In der Kunsthalle Zürich geht es meist um eine intellektuelle Herausforderung, doch heute wird auch hochprozentige Oktopustinte ans Volk verteilt. Es ist ein Drink nach dem Rezept von Ed Atkins, dem Künstler, dessen Monitore in den Räumen der Kunsthalle gerade dröhnen. Atkins, 32 Jahre alt, gilt als ein artist’s artist, also einer, dessen Einfluss grösser als seine Bekanntheit ist. Immerhin gleicht die Karriere des in Oxford geborenen Briten einer hochfliegenden Kometenbahn. Er hatte eine Einzelausstellung in der Tate Britain und im New Yorker PS 1. Seine Werke wurden an den Biennalen in Venedig und Lyon gezeigt. Er war writer-in-residence in der Whitechapel Gallery in London. Als einer der wenigen Künstler ist er vertraut mit den Programmierungscodes, er macht buchstäblich seine Spezialeffekte selbst. Grossartig: Die Haut, die Haare, die Poren, seine digitalen Geschöpfe sind gleichzeitig superreal und komplett künstlich.
An der Vernissage an diesem Freitag herrscht eine aufgekratzte, auch ein wenig hysterische Stimmung. Das hängt mit Atkins nervenaufpeitschender Installation zusammen. Ein monströser Kopf, manchmal ohne, manchmal mit Körper, singt, schreit und murmelt zum kraftvollen Sound in die Menge hinein. «Von Manipulation versteht er etwas», sagt Kunsthalleleiterin Beatrix Ruf, mit einem diabolischen Leuchten im Auge. Die Direktorin mag es, ihre Stadt zu einer künstlerischen Denksportaufgabe herauszufordern. Unter den Gästen sieht man Hansruedi Reust, Professor an der HdK in Bern und den Direktor des Kunstmuseums St. Gallen, Roland Wäspe, in einem dunklen Saal wie versteinert den schwarzen Versen lauschen. Atkins braucht starke Metaphern, etwa die einer Wimper, die er unter der Vorhaut seines Liebhabers entdeckt. Aus dieser ekliger, vermutlich stinkender Wimper folgen lyrische Litaneien über die Sehnsucht nach der Liebe, nach dem anderen Körper, nach einem Körper der Liebe überhaupt.
Der sprechende Kopf klagt und flucht. Wäre das nicht eine brillante HD-Computeranimation, könnte man meinen, der Geist Allen Ginsbergs sei in die Monitore geschlüpft. Das Ganze hat etwas Archaisches und Anarchisches an sich. Es ist als ob der von Freud einst entdeckte Bewusstseinstrom dem digitalen Golem hier aus dem Mund flösse. Gespenstisch und schön.
Die Ausstellung heisst Un-Like. Ein Manifest gegen das überpräsente Like der social media? Atkins’ klagende, singende Ungeheuer sind verführerisch wie die Sirenen. Gleichzeitig spukt in ihnen eine geballte Ladung animalischer Verzweiflung. Das randalierende, leidende menschliche Tier spricht zu uns aus seinem wunderschönen digitalen Gefängnis. Er wolle gegen die Unsterblichkeit ankämpfen, sagte mal Atkins in einem Interview. Ohne Tod kein Eros. Alles klar?