Die stärkste Publikation des Landes

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Das traditionelle Abstimmungsbüchlein wird eventuell bald digital. Foto: Gian Ehrenzeller (Keystone)

Es ist der Traum jedes Journalisten: Leserstärkste Publikation der Schweiz, stetig steigende Auflage, keine wirtschaftlichen Nöte. Wären dem Gestaltungswillen nicht derart enge Grenzen gesetzt, uns Medienschaffende zöge es alle – zum Abstimmungsbüchlein. Die Bundeskanzlei lässt pro Abstimmungssonntag 5,5 Millionen Exemplare drucken: eines pro Stimmbürger plus ein paar als Reserve. Viele davon landen ungelesen im Altpapier, bei mir stehen die roten Hefte im Bücherregal. Seit 2004 sammle ich die Erläuterungen des Bundesrats mit einer eigentümlichen Faszination. Sie sind so etwas wie die heftgewordene Essenz unserer direkten Demokratie, geduldiges Papier, das noch die irrste Volksinitiative sachlich darlegt (das Abstimmungsbüchlein zur Hornkuhinitiative dürfte hier neue Massstäbe setzen).

Mitschuld an der Aufregung

Beim Stöbern durch die alten Hefte wird man an Fortschrittliches (Mutterschaftsversicherung), Intolerantes (Minarettinitiative), Folgenschweres (Zuwanderungsinitiative), Überraschendes (Nein zur Gripen-Beschaffung) und Schrulliges (Bedingungsloses Grundeinkommen) erinnert – an Abstimmungskämpfe, die das Land bewegten. Bisweilen war die Publikation selbst mitschuld an der Aufregung. So bei der AHV-Abstimmung vom September: Zu Wort kam im Heft bloss das linke Referendumskomitee, während die Argumente der bürgerlichen Gegner fehlten.

Doch hier soll für einmal nicht gemäkelt, sondern Anerkennung gezollt werden. Zumal das Büchlein bald in neuem Gewand erscheint. In den nächsten Wochen wird der Bundesrat über das künftige Erscheinungsbild befinden: Das Heft soll weiterhin auf Bilder verzichten (bebildern Sie mal die Durchsetzungsinitiative), jedoch moderner, farbiger und ausgewogener werden.

Mit Rücksicht auf die sinkende Aufmerksamkeitsspanne der Leser wird auf den ersten Seiten neu ein Überblick über sämtliche Vorlagen gegeben. Denn die Stimmbürger haben zunehmend weniger Lust, sich durch das ganze Heft zu kämpfen – selbst wenn die wichtigste Abstimmung an dessen Ende behandelt wird. Zudem beantragt die Bundeskanzlei offenbar, den Argumenten der Initianten künftig gleich viel Platz einzuräumen wie jenen des Bundesrats. Eine begrüssenswerte Absicht zur Stärkung des Wettstreits der Argumente.

Eine Skurrilität mehr

In einem späteren Schritt, man ahnt es, soll die Publikation den Weg alles Gedruckten gehen und zunehmend digital verbreitet werden, zum Beispiel via eine App. Allerdings sind sich die Juristen des Bundes noch uneinig, ob es dazu einer Gesetzesänderung bedarf. Was ein Referendum und damit eine Abstimmung zur Folge haben könnte, wodurch es ein Abstimmungsbüchlein zum Abstimmungsbüchlein gäbe – und unser Land um eine Skurrilität reicher wäre.

15 commentaires sur «Die stärkste Publikation des Landes»

  • Martin Frey dit :

    Mit dem Abstimmungsbüchlein ist es ein bisschen wie mit der SRG, beide einst mit immens hohem Nimbus, und als hochqualitative neutrale gesamteidgenössische Informationsquelle nicht wegzudenken. Nun einerseits an die Social Media-20minutisierung Tribut zollend, sowie andererseits durch qualitative Sündenfälle sich selber abschaffend. Eine derartige Instanz und Garant der breiten Information der Bevölkerung zu sein, bringt erhöhte Verantwortung mit sich, die man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte. Weder für Bequemlichkeit (Apps, E-Voting) noch für realpolitische und persönliche Präferenzen (SRG).
    Oder anders gesagt, ein Fehler kann mal passieren, sollte aber nicht. Im Wiederholungsfall muss man sagen « Braucht es das nicht ».
    Beim Abstimmungsbüchlein ist die Rettung einfacher.

  • Thomas Hartl dit :

    Sinnvoll wäre eine Möglichkeit, die Zusendung des Büchleins in Papierform abbestellen zu können. Damit bekämen Bürger, die auf Online-Zugang verzichten, weiterhin ihr Abstimmungsbüchlein, und trotzdem könnte längerfristig eine Menge Papier und Kosten gespart werden.

  • Philipp M. Rittermann dit :

    so leid es mir tut. dieses büechli ist manipuliert. bundes-propaganda eben. es ist zwar nicht die lösung, aber ich stimme mehrheitlich gegen diese empfehlungen des br. – jedoch für die schweiz. fragen?

    • Peter Berger dit :

      Meines Wissens konnten die Gegner jeweils ihre Stellungnahme voll einbringen. Im heutigen BAZ-Artikel steht auch: Zudem beantragt die Bundeskanzlei offenbar, den Argumenten der Initianten künftig gleich viel Platz einzuräumen wie jenen des Bundesrats. -Das setze ich als unbedingt voraus.

    • Paul Levi dit :

      Sie stimmen gegen den BR aber für die Schweiz? Nein, das stimmt nicht. Denn es gibt kein für die Schweiz, denn es gibt eben die Schweiz gar nicht. Für Sie ist die Schweiz etwas ganz anderes als für mich, obwohl es das gleiche Land ist.

      Die Schweiz ist eine Demokratie und das Wesen der Demokratie ist ja, dass jede Stimme zählt und jede Meinung zulässig ist. Also egal über was abgestimmt wird, gibt es kein für oder gegen die Schweiz.

    • Linus Huber dit :

      Nun Paul, es stimmt eben nicht genau, dass jede Stimme das gleiche Gewicht besitzt, insbesondere wenn Sie die Regierung mit berücksichtigen. Die Regierung und ihre Bürokratie besitzt bedeutend mehr an Gewicht und verhält sich leider oft nicht neutral, sondern vertritt mehrheitlich ihre eigenen Interessen, welche sich keinesweg mit den Interessen der schweizerischen Bevölkerung decken muss.

  • Peter Berger dit :

    Bisher war es eine gute Entscheidungshilfe bei Unsicherheit. Es sollte weiter existieren. Aber unbedingt in Kurzform und unkompliziert! Fachbegriffe die nur « Eingeweihte » verstehen weglassen resp. vereinfacht umschreiben. Wenn man zu jedem Thema 20 Min. lesen muss wird es vorher beiseite gelegt.

    • Ralf Schrader dit :

      Alles was man mit weniger als 20 Tagen Beschäftigung meint zu verstehen, ist nicht verstanden.

  • Daniel Lehmann dit :

    Wer jetzt meint, die Beilagen bei Abstimmungen und Wahlen wären reine Papierverschwendung, dem möchte ich entgegenhalten, dass die Reklame-Papierflut, welche man trotz « keine Werbung »-Sticker erhält, wesentlich umfangreicher und zudem unnötig ist.

    • Ralf Schrader dit :

      Das Eine wiegt das Andere nicht auch. Ziel kann nur sein, keine Werbung in den Briefkasten, egal ob kommerziell oder politisch.

    • Linus Huber dit :

      Daniel, ich kenne mich damit nicht aus; aber solche welche trotz diesem Sticker Reklame bei Ihnen ablegen, sollte man wohl mal ein wenig unsanft vorknöpfen.

  • Lori Ott dit :

    Das Skandalöse am Abstimmungsbüchlein sind die « Empfehlungen ».
    Die weissen Seiten sind nur eine Zusammenfassundg dessen, was in den Wochen zuvor bereits in der Presse zu lesen war.
    Das einzige wirklich Brauchbare sind die roten Innenseiten.
    Die sinnvollste Verwendung dieser Publikation hat zweifellos Daniel Foppa entdeckt: die Heftlein zu sammeln.

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