Das muss man Frank Gehry lassen: Der Mann weiss hitzige Diskussionen herauszufordern. Seine Fondation Louis Vuitton in Paris entwickelt sich zum umstrittensten Bau der letzten Jahre. Ich war dort, habe die Treppen, Terrassen und Passerellen bewandert, den Reden gelauscht, die Macher beobachtet und mit Gehry selbst gesprochen. Und stelle fest: Frank Gehrys Dilemma geht uns alle etwas an. Wir stecken alle in einem solchen.
Was: Eröffnung der Fondation Louis Vuitton im Bois de Boulogne bei Paris
Wo: Im Jardin de l’Acclimatation Metro: Les Sablons
Wann: Ab Montag, dem 27. Oktober 2014, fürs Publikum offen

Von rechts: Der Metro-Wegweiser (braun) zeigt das Problem des neuen Supermuseums karikaturistisch auf – es sieht aus wie ein langer Käfer oder … ach, lassen wir das. Mitte: Louis-Vuitton-Logo über dem Eingang. Links: Es türmt sich jäh vor einem auf.
Frank Gehry hadert mit dem «Bilbao-Effekt». Dadurch hat er den Ruf eines Architekten bekommen, der dem heiligen Nimbus der Kunst, der Ernsthaftigkeit, mit der sie betrachtet werden soll, schadet. Das schmerzt ihn. Das hat man an der Eröffnung in Paris deutlich gesehen. Die Fragen der Journalisten, die sich auf diesen Aspekt seines Schaffens bezogen, lachte er weg. Oder wischte sie mit einer ungeduldigen Handbewegung vom Tisch. In einem Gespräch im kleineren Rahmen erzählte er, wie traurig er das findet, dass er nach Bilbao jahrelang kein Museum mehr bauen durfte – weil er den Museumsdirektoren als «unfein» galt.
Dann hagelte es Kritik. «Frank Gehrys Fondation Louis Vuitton zeigt, dass er nicht aufhören kann», schrieb der Guardian. Die New York Times nannte sein neues Bauwerk «Trophy», ein Trophäe des Luxusgütermagnaten Bernard Arnault, des Bauherren und Besitzers von Louis-Vuitton-Moët-Hennessy. Das muss Gehry sehr verletzt haben. Eine Woche nach der Eröffnung der Pariser Fondation flog er nach Spanien, um den Preis des Prinzen von Asturien entgegenzunehmen. Und dann verlor er vollends die Nerven. Die erste Frage eines Journalisten, die sich auf die Kritik an seinem neuen Wunderwerk bezog, quittierte er mit einem «Stinkefinger». Er habe es satt, sagte er darauf unumwunden, ständig kritisiert zu werden. 98 Prozent von allem, das heute gebaut werde, sei «shit». Gebaut von Leuten, die einfach ein Haus bauen und fertig. Ohne einen künstlerischen Anspruch dahinter.

Die Chronik einer Kränkung (von links): Frank Gehry am Freitag, dem 18.10., in Paris – nachdenklich; am Montag, dem 20.10., in Paris – scherzend; am Donnerstag, dem 24.10, in Oviedo – entnervt. Letztes Bild ©Faro de Vigo
Und da sind wir genau bei Gehrys Dilemma angelangt. Sein Drang, etwas nach höherer Ordnung zu bauen, bringt ihn in eine Position, in der er gleichzeitig gewinnt und scheitert. Gewinnt, indem er der Welt eine Chiffre schenkt, ein Wahrzeichen, etwas, das nicht nur der kunstinteressierten Elite etwas gibt, sondern auch dem Touristentross aus der Mittelklasse und den Familienausflüglern aus den Vorstädten. Wenn man sich fragt, wer der zeitgenössischen Kunst zu jenem Siegeszug verholfen hat, den sie seit 20, 30 Jahren angetreten hat, kommt man schnell auf Gehry.
Gehrys Mut, seine Architektur von der sauberen geraden Linie der Moderne abzukoppeln, verdient zunächst einmal Bewunderung. Der 85-jährige Kanadier (ja, er stammt aus Toronto, auch wenn er seit 1947 in Los Angeles lebt) ist in seinem Herzen ein Künstler – wie wohl alle grossen Architekten. Er betont oft, wie gut er mit Künstlern befreundet ist, und das ist in seinem Fall überhaupt keine Floskel. Sehr früh schon diskutierte er mit Ed Kienholz, Bob Irwin, Ed Moses und Ed Ruscha neue Wege der künstlerischen Entwicklung. Mit Jasper Johns, Andy Warhol, Cy Twombly, Robert Rauschenberg, und Ellsworth Kelly gehörte er zum Freundeskreis von David Whitney (1939–2005), des grossen amerikanischen Vermittlers zeitgenössischer Kunst. Den grössten Einfluss auf die Entwicklung seines Stils habe Robert Rauschenberg gehabt, sagt etwa Gehry in Sydney Pollacks Biopic über ihn («Sketches of Frank Gehry»). Rauschenberg brauchte Dinge, die er auf der Strasse fand, wie zerknülltes Papier etc. und schuf damit seine Kunstwerke. Als Gehry sich entschloss, einen solchen künstlerischen Zugang zur Architektur zu wagen und die heilige Doktrin ausser Acht zu lassen, dass Form der Funktion folgen muss, wurde er zum bauenden Künstler.

Von links: Frank Gehry und Ed Moses in den 1960er-Jahren; die LA-Modernisten Dennis Hopper, Frank Gehry, Ed Ruscha; Robert Rauschenberg am Werk.
Ähnlich wie Steven Spielberg, Daniel Libeskind oder Roman Polanski hat Gehry zudem ein untrügliches Gespür für Auffallendes. Er ist nicht bescheiden. Er gibt einen drauf, klotzt, statt zu kleckern, hat keine Berührungsängste mit dem Massengeschmack, kümmert sich nicht um Stilpäpste – und hat Erfolg damit. Vor allem das Letztere verdriesst viele Kollegen, die doch immer brav das Richtige gemacht hatten und nun keinen «Effekt» nach sich benannt bekommen.

Von links: Gehrys eigenes Haus in Santa Monica; Guggenheim Bilbao (mit Louise Bourgeois’ Spinne davor); das «tanzende» Haus in Prag.
Aber eben. Dieser Bilbao-Effekt, mit dem eine touristisch-kommerzielle Wirkung eines Gebäudes bezeichnet wird, das sich zu einem Magneten für den Massentourismus mausert und eine Stadt auf die internationale Sehenswürdigkeitenkarte zu setzen vermag, ist eine ambivalente Auszeichnung. Denn gerade jetzt, in der Stimmung des Kapitalismuskaters, in der das Kunstsammeln und das Bauen von Privatmuseen zum beliebten Zeitvertreib einer neuen globalen Finanzoligarchie geworden sind, wird die Kritik lauter und lauter. Ist der Siegeszug der zeitgenössischen Kunst überhaupt ein Siegeszug, fragen viele. Oder nur ein langer Marsch in die Versklavung durch das Kapital?
Das sind wichtige Fragen. Denn sie gehen nicht nur Frank Gehry an, sondern uns alle. Kunst war immer schon für Könige. Doch geht sie diesmal mit ihrem Diensteifer zu weit? Jedenfalls: Es gibt nichts Giftigeres für einen wie Gehry, als sich mit einem Bau rechtfertigen zu wollen. Und das wollte er mit der Pariser Fondation – das gibt er unumwunden zu. Das sollte sein Opus Magnum werden, ein Werk, das endlich den moralinsauren Kritikern das Maul stopft. Seht her – schreit das Gebäude –, ich bin die Überwindung der Schwerkraft selbst! Ich fliege davon, getragen von meinen zwölf Segeln, von meinen Hundert Brücken, von meinen Tausend Holz- und Metallstreben. «This is a forgiving house», sagte Gehry immer wieder in Paris. Als ob er hoffen würde, das Verzeihen würde auch endlich ihm, dem Unbescheidenen, zugutekommen.
Doch wie es oft geschieht, gerade dann, wenn man es unbedingt allen zeigen will, kommts anders. Jetzt sagen alle: Das Haus ist zu viel, weil Gehry zu viel Geld bekommen hat von seinem Louis-Vuitton-Täschchen-Bauherr Bernard Arnault. Und diese Kritiker haben nicht nur unrecht. Es gibt viele Winkel in der Fondation, in welchen man sich nur noch von der Überkomplexität erdrückt fühlt. Ein Wirrwar der Formen und Elemente überwältigt.
Denn zu Gehrys Stärken hat bis jetzt vor allem gehört, in fertigen Bauten die Mühe der Realisierung komplett auszublenden. Seine stärksten Gebäude scheinen dem Betrachter zuzulachen. Sie sagen: Guck mal, da hat sich einer etwas so Hirnrissiges ausgedacht und schon steht es da, wie ein Traum. Und diese Leichtigkeit hat Fondation LV nicht. Man merkt ihr an, dass sie einen verblüffen will. Und das ist für ein solches Gebäude ein gewaltiger Makel.
der bilbao-effekt ist allenfalls als nebenschauplatz eine kommerziell-touristische sache.
in bilbao war die folge vom gehry bau letzten endes, dass globales kapital plötzlich nach bilbao floss. bilbao war auf der weltkarte der investoren aufgepoppt. das jetzt mittelklasse-afin zu nennen, finde ich ein bisschen zynisch; heute, 20 jahre später sind die resultate dieses effekt in der vollen entfaltung sichtbar. und der trickle-down-effekt, welcher parallel mit der ideologie des foreign direct investements (fdi) geht – dafür steht gehrys bilbao letztendlich-, wurde längst als uneingelöstes neoliberales versprechen entlarvt. in dem sinn ist es sehr bezeichnend, dass der neueste bau in paris einen globalen luxusgüterkonzern repräsentiert – stararchitekten als willige und unkritische handlanger des globalen kapitals.
Liebe Ewa Hess,
mit diesem Beitrag wird Ihr Blog ganz und gar zu dem, was wir an anderen medialen Orten inzwischen so sehr vermissen: die kenntnisreiche, subjektive, kontroverse Position, die zum Nachdenken und Diskutieren einlädt. Bitte sehr viel mehr davon!
Mit grossen Komplimenten für diesen Beitrag und Ihre Arbeit, Ihr Heinrich Jakob
Gehrys Stinkefinger war nicht direkt an den Journalisten selbst gerichtet. Vielmehr hatte ihn dieser gefragt, was seine Antwort an die Kritiker sei, die ihm vorwerfen, er betreibe Show-Architektur. Der Finger ist diese Antwort.
Anlass zu Kritik gibt es immer. Nichts kann allen gefallen.
Peis Louvre Pyramide wurde vorerst abgelehnt; auch vieles von Scarpa, Botta, Rossi, Zumthor und schon früher von Corbusier.
Erst mit der Zeit fing das Publikum an, die vorerst gewöhnungsbedürftigen Schöpfungen zu schätzen. Heute gehören diese zu den Sehenswürdigkeiten der Städte und gereichen den meist verstorbenen Auftraggebern zur Ehre. Gleiches dürfte einmal für das aktuelle Thema Gehry/LVMH/Arnaud zutreffen.
Im deutschen Sprach- und Kultur Raum scheint man all zu viel Angst vor jeder Art von Ablehnung und Kritik durch ein klein-bürgerliches Publikum, wenig kompetente Medien und selbsternannte Experten zu haben. Die Folge ist fast durchwegs triste Mediokrität. Es fehlt überall an kreativer Courage!
Das neue Berlin ist eine Tragödie der verpassten Gelegenheiten ( man denke etwa an Friedrichstrasse und Kanzleramt ). Das neue Zürich-West ist um keinen Deut besser und gleichermassen auch die neuen architektonischen Schwachstrom-Kreationen in Seebach und Oerlikon.
Spätere Generationen werden wahrscheinlich den gesichtslosen Einheitsbrei einmal verfluchen.
Es braucht bei Auftraggebern und Architekten viel mehr Mut dazu, dass auch einmal etwas nicht gefällt und Gewagtes daneben geht, wie etwa die Mitterandsche National-Bibliothek oder die Opéra Bastille in Paris.
Aber immerhin wurde etwas gewagt!
Ängstlichkeit war schon immer ein schlechter Berater !
jorge, architektur ist nicht kunst.
loos schrieb mal: “nur ein ganz kleiner teil der architektur gehört der kunst an: das grabmal und das denkmal. alles andere, was einem zweck dient, ist aus dem bereich der kunst auszuschliessen. erst wenn das grosse missverständnis, dass die kunst etws ist, was einem zwecke angepasst werden kann, überwunden sein wird, … erst dann werden wir die architektur unserer zeit haben”
architektur ist also mehr als ein spielzeug für stararchitekten und reiche bauherren. aber ganz bezeichnend nennen sie als beispiele lauter pompöse bauten, welche – um den link zum blog zu machen – völlig abgehoben von der welt der mittelklasse sind. architektur ist mehr als das.
apropos zürich seebach: ich kenne keinen guten oder interessanten wohnungsbau, den gehry gemacht hat.
Liebe Ewa
Danke für Ihren Artikel über Frank Gehry und sein Werk.
Ich bewundere und freue mich über Menschen die spezielle Objekte realisieren, wie Herr Gehry. Sie nähren und inspirieren Herz und Sinne.
Allerdings: “…kunstinteressierten Elite etwas gibt, sondern auch dem Touristentross aus der Mittelklasse und den Familienausflüglern aus den Vorstädten”
Diese Ihre Bezeichnung kommt mir sehr schräg und verletzend rein. Bitte seien Sie mit Ihrer “Einteilung” von Menschen sorgfältiger. Wo würden Sie sich zum Beispiel selbst ansiedeln?
Freundliche Grüsse
Barbara
Liebe Barbara, danke für Deine aufmerksame Lektüre und feine Empfindung. Ich finde diese Bezeichnungen eigentlich nicht verletzend, aber ich denke über Deinen Einwand nach. Ich zeichne damit in etwa die Argumentation jener nach, die meinen, Gehrys Werk sei zu wenig fein und meine es keineswegs negativ. Ich persönlich bin – um auf Deine Frage zu antworten – eher Touristentross aus der Mittelklasse. Kunstinteressiert bin ich zwar schon und fahre weit, um sehr spröde Ausstellungen anzuschauen. Doch Elite bin ich nicht und reise nicht mit einem Pivatjet an. Familienausflügler aus den Vorstädten stelle ich mir sogar besonders glücklich vor. Gerade der Jardin d’Acclimatation, wo Gehrys neuer Bau steht, ist dafür die ideale Destination! Denn der von Marcel Proust sehnsüchtig beschriebene Jardin ist eigentlich ein Kinderspielplatz, früher war da sogar eine Art Zoo. Und Frank Gehry hat während unserem Gespräch deutlich gemacht, dass er es sich gut vorstellen könnte, wenn in dem neuen Gebäude statt Kunst nur Pflanzen – oder nur Kinderzeichnungen – ausgestellt wären. Das hat er wörtlich so gesagt. Es lebe der Familienausflug!
@Hesse/Gehry:
“dass er es sich gut vorstellen könnte, wenn in dem neuen Gebäude statt Kunst nur Pflanzen – oder nur Kinderzeichnungen – ausgestellt wären.”
Das ist ein guter Gedanke, denn dann wäre das Gebäude von Gehry eher ein Kunstwerk. Denn ein Kunstwerk ist ja je nach Definition zwecklos, das Haus, in welchem Kunstwerke stehen, ja nicht, also der Zweck des Museums ist das Ausstellen von zwecklosen Dingen. Befinden sich darin igrendwelche Pflanzen gemischt mit Kinderzeichnungen oder so etwas, verliert das Museum doch mindestens in gewissen Graden seinen Zweck, also das Austellen, sodass das Gebäude selber zum Kunstwerk wird: Es würde Verweilen sein, was ja auch eine Funktion von Kunstwerken ist. Gehrys Gebäude wäre also kein Museum, sondern ein nutzloses Kunstwerk, und davon träumt doch jeder Architekt.
Die ‘Versklavung durch Kapital’ ist auch ohne Gehry passiert, siehe Ropac Panthin oder Gagosian Le Bourget, ua. Und kommen wird das Gehry-Fotomuseum in Arles von Maya Hoffmann. Für die heruntergekommene Stadt Bilbao war und ist der Kunstbesucher-Boom ein finanzieller Segen – an dem die betuchten ‘Sammler’ sicher nicht teilnehmen. Gemacht haben den Kapital-Boom-Kunstmarkt die neureichen Banker und die Tausende von Privat-Kuratoren/innen, Galeristen und Vermittler.
Paris wird Gehry lieben (wie Ming Pei) und wird den Bau ‘verdauen’ – Paris hat dazu das Volumen.
Andere, wie die Basler, haben Calatrava und Hamid an der Urne abgelehnt, Roche (Kapital ?) darf dafür alles, auch das Hässliche!