Tanz mit den Divas

Ewa Hess am Dienstag den 22. September 2015

John Armleder ist einer unserer wichtigsten Künstler, liebe Leserinnen und Leser, und heute will ich von einer aussergewöhnlichen Arbeit des Malers, Performers und Konzeptkünstlers aus Genf berichten. Ich habe sie in einer meiner Lieblingsgalerien entdeckt – bei Susanna Kulli im Kreis 4 in Zürich.

Was: «Jericho» von John M. Armleder
Wo: Galerie Susanna Kulli, Dienerstrasse 21, 8004 Zürich (Di–Fr 13–18, Sa 11–16)
Wann: Bis auf weiteres

John Armleder und Susanna Kulli 1963 beim Einrichten der ersten Ausstellung in St. Gallen

John Armleder und Susanna Kulli 1983 beim Einrichten der ersten gemeinsamen Ausstellung in St. Gallen – es war die vierte Ausstellung der jungen Galerie Kulli überhaupt.

Es ist eine kleine Galerie, aber lasst euch nicht täuschen. Susanna Kulli ist unsere Marian Goodman, obwohl sie natürlich viel jünger ist als die allseits respektierte amerikanische Galeristin, die so viele tolle europäische Künstler als Erste in den USA vertrat – und still going strong mit Räumen in Paris und London! Susanna Kulli hat ihre Pioniertätigkeit in St. Gallen begonnen. In ihrem Programm machte sie von Anfang an keine Kompromisse, und in ihrem künstlerischen Urteil blieb sie bis heute unbeirrt. In ihrer zweiten Ausstellung überhaupt zeigte sie schon Gerhard Merz, in der vierten John Armleder. Wenig später war bei Susanna Kulli übrigens der andere wunderbare Romand dran, Olivier Mosset. 1993 widmete sie eine Schau dem jungen Thomas Hirschhorn. Den Namen hat damals zuvor noch niemand gehört.

Und erst vor wenigen Jahren hat mir die unermüdlich entdeckungsfreudige Galeristin das Werk von Bertold Stallmach vorgeführt, eines 31-jährigen in Zürich lebenden Künstlers, das mich mit seiner innovativen Energie verblüfft hat. Heute kennt man Stallmach besser, und bestimmt steht Kullis Interesse wieder am Anfang einer internationalen Karriere.

So kommt es, dass die inzwischen gross und grösser gewordenen früheren Schützlinge, die in der Weltliga mitmischen, mit ihren unkonventionellen Arbeiten schnurstracks in die Galerie Susanna Kulli marschieren. Sie wissen – hier wird man verstanden und unterstützt. Und just von Armleder hängt bei Frau Kulli seit einigen Monaten eine Arbeit an der Wand, die im Werk des Genfers absolut einmalig ist – die einzige, in welcher er sich mit Fotografie auseinandersetzt.

Susanna Kulli in ihrer Galerie vor dem Werk «Jericho»

Susanna Kulli in ihrer Galerie vor dem Werk «Jericho»

Ich wollte dieses «Jericho» schon lange anschauen gehen, am Samstag fand ich endlich Zeit. Und muss es sofort mit euch, liebe Leserinnen und Leser, teilen, denn es ist eine wunderbare Geschichte. Es handelt sich bei diesen 88 Fotos eigentlich um ein Fundstück. Der Künstler selbst hat sie mit seiner dafür berühmten feinen Hand  arrangiert. Es war eine Schachtel, die bei einem Fotohändler stand. Armleder schaute ein Bild nach dem anderen an – und siehe da, es war eine ganz und gar ungewöhnliche Sammlung. Lauter Bilder von Showbusiness-Stars, die entweder gerade fotografiert werden oder gar zurückfotografieren.

Was heute gang und gäbe ist, nämlich dass jeder knipst so wie er atmet, war in den Jahren, aus welchen diese Bilder stammen, eher eine Ausnahme. In schönster Fluxus-Manier nimmt Armleder (die Arbeit ist auf 2013 datiert) den in der Fotoschachtel gefundenen Ton auf und beschäftigt sich mit dem Thema auf seine Weise. «Mir kommt es wie eine der Performances Armleders  vor», sagt die Galeristin zu «Jericho». Es sei, als ob der Künstler mit dem Thema tanzen würde. Und auch mit den unbekannten Fotografen, welche diese Bilder geschossen haben sowie den leicht verblichenen Filmdivas, die hier abgebildet sind.

Was man aber in der Ausstellung nicht sieht, liebe Leser, sind die Fotorückseiten. Da die Bilder gerahmt an der Wand hängen, sind die Rückseiten unsichtbar. Aber die gehören unbedingt dazu. Die Galeristin hat sie eingescannt und zeigte sie mir am Bildschirm. Wir kamen ins Rätseln und manchmal auch ins Kichern! Schön wars.

Darum hier, nachfolgend, eine veritable Private View – nur für Euch, liebe Leserinnen und Leser, einige der Bilder und ihre Rückseiten. Enjoy.

Vorderseite

Vorderseite: Zwei Fotojägerinnen.

Rückseite: Man hält es für wichtig, Caroline Kennedy zu erwähnen. Dass man die Schauspielerin Ali McGraw sowieso erkennt, nahm man vielleicht selbstverständlich an

Rückseite: Man hält es für wichtig, Caroline Kennedy, die Tochter von J.F.K., rechts zu erwähnen. Dass man die Schauspielerin Ali MacGraw (links) sowieso erkennt, nahm man vielleicht als selbstverständlich an.

Den erkennt man

Den erkennt man, oder?

«The Killing Fields» - es muss in einer Drehpause entstanden sein

«The Killing Fields» – das Porträt muss in einer Drehpause entstanden sein.

Shirley McLaine, natürlich, und der Mann mit der Kamera?

Shirley MacLaine, natürlich, und der Mann mit der Kamera?

Der junge Alain Delon, who else. Am Set von «The Yellow Cadillac»

Aha, natürlich, der junge Alain Delon. Am Set von «The Yellow Rolls-Royce».

Eine mysteriöse Szene mit einem beleibten Kerl im Vordergrund

Eine mysteriöse Szene mit einem beleibten Kerl im Vordergrund.

Marlon Brando

Es ist Marlon Brando, April 1980 – wohl nicht am Set von «The Formula», sondern bei einem privaten Ausflug des Schauspielers.

Gepflegtes Heim...

Gepflegtes Heim …

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… von den Hollywoodstars Stewart Granger und Jean Simmons.

Was wird hier Ingrid Bergmann an die Hand gemalt?

Was wird hier Ingrid Bergmann auf die Hand gemalt?

Makeup-Touchups

Make-up-Touch-ups, fotografiert von Yul Brynner auf dem Set von «Anastasia» in London. «It is the first American-made movie in which Miss Bergmann has appeared since she left the U.S. eight years ago …» Wir schreiben das Jahr 1956.

Sterbeszene?

Eine Leidensszene aus?

Offensichtlich

Diese Rückseite gibt Rätsel auf. William Read Woodfield, muss man wissen, ist jener eigentlich wenig erfolgreiche Drehbuchautor, der der Serie «Mission Impossible» zu ihrem frühen Erfolg verholfen hat, indem er «magische Tricks» in den Plot eingeführt hat (er war Hobby-Magier). Danach wurde er Filmfotograf und erlangte eigenartigen Ruhm als einer jener Fotografen, die Marilyn Monroe am Pool fotografiert hatten, als sie sich entschloss, das Badekostüm komplett abzulegen (s.g. Blue Pool Aufnahmen). Doch welche Filmszene fotografierte er hier? Und wer ist die oder der mysteriöse F.P.G., dem das Foto zugeeignet ist? Die Dame könnte junge Liz Taylor sein…

Das muss doch die fotografierende Kleopatra sein.

Hier erkennt man die Protagonistin sofort, vor allem am Kostüm. Es fotografiert: die Kleopatra.

 

Natürlich, the one and only Liz Taylor

Natürlich, the one and only – Liz Taylor.

Erwartungsvoller kann man die Kamera wohl nicht im Anschlag halten.

Erwartungsvoller kann man die Kamera wohl nicht im Anschlag halten.

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Und schon wieder ist die weniger bekannte angeschrieben: Lauren Hutton (rechts). Die links kennt man auch heute, natürlich Geraldine Chaplin.

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Kann man den Finger hoch halten mit französischem Akzent?

Jericho_John Armleder_0012a_back_Galerie Susanna Kulli

Ja, denn es ist das Jahr 1934 und Maurice Chevalier kommt gerade in New York an, das seinem Pariser Charme restlos verfällt.

10 Kommentare zu “Tanz mit den Divas”

  1. Marika Sukraw sagt:

    Zu dem Foto mit dem Titel “Zwei Fotojägerinnen” möchte ich als Kennerin der Kennedys seit 1960 folgendes anmerken: Rechts ist die junge Caroline Kennedy zu sehen, das ist richtig. Aber was hätte sie mit Ali MacGraw zu schaffen??? Es handelt sich hier um die junge Maria Shriver und beide Mädels beobachten und fotografieren die Graduationsfeier ihrer Cousine Sydney Lawford, der Tochter des Schauspielers Peter Lawford und der Kennedy-Schwester Patricia..

    • Ewa Hess sagt:

      Danke! Das ist ja famos! Wir sollten diese Zusatzinformationen an John Armleder weitergeben und alle 88 Bilder des Werks posten! Toll, was Sie, was die Leserinnen und Leser alles an Wissen in den Köchern haben. Lieber Gruss! EWH

  2. Andreas Diener sagt:

    Schöne Geschichte mit den in der Schachtel gefundenen Fotos. Tatsächlich zeugen die Labels auf der Rückseite von den zahlreichen Fotoarchiven von amerikanischen Zeitungen, die auf eBay.com aufgelöst werden. Fundstücke en masse für durchschnittlich $20 (z.B. eBay-Verkäufer sfxarchive). Die “Arbeit” von Armleder bloss eine Wand mit aufgepinnten Pressefotos unterschiedlicher Qualität fotografierter oder fotografierender Persönlichkeiten. An der Art war gerade eine gleiche Wand mit Fotos von startenden Raketen des Nasa-Programms (ebenfalls zusammengestellt aus den auf eBay.com angebotenen Pressofotos) zu sehen. Kostete, wenn ich mich richtig erinnere, um $50’000. Das ist doch alles Mist von Leuten, denen nichts einfällt, als die Arbeit anderer Leute für sich zu verwerten. Wie Thomas Ruff, der “Fotograf”, der kaum selber fotografiert, der für seine “Nudes” und “JPGs” Fotos aus dem Internet auf seinen PC-Schreibtisch zog und dann mit Photoshop bearbeitete oder auf dem Flohmarkt gefundene Glasnegative verwertete, indem er davon grossformatige Abzüge als “Machines” verkauft. Oder die Cowboys von Richard Prince – einfach die geklauten Marlboro-Aufnahmen von Hannes Schmid. Etcetera etcetera. Und diesem Mist wird dann – wie oben – von meist mit den Künstlern befreundeten Kunstkritikern und Kuratoren mit viel Worten eine Bedeutung zugeschrieben. Lächerlich.

    • Ewa Hess sagt:

      Ohne Schweiss kein Preis, in Ihrem Weltbild, nicht wahr, lieber Leser Andreas Diener? Ach ja. Diese Einwände gegen Kunstkonzepte kommen einem schön archaisch vor, in einer Zeit, in der die meiste Kunst konzeptuell ist und auch im Wirtschaftsleben reine Konzepte Milliarden einbringen, ohne dass die Erfinder und Programmierer die Ärmel hochkrempeln müssen. Lächerlich? Die Realität ist es immer ein bisschen, doch wenn man sie nicht erkennen kann, lacht man irgendwann allein. Natürlich sind übrigens die Fotos zusammengekauft – von dem besagten Händler, bei dem es der Künstler fand. Sehen Sie? Er hat sie nicht einmal selber ersteigert, so eine Schmach.

      • Andreas Diener sagt:

        Ach, Frau Hess, ist das nicht ein bisschen simpel, auf Kritik einfach das kleingerahmte Weltbild zu verhängen? So nach dem Motto: Wem es nicht gefällt, der hat es nicht verstanden. Und dann verorten Sie mich archaischen Einwändler auch gleich auf der SVP-Kuhwiese, wo mich hinter den sieben Bergen bei den handgeschnitzten sieben Zwergen die Realität natürlich noch nicht erreicht hat. Doch auch im Hinterwald ist konzeptuelles Denken nichts Neues. Dass die Idee über der Exekution stehen kann, ebenfalls nicht. Und schon gar nicht das Gegenteil, die auf die Spitze getriebene Vituosität um ihrer selbst willen. Aber weder Handwerk noch Konzept ist und bleibt dürftig. Im White Cube genauso wie im Wirtschaftsleben. Da gibt es auch nichts hineinzuinterpretieren – bloss hochzujubeln. Was z.B. von Duchamp oder Bourgeois noch mutig und revolutionär war, ist heute zum x-ten Mal vom x-ten “Künstler” wiederholt nur fantasielos und peinlich. Dann doch lieber die Ironie des “Complex Pile” von Paul McCarthy. Oder will er uns mit dieser aufgeblasenen Scheisse doch etwas sagen?

        • Ewa Hess sagt:

          Okay, lieber Leser AD. Wir tauschen mal Listen aus, was noch Kunst sein darf und was nicht mehr. Ist McCarthy in Ihrem von mir fälschlicherweise als kleingerahmt eingestuften Weltbild nun gut oder schlecht? Mir sagt er eine Menge. Ihnen nicht?

      • Andreas Diener sagt:

        Hoppla, ein virtuoser Tippfehler. Schönes Wochenende.

    • roland jung sagt:

      @A.D.: so informiert und sich noch erregen können über die teilweise Propagandamethoden oder speziell die Kunsthandelswahnpreise – gratuliere! Aber: beim “zusammenpinnen” kommt es auf die “Machart” an, also das WIE – und halt die Betrachter mit ihren Assoziationshöhen oder -tiefen – es isthalt wie beim kochen und essen, da sind doch die Preisunterschiede teils ähnlich nicht nachvollziehbar – also sog “geniessen” sich “ergetzen” oder eben bleibenlassen – ‘Erregt Euch’ ist ja gut – in so einem Fall besonders für’s business. Ein Verriss hilft meist mehr als ein noch so bedeutungsgeladenes Kritikerlob. Betrachter wie Lesende machen halt ihre Bedeutung und hier öffentlich also im Blog-reagieren? sag ich zu mir selbst: vielleicht auch besser bleiben lassen – so tippereien erhöhen und dienen ganz unnötig der Bedeutungs-Frequenz. auf die es in diesen modern business ankommt – wer – wie – wann lacht – auch wenns zum heulen ist? irgendeiner lacht ja immer hintendran und über etwas anderes.

  3. Pabo sagt:

    “Eine Leidenszene aus…” Hier leidet niemand. Es handelt sich um eine ganz normale Kommunikation zwischen der Ehefrau (Jean Simmons als Désirée), die Vogelstrauss-Politik betreibt und sich in schwierigen Situation mit einem gefakten Schnupfen ins Bett legt und Ehemann (Michael Rennie als Jean-Baptiste Bernadotte), der das ganze Manöver durchschaut und sie ein bisschen tadelt. Filmszene aus “Désirée” von 1954. Und der grosse Abwesende auf dem Bild: Marlon Brando als Napoleon.