Seien wir ehrlich: Wir leben in einer Welt, in der nur das Gewinnen zählt. The winner takes it all, sang Abba. Das war eine Prophezeiung, auch wenn sich die Songzeile erst mal auf das Scheitern einer Liebe bezog.
Paradoxerweise haben sich die Gewinner der neuen ökonomischen Ordnung, die omnipotenten Multimillionäre, in eine Kunstrichtung verliebt, welche auffallend oft das Scheitern zum Thema macht: in die zeitgenössische Kunst. Diesen komplexen Sachverhalt machte das Auktionshaus Christie’s zum Thema einer Verkaufsveranstaltung – und gewann damit auf der ganzen Linie. Dies ist die Geschichte des «Bound to Fail»-Abendverkaufs von Christie’s, an dem am Sonntagabend in New York beinahe 80 Millionen Dollar umgesetzt und bis auf ein einziges alle Werke verkauft wurden.
Was: Evening Sale «Bound to Fail» von Christie’s
Wann: Sonntag, der 8.5.2016
Wo: Rockefeller Plaza, New York

Maurizio Cattelan, «Him» von 2001, verkauft für $ 17’189’000 (inkl. Käuferkommission). Die nur einen Meter hohe Skulptur zeigt einen knienden Hitler, das Gesicht wie im Schmerz verzerrt. Bereut er? Bittet er um Verzeihung? Oder bedauert er, nicht gesiegt zu haben? Cattelans Werk stellt wie immer viele Fragen, die mitten ins Gewissen zielen. © Maurizio Cattelan (alle Werkabbildungen Courtesy Christie’s)
Früher war das so: Die Aktionshäuser verkauften, was ihnen gerade so an Kunst angeboten worden ist. Manchmal traf es den Nerv der Zeit und verkaufte sich gut, manchmal eben nicht.
Heute geht das oft anders. Begabte Auktionshaus-Kuratoren versuchen zu erahnen, was gerade ein wichtiges Thema sein könnte, und suchen aktiv nach Werken, die dazu passen. Dem Verkauf wird ein Titel verpasst, der die ganze Sache auf den Punkt bringt und eine Versteigerung in ein geschichtsträchtiges Ereignis verwandelt. Die erhöhte Intensität bleibt nicht ohne Einfluss auf die Kaufbereitschaft, wie gerade das Beispiel der «Bound to Fail»-Auktion zeigt.

Loïc Gouzer, Deputy Chairman Postwar and Contemporary Art, Christie’s
Der kluge Kopf hinter dem Event war diesmal ein Schweizer, der nur 35-jährige Genfer Loïc Gouzer, Christie’s «deputy chairman postwar and contemporary art», also eine Art Sparten-Vizedirektor, oder was der Titel auch immer heissen mag. Gouzer hat schon «Looking Forward to the Past» orchestriert, die berühmt gewordene kuratierte Auktion vom Mai 2015, an der Picassos «Les Femmes d’Alger» von 1955 für fast 180 Millionen Dollar verkauft und so zum am teuersten verkauften Kunstwerk wurden.
Gouzer, der aus einer reichen Familie kommt (die ursprünglich mit Austernverkauf ihr Geld gemacht hat und der ein Teil Genfs gehört), ist befreundet mit einigen der Darlings der neuen Schickeria und weiss, wie sie ticken. Mit Leonardo di Caprio verbindet ihn nicht nur Freundschaft, sondern auch das Engagement für die Umwelt, sie haben schon gemeinsam Werke erworben (Private View berichtete hier).

Gab der Auktion den Titel: Bruce Naumans Gusseisenskulptur von 1970 mit dem Titel «Henry Moore Bound to Fail». Sie zeigt Bruce Naumans auf dem Rücken zusammengebundene Hände. Ein Sinnbild für die Fähigkeit eines Künstlers, gerade seine Schwäche in Stärke umzumünzen.
Paris Hilton, die jetzt öfter in New York anzutreffen ist, seitdem sie das Kühestreicheln in Schindellegi aufgegeben hat, hauchte nach der Auktion am Sonntag den anwesenden Reportern ins Mikrofon, dass «Loïc ein sehr guter Freund» von ihr sei. Kelly Crow, die allwissende Auktionsberichterstatterin des «Wall Street Journal», twitterte zudem, dass sie den Hollywood-Beau Christian Slater in der Menge gesichtet habe. Dabei fand die Auktion ungewöhnlicherweise an einem Sonntag, und das schon um 17 Uhr, statt. Manche kamen ausser Atem, weil sie die letzten Cocktails der Kunstmesse «Frieze» noch austrinken mussten.

Bildersuche per Instagram.
Man kann nicht sagen, dass Gouzer nicht wusste, was er wollte. Er wusste es ganz genau. Nach Werken seiner Wahl suchte er unter anderem auf Instagram, vor aller Augen.
Zu Martin Kippenbergers Skulptur «Martin, ab in die Ecke und schäm dich» schrieb Gouzer auf Instagram etwa: «would kill to have it in #boundtofail auction and ready to offer significant money for it – any ideas?» Worauf die Sammlerin und Art Advisor Eleanor Cayre kommentierte: «Finde es, Loïc, ich gebe eine Garantie dafür!» Womit sie auf die Gepflogenheit anspielte, dass man den Anbietern einen Preis im Voraus verspricht, egal wie die Auktion dann läuft.
Nun, diesen Kippenberger fand Loïc nicht, dafür den schönen gekreuzigten Frosch «Zuerst die Füsse», der dann auch für 1,325 Millionen Dollar verkauft wurde, eine gute halbe Million höher als geschätzt.

Martin Kippenberger, «Zuerst die Füsse», mit Autolack bemalte Holzskulptur, 1990, verkauft für $ 1’325’000. «Fred the Frog» des Künstlers Alter ego hängt häretisch am Kreuz. Was für grosse Entrüstung der Kirchenkreise sorgte, ist im Grunde ein trauriges Selbstbildnis des Künstlers selbst, mit Bierkrug und Spiegelei. Kippenberger, der sich selbst nie ernst nahm, beeinflusst nach wie vor ganze Generationen von Künstlern.
Aus Schweizer Sicht höchst erfreulich: Natürlich hat der Genfer eine bessere Kenntnis der Schweizer Szene als die Amis. Und placierte in seiner illustren Verkaufsschau einige CH-Helden, die ein glorreiches Werk aufweisen, aber noch nicht die exorbitanten Preise der deutschen Grossmeister erzielen. So setzte «Bound to Fail» (oder, wie manche spotteten, «Bound to Sell») Marktrekorde für die helvetischen Stars John Armleder und Olivier Mosset. Höchste Zeit, dass ihr Werk auch preislich zum Weltniveau aufschliesst.

Schweizer Maximalismus und Minimalismus schliesst preislich auf. Links: John Armleder, «Chabasite» von 2003, Acryl auf Leinwand, verkauft für $ 221’000. Rechts: Olivier Mosset, Untitled von 1969, verkauft für $ 137’000.
Auch einige Italiener profitierten von der dekadenten europäischen Stimmung (in der düstere Vorahnungen des Versagens gefeiert werden). Der kleine kniende Hitler von Maurizio Cattelan, eine Skulptur namens «Him», kroch langsam von den geschätzten 10 bis auf 15,2 Mio. Dollar (17,2 mit Käuferkommission).
Und eine fotografische Arbeit der 45-jährigen italienischen Künstlerin Paola Pivi ging für 227’000 Dollar weg, auch für sie ein Marktrekord. Es bleibt mir persönlich komplett unverständlich, warum ein sehr schönes Kartoffelfeld von Sigmar Polke nicht verkauft wurde – es war das einzige Werk, auf dem das Auktionshaus sitzen blieb. Ich hätte es sehr gern gekauft, wenn ich eine schwerreiche Sammlerin wäre (bin aber weder das eine noch das andere).

Paola Pivi, «Untitled (Donkey)», Fotoprint, 2003, verkauft für $ 227’000. Mitten im blauen Ozean eine verlorene Kreatur. Wo gehört sie hin? Wird sie jemand retten? Eine simple Metapher, die viele unserer Ängste anspricht.
Das war also der Anfang der Frühlingsauktion-Saison in New York. Obwohl die Preise angesichts des komplexen Themas moderat blieben (im Vergleich zu den exorbitanten Zuschlägen an anderen kuratierten Auktionen), muss man sagen, dass das Event alles andere als eine Niederlage war. Im Gegenteil, man müsste fast eine andere Songzeile, die von Bob Dylan, bemühen, der einst sang «there’s no success like failure» (wenn auch bei Dylan die Aussage sofort ins Gegenteil verkehrt wird, «but failure’s no success at all»).
Aber zurück zur Auktion – sie zeigte, dass eine Abkühlung des Kunstmarktes auch ihre guten Seiten hat. Sie erlaubt den Anbietern und den Käufern, die schwierigen Kunstwerke so richtig aufs Pedestal zu stellen, auch wenn sie nicht die absoluten Preiskönige sind. Richtig so, denn das Schwierige, das Dunkle und das mit der Welt Unversöhnte bleibt nun mal der Stoff, aus dem die beste Kunst schöpft.

Überlegene Schweizer Qualität bei der Sotheby’s-Auktion am 31. Mai in Zürich: John Armleders wunderbares Werk von 1991 (Lack und Firnis auf Leinwand, 300 x 180 cm), Diego Giacomettis witzige Skulptur «Chat maître d’hôtel»
Post Scriptum: Für uns Schweizer war übrigens die Botschaft, welche diese New Yorker Auktion vermittelt hat, auch in materieller Hinsicht «good news». An den kommenden Auktionen der Schweizer Kunst in Zürich werden nämlich Ende Mai Werke von Armleder, Mosset und anderen angeboten, die qualitativ über den in New York verkauften stehen. Für die hiesigen Sammler ein nicht zu unterschätzender Hinweis aus Übersee.
Ein kleiner Einblick ins Auktionsgeschehen (Courtesy Christie’s).
Mancher ist im Scheitern grandioser als andere es im gewinnen je sein könnten. Dauernd zu scheitern hat natürlich ebenso wenig grandioses wie dauernd zu gewinnen. Und Kunst, die um’s Verrecken originell sein will ist überhaupt keine – die wahre Kunst an der Kunst ist doch heute die: Wie kann ich’s dem Publikum möglichst teuer andrehen? Da wir im Kapitalismus leben kann man das aber schwer kritisieren.
Aber liebe Frau Hess. Als Philologin sprechen Sie gar Altgriechisch? Ich habe nur das ‘kleine Latein’ gemacht. Bei diesen “Kunstsprachen” hätten Sie dann bereits – gewonnen.
Liebe Frau Hess. Es ist wohl eine Lebenskunst, sogar das Scheitern/ Verlieren geniessen zu können. Im Mannschafts-Sport etwa, mit den Gewinnern auf das gute Spiel anzustossen.
Ohne den Verlierer, hätte der Gewinner nicht spielen können – und umgekehrt. (Absichtlich auf ‘remis’ spielen, wäre unfair – gegenüber Dritten). Und –
“Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt”. (Friedrich Schiller).
Wohl wahr! Jedenfalls vermiest das «sportliche» Verlieren mit Stil niemandem die Laune – auch dem Verlierer nicht. Und doch kann manchmal offenes Klagen und Verzweifeln eine befreiende Wirkung haben, nicht wahr? Sportliche Gewinne wünschend, mit Gruss, E. Hess
Die Kunst ist toll, das Drumherum eklig, geschmacklos. Wer “The Great Contemporary Art Bubble” gesehen hat, weiss einigermassen Bescheid….
Lieber Leser Ben, wenn die Kunst uns etwas lehrt, dann ist es die Erkenntnis, dass das Eklige und das Erhabene nahe Verwandte sind. In der Kunst wie im Leben. Mit abgeklärtem Gruss, die Chronistin, E. Hess
Schon Tom Wolfe hat in “Hooking Up” den internationalen Kunstmarkt als Quasi-Oligarchie beschrieben, in dem nur ganz Wenige wirklich das Sagen haben. Und die sitzen alle in New York.
@zuff…das ist aber süss..hihi. die kunst misst sich an der unabhängigkeit des künstlers. wer dem markt einen blasen will um anerkennung zu bekommen hat leider gar nichts gelernt.