Ausstellung in der Galerie Gregor Staiger im Löwenbräu.

Marvin Gaye Chetwynds Installation «The Stagnant Pool» in der Galerie Gregor Staiger in Zürich, bis 8. Juli

Geheime Rituale? Man kann eine Performance nicht wirklich geheim nennen, ansonsten hat sie aber viele Attribute einer magischen Handlung. Und ihre Popularität steigt seit einigen Jahren kontinuierlich, sodass manche schon fürchten, die bildende würde sich in eine performative Kunst verwandeln.

Natürlich besinnen sich die Künstlerinnen und Künstler im Zuge dieses neu erwachten Interesses auf die uralte Tradition der Magie und der Hexerei. Was war die berühmte Parforce-Tour «The artist is present» im Grunde anderes als ein magisches Ritual, mit der Oberhexe Marina Abramovic die Besucher des Moma mit ihrem starren Blick zur Selbsteinkehr zwang?

Kollektiv WITCH bei der «rituellen Performance für Mietrechte» in Chicago, Februar 2016. Foto via Flickr

Aber auch immer mehr junge Künstler wenden sich der Hexerei zu, indem sie Hexenzirkel aufsetzen, Beschwörungsformeln aufschreiben und Workshops für Magie sowie Feminismus aufsetzen. Im Februar berichtete man über ein Performance-Kollektiv aus Chicago, genannt WITCH, das eine «rituelle Performance» aufführte, um gegen unfaire Mietpraktiken in seinem Quartier zu protestieren.

«Hexe» Juliana Huxtable, fotografiert von Alex John Beck für das Portal Artsy.

Die Künstlerin, Dichterin und Musikerin Juliana Huxtable bezeichnet sich selbst als «Cyborg, Fotze, Priesterin, Hexe und Nuwaubianische Prinzessin». Nuwaubian Nation war ein religiöser Kult, welcher schwarzen Nationalismus, UFO-Theorien und ägyptische Ikonografie zusammenbrachte.

Natürlich erinnert das an die Zeit, als die Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts die Geschichten über Hexenverbrennungen des Mittelalters zum Symbol der Frauenunterdrückung gemacht haben, ein Zeichen all der Schmerzen, die Frauen im Patriarchat zugefügt wurden. In den späteren 1960ern hiess eine der Frauenbefreiungsgruppen in den USA  W.I.T.C.H., sie wollte den Kapitalismus mit Hexenpraktiken ausräuchern.

Insignien der Nuwaubian Nation, via unnm.org

Die Aktivistin Barbara Ehrenreich (heute 75), wir erinnern uns, hielt Hexen für Heilerinnen, die vom erstarkenden Beruf der Ärzte zwecks Konkurrenzbeseitigung brutal zum Schweigen gebracht wurden. Und wir (oder die älteren unter uns) erinnern uns an die deutsche Filmemacherin Luisa Francia, die die Hexenverteufelung als einen Frontalangriff auf die weibliche Sexualität entlarvte und mit Hexentarot in der feministischen Szene der 80er-Jahre Erfolge feierte.

Künstlerische «Oberhexe» Marina Abramovic 2010 bei ihrer langen (sie dauerte 2.5 Monate) Performance «The Artist Is Present» im MoMA, Foto: Wikimedia commons

Eigentlich kein Wunder, dass jetzt, da die Errungenschaften der Seventies wie Gleichberechtigung der Frauen, Rassengleichheit und Menschenrechte allgemein an vielen Krisenherden der Erde in Gefahr geraten (womit auch die USA mitgemeint sind), die Hexen wieder stärker in Erscheinung treten. Zumal in der Ära der technologischen Machbarkeit der Angriff des «Systems» auf das, was die Hexen symbolisch verkörpern, nämlich die freie Entfaltung des weiblichen (oder des «anderen» Körpers) eine neue Dimension bekommen könnte. Denn wer weiss, wie lange genormte menschliche Ersatzkörper vom Fliessband eine SF-Fantasie bleiben.

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