Die Wahl, diese Wahl, liebe Leserinnen und Leser von Private View, konnte die Kunstwelt nicht anders als mitten ins Gesicht treffen. Kaum hat im Kalender das Datumfensterchen auf den 9. November, also 11/9 gewechselt (als eine zufällige Gegenformel zu 9/11), machte sich auf den Social Media die Betroffenheit breit.
Der deutsche Fotokünstler Wolfgang Tillmans verbreitete das Bild der Freiheitsstatue in Tränen, Tania Bruguera verzierte die Karte der USA mit einem schwarzen Band. Es kamen viele weitere dazu – und alle diese Zeichen liefen auf die eiskalte Erwartung hinaus, welche den Fans der Fernsehserie «Game of Thrones» bekannt vorkommen wird: «Winter is coming.» Der Winter kommt, zieht euch warm an, der Kulturkrieg hat angefangen.

Kommt der Kulturwinter? Bange Erwartungen begleiten die Überraschungswahl in den USA. Bild: Game of Thrones/Cantrous via youtube
Ob das wirklich so schlimm wie erwartet kommt, wird man noch sehen. Einfach wird es allerdings nicht, denn bestimmt gehört die Kunstgemeinschaft zu jener Schicht der Bevölkerung, die neuerdings als «Elite» bezeichnet wird, ein Wort, das einen despektierlichen Beiklang bekommen hat. Nach einer neuen Auslegung gehören die Milliardäre ja nicht zur Elite, sondern zum Volk. Das heisst, sofern sie nicht in ihrer Vermessenheit die Welt retten wollen. Sondern einen gesunde Egoismus an den Tag legen.
Nun, um gute Beziehungen zu den Milliardären wäre die Kunst eigentlich nicht verlegen. Diejenigen, die Gegenwartskunst sammeln, gehören allerdings meistens zu der weltrettenden Sorte. Denn obwohl die Kunstgemeinschaft ebenso heterogen ist wie jede andere Gruppe, sind ihr querbeet zwei Werte heilig: Empathie und Inklusion. Die Gegenwartskunst ist ja aus den extremen Sensibilitäten der verschiedenen europäischen und amerikanischen Avantgardebewegungen gewachsen. Das Mitgefühl für alles Menschliche ist ihr darum ein Grundwert. Sie zieht auch stets die Differenz der Ähnlichkeit vor, die Solidarität der Ausgrenzung.
Demgegenüber steht nun die Fremdenhassrhetorik Donald Trumps, sein sexistischer und autoritärer Habitus. Die hässliche Wahlkampagne hat viele geopolitische Fronten in den USA aufgerissen, die auch einen Ausblick auf die kommende Präsidentschaft erlauben. Es wird in Trumps Regierungszeit bestimmt um mexikanische Einwanderer gehen, um Islam als Religion, um aufmüpfige Minoritäten, um den protektionistischen Umgang mit der amerikanischen Wirtschaft.

Gee Vauchers weinende Freiheitsstatue (von 2006) wurde zum Symbol der gegenwärtigen Betroffenheit der Künstler auf den Social Media, Sara Levys Porträt «Bloody Trump» sorgte schon im Vorfeld der Wahlen für eine Kontroverse (dreweatts, widewalls).
Zu Kultur hat sich der gewählte Präsident noch nicht geäussert. Aber Hand auf Herz, was hat die Kunst von diesem Paradigmenwechsel zu erwarten? Man erinnert sich noch gut an die Zeit, als New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudy Giuliani dem Brooklyn Museum befehlen wollte, Chris Ofilis Werk «The Holy Virgin Mary» aus einer Ausstellung zu entfernen, weil er den Gebrauch von Elefantenkot darin als «krank» empfand. Das Museum hat damals widerstanden, mit Giuliani als Justizminister (mit einer solchen Nominierung wird gerechnet) könnte ein solcher Streit bald anders enden.
Auch soll der neu gewählte Präsident vor den Künstlern seines Landes wenig Respekt hegen. Er soll sie für «elitistisch und pseudo» halten, wie der Journalist Richard Johnson vom Portal Page Six kolportiert. Im Verlauf des Wahlkampfs wurde die Performance-Künstlerin Marina Abramovic vom Trump-Lager des Satanismus verdächtigt. Die Renoirs, die sowohl in Melania Trumps Büro wie im goldgeschmückten Flugzeug ihres Gatten hängen, werden allgemein für Reproduktionen gehalten. Donald Trump würde lieber in Immobilien investieren, da gäbe es einen besseren Return on Investment, verriet vor einem Jahr die «Vanity Fair» in einem Porträt.

Mitgefühl und Experimentierlust, die heiligen Werte der Kunst: Shirin Neshats «Women of Allah», Chris Ofilis «The Holy Virgin Mary». (interartive, saatchi)
Eine Konfrontation mit dem neuen Polit-Establishment könnte für die Erfolg gewohnte Kunstszene also zu Blessuren führen. Und das ist vielleicht ganz gut so. Denn kritische Kultur hat oft eine Rolle in der Geschichte gespielt, wenn es darum ging, autoritäre Macht herauszufordern. Nur: Diese Kraft schien der westlichen Kunst in der letzten Zeit zu fehlen.
Das stellt unter anderem auch der New Yorker Kritiker Nato Thompson fest, in seinem erstaunlich aktuellem Buch «Culture as Weapon», soeben im Verlag Melville House erschienen. Darin beschreibt der künstlerische Leiter der sehr aktiven Nonprofit-Organisation Creative Time, wie die Kulturproduktion seit den frühen 1900er-Jahren langsam den Künstlern abhandenkam und zur Domäne von Public Relations, Werbung und Marketing wurde. Seither ist Kultur vor allem ein Mittel, um den Profit zu mehren und die Unzufriedenheit zu bemänteln.
Die Gegenwartskunst kann sich selbst durchaus vorwerfen, sich mit diesem Status quo blendend arrangiert zu haben. Wenn ihr heute angekreidet wird, sie sei zur überteuerten Spekulationsware verkommen, hat das schon eine gewisse Richtigkeit, egal, wie ehrlich jeder einzelne Künstler um seine Aussage zu ringen vermag. Höchste Zeit also, die Waffe Kunst wieder selbst in die Hand zu nehmen und sie als ein Werkzeug des gesellschaftlichen Fortschritts einzusetzen.

Aktivistische Kunst und Street-Art mischen sich in die Politik ein. (massmediaandeducation, Banksy)
Die anstehende Trump-Präsidentschaft könnte dabei als ein wirksamer «wake-up call» fungieren. Kalte Zeiten sind nicht selten ein Ansporn zur kulturellen Erneuerung. Wir erinnern uns an den Prägnanzsprung in der britischen Kunst in den Thatcher-Jahren. Grossartig wütend wendeten sich die Young British Artists damals gegen soziale Ungerechtigkeiten aller Art – in einer eiskalten Lagerhalle im Norden Londons. Der Name dieser Ausstellung, «Frieze», passt zu Winter, doch ironischerweise trägt jetzt eine kommerzielle Messe den Namen. Schade, denn Worte und Bilder, die einer inneren Notwendigkeit und nicht einem Gewinnstreben entspringen, werden einfach besser gehört und gesehen.
Erwartungsgemäss wird der Run auf die teuren Blue Chips der Gegenwartskunst anhalten – denn die Zeiten bleiben unsicher und die Kunst ist ein passabler Geldanker. Es liegt also an den Künstlern selber, aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit herauszutreten und die Saat der Toleranz, der Experimentierlust und fragiler Menschlichkeit in die Welt zu tragen. Und bitte, Ohio, Michigan und Pennsylvania dabei nicht vergessen!

Man nimmts mit Humor: Wir werden es überkämmen! Ein Artwork der Gemeinschaft @libertymaniacs.com
Interessanter Artikel, aber etwas kommt zu kurz:
Bedeutende Kunst entsteht aus innerer Notwendigkeit. Ja, aber in unserer desillusionierten Zeit wievielen Menschen liegt Politik wirklich noch am Herzen? Ich will nicht sagen, Politik sei nicht wichtig, aber frage ich mich, wie oft politische Kunst aus dem Innersten eines Menschen kommt?
Lieber Leser Burak, bestimmt ist eine rein ideologisch motivierte Kunst, egal in welche Richtung die Ideologie zeigt, eher Propaganda denn Kunst. Es muss schon aus einem herausbrechen, wie Sie das richtig sagen. Mit Gruss , EWH
Wunderbarer Beitrag, Frau Hess.
Ernsthaft. Finde Ihre Beiträge beizeiten erfrischend ehrlich. Ich befürchte leider, dass der ersehnte Paradigmenwechsel die Kunstwelt erneut nicht wirklich erreichen wird. Die ikonographische “bloody”-xy-Tumblr-Kunst und die Street Art sind doch Eintagsfliegen. So rasch langweilig wie dazumals die YBA. Kunst als Waffe konnte man nie bezahlen. Herbe Provokation langweilt nur noch. Den Nerv trifft kaum jemand. Die Kunst hat grössere Probleme mit sich selbst als mit einem Trump.
Lieber Leser Morgenstern, Sie haben recht mit Ihrem Einwurf, natürlich. Im gleichen Masse wie die Literatur oder die Musik Ihre Mühe haben, zappelt auch die Kunst in der Falle des “nothing new”. Und doch entstehen immer wieder wunderbare Kunstwerke, auch die der YBAs sind längst nicht alle nur Eintagsfliegen, wie ich finde. Ich halte jedenfalls weiterhin Ausschau, nach einem Kunstwerk, das nicht lockerlässt.
Sie sagen es, Herr Morgenstern. Im neoliberalen Zeitalter ist die Kunst nur noch Systemfunktion, sie hat kein Vermögen mehr, die Gesellschaft zu verändern, sondern nur noch dieses System zu erhalten. Jede Hochkultur bricht irgendwann, und dann entsteht etwas Neues. Jede Hochkultur dachte, dass sie die Zivilisation zu Ende gedacht hätte; das ist halt nicht so.
Die ewigen Bettler fürchten um ihre Pfründe. Es könnte ja durchaus sein, dass “Kunst” überhaupt nicht den Stellenwert hat, den ihr die Künstler geben. Vor allem nicht, was finanzielle Förderungen angeht. Wenn sich “Künstler” denn wirklich dauernd in die Politik einmischen müssen, so sollen sie eben Politiker werden und selber irgendwo kandidieren. Ständig nur überall rumzupinkeln, und die Angepissten um Geld für Getränke anzubetteln ist keine Art.
Ich meinte eigentlich nicht den gefährdeten Fördertopf, lieber Leser MS, sondern die Freieheit des Ausdrucks. Und es könnte genausogut sein, dass “Kunst” einen viel grösseren Stellenwert hat als ihr die Künstler geben, nicht wahr?
Es könnte ja aber wiederum auch sein, dass der Streit, die Angst und Ihr Gesichtsverlust nicht den Stellenwert hat, den Sie lieber Bürger ihm geben. Vor allem nicht, was finanzielle Förderung angeht. Es ist immer eine Frage des Standpunktes. Ich auf jedenfall käme mir blind vor, hinter dieser Mauer aus fehlender Akzeptanz und Liebe gegenüber dessen, was es heisst, Mensch zu sein.
Ist es nicht schön anzusehen und anzuhören?
Werden Werte und Normen in Frage gestellt?
Dann ist es nach der neuen Auffassung keine Kunst.
Und gehört ganz sicher weder gefördert noch verbreitet.
Vor allem wenn es der Nation nicht huldigt…