Politisches Roulette

Ewa Hess am Mittwoch den 19. Oktober 2016

Liebe Leserinnen und Leser, heute Dienstag erreicht mich die Nachricht, dass die kubanische Künstlerin Tania Bruguera sich auf ihrer Heimatinsel der Präsidentschaftswahl 2018 stellen will – als Kandidatin für das höchste Amt im Land. Sie erklärt ihre Absicht und die Gründe, die sie zu dieser Entscheidung führen, in einem Video, das während des Auftritts des Schweizer Superkurators Hans Ulrich Obrist am Creative Time Summit in Washington, DC, ausgestrahlt wurde. Hier schon mal das Video – der Verständlichkeit wegen, weil wir ja nicht alle des Spanischen mächtig sind – mit englischen Untertiteln.

Tania Bruguera, wir erinnern uns, ist die mutige Artivistin (ein neues Wort für künstlerisch inspirierte Aktivisten), die sich auf Kuba den Mund nicht verbieten liess und dafür Repressionen ausgesetzt war, sogar ins Gefängnis kam. Damals – Anfang 2015 – rief Bruguera ihre Landsleute dazu auf, sich auf den Revolutionsplatz in Havanna zu begeben und ihre Wünsche für das Land frei zu äussern. Jetzt ruft sie alle auf, als Präsident oder Präsidentin zu kandidieren. Sie geht schon mal mit dem guten Beispiel voran und sagt: Ich will.

Tania Bruguera zeigt Verletzungen, die ihr im kubanischen Gefängnis zugefügt wurden

Tania Bruguera zeigt Verletzungen, die ihr im kubanischen Gefängnis zugefügt wurden. (Foto: via Facebook)

Warum eigentlich nicht? Eine solche Kandidatur müsste nicht reine Utopie sein, wäre das nicht eben Kuba, wo das Einparteiensystem ein etwas weniger demokratisches Auswahlprozedere für die neue Präsidentschaft vorsieht. Wenn Raúl Castro, der 85-jährige Bruder von Máximo Líder Fidel, 2018 wie angekündigt zurücktritt, wird die kubanische Nationalversammlung – und nicht das Volk – den neuen Präsidenten bestimmen.

Wie die Zeit vergeht: Brüder Castro regieren Kuba seit mehr als einem halben Jahrhundert vierhändig.

Wie die Zeit vergeht: Die Brüder Castro regieren Kuba seit mehr als einem halben Jahrhundert vierhändig. (Fotos: NPR, AP)

Brugueras Aktion zielt genau auf diesen Umstand und möchte aufzeigen, dass auch in Kuba das Volk stärker in zukunftsträchtige politische Entscheidungen involviert werden könnte. Ähnlich wie in ihrer Performance auf dem Revolutionsplatz möchte Bruguera ihre Landsleute dazu aufrufen, «die Wahlrunde zu nutzen, um ein neues Kuba aufzubauen, eines, in dem die Kultur der Angst überwunden werden kann und die Verantwortung nicht nur einigen wenigen vorbehalten bleibt».

In ihrer Performance «Self Sabotage» in Paris und Venedig 2009 spielte Tania Bruguera während eines Vortrags, in dem sie ihre Gedanken zur politischen Kunst darlegt, russisches Roulette mit sich selbst. (Foto: via chicagoartmagazine.com)

In ihrer Performance «Self Sabotage» in Paris und Venedig 2009 spielte Tania Bruguera während eines Vortrags, in dem sie ihre Gedanken zur politischen Kunst darlegt, russisches Roulette mit sich selbst. (Foto: via chicagoartmagazine.com)

So weit so gut. Ich halte sehr viel von Artivisten aller Couleur. Die politische Dringlichkeit verleiht den künstlerischen Aktionen eine grosse Intensität und das kommt auch der politischen Aussage zugute. Ich bewundere die Mexikanerin Teresa Margolles, die den in ihrem Land herrschenden Drogenbandenterror mit erschütternden Kunstwerken anklagt (nicht selten benutzt sie dazu Flüssigkeiten, die Leichen entstammen).

Die Pussy-Riot-Girls haben mit ihren frechen Aktionen das geschafft, was nicht einmal der US-Präsident und andere Präsidenten der westlichen Demokratien vermögen: dem mächtigen Putin eine lange Nase zu ziehen (und sie mussten dafür in den Arbeitslagern schwer büssen).

Ich halte auch die Verdienste Ai Weiweis für sein Land China hoch – zeigt er doch mit seiner differenzierten Protesthaltung, dass man seine Heimat lieben und doch mit dem Kurs seiner Regierung nicht einverstanden sein kann. Auch er musste dafür ins Gefängnis und liess sich dadurch nicht brechen.

Artivisten (v.l.): Die Sängerin des Todes Teresa Margolles, die frechen Punkerinnen Pussy Riot während ihrer legendären Performance in einer Kirche in Moskau, Ai Weiwei, der eine typische Geste macht

Artivisten (v.l.): die «Todeskünstlerin» Teresa Margolles, die frechen Punkerinnen Pussy Riot während ihrer legendären Performance in einer Kirche in Moskau, Ai Weiwei und seine typische Geste. (Fotos: Wales News, AP, International Documentary Association)

Auch halte ich die Vorwürfe, dass diese Künstlerinnen und Künstler das alles nur machen, um ihre Karriere zu befördern, für zynischen Quatsch. Wer immer solche Vorwürfe von sich gibt, soll mal selbst, in seinem eigenen Kreis, den zivilen Ungehorsam versuchen, etwa dem Arbeitgeber gegenüber – mal sehen, wie einfach das ist.

Ob aber – und hier kommt mein grosser Zweifel – Künstler gute Präsidenten abgäben? Bei aller Liebe – sicher nicht. Warum das so ist, liegt am Wesen der Kunst. Was sie, die Kunst, so ausserordentlich macht, ist jede Missachtung der Pragmatik. In der Kunst darf man aufs Ganze gehen, Ungeheurliches ausprobieren, weil Kunst ein Labor ist.

Artist for President: Angesichts der absurden Züge des US-Wahlkampfs kommt man auch in den Staaten auf die Idee. Links: Kampagnen T-Shirt für den kalifornischen Skandalkünstler Paul McCarthy, rechts: Susanna Dakins Kampagne lief 2011 als Kunstaktion.

Artist for President: Angesichts der absurden Züge des US-Wahlkampfs kommt man auch in den Staaten auf die Idee. Links: Kampagnen-T-Shirt des kalifornischen Skandalkünstlers Paul McCarthy, rechts: Susanna Dakins Kampagne lief 2011 als Kunstaktion.

Darum sind Künstler oft tollkühn in ihren Fantasien. Sie sollten es sein. Und wenn sie in die Nähe von gefährlichen Geisteshaltungen kommen (wie etwa Jeff Koons, dessen Forderung nach totaler Verschmelzung mit dem Kunstwerk durchaus etwas Totalitäres hat), drücken sie das innerhalb eines ästhetisch organisierten Universums aus und niemand kommt dadurch ernsthaft zu Schaden.

Im Gegenteil, die Gesellschaft kann sogar von diesem «Flirt mit dem Teufel» profitieren. Die Kunstbetrachter können versuchsweise in den Abgrund blicken, seine Düsternis erkennen und in der wahren Welt der Versuchung gestärkt begegnen.

Tania Brugueras Werk «Untitled (Havana 2000)» wurde vom Museum of Modern Art in New York angekauft. Screenshot: Vimeo/Foto: MoMA Press Office

Tania Brugueras Werk «Untitled (Havana 2000)» wurde vom Museum of Modern Art in New York angekauft. Screenshot: Vimeo/Foto: Moma Press Office

Nach Kunstprinzipien regieren würde aber heissen, irrational regieren. Etwa Rom abbrennen lassen, um schöner dichten zu können – wie Kaiser Nero. Oder um eines ästhetischen Konzepts willen mit Menschenleben spielen. Wäre etwa Picasso ein guter Staatsvater gewesen? Niemals! Das weiss man nämlich aus seiner Biografie: Seine künstlerische Unerbittlichkeit ging mit seiner menschlichen Rücksichtslosigkeit Hand in Hand.

Strenges Urteil: Zumindest für hohe politische Ämter stimmt die Aussage des senegalesischen Sängers Yousou N' Dour. Foto via az quotes

Strenges Urteil: Zumindest für hohe politische Ämter stimmt die Aussage des senegalesischen Sängers Yousou N’Dour. Foto via az quotes

Darum kann ich mit dem streitbaren Kunstkritiker des «Guardian», Jonathan Jones, nicht einig gehen und «vote Bruguera» empfehlen. Ich werde jederzeit Brugueras Performance unterstützen, sie anschauen, darüber schreiben, sie weiterempfehlen, doch als wirkliche Präsidentin wähle ich lieber eine andere.

3 Kommentare zu “Politisches Roulette”

  1. Eliane Schneider sagt:

    Von einer (Kunst)Theoretikerin erwarte ich ein etwas sorgfältigeren und differenzierteren Beitrag zu diesem Thema. Zum Beispiel das Auseinanderhalten von der Kunst als Gebiet, Diziplin, Fertigkeit, Beruf und den Künstlern, Menschen also, die sich damit befassen, es machen. Sie transportieren nicht nur ein völlig verengtes klischiertes Bild vom Künstler, z.b. dass dieser nur irrational vorgehe, sie setzen ihn auch gleich mit einem amtierenden Wahnsinnigen wie Nero, der aber vermutlich von Kunst gar nichts verstand, sondern nur Macht hatte ohne Kontrolle durch andere. Und so nebenbei gesagt: wir haben in unserer obersten Regierung auch eine (ehemalige) Künstlerin: Simonetta Sommaruga.

  2. Isabelle Durrer sagt:

    sehr guter Text, danke Ewa!

  3. Sigi Neukomm sagt:

    Künstler, bzw. ihre Arbeit ist ja schon länger lediglich für die Portfolio-Diversifizierung der 1% da. Von diesem Standpunkt aus hätten sie schon beste Verbindungen zu den wahren Entscheidungsträgern in der Politik. Einen Unterschied würde es demnach nicht wirklich machen.