Tellmania

Denkmal des Nationalhelden Wilhelm Tell in Altdorf.

Parteien, Restaurants und Kleiderläden: Alle nutzen Wilhelm Tell für ihre Zwecke. Bild: Keystone

Wilhelm Tell, Nationalheld, muss für viel Schabernack herhalten. So zog die amerikanische Firma Levis für eine Kampagne dem stämmigen Urner eine viele zu enge blaue Jeans an, Sohn Walterli steckten sie in eine gelbe Version. In der Schweiz behandelt man Tell respektvoller, dafür wird die Symbolfigur geradezu inflationär verwendet. Dies vor allem in seinem Heimatkanton: Dort gibt es den Tellbus, die Tellsymphoniker, das Tellspielhaus, den Tellpark und etliche Restaurants, Bars und Firmen, welche sich mit den vier magischen Buchstaben schmücken.

In der Schweiz führen über 50 Restaurants Tell in ihrem Namen auf. Nur ganz vereinzelt taucht Tell hierzulande als Familienname auf, häufiger ist die Verwendung als Vorname. Auch viele Produkte versuchen mit dem 1470 erstmals erwähnten Widerständler Kasse zu machen: Die Chilisauce «Tell from Hell» (scharf) oder Coops Billigbier «Tell» (fad) sind Beispiele dafür. Und wer noch so etwas Altmodisches wie ein Portemonnaie sein eigen nennt, kennt den Alphirten, der von den meisten als Tell gedeutet wird, auch vom Fünfliber.

Notfalls greift der Eidgenosse zur Waffe – genau wie Tell

Selbst in der Politik greift man gerne auf die Symbolik des wehrhaften Armbrustträgers aus der Innerschweiz zurück. Bei jeder zweiten Abstimmungskampagne bedient man sich dieses Motivs, um vor der Bedrohung der Freiheit und Eigenständigkeit der Eidgenossenschaft zu warnen.

Und da ist noch «Pro Tell», der vor rund 40 Jahren gegründete gemeinnützige Verein. Der scheint sich vor allem die negativen Eigenschaften des Helden einverleibt zu haben: hinterhältig, stur, streitbar. Und wie Tell ist auch der Verein der Überzeugung, dass ein richtiger Eidgenosse notfalls halt zur Waffe greifen muss, wenn seine Welt in Gefahr ist. Oder wie es ihr neuer Generalsekretär sagt: «Ein Bürger ohne Waffe ist kein freier Bürger.»

Hinterhältig muss der Umgang mit den eigenen Leuten bezeichnet werden, ihr langjähriger Präsident Willy Pfund wurde unrühmlich aus seinem Posten gedrängt, die radikale Westschweizer Fraktion rund um SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor übernahm putschartig den Vorstand und trimmt diesen immer mehr Richtung der US-Waffenlobby NRA. Bürger sollen in der Öffentlichkeit Waffen tragen dürfen, und auch für die Einführung der Todesstrafe plädiert der streitbare Walliser Politiker.

Pro Tell verbucht ersten Erfolg im Kampf gegen EU-Richtlinie

Pro Tell ist zwar nur die Speerspitze der Schützen und Jäger. Aber der Einfluss der Schweizer Waffenfreunde ist fast ähnlich furchteinflössend wie diejenige der amerikanischen Waffenlobby. Das musste bereits Bundesrat Kurt Furgler am eigenen Leib erfahren: Er wollte den «Waffen-Selbstbedienungsladen Schweiz» schliessen und forderte statt kantonalen Regelungen ein strenges nationales Waffengesetz. Er scheiterte an Pro Tell, welche er mit dieser Ankündigung erst richtig zum Leben erweckte.

Jetzt hat sich Pro Tell den Kampf gegen die Anpassung des Schweizer Waffenrechts an die entsprechende EU-Richtlinie auf die Fahne geschrieben. Und konnte diese Woche einen ersten Erfolg verzeichnen: Die Ordonanzwaffe gilt weiterhin als nicht «verbotene Waffe». Sollte die Vereinigung diese Neuregelung trotzdem mit dem Referendum bekämpfen, dann muss Wilhelm mit grösster Wahrscheinlichkeit wieder als Symbol für ihren Aufstand herhalten: auf Plakaten, Inseraten und als angeblich geistiger Vater des Widerstands gegen die Entwaffnung der Schweizer.

15 Kommentare zu «Tellmania»

  • Koch Ra sagt:

    Es traf sich nie gut, wenn eine Liaison zwischen wirtschaftlichen Progressionisten und nationalistischen Interesseninhabern über eine idealistische Doktrin zustande kam. Denn dann versank die intellektuelle Menschlichkeit (Humanitas) im Hintergrund. Letztere begann schliesslich die Ideologie in Frage zu stellen…!

    • Wildberger sagt:

      Sie werfen den Befürwortern der Unabhängigkeit (nur Idelaisten?) eine Liaison (moralisch zweifelhafte Beziehung?) mit den wirtschaftlichen progressisten (Blocher oder wer noch sonst?) vor. Die EU-Befürworter und Gegner einer Unabhängigen Schweiz argumentierenn mit „Wertegemeinschaft“ (Idelalismus als Fake der dem Machtgehabe Brüssels widerspricht). Weil das offensichtlich ist versprechenn sie wirtscchftlich Vorteile und drohen mit Nachteilen (Wirtschftskrieg oder zumindest *dräckele“ wie Börsenzulassung etc.). Die Möchtegern-Vasallen Brüssels würden sogar ihre Gorssmutter verkaufen, wenn es kurzfristig lohnt. Eigeninteressen werden am besten mit der Unabhängikeit gewahrt, wofür Tell ein Symbol (Mythos) ist.

  • Daniel Fässler sagt:

    Richtige Eidgenossen würden sich heute für die heutigen Neidgenossen“ zutiefst schämen, wenn die sähen, wie heute Freiheiten, die mit Blut unserer Vorfahren erkämpft wurden, einfach wegen abstrakten Gefahren verschenkt werden.

    • Frank Zuffnik sagt:

      Genau. Darum haben die richtigen Eidgenossen ja auch ihr Blut 1812 im Russlandfeldzug von Napoleon vergossen, weil sie ja 1515 von Marie Niano zur Neutralitaet ueberredet wurden. Die waren eben noch konsequent und haben sich nich von fremden Voegten anfuehren lassen.

      • Bebbi Fässler sagt:

        Die Tessiner hatten das Vergnügen sich von eidgenössischen Vögten Vogten zu lassen.

  • Carmen Heidelberger sagt:

    Wie ist es denn zu erklären, dass es in der Schweiz mehr Leute mit dem Nachnamen Gessler gibt als solche die Tell heissen? Da kann doch keiner behaupten, der Geist des Widerstandes sei sonderlich erfolgreich weitervererbt worden. Hätte Tell mal einen Hut aufgesetzt und Obst gegessen anstatt es zu wasten, dann hätten sich die verfeindeten schweizer Bistümer vielleicht auch irgendwann von selbst einigen können und es hätte keinen Napoleon gebraucht um den Schweizern eine Verfassung aufzudiktieren und 1815 wäre nicht der Wiener Kongress nötig gewesen um die Schweiz zu gründen und die Neutralität festzuschreiben.

    • Ludwig Ramseier sagt:

      Ihre Behauptung ist falsch. Es gibt mehr Tell‘s als Gessler‘s. Hab nachgeprüft da es mich interessiert hat.

      • Carmen Heidelberger sagt:

        Und welchen Teil von „Nachname“ haben sie dabei jetzt nicht verstanden?

  • Dino sagt:

    Wer ProTell mit der NRA verlgeichen will, der sollte von dieser schon etwas mehr Ahnung haben, alles andere ist billige und durchschaubare Angstmacherei; dafür ist auch dieser Satz bezeichnend: „Aber der Einfluss der Schweizer Waffenfreunde ist fast ähnlich furchteinflössend wie diejenige der amerikanischen Waffenlobby“ – vor uns braucht ihr keine Angst haben, gehören wir doch zu den gesetzestreusten Bürger im Land – das wäre übrigens ein Vergleich zur NRA wert; denn bis dato hat sogar PETA mehr ‚mass shooters‘ vorgebracht als die NRA.

    • Claude Fontana sagt:

      @Dino:Kaum, Denn dank der NRA Kamen Diese erst zu Waffen. Logik mein freund, ist dein freund.

  • Ralph Künzle sagt:

    Tell als Symbolfigur hat ausgedient. Meinen die Einen. Die Anderen halten sich dafür erst recht daran. Genau dies ist der Punkt an dem Gesellschaften zu zerbrechen beginnen. Nur durch Einbürgerungen und gut geführten Statistiken wird dem „Schweizer“ vorgemacht, es gäbe noch eine CH Bio-Bürger Gemeinschaft. Die Schweiz ist ein Multikulti-Globalistentraumland geworden, in dem die Bevölkerung sich zu arrangieren hat. Jeder der aus dem Prozess der Wohlstandsmehrung (also dem Profitwahn der Wirtschaftslobbyisten) fällt, kann in ganz humaner Art in die Sozialversicherungen abgeschoben werden ohne das der Verursacher (Hochfinanz und Wirtschaft) Anteile der Kosten zu übernehmen hat. Ja, dies schafft den Nährboden für Extreme. Wehe das Geld geht aus die Probleme zu deckeln. Schade…

  • tim meier sagt:

    Das Armbrust-Symbol stand vor ein paar Jahrzehnten noch für Swiss Made. Die Verhunzung durch Bier etc kam viel später.
    Der bewaffnete Miliz-Soldat ist ein Teil der DNA der Schweiz. Ob das dem Autor passt oder nicht.
    Man kann es drehen und verdrehen wie man will: mit der Freiheit und Eigenständigkeit ist die Schweiz in den letzten paar Jahrhunderten nicht schlecht gefahren.

  • Daniel sagt:

    Die Geschichte von Willhelm Tell ist eine Sage und keine historische Realität. Es gibt nachweislich ältere skandinavische Texte mit gleichem Inhalt. Die Sage wurde also den Skandinaviern abgeschrieben und später zu einer historischen Gegebenheit verklärt.

  • werner sagt:

    Der Autor dieser Geschichte hat wieder einmal, wohl ganz bewusst, zwei verschiedene Dinge mit einander vermischt! Das Ausland, auch nicht Brüssel, hat uns nichts vor zu schreiben, sonst landen wir dann tatsächlich einmal dort, wo uns schon mal jemand haben wollte! Aber, ich bin auch der Meinung dass es in der Schweiz nicht jedem Löli erlaubt sein soll, eine Waffe zu tragen, die USA zeigt uns deutlich zu was das führt. Gerade deswegen finde ich es perfid, ein so weitreichendes Problem, mit einem Kniefall vor den EU-Oberen zu verbinden!

  • Lionel Scheffer sagt:

    In der Innerschweiz hat es noch heute Individuen, denen ich Tells Handlungsweise durchaus zutrauen wuerde (s. auch „Der Schwarze Tanner“.). Etwas anderes: Im „Weissen Buch von Sarnen“ ist die Rede von „pfyl“. Aber Pfeile verschiesst man nicht mit einer Armbrust, da kommen Bolzen zum Einsatz. Wahrscheinlich hatte Tell einen Pfeilbogen, auch wenn das fuer viele Schweizer eine herbe Enttaeuschung ist. Ja, und auch fuer Schiller-Fans.

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