Arnold Koller und der Zuchtziegenbock

Désolé, cet article est seulement disponible en Allemand.

Packt die Kuh bei den Hörnern: Bundesrat Koller bei der Eröffnung der Olma 1989. Foto: Keystone

Der Prozess war zäh, aber erfolgreich: 1965 regten zwei Parlamentarier eine Totalrevision der Bundesverfassung an, 34 Jahre später stimmten Volk und eine knappe Mehrheit der Stände dem Jahrhundertprojekt zu. Das Ergebnis liess sich sehen: Ein entschlacktes, übersichtliches Werk. Bizarre Bestimmungen wie das Absinthverbot oder jene über die «Unstatthaftigkeit der Brauteinzugsgebühren» waren Geschichte. Damit näherte sich die Verfassung wieder ihrem Ursprungsgedanken an. Sie konzentrierte sich auf Basisnormen und vermied wo möglich einen zu hohen Detaillierungsgrad.

Kaum in Kraft, ging die Eleganz der neuen Verfassung flöten. Denn 1999 war auch das Jahr, in dem die SVP zu ihrem Siegeszug ansetzte und bei den Wahlen sprunghaft 22,5 Prozent erreichte. Die Partei wurde zur stärksten Kraft im Parlament – und lancierte trotzdem weiterhin eine Initiative nach der anderen. Während Volksinitiativen jahrzehntelang vor allem der politischen Innovation oder zur Berücksichtigung von Anliegen dienten, die im Parlament zu kurz kamen, nutzte die SVP das Mittel zur Missfallensbekundung. Mit der Folge, dass seither grundrechtsproblematische Bestimmungen wie jene der Verwahrungs-, Minarettverbots- und Ausschaffungsinitiative in der Verfassung stehen.

Der Musikartikel bleibt ungehört

Kommt hinzu, dass die Verfassung seit der Totalrevision durch Bestimmungen angereichert wurde, die leere Phrase sind. Ihre Umsetzung ist nicht problematisch, sondern schlicht inexistent. So hat das Stimmvolk 2012 nach einem ausgebliebenen Abstimmungskampf einen Musikartikel angenommen. «Bund und Kantone fördern die musikalische Bildung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen», steht seither in der Verfassung. Die Folgen des Artikels sind derart marginal, dass frustrierte Musikfreunde inzwischen daran denken, kantonale «Durchsetzungsinitiativen» zum Musikartikel zu lancieren.

Den vorläufigen Höhepunkt an irrelevanten Verfassungsbestimmungen bildet der Bundesbeschluss über die Ernährungssicherheit vom letzten September. Auslöser war der Bauernverband, der eine entsprechende Initiative lanciert hatte – und im Abstimmungskampf nicht darlegen konnte, was er eigentlich damit bezweckt. Egal, die Mehrheit stimmte dem Begehren mit dem verfänglichen Titel zu. Es galt das Motto: «Nützts nichts, so schadets nichts.»

Über den Veloweg-Zusatz zur Hornkuh-Initiative

Ähnlich verhält es sich mit dem Bundesbeschluss über die Velowege, über den wir am 23. September an der Urne befinden. Demnach soll die Verfassung mit dem Zusatz ergänzt werden, dass der Bund Grundsätze über Velowegnetze festlegt. Wer nun ob der Frage, was Velowegnetze mit unseren verfassungsmässigen Basisnormen zu tun haben, ins Grübeln kommt, dem sei ein Blick auf den kommenden 25. November empfohlen. Dann stimmen wir über die Hornkuhinitiative ab.

Findet das populäre Anliegen eine Mehrheit, wird die Verfassung ergänzt durch den Zusatz: «Der Bund sorgt dafür, dass Halterinnen und Halter von Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken finanziell unterstützt werden, solange die ausgewachsenen Tiere Hörner tragen.» Sie haben richtig gelesen: Zuchtziegenböcke. In der Verfassung.

Bei solchem Allotria stelle ich mir jeweils den früheren CVP-Bundesrat und Rechtsprofessor Arnold Koller vor. Ich sehe den Vater der neuen Bundesverfassung, wie er nach der gelungenen Totalrevision von 1999 feierlich erklärte: «Es geht hauptsächlich darum, die grossen staatspolitischen Errungenschaften unseres Landes für die Zukunft abzusichern.» Und im Hintergrund läuft ein Zuchtziegenbock durchs Bild.

11 commentaires sur «Arnold Koller und der Zuchtziegenbock»

  • Martin Frey dit :

    Unterschätzen Sie nie die Bedeutung der Zuchtziegenböcke!
    Wegen ein paar Zuchtziegenböcken und schlecht betreuten Schwarznasenschafen auf Alpweiden sind immerhin Teile der Bergbevölkerung, deren politische Exponenten, sowie Teile des Parlamentes sich nicht zu schade, unter dem fadenscheinigen Vorwand des Schutzes der Berglandwirtschaft eine erneute Ausrottungskampagne quasi « à la carte » gegen einen Teil unserer angestammten Fauna zu lancieren. Und stilisieren die unter dem Strich vernachlässigbare, jedoch durchwegs grosszügig entschädigte Anzahl gerissene Zuchtziegenböcke zur Frage des Seins oder Nichtseins ganzer Landesteile hoch.
    Insofern, Allotria gehörte wohl seit jeher zur Schweizer Politkultur.

  • Jessas Neiau dit :

    Es muss endlich Schluss sein mit der selbstherrlichen Umsetzungspolitik des Parlaments. Je nach Gusto wird ja überhaupt nichts umgesetzt. Natürlich ist es auch Unsinn, für jeden Hafenkäse eine Verfassungsänderung per Initiative beantragen müssen – das ist ja aber nur notwendig, weil dem Parlament vor langer langer Zeit die Hoheit über die Ausarbeitung von Gesetzen übertragen wurde. Fakt ist, das Parlament macht seine Arbeit nicht. Fakt ist meines Erachtens auch, dass die gegenwärtige Form des Parlaments überkommen ist und aus Zeiten stammt, wo man sich bedingungslos auf die da oben verlassen zu können meinte und wo eine Abstimmung eine Riesensache war. Die Macht des unwilligen Parlaments muss beschnitten, die Macht des einzelnen Bürgers muss gestärkt werden.

    • Röschu dit :

      Das Hauptproblem ist, dass in erster Linie Partei- und Lobby-Politik betrieben wird, anstelle von Sachpolitik.

    • Sportpapi dit :

      Ich verstehe kaum ein Wort. Wenn man möchte, dass Initiativen genau so umgesetzt werden, wie gewünscht, dann muss man sie entsprechend formulieren. Warum wohl passiert genau das nicht?
      Und wenn alle wüssten, dass es genau so kommt, wie es da steht, würden wohl manche darauf verzichten, mit ihrer Stimme « ein Zeichen setzen » zu wollen, und etwas verantwortungsvoller abstimmen.
      Dass Initiativen auf die Verfassung zielen statt auf Gesetzesstufe halte ich auch für einen Systemfehler.

  • Othmar Riesen dit :

    Ich verstehe den Artikel nicht: was kann alt Bundesrat Koller für die unsäglichen Bestimmungen, die seither in die Verfassung aufgenommen wurden? Koller hat eine wunderbare Bundesvefassung auf die Beine gestellt. Das hätte zumindest am Rande von Herrn Foppa anerkannt werden können. Schade. Einmal mehr ein Artikel, der den Sachverhalt verdreht, damit der Autor im gegenwärtigen Mainstream der Medien mitschwimmen kann.

  • Paul Meier dit :

    Zwei Kommentare: 1) Initiativen sollten nicht einen Verfassungstext haben, sondern einen Gesetzestext und 2) wir sollten schon lange ein Verfassungsgericht haben, sonst taugt die Verfassung nichts. Das könnte dann auch beurteilen, ob die vorgeschlagenen Gesetzestexte verfassungskonform sind.

  • Nina dit :

    Arnold Koller sieht echt sweet aus. Ist das jetzt ein Fall von MeToo? Darf man ja nicht mehr sagen.

    • Martin A. La too me dit :

      « man » sagen als Nina wird schon problematisch
      zumal die Rinder im Bild noch gehörnt.

  • Johannes Fischer dit :

    Koller hat mit der neuen BV sehr viele Neuerungen eingebracht, die unnötig und zu einem guten Teil fürs Land schädlich waren. Hat dem Internationalismus den Weg geebnet.

  • werner boss dit :

    Betrachten wir doch einmal die ganze Angelegenheit von der anderen Seite. Was heute NICHT ausdrücklich verboten oder sonst wie geregelt ist, das wird missbraucht und zerstört bis zum geht nicht mehr! Stichworte: Littering, Mietvelos,Berg und Wanderwege werden mit allen unmöglichen Vehikeln befahren,Seen und Flüsse sind Plastik und Sonnencremekloaken,etc.Die Menschen werden in Zukunft wieder mehr Einschränkungen brauchen, wenn sie überleben wollen.

    • Röschu dit :

      Wenn dies schon alles geregelt und verboten werden muss (was ich anders sehe, was hier aber nichts zur Sache tut), dann aber auf Gesetzes-und/oder Verordnungsstufe; aber ganz sicher nicht in der Verfassung.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.