So reden Verlierer

Das Gejammer überzeugt nicht: SP-Präsident Christian Levrat während der Wintersession 2018. Foto: Alessandro della Valle (Keystone)
Die Wahlen nahen. Man merkt es überall. Ewige Parlamentarier wie Toni Brunner und Susanne Leutenegger Oberholzer räumen ihre Plätze, um ihren Nachfolgern noch ein ordentliches Einleben im Bundeshaus zu ermöglichen. Die Parteien ziehen sich auf ihre Kernwerte und Hauptbotschaften zurück. Die Kommunikations-abteilungen füllen die Medienmitteilungen mit scharf designten Slogans. Und die Politiker: Sie jammern über verpasste Chancen, versäumte Aufgaben, verschwendete Zeit, kurz, über eine verlorene Legislatur.
Die Klage ertönt von allen Seiten. Diese Woche beispielsweise von Christian Levrat:
La droite vide la loi sur le CO2 de toute substance. Elle est rejetée au National. Les États renvoient le projet de révision du Code des obligations. Ce jour illustre une législature perdue. Vivement les élections! #fail #reformstau
— Christian Levrat (@ChristianLevrat) 11. Dezember 2018
Die Aushöhlung des CO2-Gesetzes durch die Bürgerlichen und die Rückweisung der Aktienrechtsreform an die ständerätliche Kommission seien Ausdruck dafür, dass es sich um eine verlorene Legislatur handle, twitterte der SP-Präsident.
Alles scheint verloren
Bereits im September kam ein Korrespondent der «Basler Zeitung» zum identischen Schluss bezüglich dieser Amtszeit. Konsterniert war er aber vor allem darüber, dass in der Schweiz weiter die Sozialisten regieren: «Es hätte mit der Stärkung von FDP und SVP bei den Wahlen vor drei Jahren eine bürgerliche Ära beginnen können», hiess es in der BaZ. Aber eben, verlorene Legislatur.
Über Reformstau ärgert man sich auch in der Mitte: BDP-Präsident Martin Landolt sieht das Problem aber primär bei den «konservativen Egoisten» im Parlament.
Auch beim Freisinn hat man diese Amtszeit schon fast aufgegeben. Im Oktober konstatierte Karin Keller-Sutter, dass nach dem Scheitern der beiden grossen Reformen zur Altersvorsorge und zu den Unternehmenssteuern eine verlorene Legislatur drohe.
Und stimmt es denn nicht? Sind nicht alle grossen Reformen der letzten Jahre gescheitert oder auf bestem Weg dazu? Hat der Bundesrat mit seinem Lavieren gegenüber Brüssel nicht auch das Verhältnis zur Europäischen Union nachhaltig beschädigt?
Rhetorische Taschenspielertricks
Mag sein. Und doch: Überzeugend ist das Gejammer nicht. Erstens weil sich ausgerechnet hier irgendwie alle Lager einig zu sein scheinen. Das entlarvt die Rede von der verlorenen Legislatur und dem Reformstau als Taschenspielertrick der Rhetorik. Unverfänglich und doch anschlussfähig wie die Klage über das Wetter oder den Zustand der heutigen Jugend.
Zweitens weil es in den letzten Jahren jeweils die Stimmbürger waren, welche die vom Parlament ausgearbeiteten Grossreformen versenkten. Im Falle der Unternehmenssteuerreform 3 und der Altersvorsorge 2020 durchaus mit fundierten Argumenten, wie Befragungen der Stimmbevölkerung zeigten. Lieber keine Reform als eine schlechte.
Die Rede vom angebliche Reformstau ist letztlich nur eine rhetorische Figur, die vom Unvermögen des Parlaments ablenken soll, mehrheitsfähige Lösungen zu erarbeiten und die Bevölkerung von Reformen zu überzeugen. Mit anderen Worten: So reden Verlierer.
18 Kommentare zu «So reden Verlierer»
Ich versteh den Kommentar nicht:
Ist „das Unvermögen des Parlaments [… mehrheitsfähige Lösungen zu erarbeiten und die Bevölkerung von Reformen zu überzeugen.“ nicht die exakte Definition eines Reformstaus. Parlamentarier kritisieren das Parlament, was macht Sie deshalb zu Verlierern?
Hans, geben Sie’s zu, Sie wollen diesen Kommentar gar nicht verstehen! Parlamentarier kritisieren ihr eigenes Parlament? Rhetorische Frage: sind das heutzutage alles parlamentarische Analphabeten oder was?
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Zum Reformstau heute nur soviel: Wenn es uns nicht gelingt – die CH von 1848 – von INNEN her – innert nützlicher Frist (sprich: max. 3 bis 5 Jahre!) neu zu „konfigurieren“ – werden wir von AUSSEN her –
zu einem radikalen UMBAU (sorry, Abbau!) gezwungen!
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Noch Fragen? Nein? Danke schön.
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Röbi – mit siebenundsiebzig Jahren um 7 Jahre weiser als der „Willi“ weiter unten!
„Noch Fragen“ ist ein selbstgefälliger unbedarfter Spruch. Wieso wir eine Toitalrevision der Verfassung brauchen, die seit 1848 übrigens zwei Mal total revidiert wurde, bleibt Ihr Geheimnis. Damit lösen wir weder Steuer- noch Sozialversicherungs- noch Migrationsfragen. Jeder Umbau der Gesellschaft hat im Übrigen sowohl innere als auch äussere Gründe, was glauben Sie zum Beispiel, warum die Schweiz die in der 48-erVerfassung postulierte Niederlassungsfreiheit für Christen auf Nichtchristen ausgedehnt hat? Man sollte Dampfplaudern nicht mit Weisheit verwechseln.
Die libertär-nationalistische Allianz FDP/SVP hatte die absolute Mehrheit im Parlamentund hat jetzt 4 Jahre lang probiert, Klientelpolitik zu machen:
– Steuerdumping für Reiche auf Kosten den Mittelstandes
– Umweltverschmutzung
– Waffenexporte in Kriegsländer
– Aufheben des Mieterschutzes etc.
– Eine Bundesratswahl, bei der ein mutmasslich Bestechlicher, ein inzwischen erwiesen Unfähiger und und eine Alibifrau zur Verfügung standen. Wir wissen inzwischen, wer die roten Linien definiert hat, ähm, oder überschritten, hmm, oder doch definiert und neuinterpretiert hat. Oder so…
Diejenigen, die der FDP/SVP ihre Wahlkampfkässeli gefüllt hatten, wollen Ihren ReturnOnInvestment.
Von daher ist es ein Segen, dass soviel verhindert werden konnte in den letzten 3 Jahren.
Ach ja, wen meinen Sie denn mit „Unfähiger“? Doch nicht etwa: „Parmelin hatte in den vergangenen Tagen als Favorit gegolten. Das hängt allerdings weniger mit seiner besonderen Eignung für das Amt zusammen als mit der – aus Sicht der anderen Parteien – mangelnden Eignung der anderen Kandidaten. Insbesondere in der SP wird Parmelin als das „geringste Übel“ betrachtet.
Aeschi war für die SP wegen seiner Nähe zu Christoph Blocher nicht wählbar, Gobbi wegen seiner Lega-Herkunft.“
Hängen Sie doch das denen an, die uns das einbrockten…
Absolute Mehrheit im NR ja, nicht jedoch im SR. Das Parlament besteht nach wie vor aus zwei Kammern.
@Hansjürg: Wenn Parmelin für Sie der Unfähige ist, wer von Äschi und Gobbi ist dann der Bestechliche und wer die Frau?
@Thomas Müller: Ja, da haben Sie natürlich recht.
Sagt mal, seid Ihr alle etwas wirr heute? Urban Zürcher meinte natürlich die FDP-BR-Wahl für den Ersatz Didier Burkhalters! Von wegen Parmelin! Der Bestechliche ist Maudet, der Unfähige ist Cassis wegen seiner vermeintlichen roten Linien resp. deren Verletzung, und Isabelle Moret die Alibifrau. Nichts anderes.
Der CH Bünzli wählt zwar regelmässig die neoliberalen Lobbyisten, im nachhinein bei Sachvorlagen versenkt er diese aber wieder. Das neoliberale von langer Hand angelegte Programm der europäischen Umvolkung und Ausplünderung der Renditesklaven bis auf die Knochen zwecks Maximierung von leistungslosen Besitzeinkünften hat es in der EU viel leichter als in der ärgerlichen plebiszitären CH Demokratie. Darüber ärgern sich die Lobbyisten regelmässig grün und blau.
„Die Aushöhlung des CO2-Gesetzes durch die Bürgerlichen … twitterte der SP-Präsident“. Wirtschaftsminister Peter Altmaier in Maybrit Illner gestern Abend: ‚Es gebe bezüglich der Belastung der Bevölkerung auch Grenzen. Die, die in dieser Runde sitzen, könnten das locker bezahlen, nicht aber diejenigen mit kleinem Budget‘. Die Rückverteilung von Lenkungsabgaben auf Brennstoffe über die KK-Prämien ist dann ja für alle gleich. Ich bedanke mich für die monatlich CHF 7.40, die ich eigentlich nicht nötig habe. Und die Mieter bezahlen wohl die Zeche. ‚Für viele Menschen bedeutet ein solcher Betrag den wöchentlichen Kontakt bei Kaffee und Kuchen, der dann eben wegfällt‘, ergänzte Peter Altmaier. Kinder in armen Verhältnissen hat er dabei noch gar nicht erwähnt.
Eine verlorene Legislatur? Ja da kann man eigentlich voll und ganz zustimmen! Wenn man sich genau überlegt was da durchgekaut wurde, wird man unweigerlich an einen nicht mehr ganz neuen Kaugummi erinnert! Keine neuen Ideen. An der viel gescholtenen und doch von allen als Existenz benützten Seite will man höhere Steuern abzwacken und wie könnte es anders sein, von noch mehr benützten Teilnehmern höhere Preise verlangen und meint doch tatsächlich so die Welt retten zu können! Dabei sollten doch gerade die so intellektuellen Linken wissen, dass Geld, egal wo es ist, immer eine Steigerung der Begehrlichkeiten auslöst, auch CO-2 produzierende!
Ja, es ist eine verlorene Legislatur. Die Rechte hat versucht ihre verstärkte Macht zu nutzen, um ihre Politik der weiteren Bereicherung der Reichen auf Kosten aller anderen durchzusetzen. Zum Teil ist ihr das auch gelungen, aber das Volk hat nicht mitgespielt. Vielleicht haben einige Wähler inzwischen auch begriffen, dass ihre Interessen nicht vertreten werden von diejenigen, welche sie gewählt haben.
Leider vergessen die Politiker seit Jahren, wer sie eigentlich gewählt hat und für welche Interessen sie im Bundeshaus sind. Das Jammern ist lächerlich, keine einzige Partei ist für Transparenz bei der Parteienfinanzierung. Somit sind allem Anschein nach alle korrupt, weil alle die Finanzströme zu verstecken haben. Das geht nicht und das Volk wird gelinde ausgedrückt veräppelt!
Das ewige Gestürm um die Parteienfinanzierung ist ja gerade Teil dieses am Ort tretens. Dabei wissen doch alle woher das Geld kommt. Reine Zeitverschwendung! Aber irgendwie muss man ja zu einem Nichterfolg kommen, damit man dem Volk die Schuld in die Schuhe schieben kann und ohne brauchbare Ergebnisse, aber mit Glanz und Gloria in den Ruhestand treten kann.
Ein sehr guter Bericht von Christoph Lenz. Das leere Stroh dreschen „u Glir“ im Bundeshaus. Wie wenig das Bundeshaus wert ist, hat der bekannte Liedersänger Mani Matter bereits vor ca. 40 Jahren gemerkt: Muesi geng dänke s schteit nume uf Zit es länge fürs spränge es paar Seck Dynamit.
W. Krebs, Bümpliz
Fast nur noch TA Artikel in der BAZ.. Zur verlorenen Legislatur kommt jetzt noch eine verlorene Zeitung! Que mal!
Es herrscht eine Blockade-Situation. Die SVP/FDP-Koalition – die eigentlich wegen grossen weltanschaulichen Differenzen gar keine ist – hat nur die absolute Mehrheit im Nationalrat, nicht aber im Ständerat, in dem Mitte-Links-dominiert. Beide Kammern sind aber gleich bedeutend. Beide müssen einer Vorlage zustimmen, soll sie umgesetzt werden. Da bleibt vieles Makulatur, wenn man sich nicht zu Kompromissen durchringen kann.
Der Scherbenhaufen mit dem Rahmenabkommen ist geradezu bezeichnend für die Inkompetenz und Streitsüchtigkeit unter unseren Politikern. Von verschiedenen Seiten angeheizt, liessen sie sich dazu herab, aufeinander ein zu dreschen, statt zu überlegen was ist an den Argumenten des Politischen Gegners dran! Um dann im letzten und dümmsten Moment zu merken, ja, das betrifft ja auch uns!! Wohl sehr zur Freude der EU!