Spaziergang durch Raum und Zeit

Giovanni Pontano am Montag den 15. September 2014

Während im Kunsthaus Zürich zur Vernissage von Hodler und Schnyder unter kundiger Führung von Peter Fischli das Licht ausfiel, fand sich ein munteres Grüppchen von Kunstaficionados zu Gast bei Victor Gisler in dessen Galerie Mai 36 an der Rämistrasse wieder: und es ward Licht!

Was: «memento» – Jacobo Castellano, Luigi Ghirri, Jürgen Drescher, Zoe Leonard, kuratiert von Maria de Corral
Wo: Galerie Mai 36, Rämistrasse 37, Zürich. www.mai36.com
Wann: Donnerstag 11. September (Ausstellung bis 25. Oktober)

Die international arrivierte Kuratorin Maria de Corral (leitete zusammen mit Rosa Martinez im Jahre 2005 die Biennale in Venedig) kuratiert, ja orchestriert meisterhaft eine feinfühlige und poetische Gruppenausstellung von Künstlern der Galerie rund um neue Werke des bei uns noch unbekannten spanischen Künstlers Jacobo Castellano, sie tut das übrigens wie man hört das allererste Mal in einer privaten Galerie (!).

Das Werk des Spaniers steht im Zentrum, es geht von konkreten Gegenständen als Rohmaterial aus, schafft eine ganz eigene Welt voller Erinnerungen und Erfahrungen und konstruiert so eine Vorstellungskraft mit Bildern aus der Vergangenheit. Dies alleine ist eine gute Ausstellung.

Jacobo Castellano, drei aktuelle Werke in der Galerie Mai 36

Jacobo Castellano, drei aktuelle Werke in der Galerie Mai 36

Die Ausstellung wird eine richtig gute, ja eine tolle, in der narrativen Verbindung dieser Werke durch Maria de Corral zu so entgegengesetzten Positionen wie sie die Fotografien von Luigi Ghirri und Zoe Leonard sind. Das Gedächtnis, das Andenken, «Memento», der Echoraum hinter den einzelnen Werken legt so einen erzählerischen Strang frei, der einen ganz selbstverständlich von Werk zu Werk führt, es werden überraschende Verbindungen geschaffen und auch die einzelnen Werke werden im ungewohnten Kontext neu und überraschend aufgeladen.

Zoe Leonard: «Niche», 2002/03, «Artist», 2004/06, «Green Door», 2001/02 (Courtesy Mai 36)

Zoe Leonard: «Niche», 2002/03, «Artist», 2004/06, «Green Door», 2001/02 (Courtesy Mai 36)

Insbesondere den grossartigen Italiener Luigi Ghirri, den Victor Gisler seit einigen Jahren im Programm führt und für eine breitere Sammlerschaft von Kunstfotografien recht eigentlich erst wiederentdeckt hat, erfährt so einen wunderbaren Auftritt. Ausgehend von den Skulpturen des jungen Spaniers Castellano, die einen plötzlich an Werke der arte povera gemahnen, drückt sich in den Aufnahmen Ghirris eine unglaubliche Sehnsucht nach Ästhetik besonders klassischen Vorbilds aus; die perfekt durchkomponierten Fotografien bilden spröde Szenerien ab, die der Künstler mit treffsicherem Auge stilisiert und überhöht. Leere, Sehnsucht, Abwesenheit sind die Themen, die Ghirri meisterhaft inszeniert. Fast würde man meinen, dass damit der Strang imaginär schon weitergelegt wird ins Fotomuseum Winterthur, wo tags darauf der filmische Meister von Sehnsucht und Ästhetik, Michelangelo Antonioni, gefeiert wird.

Luigi Ghirri:  Veneto (Serie: Paesaggio Italiano), 1985-89, Sirmione (Serie: Paesaggio Italiano), 1989,  Roma (Serie: Italia ailati, Topographie-Iconographie), 1977 (courtesy Mai 36)

Luigi Ghirri: «Veneto» (Serie: Paesaggio Italiano), 1985-89, «Sirmione» (Serie: Paesaggio Italiano), 1989, «Roma» (Serie: Italia ailati, Topographie-Iconographie), 1977 (courtesy Mai 36)

Ein angeleiteter Spaziergang durch Raum und Zeit also, so zwanglos schön kann Kunstgenuss sein!

15.09.2014, Giovanni Pontano

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