Grosse Galerien drängen nach Zürich, weil es hier etwas zu holen gibt: Paradeplatz ist eine gute Passantenlage für Millionäre. Zu gute, findet Mitchell Anderson. Sein Off-Space Plymouth Rock bietet ein Kontrastprogramm zum gentrifizierten Löwenbräu. Es ist eine Glasbude im Level 1 der ausrangierten Spiralgarage beim Letzigrund – ihr ehemaliges Kassenhäuschen. Am regnerischen Tag der ersten Vernissage leuchtet es wie ein UFO im feuchten Halbdunkel der Garage.
Mitchell, aufgewachsen in Chicago, lebte zuletzt in Texas. In Zürich ist er erst seit einigen Monaten. Lang genug, um eine Lücke im Kunstbetrieb der Stadt auszumachen: Kunst, die nirgends ist und irgendwo sein sollte. Den Ort mit Underground-Touch hat Anderson zufällig entdeckt und – beginners luck – sofort mieten können. Er hofft auf Zürcher und Expats und auch darauf, dass sie hier miteinander ins Gespräch kommen. Sein erster Künstler, Adam Cruces, ist ein echter Texaner, als Student der HdKZ bereits produktiv eingeschweizert. Seine Werke sind witzig, wenn sie auch den Anspruch des Noch-Nicht-Da-Gewesenen noch nicht so ganz erfüllen. Mit ultravioletter Tinte gemalten kleinen Gemälde erinnern an Künstler des 20. Jahrhunderts wie Henri Matisse, Keith Haring oder Paul Cézanne.
Werke aus Gläsern, an Stangen befestigt, führen kleine Kunststücke vor. In jedem Glas ist eine metallene Erinnerung an durchtanzte Nächte versenkt. Bierflaschenöffner, Schlüssel, Nippes, die in ihrem wässrigen Gefängnis erodieren. Die Ausstellung hat etwas Nonchalantes, Bewegtes – das ist ihr grösster Reiz.
Ein Objekt mit wulstigem gelben Boden in der Mitte des Raums zieht die Blicke auf sich. Hommage an Matthew Barney? Nein, das Ding ist keine Kunst, es gehört zur Garage. Die gelben Wülste sind Isoliationsmaterial. Die Eröffnung erfreut sich trotz Kälte und Regen eines guten Zuspruchs. Im nahe gelegenen Letzistadion spielt GC gegen FCZ, Petarden steigen. Die Kunst-Aficionados biegen unbeirrt in den dunklen Garageneingang ein, steigen die Rampe hoch. Es werden neben anderen auch der Kunstkritiker Martin Jaeggi und der Kurator Fredi Fischli gesichtet.
Mitchell nennt seine Galerie Plymouth Rock. So heisst der Stein, mit dem die Mayflower-Siedler in Amerika den Ort ihrer Ansiedlung gekennzeichnet haben. Das soll laut Mitchell nicht als kolonialer Übergriff gedeutet werden. Was er mit dem Symbol assoziiert, ist die Energie eines Neuanfangs. Keine Infrastruktur, kein didaktisches Programm, dafür der Thrill vom Authentischen, Unverfälschten. Es muss nicht immer alles perfekt sein, will er zeigen. Und eine Spontaneität an die Limmat verpflanzen, welche arme Länder besser hinkriegen als reiche. Seine Heimat, die USA, gehört vielleicht neuerdings zu den ersteren.