Man will ja Rilke nicht überstrapazieren, liebe Leserin und lieber Leser, aber der Sommer war nun mal so etwas von gross. Die herbstliche Kunstsaison ging dementsprechend sanft los. Die Ausstellung, die am meisten zu reden gab, war schon mal eine, die gar nicht stattfand.
Was: Saisonstart der Zürcher Galerien, Löwenbräu und weiter westlich
Wann: Mittwoch bis Freitag, 26.–28. August 2015
Bob van Orsouw hat sich entschieden, die Pforten seiner Galerie gar nicht erst aufzumachen. Der verdienstvolle Keyplayer des Zürcher Szene zieht es vor, eine Saison auszusetzen, und heftete an seine Tür ein Manifesto der Entschleunigung: Er wolle jetzt mal innehalten und nachdenken. Das passiert nicht alle Tage, man reagierte leicht perplex. Bob war aber da und gab geduldig Auskunft. Ich war die hundertste Person, die ihn dann fragte, was das denn wirklich zu bedeuten habe, und kann jetzt allen, die nicht da waren, eine gute Botschaft überbringen: nichts Schlimmes. Bob ist weder krank noch pleite, er hat einfach von diesem überhitzten Kunstbetrieb die Nase gestrichen voll. Er will jetzt eine Weile nicht hetzen und nicht über Preise reden, sondern mit den Besuchern Tee trinken und über Grundsätzliches diskutieren. Das trifft sich natürlich wunderbar, das mit dem Tee, weil nicht nur hat das Museum Rietberg eine echte Teemeisterin engagiert, auch haben die Architekten Fuhrimann Hächler in der Christian-Marclay-Ausstellung im Kunsthaus Aarau ein modernes Teehäuschen eingebaut. Tee for everybody, heisst es also fortan von A nach Z. Vergesst alle Hugos, Spritzs und Caipis.
Meditative Elemente gibt es unter den neuen Schauen auch sonst nicht wenige. Allen voran eine filigrane Installation der Brasilianerin Fernanda Gomes bei Kilchmann im Maag-Areal. Gomes, eine würdige Nachfolgerin der grossen Brasilianer wie Lygia Clark oder Helio Oiticica, verbrachte den Sommer in der Galerie und hat sie mit ihrem feinen Händchen in ein raumfüllendes Gedicht in Weiss verwandelt. In perfekter Balance und wie das der brasilianischen Kunst eigen ist, im Geiste eines augenzwinkernden Konstruktivismus, überzog sie die Galerieräume mit einem Netzwerk von Objekten, Mobiles und Installationen, die den Raum prägen, fast ohne ihn zu berühren. Mir hat es der mittlere Raum vor allem angetan, in dem die grossen Fenster das wechselnde Licht von draussen hereinlassen, wodurch das Weiss in allen Farben des Tages und des Abends erstrahlt und die Schatten der feinen Skulpturen ihren neckischen Schabernack mit dem Auge des Betrachters treiben.
Zudem waren nicht weniger als zwei Philosophen von der Insel Shakespeares in der Stadt: Douglas Gordon und Martin Creed. Als ob sie Figuren aus einem Bühnenstück des grossen Barden wären, gaben sie Rätsel auf und straften mit ihren melancholischen Scherzen das höfische Getue der Vernissagegäste Lügen. Douglas, der seinen Turner-Preis 1996 bekam, ist ein Schotte mit martialischen Tattoos auf den muskulösen Unterarmen. Auf die Einladung der von der Zürcher Kunsthistorikerin Kathrin Beer ins Leben gerufenen Organisation «Expanding the Contemporary» hat Douglas in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Druckermeister Thomi Wolfensberger in mehrmonatiger Arbeit zwei Editionen kreiert (plus ein Steinskulptur-Unikat). Als wir Gordon zu einem Pre-Saisonstart-Dinner in den Löwenbräu-Räumen seiner Galeristin Eva Presenhuber trafen, war er gerade in allerbester Laune. Mit Kajal-umflortem, unwiderstehlich tiefem Blick bat er Bice Curiger, ihre dezent gemusterte Bluse gegen sein braunes T-Shirt zu tauschen, welches, um ehrlich zu sein, nicht den allerfrischesten Eindruck machte. Doch alles ging gut, sehr gut sogar, am Ende liessen sich die Gäste zu einem Sängerwettbewerb herausfordern. Wie viele der zwei Editionen (Auflage je 13, mit mehreren tiefschwarzen oder farbigen Druckblättern) schon weg sind, kann ich im Moment nicht berichten. Ich vermute, dass sich Interessenten noch melden könnten: hier.
Creed, der seinen Turner 2001 für ein Werk bekommen hat, welches aus einem Raum besteht, in dem im rhythmischen Abstand das Licht ein- und ausgeht, ist zwar kein Schotte wie Gordon, doch auch im Norden des Königreichs aufgewachsen. Auch er wird gerne grundsätzlich. Seine Schau bei Hauser & Wirth zeigt den Konzeptualisten indes als Maler. Nicht nur, weil er die Wände des gesamten Löwenbräus mit farbigen Mustern ent-sterilisiert hat. Nein, in der Ausstellung hängen tatsächlich Ölbilder. Eins wandert sogar als eine Art Schweizer Alp-Transportbahn am Seil in der ganzen Ausstellung herum. Ansonsten trat an der Vernissage ein Trüppchen Parolenschreier auf. Die Anführerin hatte eine grosse Ähnlichkeit mit Morticia, der Mutter der Addams-Family. Zumindest was die Kostümierung anbelangt.
Es gäbe noch viel zu erzählen: über neue, erstaunlich skulpturale Objekte des «teuflischen Ingenieurs» der Schweizer Kunstszene, Florian Germann, bei Gregor Staiger. Über den langen Tisch, den Pamela Rosenkranz für die Parkett-Editionen im Parkett-Space angerichtet hat und wo Jayne Mansfields Skalp nur durch ein offenes Messer von kleinen Kinderschühchen getrennt ist. Von Josh Smiths beinahe rudolf-steinerschen Zeichnungen bei Eva Presenhuber und von den komplexen Videos in der Kunsthalle und beim Migrosmuseum. Aber Leute, hey, die Saison hat erst angefangen. Wir wollen nichts überstürzen und jetzt einmal schön ruhig ein Tässchen Tee trinken.

Künstlerin Pamela Rosenkranz im Gespräch mit der Kuratorin Alexandra Blättler, rechts: Jayne Mansfields Skalp (es handelt sich dabei um die Parkett-Edition von John Waters, anlässlich der gegenwärtigen Waters-Ausstellung im Kunsthaus neu aufgelegt).

Martin Creed and his band: Der Künstler gibt sich die Ehre an der Löwenbräu-Party, Stimmung auf der Terrasse
Martin Creed and his band: Konzertausschnitt mit dem Song «I’m feeling brown».