Der Teufel in seinem Kopf

Ewa Hess am Dienstag den 13. Mai 2014
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«Pioneer 48» von Mario Sala in der Galerie Nicola von Senger.

«Mind fuck» ist ein Begriff, der zu Unrecht abschätzig klingt. Erstens muss jeder mit dem F-Wort zu bezeichnende Akt auch unbedingt einen «Mind»-Anteil haben, soll er so richtig gelingen. Und zweitens ist eine erst mal im Hirn anschwellende Leidenschaft auch eine wilde Sache. Diese intellektuelle Wildheit gehört zu Nicola von Sengers Galerieprogramm, und der ist auch Mario Sala, dessen «Anthony Cells» am Freitag eröffnete, komplett verfallen. Im besten Sinn! Im Kopf des 49-jährigen Winterthurer Künstlers ist der Teufel los. Nein, Entschuldigung, natürlich nicht der Teufel, sondern der heilige Antonius, genannt «Anthony Cells». Diese erfundene Figur steht im Zentrum eines schwindelerregenden Universums, das sich in Salas Werken bruchstückhaft manifestiert.

Mario Sala und die «apokalyptische Raumecke»

Mario Sala und die «apokalyptische Raumecke».

Der Künstler erklärt mir die Auslegeordnung der kleinen Schau mit vor innerer Aufregung glühenden Wangen. Da haben wir also einerseits den «Trigger». Das ist die grosse Skulptur in der Mitte des Galerieraums. Ihr Rückgrat ist eine Angelrute. Diese steht auf einem Fundament aus Sägespänen und ist ganz und gar mit Schwämmchen ummantelt. Oben, weit über den Köpfen der Besucher, wird sie von einem nassen Schwammkopf gekrönt, weshalb sie sich auch weniger oder stärker neigt – je nach Trocknungszustand des saugfähigen Kopfes.

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Alles klar? Nein? Macht nichts, es sieht fantastisch schön aus. Links: «Piece 03», 2014, Autolack auf Aluminium. Rechts: «Trigger 03», 2014, Schwamm, Metall, Angelrute, Teppich, Sägemehl, Wasser.

Rund um dieses Objekt, das entweder aus dem Weltall oder aus der Fernsehserie «Stark Trek» stammen könnte (und zwar aus den ersten Staffeln mit Cpt. Kirk, zum Beispiel aus der legendären Episode mit den schwammartigen «Tribbles» – remember?), gibt es verschiedene Arten von Werken, etwa die «Pioneers», pastose Leinwandbilder, oder «Pieces», Autolack auf Aluminium, oder «Forms», die wie Collagen daherkommen.

Jede Sorte gehört einer imaginierten Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart an, jedenfalls einer Parallelwelt, die sich in dieser Zelle des heiligen Antonius («Anthony Cells» = Anthony’s Cell?) materialisiert. Alles klar? Nein? Macht nichts: Es sieht fantastisch schön aus. Und zwar jede Sorte! Die abstrakten Ölbilder sind auf pastellfarbene Art expressiv. Die Pieces leuchten elegant mit ihren kühlen Oberflächen. Die Collagen faszinieren mit einer Vielzahl von Details. Und die in einer Ecke der Galerie installierte apokalyptische Zersetzung scheint die Anwesenheit des Trigger-Aliens zu rechtfertigen.

Galerist spricht mit einem alten Schulfreund (l.), Helmhaus-Chef Simon Maurer (r.)

Galerist spricht mit einem alten Schulfreund (l.), Helmhaus-Chef Simon Maurer (r.).

Dass man hier auch Ian Anüll trifft, den seit den 70er-Jahren stetig klugen Konzept- und Installationskünstler, erstaunt nicht. Auch er rekonstruiert gerne die Realität auf eine sprechende Art. Der 66-jährige Ungezähmte trägt immer noch ein Copyright-Zeichen auf dem Schneidezahn, eine Konsumkritik am eigenen Leibe. Er besitzt mehrere Werke Salas, verrät er, und verfolge dessen Entwicklung mit Spannung. Simon Maurer, Helmhaus-Chef, kommt natürlich vorbei – er zeigte schon sowohl Sala als auch Anüll. Das grosse beige «Piece 3» zieht seinen Blick immer wieder wie magisch an (zum Verkauf stünde es ja, allerdings für stolze 34’000 Franken).

Künstler Ian Annül, Salas Objekt «Smithereen»

Künstler Ian Anüll, Salas Objekt «Smithereen».

Ein Sala-Sammler führt seine Verhandlungen mit dem Galeristen unten vor der Haustüre. Es gehe um eine Skulptur, die gar nicht in der Ausstellung drin ist, verraten die beiden Gutgelaunten. Oliver Onkel (Kitesurfer und ein Neffe der Psychologin Julia) trägt eine farbige Halskette und einen schwarzen Knopf im Ohr, was ihm ein verwegenes Aussehen eines (etwas athletischeren) Jack Sparrow verleiht.

Galerist Nic von Senger, Sammler Oliver Onken (l.). Architektin Katharina Werner mit Hund Boss

Galerist Nic von Senger, Sammler Oliver Onken (l.). Architektin Katharina Werner mit Hund Boss.

Die Vernissage ist gut besucht, Galerist Peter Kilchmann kommt mit seinem Verlobten Alessandro Pascarella (sie heiraten im Juli). Die Fotografin Claudia Luperto spricht mit Ludmilla Sala, der Frau des Künstlers, und dem Architekten Peter Kunz (Erbauer von u.a. den schönen Garagenateliers in Herdern). Luperto hat mit einer Fotoserie über Kunz’ Bauten eine Teilnahme an der EWZ-selection gewonnen.

Fotografin Claudia Luperto, die Frau des Künstlers, Ludmilla Sala-Etter, Architekt Peter Kunz (l.). Galerist Kilchmann mit Mario Sala (r.)

Fotografin Claudia Luperto, die Frau des Künstlers, Ludmilla Sala-Etter, Architekt Peter Kunz (l.). Galerist Kilchmann mit Mario Sala (r.).

Auffallend ist die Hundedichte. Die Architektin Katharina Werner wird begleitet vom Boxer Boss – der sympathische Lefzenträger trägt das gleiche Halstuch wie der Künstler (Zufall!). Der kleine weiss-schwarze Vierbeiner, der mit von Sengers Schulfreund kam, gerät kurzfristig in den Verdacht, die zentrale Skulptur «begossen» zu haben. Aber nein, die ist ja nass, die Pfütze produziert sie selber.

Vor der Galerie gehen die Gespräche weiter, bei Bier und Weisswein. Man bewundert die schöne Marmortreppe im ehemaligen Bürohaus vis-à-vis des Löwenbräus und irgendwie ist es auch nett, dass hier nicht alles auf piekfein renoviert ist wie auf der anderen Seite der Strasse. Kurz und gut, ein Abend, der selbst den heiligen Antonius in Versuchung brächte, ein schönes Objekt für seine Zelle zu kaufen («Anthony Cells»= Anthony sells?).

Die schöne Treppe! (Bild: Simon Maurer, alle anderen Bilder Ewa Hess oder zvg)

Die schöne Treppe! (Bild: Simon Maurer, alle anderen Bilder Ewa Hess oder zvg).

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