Die Digitalmobilmachung der Schweiz

«Digital gemeinsam erleben»: Die Swiss präsentiert am 2. Schweizer Digitaltag die digitale Flugwelt. (Foto: Digitaltag 2018)
Die Digitalisierung ist ein Virus. Irgendwann hat das angefangen, und jetzt hört es einfach nicht mehr auf. Gerade in der Politik reden fast alle davon, fast immer, ohne etwas zu sagen. Für den bisherigen Höhepunkt im Bundeshaus sorgte Vorstoss-Grossmeister Claude Béglé (CVP). Seine jüngste Eingabe zum Thema trägt den Titel: «Die Steuerung der Digitalisierung so weiterentwickeln, dass sie sich von der Digitalisierung selbst inspirieren lässt».
Wie auch immer. Hauptsache, modern. Digital ist überall und wir mittendrin, analog ratlos. An diesem Donnerstag ganz besonders. Denn heute ist – Trommelwirbel – der 2. Schweizer Digitaltag!
Das ist eine sehr grosse, wichtige Sache. An über zwölf Orten im Land kann man die Digitalisierung «konkret erleben». Das Programm reicht von humanoiden Robotern in Genf über eine virtuelle Boutique in Lugano bis zu Drohnenflügen in Zürich. Ebendort, im «Hub» Zürich, gibt es: Datencafé, Erlebnisturm, «Blick»-Arena. In Letzterer verraten Prominente, wie sie die Digitalisierung erleben. Claude Béglé ist nicht dabei. Sonst aber ist das ein einziger, grosser Vergnügungspark, eine nationale E-Gewerbeausstellung.
Das Dauergerede über das D-Wort
Sage und schreibe drei Mitglieder des Bundesrats nehmen am Digitaltag teil: Das magistrale Trio digitale besteht aus Bundespräsident Alain Berset, Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, der kurz vor dem Shutdown steht, sowie Ignazio Cassis, Start-up-Aussenminister aus der digitalienischen Schweiz.
Ebenso hochkarätig sind die Konzerne, die den Tag organisieren: Google, Swisscom, SBB, SRF und Ringier, wobei die letzten zwei auch gleich für die flächendeckende Propaganda sorgen. Mit von der Partie sind ferner Firmen wie ABB, Coop, CS, IBM, Post, Swiss und ein paar Hochschulen noch dazu.
Es muss also wirklich wichtig sein, was man uns mit diesem Digitaltag sagen will. Aber was ist «es»? Vielleicht hilft das Motto des Tages weiter: «digital gemeinsam erleben». Das ist meisterhaft formuliert: Der Slogan ist eingängig und nichtssagend. Und passt somit perfekt zum Dauergerede über das D-Wort.
Eine Mischung aus Volkserziehung und Digitalmobilmachung
Deutlicher wird Ringier-Chef Marc Walder, als Gründer von digitalswitzerland der erste Digitalgeneral im Land: «Wir brauchen in der Schweiz eine offene, mündige Digitalisierungskultur, welche ein positives Umfeld schafft.» Seine Gesamtprojektleiterin ergänzt: «Wir fordern die Bevölkerung dazu auf, sich aktiv am Digitaltag zu beteiligen. Der Tag ist eine grossartige Gelegenheit für alle, um Wünsche und Ängste zu teilen, aber auch offen zu sein und die Chancen zu erkennen.»
Alles klar? Der Digitaltag ist nicht nur eine nette E-Expo. Das ist ein gesamteidgenössisches Motivationsseminar, abgehalten von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Eine Mischung aus Volkserziehung und Digitalmobilmachung. All die mächtigen Konzerne, Universitäten und Landesväter, sie meinen es nur gut mit uns – umso mehr ist ihre aufwendige Show mit gewissen Erwartungen verbunden. Die Bevölkerung möge bitte diese «grossartige Gelegenheit» auch wirklich wahrnehmen, die «Chancen erkennen» und ein «positives Umfeld» schaffen. Das wird man wohl noch erwarten dürfen.
Gegenvorschlag zur Güte: Die Bevölkerung bemüht sich, so offen wie möglich in die digitale Zukunft zu gehen – sie hat ohnehin keine andere Wahl. Die Obrigkeit unterlässt dafür jegliche Judihui-Rhetorik in dieser Sache. Da der Alltag sowieso schon digital ist, wird der Digitaltag abgeschafft und zum Analogtag transformiert.
4 Kommentare zu «Die Digitalmobilmachung der Schweiz»
Es reicht
Das andauernde staatliche Nudging und die ununterbrochene Propaganda die wir notabene auch noch mit Steuern bezahlen müssen – es reicht.
Und das von jemandem der in der digitalen Welt zu hause ist…
Aha Chancen erkennen! Positives Umfeld schaffen! Also wenn ich die genannten Bundesräte und Wirtschaftsvertreter richtig interpretiere verstehen die unter Digitalisierung mit Worthülsen um sich werfen! Humanoider Roboter vorstellen! Ha, ha, ha! Hatten wir schon vor 50 Jahren. Programmiert mit Lochkarten. Schon damals konnte man Naive glauben machen Computer wären intelligent! Kurven angleichen hat man auch schon in den 1990ern gemacht. Selber dabei! Natürlich dachte man damals nicht, dass man mit dieser Technik jemals so weit kommen würde. Ja, diese dedizierte KI wird Jobs schneller überflüssig machen als Neue dazu kommen. Statt zu schwafeln sollten sich die Politiker Gedanken darüber machen! Bis eine KI sagt, he du, das hättest du besser machen müssen, vergehen noch 50 Jahre.
Einen Analogtag einführen? Ja! Aber eigentlich müsste jeder Tag Analogtag sein. Das Digitale braucht ein stetes Gegengewicht. Zahlreich genug sind die Warner vor der digitalen Verformung der Menschheit, vor allem der sich noch entwickelnden Kinder und Jugendlichen. Der altbekannte, aber hintergründige Scherz der viereckig werdenden Augen des TV-Konsumenten muss auf die bereits angelaufene Volldigitalisierung unseres Lebens erweitert werden. Gewiss, diese scheint unausweichlich. Zu mächtig ist die dahinter stehende Finanzkraft, zu stark sind in Behörden und Volk die beiden Triebfedern des Digitalisierungssturms: die Technikfaszination und die Angst, abgehängt zu werden als Land und als Einzelmensch. Als starkes Gegengewicht braucht es daher Bewahrung und Weiterentwicklung des Analogen.
Wie sagte es doch der gute alte Paracelsus; allein die Dosis machts.
Also ein wenig Digitalisierung ist doch noch ganz praktisch. Leider neigen viele zum überborden und das ist ein generelles Problem.