Im Schatten des Prime Tower übt die Zürcher Festgemeinde Halloween. Mit gemischten Gefühlen gehe ich an Mördermasken und Vampirfratzen vorbei – denn ich werde meinen polnischen Landsmann Zmijewski treffen. Angstlust? Leute, nachdem Ihr seine Kunst geschaut habt, ist fertig gekichert. Da wird es richtig düster.
Was: Ausstellung «Imprisoned» von Artur Zmijewski
Wo: Galerie Peter Kilchmann im Maag-Gebäude an der Zahnradstrasse 21
Wann: Freitag, 31. Oktober 2014 (Ausstellung bis 20. Dezember)
Artur Zmijewski wurde 1966 geboren, wuchs also noch in dem sowjetisch geprägten Sozialismus bzw. in Zeiten auf, als in Polen Kriegsrecht galt. Dann wechselte das politische System und eine Zeit des raubtierhaften Kapitalismus begann für das vollends unvorbereitete Land. Es war vielleicht diese politische Achterbahn, die Zmijewskis Faszination fürs Gruppenverhalten befeuert hat.
Nehmen wir mal sein Video «Sie» von 2007. Da hat er vier Gruppen eingeladen, um gemeinsam zu werken. Die Zusammensetzung der Gruppen kann man auf diesen Nenner bringen: polnische Nationalisten, katholische Frauen, polnische Juden und die neuen Linken. Sie sollten, jede Gruppe für sich, die ihrer Ideologie entsprechenden Poster entwerfen. Zuerst wird lieblich gemalt, hier Kirchen und Kreuze, dort grosspolnische Karte, man lobt sich gegenseitig. Der Künstler mischt sich nicht ein und guckt zu. Dann fangen die Feindseligkeiten an: Man fängt an, dem ideologischen Feind ins Bild zu pinseln. Die Symbole werden immer aggressiver. Man hängt einander den Schlötterlig in Form von Hakenkreuzen an. Dann rückt man mit Schere, Messer und Feuerzug dem fremden Plakatwerk zu Leibe. Am Ende schmeisst man unter Gejohle die Werke der anderen aus dem Fenster. So viel zum demokratisch geteilten Lebensraum.
Ja, ja, er ist ein gemeiner Entlarver, der Pole Zmijewski. Vergleichbar vielleicht mit dem ebenso gnadenlosen Österreicher, dem Filmemacher Michael Haneke. Noch berühmter ist Zmijewskis Nachinszenierung des berühmten Stanford-Gefängnisexperiments von 1971. Mit dieser «Wiederholung» ist Zmijewski seinerzeit übrigens zum Star der Venedig-Biennale 2005 avanciert. In seinem Experiment werden Studenten in Gefängnisinsassen und Gefängniswärter eingeteilt – wer was spielt, bestimmt der Zufall. Innerhalb weniger Tage mutieren die Wärter zu Sadisten und die Insassen zu Verrätern. Ein Mechanismus, dem sich die Studenten nicht entziehen können, weshalb sie um eine Unterbrechung des Experiments bitten. In anderen Werken lässt er Menschen in einer ehemaligen Gaskammer nackt Fangis spielen oder hilft einem 91-jährigen Holocaust-Überlebenden, sich seine Auschwitz-Nummer nochmals tätowieren zu lassen.
Verglichen mit diesen Arbeiten ist das, was man gerade bei Kilchmann sieht, fast schon Peanuts. Die Aktionen für seine neuen Videos hat er mit der sozial engagierten Stiftung Dom Kultury in Warschau entwickelt. Da werden in einem Frauengefängnis, wo viele harte Verbrecherinnen einsitzen, lockere Happenings veranstaltet, die an Makeover-Shows der privaten Fernsehsender erinnern. Im Stück «Makingof» kommt ein Make-up-Team ins Gefängnis und verwandelt die gezeichneten Frauenkörper und Gesichter, denen man die Härte ihrer Lebensläufe ansieht, in glamouröse Divas, die anschliessend in den Gängen des Gefängnisses wie auf dem Catwalk laufen. In «Cookbook» sind es zeitgeistige Köche, die mit Ananas, Romanesco, Hummer und Trüffel im Gefängnis einlaufen und zusammen mit den pockennarbigen Mörderinnen Leckerbissen fabrizieren. In diesem Video hat Zmijewski eine Kontrastspur eingebaut: Bilder aus der echten Gefängnisküche, wo in riesigen Bottichen widerliche Speisen lieblos zubereitet werden.

Szenen aus «Makingof»: Catwalk im Gefängnisgang (Mitte), Wärterin schaut zu (links), zurück hinter Gitter (rechts).
Die Absicht der gemeinnützigen Stiftung ist klar: Läuterung durch Steigerung der Selbstachtung (Carlos lässt grüssen!). Zmijewskis Blick unterwandert aber – fragen Sie mich nicht wie, denn er kommentiert nicht und mischt sich nicht ein, es muss also am Schnitt liegen – dieses gutmenschliche Setting. Schaut man in der dunklen Kammer bei Kilchmann die Zehnminuten-Videos, erscheinen sie einem unweigerlich wie eine düstere Metapher des Lebens überhaupt. Diese Gitter, hinter denen die Frauen am Schluss wieder verschwinden, eingeschlossen von durchaus mitfühlenden, dennoch unbarmherzigen Wärterinnen, kennen wir sie nicht alle? Und trösten wir uns nicht alle ab und zu mit Hummer, Luxus und Parfüm? Aus der Dunkelheit in die gleissende Helle der schönen Ausstellungsräume in Peter Kilchmanns Galerie kommend, muss ich die Augen zusammenkneifen. Vor mir laufen drei schick gestylte Frauen den Wänden mit Gemälden von Michael Bauer entlang. Wo warten auf sie irgendwo Wärter, Gitter und Zellen?, denke ich unwillkürlich. Pardon, meine Damen.
Zmijewski ist an der Vernissage selber anwesend. Wie viele Entlarver ist der Mann ein sensibler Idealist mit Hang zur Melancholie. Und ein polnischer Patriot! Als ich mit ihm das letzte Mal sprach, wohl anlässlich seiner vorletzten Ausstellung bei Kilchmann, hat er mich mit seinen strengen Ermahnungen, mich mehr um polnische Kultur und Politik zu kümmern, fast in eine schlimme Krise hineingeredet. Diesmal können wir dem gleichen Thema eine positive Wendung geben, und ich bekomme gute Tipps für Websites, auf denen man polnische Kultur besonders gut auch aus der Fremde verfolgen kann. Natürlich sind auch solche dabei, auf welchen die menschliche Dummheit und Borniertheit besonders gut zur Geltung kommen.

Der Künstler erklärt der Kunsthistorikerin Marianne Karabelnik seine Europa-Karte (links), die er mit Rotwein und Messer auf die Spiesekarte zeichnet (Mitte und links)
Anschliessend bekommen wir bei einem Züri-West-Italiener wunderbares Essen. Soulfood nennen das die Amerikaner – lauter Sachen, die einem guttun. Polenta, Tomaten, Hackbraten; Sie wissen, was ich meine. Zmijewski illustriert seine Erzählungen mit Zeichnungen auf dem Menü – mit einem im Rotwein getauchten Messer malt er nach und nach seine Europakarte. In der Mitte Warschau, im Westen Zürich, im Süden Auschwitz, wo seine Freundin Zosia arbeitet – eine kluge und nette Soziologin, sie ist auch dabei –, im Osten Vilnius, Lemberg, das krisengeplagte Kiew, irgendwo weiter weg leicht bedrohlich, Moskau … Ich bitte ihn drum, auch Minsk einzuzeichnen. Seit ich mal Witebsk besucht habe, schlägt mein Herz für das arme Weissrussland – unter dem Diktator Lukaschenko hat es nie eine Chance demokratischer Entwicklung bekommen.
Halloween in Züri-West – was wie eine abstossende Retortengeburt klingt, wird zu einer nachdenklichen, sentimentalen Reise.
dieser pole ist ein lahmer rationalist und nostalgiker. sowas geht mir gehörig auf den sack!
Sehr guter Blog und toller Künstler!