Den Mutter-Mythos überwinden

Erstarrtes Rollenbild: Mütter sollen die Familie priorisieren und gleichzeitig Karriere machen. (Getty Images)
Die Wut war gross. Ausgerechnet die Familienpartei CVP hatte am Montag dafür gesorgt, dass die Bildungskommission das Vorhaben des Bundesrats ablehnt, 100 Millionen Franken für die Kinderbetreuung auszugeben. CVP-Ständerätin Brigitte Häberli fällte den Stichentscheid und verärgerte damit den sozialen Flügel ihrer Partei. CVP-Chef Gerhard Pfister verteidigte Häberli. Beide finden, die Kantone und Gemeinden seien zuständig, nicht der Bund.
Das ist natürlich eine Ausrede. In Wahrheit fehlt der politische Wille. Doch unabhängig davon: Die 100 Millionen Franken wären für berufstätige Eltern in der Schweiz eine kleine Hilfe. Seit 13 Jahren fördert der Bund die Schaffung von Betreuungsplätzen mit bisher 420 Millionen Franken. Sicher: Damit sind zahlreiche Betreuungsplätze geschaffen worden. Aber das System ist eben auch bürokratisch und ineffizient. Geld bekommt, wer sich an die Vorgaben hält, der Bund muss prüfen, bewilligen und kontrollieren. Und ob das private Engagement über die beschränkte Zeit der Bundeshilfe hinaus anhält, ist unsicher. Weil die Betreuungsplätze nach wie vor so teuer sind, dass sich ein berufliches Engagement des Zweitverdieners oft nicht lohnt, will der Bundesrat nun weitere 100 Millionen Franken bereitstellen, diesmal für die Vergünstigung der Krippenplätze und die zeitliche Flexibilisierung des Angebots.
Erstarrtes Schweizer Mutterbild
Es ist begrüssenswert, dass sich Innenminister Alain Berset und sogar der von FDP und SVP dominierte Gesamtbundesrat für Familien einsetzen. Aber nach Jahren der Krippen-Anschubfinanzierung muss man feststellen, dass die Massnahmen nicht genügend wirken. Der Erfolg ist verglichen mit dem Aufwand bescheiden. Es gibt ein tiefer liegendes Problem, das den Fortschritt behindert, wie Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm richtigerweise festgestellt hat. Das Mutterbild in der Schweiz ist in den 80er-Jahren stecken geblieben, schrieb sie kürzlich in der NZZ. Mütter müssten immer noch beweisen, dass sie gute Mütter sind. Sie müssten die Familie priorisieren und gleichzeitig in männlich geprägten Machtstrukturen Karriere machen wollen. Kein Wunder, dass viele von ihnen resignieren und daheim bleiben.
Der Mythos der perfekten Mutterschaft sei nicht nur für die Mütter selber ein Gesundheitsrisiko, schreibt Stamm, sondern führe paradoxerweise auch dazu, dass deren Kinder zu kurz kämen. Weil sie zu wenig Raum haben, um selbstständig zu werden. Und ihre Partner könnten zu den Kindern kaum eine eigenständige und unabhängige Beziehung aufbauen. Fazit: Frauen sollten lernen, eine hinreichend gute Mutter sein zu wollen.
Steuerliche Fehlanreize beseitigen
Die Politik kann das unterstützen. Wenn sie die Berufstätigkeit von gut ausgebildeten und ehrgeizigen Frauen wirklich fördern will, muss sie mithelfen, den Mutter-Mythos zu überwinden, indem sie beispielsweise dafür sorgt, dass der Staat selber flächendeckend günstige Betreuungsplätze zur Verfügung stellt, für alle Eltern, die das wollen. Zudem müssten die steuerlichen Fehlanreize beseitigt werden, die Zweitverdiener am beruflichen Engagement hindern.
Dann bräuchte man in der CVP nicht mehr über Zuständigkeiten zu diskutieren. Es gäbe nur noch Ja oder Nein.
19 Kommentare zu «Den Mutter-Mythos überwinden»
Das Frauenbild (Druck, eine perfekte Mutter zu sein) und die finanzielle Anreizstruktur (Kosten flexibler Betreuungsangebote) sind zwei recht unterschiedliche Dinge. Die 100 Millionen adressieren direkt nur die Anreizsstruktur (und wenn mehr Familien das Angebot nutzen ändert sich längerfristig ev. auch das Frauenbild). Wenn aber gar nicht das Geld sondern das Frauenbild hauptsächlich für die Entscheidung einer Mutter/Familie verantwortlich ist, dann werden die 100 Millionen daran vielleicht auch nicht so viel mehr ändern als die 420 Millionen das bisher getan haben?
Sie legen den Finger auf den wunden Punkt, Malena. Denn die Frage ist offen, ob es nur an der Anreizstruktur liegt, oder aber ob es für all diese Angebote und Anreizstrukturen überhaupt einen Bedarf gibt. Die Autorin gibt das implizit ebenfalls zu:
„Aber nach Jahren der Krippen-Anschubfinanzierung muss man feststellen, dass die Massnahmen nicht genügend wirken. Der Erfolg ist verglichen mit dem Aufwand bescheiden.“
Dass der Staat, wenn er schon kräftig unter die Arme helfen soll, gewisse Qualitätskriterien an die Empfänger der Millionensummen zu stellen wagt, halte ich hingegen für das mindeste. Sind ja die Qualitätsunterschiede unter den Kitas nicht ganz von der Hand zu weisen.
Und was, wenn es nicht mal das Frauenbild ist, sondern ein individuelles Bedürfnis vieler Mütter? Und was gibt denn das Recht, dieses Frauenbild mit viel Geld manipulieren zu wollen? Und warum?
@SP: Die Frage ist natürlich berechtigt. Gender-ideologische Motivationen (Angleichung der Geschlechterrollen als Selbstzweck) übertrumpfen meiner Meinung nach die individuelle Wahlfreiheit nicht. Hingegen gibt es vielleicht gute wirtschaftliche Gründe: Wirtschaft braucht gut qualifizierte Arbeitskräfte, Investition in die Ausbildung von Frauen soll sich gesellschaftlich lohnen, Vermeidung der Armutsfalle für Familien…
Es ist relativ einfach: Die ganze Betreeungsdiskussion richtet sich einzig nach den Bedürfnissen gut verdienender Akademikerpaare aus, die sich finanziell möglichst entlastet sehen wollen, weil man sich ja nicht zu sehr finanziell einschränken will durch diese blöden, hohen Kita-Betreuungskosten. Nur ist das eben ein Luxusproblem und niemand hat Lust, für die Optimierung der Lebensbedürfnisse hochbezahlter Doppelverdiener (zufälligerweise viele in Bern sitzend) zu bezahlen, während man selbst schauen muss, wo man bleibt. Wenn irgendeine Anreizstruktur geändert werden müsste, dann diejenige, bei der die zweite Person im Haushalt wenig verdient und einen harten, schlecht bezahlten Job verrichten (muss). Denn für diese besteht heute entweder keine Wahlmöglichkeit oder null Anreiz.
Die Betreuung der eigenen Kinder ist die gemeinschaftliche Aufgabe der Mutter und des Vaters. Können sie dies nur mit externer Hilfe gewährleisten, dann sollen auch sie selber für diese Dienstleistung aufkommen und nicht der Staat oder Steuerzahler. Ansonsten sollen sie auf Kinder verzichten, wenn sie dies nicht wollen oder können.
Wir haben unsere 3 Kinder auch ohne fremde Hilfe!
somit wäre es armen Menschen verboten sich fortzupflanzen…. sehr elitäres, asoziales Denken.
Es war einmal, da hielt man Erziehung und Ausbildung der eigenen Kinder für eine der wichtigsten Aufgaben einer Familie. War ja auch sinnvoll, denn der eigene Nachwuchs war für den Unterhalt im Alter zuständig und verantwortlich. Dann hat Schritt für Schritt „der Staat“ begonnen, Aufgaben der Familie zu übernehmen. Zuerst wurden die Alten verstaatlicht, und jetzt ist man mit Eifer dabei, das bei den Kindern gleich zu tun. Man nennt es „Sozialstaat“. Beide nun staatlichen Aufgaben kosten viel Geld. Und weil es Staatsaufgaben geworden sind, müssen ganz viel Regeln und auch eine Administration aufgebaut werden, was noch viel mehr Geld kostet. Einfache Lösungen oder gar simpler „gesunder Menschenverstand“ ist verboten. Schliesslich wollen Staatsangestellte und Juristen auch leben.
Kinderkrippen für unter 2 jährige sind eh nicht zu empfehlen.. Lieber sollte der Mutter die Stelle (wie in Deutschland) geschützt werden, damit sie nicht nach 3 Monaten wieder zur Arbeit muss, um die Stelle nicht zu verlieren. Auch finanzielle Unterstützung statt Krippenplätze wären besser.
Wer genau hinschaut wird feststellen, dass Krippen für Säuglinge immer eine suboptimale Betreuung darstellen (zu laut, zu wenig enge Bindungen, Wechsel der Bezugspersonen, Stress des Personals). Gilt va. für Kinder, die 4 oder mehr Tage dort verbringen).
Wieso dürfen Mütter nicht mehr Mütter sein?
Was ist daran 80er Jahre?
Warum bedeutet Arbeit und Familie unter einen Hut kriegen Kinder abgeben um mehr zu arbeiten? Was ist da unter einem Hut? Das eine wird für das andere getauscht und warum die Allgemeinheit dafür noch bezahlen soll kann ich auch nicht verstehen.
Ich möchte allen Müttern Mut machen die Erziehung ihrer Kinder selbst in die Hand zu nehmen und diese nicht irgendwelchen gleichaltrigen und Praktikantinnen zu überlassen.
Danke danke <3
Und was ist, wenn die Mutter ihren Beruf liebt, wenn sie in diesem Beruf gebraucht wird? Warum haben Kinder immer noch hauptsächlich Erzeuger und keine Väter, die Väter sein wollen? Ist diese Arbeit zu langweilig für die HERREN der Schöpfung, zu wenig prestigeträchtig? Wie sinnvoll ist es, tausende von Steuerfranken in die Ausbildung der jungen Frauen zu stecken, wenn diese mit dem ersten Kind im Haus verschwinden, ohne der Gesellschaft etwas zurück zu geben, und das bei unserem Fachkräftemangel? Fragen über Fragen.
Und noch etwas, das zu bedenken wäre: Wenn ihr ein Heimchen am Herd wollt, liebe Männer, ein Frauchen für eure Bequemlichkeit, das euch die Kinder vom Hals hält, dann bezahlt im Falle einer Scheidung auch ohne zu Murren die Zeche dafür.
Geht es der Wirtschaft so schlecht? Warum wollt ihr uns leidenschaftliche „Nur“ Mütter und Väter, die die Kinder GERNE selbst betreuen, unbedingt ausrotten?! Ist „Konsum“ alles was wichtig ist? Was ist mit Güte, Liebe usw.? LIEBE GIBT ES IN KITAS NICHT! Das liegt schon in der Natur der Sache! Es ist für die Leute nur ein JOB! Habe zwei Kinder, davon eins im Kindergarten und bin „Zuhause“. Die Kinder kochen, backen, gärtnern und putzen mit mir zusammen oder können „frei“ spielen! Den Alltag strukturiere ich durch die regelmässigen Mahlzeiten und Ausflüge am Nachmittag. Kontakte zu andren Kindern haben meine auf dem Spielplatz oder familienintern. Das Geld, welches ich NICHT verdiene, spare ich durch „haushalten“ und „selber machen“ wieder ein! 🙂
Es braucht aber Menschen, die die AHV finanzieren. Und dies passiert nun mal nicht vom Daheim bleiben. Zudem hat der Staat die Ausbildung dieser Frauen für nichts finanziert und oftmals wird dann bsp nach einer Scheidung auf Staatskosten gelebt. Es gibt auch durchaus Menschen, die ihren Job mit Liebe tun, auch wenn sie sich das nicht vorstellen können. Zudem geht es manchen Kindern in den Kitas besser als Zuhause. Für mich wäre es ein Fortschritt, qualifizierte Teilzeitstellen zu schaffen und es auch Männern zu ermöglichen, das Pensum zu reduzieren.
Liebe Alice, danke für Ihr Votum. Sie sprechen mir aus dem Herzen.
Mütter-Mythos..? Man sollte sich vielleicht endlich einmal vom Medien-Mythos verabschieden, dass alle Frauen- von der Kassiererin bei Lidl bis zur promovierten Germanistin- nur davon träumen würden, eines Tages im Verwaltungsrat eines börsenkotierten Grosskonzerns zu sitzen!
Eine Mutter soll frei entscheiden können, ob sie eine Arbeit gegen Lohnabrechnung tätigen will und somit gleichwertiges Mitglied einer Gesellschaftsform ist wie in nordischen Ländern bereits länger praktiziert. Dazu braucht es nötige Infrastrukturen sowie Anerkennung der Gesellschaft. Väter dürfen Familie und Beruf ohne hochgezogene Brauen der Gesellschaft haben und Mütter müssen um deren Anerkennung bangen? Das ist zu wenig brauchbar und gehört in die Nachkriegsjahre des letzten Jahrhunderts. Frauen geniessen in der Schweiz eine gute Grundausbildung und können somit einem Einkommen nachkommen. Wer weiterhin im erlernten Beruf bleiben möchte, darf auf Unterstützung durch den Staat sowie Wirtschaft hoffen. Wer das Modell Hausfrau wählt, muss für AHV/IV/EO sowie PK-Beiträge sorgen.
@WS: Mütter dürfen alles. Nur tun müssen sie es selber. Was aber nicht geht, dass wir ihnen im Namen von Freiheit und Gleichberechtigung vorschreiben, was sie zu tun haben. Oder dies mit finanziellen Anreizen erzwingen.
Dann sollen sich Ehepaare, die sich den Luxus der „Nur-Hausfrau“ gönnen, auch mit einer reduzierten AHV-Rente zufrieden geben. Wer nicht einzahlt, generiert den Betreuungszusatz bis das jüngste Kind 16 ist und somit nur eine minimale AHV. Der Rest ist aus dem Einkommen des Vaters zu finanzieren. Es kann ja nicht sein, dass die arbeitende Bevölkerung mit ihren Beiträgen zu Steuern und AHV den „Nur-Hausfrauen“ den sorgenfreien Lebensabend finanziert.