So aktuell muss man sein: Mit dem Ausstellungstitel «Midnight in America» nimmt Künstler Adam Pendleton die Metaphorik des US-Wahlkampfs auf. «Morning in America» hiess die Werbekampagne Ronald Reagans, mit der er seine Wiederwahl 1984 unterstützte. Das inspirierte Hillary Clinton ihrerseits kürzlich zur Bemerkung, dass die Republikaner die einstige Hoffnung der amerikanischen Morgenröte in die ideologische Düsternis der Mitternacht verwandelt haben. («Donald Trump möchte, dass wir Angst vor der Zukunft haben und dass wir einander fürchten», war Hillarys Erklärung. Dass bereits Reagans Heile-Welt-Beschwörung in «Morning in America» nicht eigentlich fortschrittlich genannt werden konnte, blendete sie aus.) Jedenfalls, auf diese mitternächtliche Vision eines düsteren America spielt nun Pendleton an, mit seiner Installation in Eva Presenhubers Löwenbräu-Räumen. Und ja, sein Werk ist tatsächlich die sprichwörtliche «Schrift an der Wand». Vielseitig deutbar, wie das Menetekel aus der Legende von Belsazar.
Was: Adam Pendleton «Midnight in America»
Wo: Galerie Eva Presenhuber im Löwenbräu, Limmatstrasse 270 in Zürich
Wann: Vernissage am Freitag, dem 18.11.2016, Ausstellung bis 21.1.
Schwarz ist die Fetischfarbe Pendletons, «Black Dada» sein Wahlspruch. Mit seiner Performance «Revival» am Performa-Festival 2007 in New York eroberte er die Kunstwelt. Im weissen Smoking gab er da einem schwarzen Gospelchor Anweisungen für eine minimalistische Slampoetry-Session. Für einen echten Dadaisten ist sein Subtext wohl zu politisch. Aber gerade deshalb kann man seinen kraftvollen Auftritt im Löwenbräu als einen würdigen Abschluss des überfrachteten Zürcher Dada-Jahres betrachten. Er ist gleichzeitig Dada und auch seine Überwindung.

Black Dada! Die Räume der Galerie Presenhuber mit Pendletons Installation «Midnight in America».
Der Künstler versichert mir an der Vernissage, dass seine Zürcher Ausstellung eine direkte Antwort auf die gegenwärtige Situation in den USA sei. Er habe weiss Gott nicht Trump unterstützt, und doch hätte er wetten können, dass die Demokraten nicht so gut abschneiden würden. Zu bereitwillig habe sich die einst fortschrittliche Partei mit dem raubtierhaften Spätkapitalismus ins Bett gelegt. So heissen auch alle seine ausgestellten Werke «Untitled (A Victim of American Democracy)». Pendleton klagt mit den Worten seines Idols Malcolm X an, denn die Sache mit dem «Opfer der Demokratie» ist nicht etwa neu. Es ist ein Zitat aus der berühmten Rede «The Ballot or the Bullet» von Malcolm X (1964). Darin spricht der schwarze Aktivist von einer falschen Demokratie, die in den USA herrsche, es sei in der Tat keine Demokratie, sondern eine Heuchelei.
«And when I speak, I don’t speak as a Democrat. Or a Republican. Nor an American. I speak as a victim of America’s so-called democracy. You and I have never seen democracy – all we’ve seen is hypocrisy. When we open our eyes today and look around America, we see America not through the eyes of someone who has enjoyed the fruits of Americanism. We see America through the eyes of someone who has been the victim of Americanism. We don’t see any American dream. We’ve experienced only the American nightmare.» Malcolm X

Courtesy blackandbrownnews.com
Pendletons Werke sind weniger eindeutig als diese Worte. Wandfüllende Bilder, Spraybilder und Collagen bestehen aus Wortfetzen und Formen. Knisternde Intensität beseelt die Ausstellungsräume, die intellektuelle Auseinandersetzung mit den Inhalten lässt sich nicht delegieren. Im Vergleich zu seiner Installation im belgischen Pavillon an der Biennale Venedig von 2015 (das war, als ich sein Werk erstmals bemerkte), sind die neuen Arbeiten schärfer und emotionaler. Dabei war Pendleton damals schon wütend, er stand unter dem Eindruck der Unruhen wegen rassistischer Polizeigewalt in Ferguson, Missouri.

Installationsansicht in den Löwenbräu-Räumen der Galerie Presenhuber, Adam Pendleton und Galeriedirektor Markus Rischgasser in der Ausstellung.
Der Künstler ist so etwas wie ein Wunderkind. Er kam mit 18 Jahren nach New York, sein Vater fuhr ihn und seine Bilder aus dem heimatlichen Virginia mit einem Lieferwagen in die Stadt. Auch begleitete er den Sohn zu seinen Vorstellungsbesuchen in den Galerien. In der Gallery 128 an der Lower East Side fand das die Besitzerin Kazuco Miyamoto lustig und nahm eines der Bilder in ihrer Gruppenausstellung auf. Per Zufall kam Sol LeWitt in die Galerie, ihm gefiel das Bild des Unbekannten, und er tauschte es gegen eines seiner eigenen Bilder ein. Nicht jeder junge Künstler kann einen so prominenten ersten Sammler vorweisen.
Inzwischen ist Pendleton im Programm der renommierten Pace Gallery und eben neu im Programm bei Eva Presenhuber, die übrigens kurz vor der Eröffnung ihrer New Yorker Branch steht. Nachdem letztes Wochenende eine fantastische Schau des schottischen Künstlers Douglas Gordon in den riesigen Maag-Räumen der Galerie eröffnet wurde (noch bis 21.1., unbedingt hingehen!), folgen jetzt zwei Ausstellungen im Löwenbräu – nebst Pendleton auch noch Sue Williams – beide eindrücklich. Die Räume im Löwenbräu sind eigentlich «Zweitlocation» der Galerie; man staunt dennoch, wie grosszügig diese bemessen sind.

Einblick in die Ausstellung von Sue Williams (links), die «Prototypen» und die rosa Vinyl-Kaskade von Sonia Kacem (Mitte), die Künstlerin Kacem erklärt ihr Werk.
Zur gut besuchten Vernissage kreuzten Anita und Poju Zabludowicz auf, die hochkarätigen Sammler aus London, die das Werk des jungen afroamerikanischen Intellektuellen schätzen. Auch gesichtet: Modemacherin Sissi Zöbeli, Kunstsachverständiger Niklaus Künzler, ehemals Phillips-Auktionshaus, jetzt mit einem neuen Projekt on his own, Benjamin Eymère, der CEO des Mutterhauses der französischen Modezeitschrift «L’Officiel» mit Gattin Victoire de Pourtalès, Besitzerin der Galerie VNH in Paris (aktuelle Ausstellung: Michelangelo Pistoletto), Alex Ritter, Fachleiter Kunst und Bau der Stadt Zürich, Paul Tanner, ehemals ETH-Grafiksammlung, und viele andere mehr.
Natürlich hat es niemand versäumt, vor dem Vernissagendinner noch die schöne Ausstellung der Genfer Künstlerin Sonja Kacem bei der Galerie Gregor Staiger zu besuchen. Geometrische Formen aus Holz und Stahl (die Künstlerin nennt sie «Prototypen») gingen in dem schönen Raum eine spannungsgeladene Verbindung mit einer rosafarbenen Vinyl-Kaskade ein. Kacem, die im Sommer eine viel beachtete Ausstellung «Night Shift» im Centre d’Art Contemporain in Genf hatte, ist ganz sicher «one to watch».
Und hier noch ein Talk an der Art Basel zwischen der Kuratorin Jenny Schlenzka von PS1 und dem Künstler:
Black Dada is a way to talk about the future while talking about the past. It is our present moment. The Black Dada must use irrational language. The Black Dada must exploit the logic of identity. Black Dada is neither madness, nor wisdom, nor irony, nor naiveté. Black Dada: we are successive. Black Dada: we are not exclusive. Black Dada: we abhor simpletons and are perfectly capable of an intelligent discussion. The Black Dada’s manifesto is both form and life. Black Dada your history of art. Adam Pendleton, «Black Dada Manifesto», 2008