Warum nur, Hund?

Ewa Hess am Dienstag den 11. November 2014

Ich kam etwas spät zur Vernissage, Jakob stand schon vor der Türe und rauchte eine Selbstgedrehte. Findest du nicht, sagte er, als er mich ausser Atem ankommen sah, dass der Name dieser Galerie schon gross genug auf deinem Blog leuchtet? Er spielte damit auf die sogenannte Wörterwolke an, die hier rechts gerade sichtbar ist und die alle Begriffe, die im Blog vorkommen, in einem Grössenverhältnis abbildet. Wenn etwas zweimal erwähnt wird, erscheint es grösser, bei dreimal noch grösser usw… Und okay, stimmt, ich bekenne mich schuldig, ich habe schon mehrmals von Karma berichtet. Na und? Die Kunst, die man dort sieht, hat für mich Inspirationspotenzial. Wie das Video, das ich am Freitag in der Ausstellung sah – verstörend. Aber hinreissend. Wie es sich für ein tolles Kunstwerk gehört.

Was: Gruppenschau «I bought a hyacinth flower with lots of leaves, just to make me feel like spring»
Wo: Karma International, Hönggerstrasse 40, Zürich
Wann: Freitag, 7.11.2014 (Ausstellung bis 13.12.)

Gut, der Titel der Gruppenausstellung ist etwas enigmatisch. Die Galerie, die von Marina Olsen und Karolina Dankow mit leichter Hand und poetischer Grundhaltung geführt wird, schickt anstatt einer Erklärung ein Gedicht mit auf den Weg. «Animal, vegetable, mineral», heisst die erste Zeile. Und tatsächlich: Tier, Gemüse, Mineral. Alle drei kommen in der Ausstellung vor: Aus Salz sind die wunderbaren Objekte von Carissa Rodriguez, einer US-Künstlerin, die zum Programm der Galerie gehört. Blumen – die doch eine Art dekoratives Gemüse sind – fotografiert Ketuta Alexi-Meskhishvili, eine NY-Georgierin (und Frau von Andro Wekua). Das Tier kommt auch vor – es ruht in den Armen des israelischen Künstlers Uri Aran. Es ist ein grosser Hund, mir scheint, ein Boxer (oder doch ein Labrador?). Man sieht ihn nur von hinten, seine Lage ist zwiespältig.

Der weinende Mann und sein Hund: Uri Arans Video

Der weinende Mann und sein Hund: Uri Arans Video. Kurzer Ausschnitt aus dem Werk hier.

Ich spreche von einem Video, das der Künstler 2010 gedreht hat und das in Ausstellungen in Israel und den USA schon zu sehen war. Es ist ein kurzes Stück, knapp 4 Minuten lang. Der Inhalt ist schnell erzählt. Ein Mann – es ist der Künstler selbst – sitzt und weint. Er hält ein grosses braunes Biest in den Armen und streichelt es gaaaanz langsam. Der Hund lässt sich das gefallen, ja, man hat sogar das Gefühl, dass er es ist, der den Mann im Arm hält und tröstet. Der Mann weint still und haltlos. Warum nur, sagt die Trauer des Mannes, warum nur? Er scheint etwas – oder, viel wahrscheinlicher, jemanden – verloren zu haben. Der Hund sagt nichts, bewegt nur manchmal ein Ohr.

Die Werke von Uri Aran (37) haben schillernde Qualität. Er zeichnet (wunderbar, es gibt auch Zeichnungen von ihm bei Karma), macht Installationen, die wie Miniaturmodelle von seltsam aufgefüllten (zugewachsenen?) Innenräumen aussehen – und er macht Videos. In diesen geht es oft um Wunschträume, Erinnerungen und andere Sentimentalitäten. Man kann nicht sagen, dass Aran die Sentimentalität entlarvt. Er folgt ihr willig, gibt sich ihr hin, aber auf eine so irritierende Weise, dass es dem Zuschauer ganz anders wird.

Wie ist es also nun mit dem Hund hier? Sehen wir hier ein Beispiel von dieser bedingungslosen tierischen Liebe, die immer jenen warmen, leise atmenden vegetativen Beistand spendet, den der Mensch braucht? Oder missbraucht der Mensch im Video den Hund, indem er das Tier wie eine entschwundene Geliebte im Arm hält und streichelt? In der Ausstellung in Herzliya Museum in Israel (Manimal, manimal), in der Arans Video schon einmal gezeigt wurde,  wurde damals just das Verhältnis von Mensch und Tier thematisiert. Seit den Höhlen von Lascaux haben Menschen, wenn sie künstlerisch tätig waren, Tiere abgebildet. Doch die atmende Kreatur  war immer nur als die Verkörperung einer dem Menschen wichtigen Funktion da (also zeigten Jäger Tiere, die sie gejagt haben, der Hofmaler pinselte die grossen Hunde des Königs etc). Auf eine sehr leise, fast schon listige Art stellt Arans Video dieses Verhältnis auf den Kopf. Es ist nämlich der Hund, der die Szene im Video emotional beherrscht – mit seiner ruhigen Überlegenheit.

Blick in die Ausstellung, eine Keramik-Skulptur von Simone Fattal, Galeristin Karolina Dankow neben einem Salz-Objekt von Carissa Rodriguez

Blick in die Ausstellung, eine Keramik-Skulptur von Simone Fattal, Galeristin Karolina Dankow neben einem Salz-Objekt von Carissa Rodriguez.

Es ist manchmal so bei den Gruppenausstellungen, dass ein Werk die Rezeption der anderen beeinflusst und verändert. Dieses Video macht diese wunderbare Ausstellung zu einer, in der die Welt auf eine geheimnisvolle Weise «dem Tier, dem Gemüse und dem Mineral» gehört. Der Mensch, dieses gwundrige und unberechenbare Wesen, ist darin Gast und Beschenkter. Und erst noch einer, der nicht so recht weiss, wie ihm geschieht.

Künstler Peter Fischli im Gespräch mit Galeristin Marina Olsen, Künstlerin Simone Fattal im Gespräch mit den Architekten Boris Gusic und Christoph Junk von «Gruppe», Werke von Emanuele Marcuccio (aus Metal Aluminium und Cortisoncreme)

Künstler Peter Fischli im Gespräch mit Galeristin Marina Olsen, Künstlerin Simone Fattal im Gespräch mit den Architekten Boris Gusic und Christoph Junk von «Gruppe», Werke von Emanuele Marcuccio (aus Metall, Aluminium und Cortisoncreme).

Über all das habe ich mit den anderen Vernissagegästen nicht gesprochen. Es war mir irgendwie zu intim. Vielleicht ging es den anderen auch so? Viele waren da: Künstler Peter Fischli, Kurator Niels Olsen (er ist mit einer der Galeristinnen verheiratet), Künstler Bernhard Hegglin und Tina Brägger, Architekten Boris Gusic und Christoph Junk (vom Büro Gruppe). Die Letzteren haben die schöne Struktur entworfen, auf der Fattals Skulpturen präsentiert waren.

Auch die ausstellenden Künstlerinnen Ketuta Alexi-Meskhishvili und Simone Fattal waren da. Mme Fattal, eine libanesische Grande Dame, die in Paris lebt, zeigte wunderbare Objekte aus Keramik und Metall. Halb kleine Götter, halb Gestalten aus dem Untergrund. Auch diese Skulpturen waren vom Zartgefühl dieser Schau gezeichnet. Ihrer Form unsicher, der amorphen Lehmmasse mit einer stetig suchenden Hand entrungen. Auf dem Nachhauseweg war man immer noch berührt. Und verstand: Die grosse, gottgleiche, heroische Geste ist out. Leises Ahnen und leichtfüssiges Mittanzen sind die moderneren Erkenntnishilfen.

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