Alle machens nur noch digital
Ein Ticket am Bahnschalter lösen? Keine Zeit. Das geht schneller mit dem Handy. Kein Anstehen am Schalter – fünf Minuten gespart. Bei der Billettkontrolle in der S-Bahn zwischen Winterthur und Zürich zücke ich mein Smartphone – ich habe es ja sowieso in der Hand. «Sie haben zwei Zonen zu viel gelöst», sagt der Kondukteur. Weil ich bereits ein Abo für sechs ZVV-Zonen habe, hätten zwei Anschlusszonen für die freie Fahrt im ganzen ZVV-Netz gereicht. Die SBB-App schlägt mir aber zwischen Winterthur und Zürich konsequent vor, vier Anschlusszonen zu lösen. Seit drei Jahren. Trotz hinterlegtem Zonen-Abo und verknüpftem Swiss Pass.
Am Hauptbahnhof in Zürich kaufe ich im Supermarkt ein Brötli und eine Mango. An der bedienten Kasse anstehen? Keine Zeit. Direkt zur Selfscanning-Kasse – zwei Minuten gespart. Ich suche auf dem Touchscreen nach der Kachel mit dem richtigen Brötchen. Und ist das jetzt eine normale oder eine Bio-Mango? Bei der Sihlpost öffne ich mit meinem Handy das Schloss des Publibikes und fahre ins Büro. Dort nehme ich die Treppe – zehn Stockwerke sind das Tagesziel auf meinem Fitnesstracker.
Einen Bonus fürs Fitnesstracker-Tragen?
Die Digitalisierung ist überall: Unternehmer träumen von eingesparten Personalkosten, Forscher versuchen herauszufinden, ob sie Jobs vernichtet oder schafft, und Schweizer Politiker haben seit 1996 im Parlament 375 Geschäfte eingereicht oder beraten, in denen das Stichwort Digitalisierung fiel.
Auch am WEF in Davos diskutierten Staatschefs und Topmanager diese Woche unter dem Motto «Globalisierung 4.0: Gestaltung einer globalen Architektur im Zeitalter der vierten industriellen Revolution» über künstliche Intelligenz und Digitalisierung (war das eigentlich schon mal Unwort des Jahres?). In der Schweiz solle die Regulierung von Technologien zwar solide, aber nicht zu streng ausfallen, sagte Bundespräsident Ueli Maurer am Mittwoch an einem Podium der Organisation Digital Switzerland. Zu deren Mitgliedern zählen unter anderen Google, die SBB, Swisscom, Coop, Helsana – das ist die Krankenkasse mit dem Bonus für Fitnesstracker-Träger –, die Post, aber auch die ETH und die Uni Zürich. Man müsse auch Risiken eingehen, sagte Maurer weiter. Ohnehin stehe man noch am Anfang einer technischen Entwicklung mit vielen offenen Fragen.
Gesparte Zeiten und viele offene Fragen
Ich frage mich, ob wir – und die Politik – überhaupt die richtigen Fragen stellen. Wem nützt die Digitalisierung, wenn die SBB-App mir nicht das richtige Ticket vorschlagen kann im Gegensatz zum menschlichen Kondukteur und ich an der Kasse länger brauche, als die gelernte Kassiererin? Wer sorgt dafür, dass nicht nur Firmen, sondern auch Konsumenten von der Digitalisierung profitieren? Und wer schützt unsere Daten? Noch scheint die Machtverteilung zugunsten der Unternehmen auszufallen. Gut für die Konsumenten – allerdings auch für Replay-TV-Anbieter wie Swisscom und UPC – war das Parlament bei der Revision des Urheberrechtsgesetzes gegen ein Verbot für das Überspulen von Werbung.
Am Abend bringe ich ein Zalando-Paket zur Post. Auf einen freien Schalter warten? Keine Zeit. An der automatischen Rückgabestation scanne ich den Code auf der Adressetikette, lege das Paket in das Fach und warte, bis der Beleg ausgedruckt ist – mindestens acht Minuten gespart. Die Zeit werde ich zu Hause nutzen, um dem SBB-Kundendienst eine Anfrage zu schicken.
6 Kommentare zu «Alle machens nur noch digital»
Was will mir dieser Artikel jetzt sagen? Einerseits offenbar, dass an der Kasse selber scannen schneller ist, andererseits offenbar auch, dass die „gelernte Kassiererin“ (eine solche möchte ich erst mal sehen) schneller sei. Und einerseits profitieren angeblich die Konsumenten nicht, andererseits sparen sie jede Menge Zeit. Ich versteh’s nicht.
@Cybot: Der Artikel will Ihnen zeigen, wie sich die Welt verändert hat und fragt gleichzeitig, ob das wirklich nötig und gut ist. Mich jedenfalls nerven diese ganzen Hipster mit ihren QR-Codes auf ihren überteuerten Apple-watches, welche nur noch vegan leben und einen Tesla fahren etc.. Zudem habe ich wenig Vertrauen in Computerfirmen, wenn es um Bankzahlungen geht. Nur weil es digital ist, ist es noch lange kein Segen. Damit kann viel Missbrauch betrieben werden. Ich will nicht, dass Google & co. alles über mich wissen; geht die einen Sch..ss an! Auch für das Internet gilt: BV, Art. 13, Schutz der Privat & Intimsphäre, Schutz des Brief und Fernmeldeverkehrs.
Ich hab kein Smartphone und nicht mal ein Handy. Das geht ganz wunderbar und langsamer bin ich deswegen auch nicht. Zeit sparen ist so eine Sache. Die zeit, die man zu sparen glaubt, büsst man anderswo wieder ein. Und der Tag hat ja auch immer nur 24 stunden.
„Die richtigen Fragen stellen“. Ja, aber ich habe keine relevante gelesen. Vielleicht wäre eine der Fragen; „Was ist mir meine Entscheidungsfreiheit wert?“ Da nützt die vernetzte Digitalisierung tatsächlich. Beim direkten Selfscaning lege ich die Produkte bereits so sortiert in die Einkaufstasche, dass sie zu Hause ohne Beschädigungen ankommen. Er das nicht will benutzt das verschmutzte Laufband an der bedienten Kasse. Wer die Vorschläge der ÖV-Tickets auf Relevanz nicht beurteilen kann löst das Ticket am Schalter. Schlangestehen hat einen Preis, schnell ein etwas zu teures Ticket online gebucht zu haben ebenfalls. Wir brauchen tatsächlich keine Politiker oder Verwaltungsbeamte die uns vorschreiben wollen wie wir das Netz mit all seinen Risiken nutzen sollen.
Gut umschriebener Leerlauf, welcher nur den Geschäften dient, nicht aber den Kunden. Aber der Spieltrieb ist eben stärker, so stark dass viele Leute ihre eingekauften Artikel Stück für Stück mühsam in die Kasse einlesen wie das die Kassiererin auch tut, nur viel schneller, und dann noch das Gefühl haben sie hätten Zeit gespart!
Wer das nutzen möchte, bitte! Was mich vor allem nervt ist, dass man praktisch nichts mehr kann, ohne Digitalisierung. Was mir am meisten Sorgen bereitet dabei: FB, Apple, Google & co., sammeln Daten vom Surfverhalten und allem, was man postet und vielleicht sogar noch mehr. Schützen kann man sich davor kaum! So wird man zum gläsernen Bürger. Bei Frau Kopp gab es ein Geschrei wegen der „Fichen-Affäre“, wo der Bund illegal Daten über Bürger sammelte. Heute sammeln Unternehmen solche Daten, ob man will oder nicht. Das passt mir gar nicht! Immerhin haben das die Schweizer Banken erkannt und ihre eigene Bezahl-App entwickelt. Ich finde diese Entwicklung sehr schlecht. Was macht man, wenn man mal kein Handy hat?