Albinos im Regenwald

Claudia Schmid am Mittwoch den 4. Mai 2016

Der Besuch im Aargauer Kunsthaus beginnt mit einer grossartigen Erkenntnis. Eine Einheimische verrät beim Aussteigen aus dem Zug, dass eine Treppe und ein Weg hinter den Gleisen direkt zum Museum führten und man sich so den Spaziergang durch den Hauptausgang und die Bahnhofstrasse sparen könne. Ein Zeitgewinn von 12 Minuten! Doch als man auf dem Weg ist, wandert eine ansehnliche Kunsttruppe bereits auf der «neuen» Route zur Vernissage. Ist man eigentlich immer die Letzte bei solchen Dingen?

Was: Vernissage der Ausstellung «The Sleeping Eskimo» von João Maria Gusmão und Pedro Paiva, Verleihung Manor-Kunstpreis und Ausstellung für Marta Riniker-Radich, Caravan-Eröffnung von Pauline Beaudemont
Wann: Freitag, den 29.4.2016 (Ausstellungen bis 7. August)
Wo: Aargauer Kunsthaus, Aargauerplatz, 5001 Aarau

Frühlingsmuseum feiert junge Kunst – das Pferd im Hof ist ein Werk der «portugiesischen Fischli/Weiss» Gusmao und Piva

Frühlingsmuseum feiert junge Kunst – das Pferd im Hof ist ein Werk der «portugiesischen Fischli/Weiss» Gusmão und Paiva.                                         Bilder: Claudia Schmid

Wahnsinnig viele aus der Truppe, zumindest aus der jungen, coolen Crew aus Basel, Zürich oder Bern, finden sich allerdings nicht im Museum ein, eher treue, ältere Mitglieder des Aargauischen Kunstvereins: Vielleicht geht die Sonne an diesem traumhaften Frühlingsabend einfach zu schön unter.

Dabei ist längst klar, dass das Aargauer Kunsthaus auch bei schönem Wetter gerade für junge Künstler und ebensolche Besucher eines der besten Museen ist: Ob die «Caravan»-Reihe, die jeweils Nachwuchskünstlern eine Plattform bietet, oder Übersichtsausstellungen wie «La jeunesse est un art» – wer regelmässig nach Aarau reist, weiss, wer in der Schweizer Kunstszene abgeht oder abgehen wird.

Museumsdirektorin Madleine Schuppli (Mitte), die mit dem Manor-Preis geehrte Marta Riniker-Radich mit dem Preisstifter Pierre-André Maus (rechts), die Zürcher-Delegation Aline Juchler, Mitarbeiterin Galerie RaebervonStenglin und Livio Baumgartner, Künstler

Museumsdirektorin Madeleine Schuppli (Mitte), die mit dem Manor-Preis geehrte Künstlerin Marta Riniker-Radich mit dem Preisstifter Pierre-André Maus (rechts), die Zürcher Delegation Aline Juchler von der Galerie RaebervonStenglin und Livio Baumgartner, Künstler.

Am Freitag wurden gleich drei Ausstellungen mit U-40-Artists eröffnet. So bekam die 34-jährige Marta Riniker-Radich von Pierre-André Maus aus der «Manor-Familie» den Manor-Kunstpreis verliehen; die charmante Pauline Beaudemont im massgeschneiderten Anzug bespielt in der «Caravan»-Ausstellung einen Raum in der oberen Etage.

Werke der Manor-Preisträgerin Marta Riniker-Radich

Werke der Manor-Preisträgerin Marta Riniker-Radich.

Highlight aber ist die bisher grösste Einzelausstellung des portugiesischen Duos João Maria Gusmão und Pedro Paiva. Madeleine Schuppli, Direktorin des Museums, entdeckte die beiden wie viele an der Biennale Venedig, wo sie 2009 als jüngste Künstler überhaupt den portugiesischen Pavillon bestritten. 2015 zeigten sie einen Teil ihrer Filme, die nun auch im Kunsthaus zu sehen sind, erneut an der Biennale – in der Gruppenschau im Arsenale.

Demnächst findet eine Schau ihrer Werke im renommierten Münchner Haus der Kunst statt. «Es ist schade, dass die tolle Zusammenarbeit mit den Künstlern zu Ende ist», sagte die Direktorin betrübt, doch zufrieden. Denn dafür sei jetzt die Ausstellung fertig.

Nach getaner Arbeit das Fest: Vernissageansprache in dem von Herzog & de Meuron gestalteten Vestibül des Aarauer Kunsthauses, die beiden fotoscheuen Künstler Gusmao und Piva

Nach getaner Arbeit das Fest: Madeleine Schupplis Vernissagenansprache in dem von Herzog & de Meuron gestalteten Vestibül des Aargauer Kunsthauses, die fotoscheuen Künstler Gusmão und Paiva.

Es war eine Mordsarbeit! João Maria Gusmão und Pedro Paiva erzählen, sie hätten während der Aufbauarbeiten nur das Hotel und das Museum gesehen. «Wir können leider nicht behaupten, dass wir die Schweiz jetzt kennen.» Fotos lehnen die Schwarzgekleideten und Kahlrasierten mit den dunklen Knopfaugen, die auch als Brüder durchgehen könnten, vehement ab. «Unsere Arbeit soll total im Vordergrund stehen.» Keine Bilder im Handy- und Internetzeitalter – wie wollen sie das durchziehen? «So weit wie möglich. Man findet im Netz nur ganz wenige Bilder von uns.»

Allerdings finden wir in der Ausstellung eine Arbeit, bei der die beiden in einem japanischen Restaurant mit Stäbchen essen. Und bei der Eröffnungsrede stehen sie vors Publikum, wo man sie ohne Probleme fotografieren kann. Was wir, lange bevor sie uns auf ihre No-Photo-Strategie hinweisen, auch tun.

Lernen mit Stäbchen essen: die Portugiesen in Japan

Japanische Impressionen im Künstlerfilm: Ein Werk von Gusmão und Paiva.

Im Gegensatz zu ihrer Abneigung gegenüber Porträts stehen die Enddreissiger für ein sehr zugängliches, witziges und hintersinniges Œuvre. In aufwendig produzierten, nostalgisch anmutenden 16- und 35-mm-Filmen fangen sie auf ihren Reisen durch die Welt mit sparsamer Bildsprache und ohne Ton alltägliche, zauberhafte und manchmal seltsame Dinge ein: den Flügelschlag eines Papageis, einen zwinkernden Buddha, einen Affen, der zuschaut, wie ein Apfel langsam nach unten fällt, Albinos, die sich im Regenwald am Feuer Witze erzählen.

Hypnotische Bilder: Filme der portugisieschen Künstler

Hypnotische Bilder: Filme der portugiesischen Künstler.

Neuere Arbeiten stammen aus Japan. Dort haben Gusmão und Paiva exotische japanische Gemüse und Früchte oder Schlafende im Zug gefilmt. Klingt aufs Erste vielleicht alltäglich. Aber viele Filme ziehen einen dank Super-Highspeed oder einer abartigen Langsamkeit sofort in den Bann: So wird in «Osaka Lights» das ständige Flackern der Neonröhren in einem Lampengeschäft erst dank der hohen Bildfrequenz sichtbar. Ein anderer Film zeigt, wie ein Baum gefällt wird und gaaanz langsam im Dickicht landet.

Künstlerin Pauline Beaudemont im massgeschneiderten Anzug, der Basler Künstler Fabio Marco Pirovino

Künstlerin Pauline Beaudemont im massgeschneiderten Anzug (rechts), der Zürcher Künstler Fabio Marco Pirovino.

Eine schöne Abwechslung zu den dunklen Projektionsräumen, in denen man während der Vernissage immer wieder mal mit jemandem zusammenstösst und leicht erschrickt, bieten die Räume mit den tierischen und objekthaften Bronzeskulpturen. Ob ein Pferdekopf, ein T-Shirt, ein Fisch, der keck auf einem Kubus sitzt, oder eine Pfanne mit einem Spiegelei: Auch da ist wieder diese klare, lustige Zugänglichkeit.

Objekthafte Bronzeskulpturen von Gusmao und Paiva

Objekthafte Bronzeskulpturen von Gusmão und Paiva.

«Etwas Fischli-Weiss-mässig», stellt Künstler Fabio Marco Pirovino zu Recht fest, der zurzeit in der Römer Galerie Frutta ausstellt. «Aber es ist ja auch eine Kunst, jemanden, den man mag, auf eine eigene Art zu kopieren.» Neben Pirovino sichten wir auch Künstler Livio Baumgartner oder Aline Juchler, Mitarbeiterin der Zürcher Galerie RaebervonStenglin.

Während ihre Kolleginnen, Mitarbeiterinnen des Aargauer Kunsthauses, bereits von Ausstellungen im Jahr 2017 reden, ist Juchler erst mal zufrieden, dass die Shows in der Galerie vergangene Woche auf die Minute fertig wurden. «Als Galerist schafft man Punktlandungen, als Museumskurator ist man gedanklich schon im Jahr 2017 oder 2018», sagt sie.

Gemüse als Kunst und kunstvolle Häppchen an der Vernissage in Aarau

Kunstvolle Häppchen und Gemüse als Kunst an der Vernissage in Aarau.

Das Programm des Aargauer Kunsthauses klingt jedenfalls auch nächstes Jahr vielversprechend: So wird die Ausstellung «Swiss Pop Art» 2017 bestimmt wieder viele U-30 und Ü-40 über den Weg hinter den Gleisen ins Museum locken.

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