Den Glyphosat-Streit weiter vergiftet

Rollhacke statt Glyphosat: Ein deutscher Winzer testet, wie er mit mechanischen Arbeitsschritten den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringern kann. Foto: Andrea Löbbecke (Keystone)

Glyphosat ist giftig, nicht nur auf den Feldern der Bauern. Auch politisch wirkt der Unkrautvernichter toxisch. Obwohl es im Vergleich schädlichere Mittel gibt, steht Glyphosat im Zentrum einer Kontroverse um den Einsatz von Pestiziden. Glyphosat ist zur Chiffre geworden für eine Landwirtschaft, die ihre Erträge ohne Rücksicht auf die Umwelt maximieren will. An Glyphosat wird nichts Geringeres verhandelt als die Frage: Welche Landwirtschaft wollen wir?

Der Umgang mit diesem Stoff, gerade auch der politische, bedingt also Fingerspitzengefühl. Doch daran mangelt es in Bundesbern. Eindrücklich hat sich das im letzten Dezember gezeigt. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) wollte damals den Grenzwert für Glyphosat in Seen, Flüssen und Bächen um den Faktor 3600 anheben, von 0,1 Mikrogramm pro Liter auf 360. Umweltschützer waren nicht nur über den Plan entsetzt, sondern auch darüber, welche Bundesstelle ihn ersonnen hatte. Ausgerechnet die Umweltfachleute von Bundesrätin Doris Leuthard (CVP), in bürgerlichen Kreisen regelmässig als verkappte Umweltaktivisten gescholten, mussten sich nun von Umweltschützern vorhalten lassen, Diener der Agrarlobby zu sein.

36-mal weniger als zuerst geplant

Der Schaden war angerichtet. Da nützte alles Dagegenhalten nichts: dass der Grenzwert wissenschaftlich sauber hergeleitet sei, dass die Grenzwerte für andere, besonders gefährliche Pestizide sinken solle, dass all dies dem Ziel diene, der unterschiedlichen Giftigkeit der Pestizide gerecht zu werden und so den Schutz der Lebewesen im Wasser besser als bis anhin zu sichern – all diese bedenkenswerten Argumente des Bafu sind ungehört verhallt.

Mittlerweile haben Leuthards Fachleute reagiert. Neu soll der Glyphosat-Grenzwert bei 10 Mikrogramm pro Liter liegen, wie diese Woche bekannt geworden ist. Das ist 36-mal weniger als zuerst geplant. Doch das Dossier ist damit nicht entgiftet. Denn noch immer steht eine Anhebung um den Faktor 100 zur Debatte. Raum für Skandalisierungen bleibt bestehen; empörte Reaktionen links-grüner Parlamentarier zeugen davon.

Zweifel an der Seriosität des Bafu

Doch damit nicht genug. Indem das Bafu zurückkrebst, stösst es das Tor zu einem anderen Streitfeld auf. Es handelt sich um ein besonders heikles, geht es doch um die Glaubwürdigkeit einer Bundesstelle. Ist der Grenzwert nun wissenschaftlich hergeleitet – oder politisch motiviert? Das Bafu schweigt dazu. Diese Frage aber wird spätestens wieder auftauchen, wenn die beiden Anti-Pestizid-Volksinitiativen, die heuer zustande gekommen sind, zur Abstimmung gelangen werden. Den Boden für die kommende Debatte bereiten die Umweltschützer schon heute: Sie versuchen, Zweifel an der Seriosität des Amts zu streuen.

Dabei wäre es möglich gewesen, der Kontroverse zumindest die Spitze zu nehmen. Zwei Botschaften wären dazu notwendig gewesen. Erstens: Das im Umweltschutz so wichtige Vorsorgeprinzip ist und bleibt oberstes Gebot. Und zweitens: Deshalb heben wir den Grenzwert für Glyphosat weit weniger stark an, als dies gemäss den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich wäre. Zugegeben: Ein hundertmal höherer Glyphosat-Grenzwert gäbe auch so noch viel zu reden – aber die Vorzeichen der Debatte und ihr Inhalt wären anders. Dass dem jetzt nicht so ist, hat sich das Bafu selber zuzuschreiben.

12 Kommentare zu «Den Glyphosat-Streit weiter vergiftet»

  • Philipp M. Rittermann sagt:

    je mächtiger die lobby, desto grösser das „entgegenkommen….“ bei den auflagen. momentan wird alles dafür getan, die luft reinzuhalten, bzw. den generellen „schadstoff“-ausstoss im rahmen der europäischen und internationalen klimaziele 2050 zu begrenzen. hier treibt die akribie- vor allem in der schweiz – teilweise seltsame blüten. beispiel „bewilligungspflichtige“ klimaanlagen.
    andererseits stellt man bei den selben einschlägigen ämtern wie ad acta zeigt ein grosses wohlwollen fest, wann denen die mächtige chemie-industrie im nacken sitzt. da scheinen gewässer- und natur-schutz plötzlich dezent… in den hintergrund zu rücken? entschuldigung. vetterliwirtschaft pur. und das habe ich jetzt noch nett formuliert.

    • Christine Goldinger sagt:

      Ich bin für einmal völlig Ihrer Meinung, Herr Rittermann – das kann doch eigentlich gar nicht sein?!

  • Sebastian Kühne sagt:

    Es könnte auch einfach Kalkül des BAFU sein, denn wenn man den Wert um das hundertfache angehoben hätte, wäre die Empörung nicht grösser gewesen als beim 3600 fachen. Mit dem Unterschied dass man beim 3600 fachen einfach auf den gewünschten Wert zurückfahren kann um sich dann ins Fäustchen zu lachen, dass die Umweltschützer glauben, sie hätten was erreicht.

    Was mit in der Diskussion zunehmend fehlt ist die Frage nach der ausgebrachten Menge an Giftstoffen. Sicher, es gibt giftigere Umweltstoffe, nur die Menge macht das Gift und in den Mengen wie Glyphosat auf die Felder aufgetragen wird sind auch 0.1 Mikrogramm nicht unproblematisch.

  • Röschu sagt:

    „Ist der Grenzwert nun wissenschaftlich hergeleitet – oder politisch motiviert?“
    Dies scheint mir relativ einfach beantwortbar: 360 war der wissenschaftlich hergeleitete Wert, die Herabsetzung auf 10 ist politisch motiviert.

  • H.Trickler sagt:

    Wichtige Informationen fehlen in diesem Artikel:
    .
    Wie sind die höchsten aktuell gemessenen Werte?
    Wie lauten die Grenzwerte in anderen Ländern?

    • Hartmann sagt:

      Eine Eawag-Studie fürs BAFU an fünf Schweizer Bächen stellt fest: In keinem Fall wurden die gesetzlichen Anforderungen an die Wasserqualität eingehalten. Selbst für Gewässerorganismen akut toxische Konzentrationen werden überschritten.

      Im Gegensatz zu Grenzwerten beim Trinkwasser sind die Anforderungswerte für Pestizide im Gewässerschutzrecht nicht toxikologisch begründet, sondern stellen allg. Vorsorgewerte dar. Entsprechend gilt – wie in der EU – seit 1998 für die einzelnen Substanzen eine Anforderung von 0,1 Mikrogramm/l. Dieser niedrige, an der Nachweisbarkeit festgesetzte Wert entspricht dem Willen des damaligen Gesetzgebers, dass Pestizide überhaupt nicht im Wasser vorkommen sollten. Entgegen der EU kennt die Schweiz aber bedauerlicherweise noch immer keinen Summenparameter.

  • Werner Boss sagt:

    Aus meiner Sicht braucht es da ein Entgegenkommen aller. Wer noch ganz ohne moderne Hilfsstoffe Landwirtschaft betrieben hat, der weis wie beschwerlich und Zeitintensiv diese Pflanzerei ist. Die jüngeren unter uns haben da schlicht keine Vorstellung davon! Zudem müssten die Landwirte auch mit dem Absatz ihrer Produkte rechnen können, denn auch die im Ausland gekauften sind subventioniert! Mich erstaunt auch immer wieder wie unkrautfrei nichtlandwirtschaftlich genutzte Flächen sind, obwohl man nie jemanden jäten sehen kann…. Und im Herbst kommt dann der Gärtner und bläst mit seiner Höllenmaschine den ganzen Mist in die Luft!

  • Claude Fontana sagt:

    Naja, wasser wird ja immer Mehr, da kann man Schon mal ein Kilo Herbizid pro tonne wasser reinkippen, wer trinkt denn schon.?Nur weil eine Bayer Studie sagt, es sei alles nur vage so schlimm, oder halb so bedenklich? „Die Natur ist eh nicht mehr zu retten“ ist halt keine Einstellung, wenn man weiter als bis zur nächsten Amtszeit denkt. Der witz ist, es wird das Gift im Grundwasser gemessen, also das, was der Regen aus unseren Feldern wäscht. Der Müll der im Boden,den Wurzeln oder den Pflanzen selber verbleibt, bleibt unerwähnt.

  • Hartmann sagt:

    Die momentan angewandte Risikoabschätzung durch Biozide auf Mensch und Umwelt ist wohl eher Spekulation als eine naturwissenschaftlich fundierte Beurteilung. Über 200 verschiedene Pestizide – die nicht minder problematischen Zusatzstoffe werden ohnehin weitestgehend ignoriert – kommen zum Einsatz und niemand hat eine Ahnung von den langfristigen kumulativen Wirkungen dieser Gifte in den Gewässern und in der Nahrungskette. Wie wirken diese zusammen auf die Umwelt oder gar auf den Menschen, falls sie sich anreichern? Wenn die Landwirtschaft wenigstens endlich vorsorglich auf die Giftspritzerei neben Trinkwasserfassungen (Grundwasserschutzzone S2) verzichten würde…

  • Ralf Bender sagt:

    Ich finde es gut. Sollen Sie Grenzwerte noch viel mehr erhöhen. Die beim Bund verdienen über 150’00.– für wenig Arbeit, ohne Jobangst. Sie könnten ein gutes Leben führen, aber anstatt dessen vergiften sie sich selber. Die Krebsrate ist von wenigen Promillen bis auf 1/3 bald 1/2 gestiegen. Die werden die Quittung kriegen.

  • Martin sagt:

    1. Für was braucht man dieses Glyphosat überhaupt? 2. Wie spritzen unsere Bauern? Wird einfach mal prophylaktisch gespritzt, obwohl überhaupt kein Befall da ist oder wird nur dann gespritzt, wenn Befall festgestellt wurde? 3. Wieso dürfen solch behandelte Felder ihr Wasser in Flüsse leiten und nicht in die Kläranlage? Ich denke, wenn die Bauern weniger, dafür gezielter spritzen würden, könnte einiges an Pestiziden eingespart werden. Das würde neben der Umwelt, auch das Portemonnaie der Bauern schonen. Angeblich ist die Insektenzahl in den letzten Jahren um 75% geschrumpft. Das mag im Sommer zwar angenehm sein, aber für die Tier und Pflanzenwelt, ist dies nicht so optimal. Nicht nur Bienen fressen Nektar.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.