Die Rückkehr der Jassgrenze
Neigt sich die Westschweiz nach links? Diesen Eindruck könnte man beim Anblick der Karte der Ständeratswahlen erhalten. Die geografische Aufteilung der Erfolge und Misserfolge der Parteien ist markant: Grosse Siegerin der Wahl 2011 ist die SP. Sie hat jetzt in jedem der zehn Kantone der westlichen Schweiz einen Sitz: Basel-Stadt, Baselland, Solothurn, Aargau, Bern, Jura, Neuenburg, Freiburg, Waadt und Genf. Alle Westschweizer Kantone, mit Ausnahme des Wallis, haben die Hälfte ihrer Vertretung im Ständerat der SP übertragen. Auch die Grünen, die andere im Parlament vertretene Linkspartei, haben zwei ihrer Vertreter in diesem Teil des Landes wählen lassen (Waadt und Genf). Von den 22 Sitzen, welche die westliche Schweiz im Ständerat hat, gehören 12 der Linken. In der übrigen Schweiz (sowohl in den ländlichen wie in städtischen Gebieten) konnte die Linke einzig in St. Gallen einen Sitz im Ständerat erobern.
Dieser Unterschied wird noch frappanter angesichts der Ergebnisse der SVP in denselben Wahlen. Im Nationalrat erhält die nationale Rechte Sitze in Schwyz, Glarus, Schaffhausen und Thurgau (Zentral- und Ostschweiz). Aber keinen einzigen Sitz in der westlichen Hälfte des Landes! Wenn man die Wahlkarte so zeichnet, ergibt sich ein starker Kontrast, der sich weder durch sprachliche, religiöse oder wirtschaftliche Unterschiede noch durch den Gegensatz Stadt-Land erklären lässt.
Die westliche Schweiz wird getragen durch ihre Geschichte und die Bedeutung der gnädigen Herren von Bern und hat viel Verständnis für den Staat, die zentrale Institution der Gesellschaft.

Der Erfolg der Linken in der Westschweiz hat historische Gründe: Die Waadtländer Ständeräte Géraldine Savary (SP) und Luc Recordon (Grüne) nach ihrer Wahl.
Woher kommt also diese neue Grenzlinie? In Tat und Wahrheit ist sie alles andere als zufällig. Ihr ungefährer Verlauf ist den Historikern und Soziologen wohl bekannt: Sie sehen dieses Gebiet als Scharnier zwischen zwei ganz unterschiedlichen «Schweizen» an.
Einige sprechen von der Napflinie (der Napf ist ein Berg an der Grenze Bern-Luzern). Sie begrenzt traditionellerweise zwei Räume und zwei Mentalitäten mit völlig unterschiedlichen Konzeptionen des Staates und seines Handelns. Im Westen wird ein starker, manchmal übermächtiger, Staat allgemein akzeptiert und gehört zur Tradition. Man sieht das beispielsweise an der interkantonalen Statistik der Steuerbelastung. Der starke Staat hat seinen Preis und die Kantone in der westlichen Schweiz erheben die höchsten Steuern. Die Schweizerkarte der steuerlichen Belastung entspricht fast völlig der Karte der Ständeratswahlen 2011. Im Westen besteht eine starke Steuerlast. Im Osten hält sich der zähe Wille, die Macht des Staates zu beschränken, da man ihm misstraut.
Seit Jahrhunderten haben die Eliten der Westschweiz für ihre Kinder die Aufgaben der Staatsdiener oder der freien Berufe bevorzugt (Diplomatie, Beamte, Lehrer, Pfarrer, Notare oder Rechtsanwälte), während in der östlichen Schweiz vor allem Privatinitiative und Unternehmertum hochgeschätzt wurden. In der westlichen Schweiz gibt es doppelt so viele Universitäten wie in der östlichen Schweiz und wenn im Westen ein neuer Kanton entsteht (Jura), so nennt er seine Institutionen in pompöser Weise «Regierung » und «Parlament » statt «Regierungsrat» und «Grosser Rat ». Kann man sich einen ähnlichen Stolz in Appenzell vorstellen? Die westliche Schweiz wird getragen durch ihre Geschichte und die Bedeutung der gnädigen Herren von Bern und hat viel Verständnis für den Staat, die zentrale Institution der Gesellschaft. Die Regierung soll planen, ihre Sache und eine Vision verteidigen, über Instrumente verfügen, Symbole verwenden, z. B. architektonische, und eine gewisse Feierlichkeit ausstrahlen, das ist ganz natürlich in einem Staat. In einem solchen Umfeld findet die klassische Sozialdemokratie zweifellos einen fruchtbaren Boden für ihr Bestehen und ihre Entwicklung.
Im Osten der Schweiz sieht man dagegen im Staat nur einen Beauftragten, der sich an das vereinbarte Pflichtenheft halten muss. Sein Handeln ist mehr toleriert als erwünscht. Es herrscht ein Klima, dass «weniger Staat », neoliberale Konzeptionen und die Bekämpfung des Establishments durch die SVP begünstigt.
Was ist der Ursprung dieser merkwürdigen Grenzlinie? Die Historiker sind ein bisschen ratlos. Vor allem, da diese Grenze ungefähr mit einem anderen tiefen Bruch der Schweizer Kultur zusammenfällt: die unterschiedlichen Jasskarten. Zu meiner Linken die französischen Karten mit Schaufel und Kreuz. Zu meiner Rechten Karten mit Eicheln und Rosen. Der Wahlgraben und der Steuergraben stimmen fast mit dem Jassgraben überein. Gewisse Analysten sehen darin die Überreste des Einflusses Frankreichs oder Napoleons. Mit ihren Kartenspielen sollen die Armeen der Grossen Nation etwas von ihrer Staatskonzeption hinterlassen haben. Andere sehen in dieser unsichtbaren Grenze das Kennzeichen der uralten Trennung zwischen den ostfränkischen und den westfränkischen Königreichen mit ihren unterschiedlichen Machtstrukturen. In diesem Fall wäre der Erfolg der SP in der westlichen Schweiz ein sehr späte Folge der Völkerwanderung. Die Geschichte macht bescheiden.
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30 Kommentare zu «Die Rückkehr der Jassgrenze»
Würde man auf der Karte noch Rechsteiners Sitzgewinn in SG einzeichnen, ergäben die Schlussfolgerungen in diesem Artikel keine Sinn mehr.
Vous avez raison : la victoire historique et inattendue du syndicaliste et de surcroît de l’aile gauche du PS Paul Rechsteiner à Saint-Gall démontre les limites du bien-fondé de cet article. Car les victoires socialistes dans les cantons urbains et semi-urbains de Berne, Argovie et St-Gall sont dues avant tout au formidable rejet des ténors de l’UDC blochérienne avec le slogan imparable „TOUT SAUF L’UDC ! “ C’est ça la véritable leçon des dernières élections fédérales au Conseil des Etats. La démonstration a été faite que l’UDC a très peu de succès dans les élections au système majoritaire!
Schade, dass der SP-Sitz in St. Gallen auf der obigen Karte vergessen gegangen ist. Dann würde die Argumentation nämlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, zumal in gewissen Gegenden des Thurgaus auch mit französischen Karten gejasst wird…
Der Artikel ist eh eher durchwachsen, weil es wäre mir neu, dass man im Aargau mit Französischen Jasskarten spielt, St.Gallen ging eh auf der Karte vergessen und im Thurgau wird hingegen mehrheitlich mit Französischen Karten gespielt. Aber egal. Sonst hätte der Artikel keinen Sinn.
Hingegen wäre es interessant, wie populär die jeweiligen Ständeratskandidaten waren. Vielleicht liegts auch daran… 😉
http://de.wikipedia.org/wiki/Br%C3%BCnig-Napf-Reuss-Linie
Im Aargau wird sehr wohl mit franzoesischen Jasskarten gespielt, jedenfalls im Berzirk Zofingen an der Grenze zu Bern und Solothurn. Auch im Fricktal wird oft zu den franzoesischen Karten gegriffen.
Im Aargau bildet die Aare (wenigstens im unteren Aaretal) die Jasskartengrenze.
Beim Thurgau kann ich nur spekulieren: Napoleon III soll dort aufgewachsen sein.
Kleine Anmerkung:
Im AG (zusammengesetzt von Napoleon) gibts noch ein paar Reminiszenzen davon:
z.B.: „peut-eterli“ (peut-etre) oder Joebeli (je/ moi – c’est moi)…
Zeichnen Sie St. Gallen auch ein, dann ist es richtig und weniger plakativ. Auch wenn sich weniger gut ein Graben herschreiben lässt.
Es ist ein bisschen ein konstruierter Gegensatz, zumindest auf der Karte, da in der Schweiz ja nicht nur SVP und SP bestehen (sondern auch FDP, CVP + Kleinparteien) und die SVP überdies keineswegs nur staatsskeptisch ist, va. im Landwirtschaftssektior (+ der Armee) nicht. Aussagekräftig wäre mE die These, wenn man die Karte der SP mit jener der FDP vergleichen würde, zumal va. die FDP dem liberalen Gedankengut verpflichtet ist, das Unternehmertum vertritt/fördert. Sodann fragt sich, inwieweit der Beruf die politische Orientierung tatsächlich prägt (zB im Ggs zu Alter, Geschlecht, Schicht usw.)
Dass versch. Erwartungen an die Institutionen und versch. politische Kulturen existieren, darin stimme ich Ihnen zu. Doch eine bipolare Schweiz heraufbeschwören unter Zuhilfenahme der BNR-Linie ist undifferenziert und Geschichtsklitterei. Nur weil die SVP in den letzten zwei Jahrzehnten nach einem unfriendly-takeover durch Exponenten der rechts-aussen Parteien wie Republikaner oder Autopartei die Regionen wie Zürich oder die Ostschweiz peitscht, sind noch lange nicht alle Bewohner dort Staatsfeinde. Seit 1000 n. Chr. ist schon viel Wasser die Reuss hinunter geflossen.
Wenn man genug lang grübelt fällt einem immer einen Namen für einen imaginären Graben ein.
PS, ich wähle links, misstraue dem Staat, bezahle ungern Steuern jassen tu ich nicht, welcher gebürtige Basler jasst schon?
Décidemment, le PS a gagné en Suisse alémanique comme en Romandie. Il ne faut pas ouvrir des fossées qui n’existent pas vu que la compréhension entre les régions linguistiques n’est pas toujours la meillieure. Et je n’ai jamais vu un Romand jouer du jass. En ce qui concerne cartes françaises, il sont très courants en Suisse alémanique… Très cherché, tout cela!
Wie kann man nur ungestraft solche Blödsinn in eine Zeitung schreiben? Nur ein Beispiel Unternehmertum soll angeblich ein Typisch Ostschweizer Verhalten sein.Der Autor hat offensichtlich noch nie etwas gehört von Uhrenindustrie im ganzen Jura, vom Präzisionsmaschienenbau typisch für den Jura, Die Freiheitsliebe der Jurassier, welche einen eigenen Kanton nach sich zog, von der chemischen Industrie in der Nordwestschweiz etc.Das waren noch Unternehmer und keine Proleten!
Naja, bei einem Aritkel, bei welchem man die Grafik falsch darstellen muss, damit der Text einen Sinn ergibt, muss man sich nicht wundern… 😉
Jassen die Aargauer jetzt auch schon mit französischen Karten? Ich halte den Artikel für inakkurat und unoriginell. Nichts als Gemeinplätze und die Beschwörung der Vorvergangenheit als unser Territorium noch in Schwaben und Burgund getrennt war.
Schon mal was vom Berner Aargau gehört? Genau in diesem Gebiet wird traditionellerweise mit französischen Karten gejasst. Aber wenn man halt von Baden oder Wettingen kommt, meint man ja sowiso der Aargau höre am Baregg auf…..
Nicht nur mir fiel es auf: Auch der grösste Ostschweizer Kanton hat einen SP-Ständerat. Und das passt eben nicht zu diesem Artikel, so fehlt es halt in der Karte. Hätte Minder nicht kandidiert, wäre wahrscheinlich auch in Schaffhausen ein SP-Mann gewählt worden: ein SVP- und ein SP-Vertreter im selben Kanton, da ginge die Theorie von Eric Hösli vollends in die Hosen. Dass es auch Leute gibt, die für den einen Sitz SVP wählen, für den andern SP, wollen einige nicht wahr haben, es ist trotzdem so. So sind halt die ShweizerInnen, sie machen es den Politologen schwer!
sind hier die cüpli-sozis so beleidigt, dass sie nicht zu der staatgläubigen elite mitgezählt wurden? :)))
Bravo à Paul Rechsteiner qui fait exception à ce constat et montre qu’il est possible de faire valoir des valeurs différentes en Suisse orientale !
Je suis habitant de la Suisse occidentale. A chaque votation et élection je me sens proche de la suisse orientale. Je dis merci à ceux de la Suisse orientale qui ont fait de ce pèays ce qu’il est aujourd’hui en terme de libertés et de prospérité en comparaison européenne. Si on avait écouté mes concitoyens romands, nous serions comme la France ou l’Espagne, croulant sous les dettes, avcec trop de pouvoir donné à la bureaucratie et aux politiques, et ini fine une absence totale de liberté de choix.
Encore merci à la suisse orientale!
Es geht doch nicht um einen Mentalitätsunterschied. Das SVP-Problem hat einen anderen Namen: Führungsschwäche.
Hätte die SVP klar gesagt, ob sie es auv den BDP oder FDP-Bundesratssitz abgesehen hat, hätte sie entweder in Bern oder St. Gallen gewonnen. hätte sie nicht im Aargau den Amtsinhaber aus obskuren Gründen in den Nationalrat befördert, hätte sie auch dort einen Sitz. Der Bruderzwist in Genf mit dem MCG vernichtet alle Erfolgschancen.
Die SP war vielleicht einfach cleverer mit ihrer Kandidatenwahl und der Art, mit linken Partnern und bürgerlichen Konkurrenten umzugehen.
Feies Unternehmertum in der Deutsch- und Ostschweiz, dass ich nicht lache. Unzählige Milliarden für Landwirtschaft und Militär sprechen eine klare Sprache, für welche Klientel fleissig die vor Wettbewerb geschützte sozialistische Werkstatt gehütet wird.
Dass in der Westschweiz so viele Linke gewählt werden, wundert mich nicht. Hören Sie doch mal die Nachrichten der TSR, wo eben alle diese Leute Dauergäste sind.
Peinlich, wie ein Journalist von diesem Format solche Fehler machen kann – aber der Vorgang ist typisch für Medienschaffende: eine Geschichte im Kopf – und dann werden die Fakten so herumgebogen bis die Geschichte stimmt. ABer da ist es jetzt schon etwas happig. Insbesondere das St. Gallen vergessen gegangen ist…
Il est proprement scandaleux et manipulatoire d’omettre Paul Rechsteiner. Ce président socialiste de l’Union syndicale suisse a été élu il y a une semaine à Zurich (et donc plusieurs jours avant la date de publication de cet article) CONTRE LE PRESIDENT DE L’UDC ET PAYSAN Toni Brunner!
Honnêtement, une telle déformation est proprement incompréhensible!
Guter Artikel, danke
Kommentar zum Artikel: welch ein Blödsinn. Der Schreiberling hat keine Ahnung von der Romandie. Sonst wären ihm – nebst der ganzen Uhrenindustrie – auch die Kabelwerke Cortaillod, die Weltfirma Nestlé, Chocolat Bloch, die Getränke-Branche (Mineralwasser, Weine) eingefallen. Leider kann ich sie nicht alle aufzählen, denn die mir zugestandene Anzahl Zeichen reichen bei weitem nicht. Nächstes Mal, Herr Journalist, besser recherieren!!!
An den Haaren herbeigezogenes Polit-Gefasel. Kleines Beispiel: der Kanton Aargau gehört also zur Westschweiz?
wenn ich einen luc recordon als volksvertreter sehe wird mir speiübel…………