Unsere Englandversteher

(Keystone) Wenn der wirtschaftliche Post-Brexit-Triumph ausbleibt, fehlt der bisherige Sündenbock - die EU. (Keystone)

Wenn der wirtschaftliche Post-Brexit-Triumph ausbleibt, fehlt der bisherige Sündenbock – die EU. (Keystone)

Eines vorweg: Ich liebe Grossbritannien, das Land meines Vaters, das der Welt eine politische Kultur geschenkt hat, die unübertroffen ist. Nirgends sind die Debatten brillanter, nirgends streiten Politiker geistreicher. Umso schmerzlicher ist es, zu sehen, wofür das Land seit dem Brexit-Entscheid herhalten muss. Als Projektionsfläche für all jene, die sich den Untergang der EU herbeisehnen. Als Chiffre für politischen Krawall und Niederlage der verhassten Eliten (auf diese hofft auch Donald Trump: «They will soon be calling me MR BREXIT!», twitterte er).

In der Schweiz ist das nicht anders. Grossbritannien nach dem Brexit: Das ist in den Augen rechter Politiker und Publizisten der Beweis, dass sich der nationale Alleingang eben doch auszahlt, dass man sich «befreien» könne von der angeblichen Last Europas. Die Abstimmung vom vergangenen Juni wird da zu einem kathartischen Erlebnis, das die Briten zum glücklichsten Volk Europas gemacht habe. Man fragt sich, von welchem Grossbritannien diese Leute sprechen. Wer das Land nur ein bisschen kennt, weiss: Ein paar Monate nach dem Brexit-Entscheid ist es gespaltener als zuvor. Es durchleidet einen ewig scheinenden Nervenzusammenbruch. Beispiele?

Da ist der Kommunalpolitiker der Konservativen, der in einer Petition ans Parlament fordert, all jene wegen Verrat anzuklagen, die sich nach wie vor für den Verbleib Grossbritanniens in der EU aussprechen. Darüber könnte man lachen, wenn diese Art von Verschwörungsdenken nicht schon in die höchsten Regierungskreise vorgedrungen wäre. Der Sekretär des Brexit-Ministers, der für die Tories im Unterhaus sitzt, rief über Twitter alle «Patrioten» auf, die Wirtschaftszeitung «Economist» (keine linke Publikation) abzubestellen – sie jammere und nörgele nur über den Brexit.

Englands Rassisten «take back control»

Da sind die Übergriffe auf Ausländer und andere Minderheiten, die nach dem Referendum nachweislich zugenommen haben. Einwanderer werden auf den Strassen vermehrt beleidigt, angespuckt und attackiert. Nachdem Jugendliche in London einen Polen totgetreten hatten, intervenierte die polnische Regierung. Auch Schwule und Lesben berichten von einer massiven Zunahme von Anfeindungen. «Take back control», der Slogan, mit dem die Brexit-Kampagne warb: Auch Englands Rassisten nehmen ihn sich offenbar zu Herzen.

Und da ist die gewaltige Unsicherheit über die künftigen Beziehungen des Landes zu Europa, die alles verblassen lässt, was die Schweiz mit der Masseneinwanderungsinitiative durchlebt. Brexiteers bejubeln zwar, dass der konjunkturelle Einbruch ausgeblieben ist – was kaum erstaunt, denn noch ist Grossbritannien ja Teil des Binnenmarkts. In dieser Lesart wird der historische Tiefstand des Pfunds dann auch zur Chance für die seit Jahrzehnten schwachen Exporte. Man will sich gar nicht vorstellen, wie gross die Enttäuschung sein wird, wenn der wirtschaftliche Post-Brexit-Triumph nicht eintritt. Irgendjemand wird dafür verantwortlich gemacht werden – und die EU kann es nicht mehr sein.

Mein Grossbritannien: Es ist ein gutes Stück hässlicher geworden.

60 Kommentare zu «Unsere Englandversteher»

  • werner boss sagt:

    Die Antipathie gegenüber der EU hat hat viele Gesichter. Und gerade die Engländer werden ihren Grund haben, warum sie nach anfänglicher Freude und Gründungsmitglied, enttäuscht diesem „einseitig“ gesteuerten Haufen den Rücken zuwenden! Statt ganz Europa mehr Wohlstand zu bringen, laufen den armen Ländern die teuer ausgebildeten Fachleute davon,in reichere Länder! Beispiel Italien; Dort fallen bei jedem Beben immer mehr Häuser zusammen, während in der Schweiz alles zubetoniert wird!!

    • Peter Meier sagt:

      Aber die Schweiz ist nicht EU Mitglied…wie soll man das also verstehen??

    • Johann Burkhalter sagt:

      GB ist kein Gründungsmitglied der EG. Sie traten erst 1973 bei. De Gaulle wollte sie nicht haben.

    • Emily sagt:

      Grossbritannien ist kein Gründungsmitglied: Beitritt 1973.
      Können Sie den Zusammenhang zwischen der Abwanderung von Fachkräften und den Erdbeben in Italien sowie dem Zubetonieren der Schweiz erklären und was das alles mit Brexit zu tun hat?

    • Christoph Bögli sagt:

      GB ist massgeblich mitverantwortlich, dass sich die EU nicht in eine substantielle, demokratische Struktur entwickeln konnte. Es waren gerade GBs Daueropposition und Extrawürste, die eine weitergehende europäische Integration und die Bildung echter europäischer Institutionen blockiert haben. Darum ist es schlicht lächerlich, wenn nun EU-Gegner über all das nörgeln, das sie der EU eingebrockt oder verwehrt haben.

      • Monique Schweizer sagt:

        Damals 1951 war das UK ja auch noch gross (auch wenn man kurz zuvor Indien und Pakistan „abgeben“ musste), das £ war bis ca 1955 immer noch Weltleitwährung und so musste man trotz hoher Staatsschulden (ähnlich wie USA heute mit hohen Schulden, aber $ als Weltleitwährung) diesem Europa-Club noch nicht beitreten!
        Aber mit dem fortschreitenden Niedergang hat man dann 1973 doch gemerkt, dass ein Beitritt doch nicht so dumm wäre. Diese populistisch herbeigelogenen Brexit-Vorteil (ähnlich der MEI) werden sich mit der Zeit immer mehr als hässliche potemkinsche Dörfer entpuppen, die auf Treibsand gebaut sind! „S’Föferli und s“Weggli“ gibt es eben weder im Heidiland noch im Königreich – aber die rechtspopulistischen Märlierzähler ködern das Volk immer wieder mit denselben Lügen!

        • Brauen Willy sagt:

          M. Schweizer: Wenn Sie schon so „kompetent“ den Schweizern und den Briten (Frauen eingeschlossen) ihre Fehler vorhalten, sollten Sie, der Gerechtigkeit halber, auch der der EU den Spiegel vorhalten, oder nicht? Aha, ja, den Euro-Turbos sind natürlich keine Fehler, seitens der EU bekannt, oder? Was glauben Sie, könnte sich der „populistisch herbeigelogenen Brexit-Vorteil“ dereinst doch noch bewahrheiten?

          • Hans-Jürgen Lorenz sagt:

            Sie sollten sich mehr mit den Fakten beschäftigen statt mit Wunschträumen. Bisher gibt es wirklich nichts, was einer der Lügen der Brexit befürworter ins Gegenteil verkehrt hätte. Und die erodierende Wirtschaft ist nicht das Ergebnis der EU Politik sondern von Englands Verweigerungshaltung, ihre Bürger am Wohlstand teilhaben zu lassen.

          • Brauen Willy sagt:

            H.J Lorenz: Ich versuche täglich mich „schlau“ zu machen, kann aber auch in Fakten feststellen, dass die EU doch ganz wesentliche Fehler begeht, völlig lernresistent, obwohl Kommissionspräsident JC. Juncker feststellt, dass Vieles schiefläuft: Schulden- Euro- Flüchtlings-Krise! Wo ist die Solidarität unter den Staaten? Wo ist der Wohlstand in der EU?, ausser in 2-3 Staaten? Wo ist die wirtschaftliche und soziale Ausgeglichenheit?

    • Eichholzer sagt:

      Da sieht man nun, wie der Herr Boss keine Ahnung hat, Hauptsache gegen die EU. Leider ist GB kein Gründungsmitglied.

  • Anh Toàn sagt:

    Wenn der wirtschaftliche Post-Brexit Triumpf nicht eintritt, wird man dennoch die EU verantwortlich machen. Z.B. weil die EU keine Zugeständnisse mache beim Zugang zum Binnenmarkt ohne PFZ: Dann ist es wieder die linke zentralistische EU, welche die aufrechten demokratischen Briten diktiert oder erpresst. Wie beim Rassismus braucht es keine Rationalität um Schuld zuzuweisen. Es werden welche als die Anderen ausgegrenzt, und die sind dann Schuld. Falls Schottland austreten will aus UK, um bei der EU zu bleiben, wird die imperialistische Expansionspolitik der EU dafür verantwortlich gemacht werden. Gäbe es die EU nicht, man müsste sie erfinden, alleine schon, um einen Sündenbock zu haben, denn die Nation braucht einen Feind, so wie Gott den Teufel braucht.

    • Gerd sagt:

      Wie wahr… Der Nationalismus, der vor allem davon lebt, möglichst billig Sündenböcke für das eigene Versagen auszumachen, ist leider überall auf dem Vormarsch. Eigentlich bin ich nicht pessimistisch und mag als Kind des real existierenen Sozialismus keine -ismen mehr ertragen, aber der Verlust jedweder Zukunftskonzepte und der Aufstieg der „auf Sicht fahrenden“ Politiker hat leider zu einem Verfall der politischen Kultur geführt, wie man sie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr erlebt hat. Im Angesicht des grassierenden (rechten und linken) Populismus in Europa kann man nur noch hoffen, das der Herrgott wirklich irgendwann Hirn vom Himmel wirft – und trifft.

      • Reto Stadelman sagt:

        Der Nationalismus kanalisiert nur das, was vorher Religionen, Fehden zwischen Adeligen oder andersweitige Streitigkeiten waren. Der Sozialismus (was gerne vergessen geht) hat ja schon mehr Opfer gefordert als der 1. und 2. Weltkrieg zusammen…
        Gäbe es die Nationen nicht, würden wir uns also einfach in orchestrierten Bürgerkriegen gegenseitig den Schädel einschlagen. Der Mensch wird immer einen Grund finden zu hassen. IMMER!

    • Reto Stadelman sagt:

      Dem würde ich zustimmen. Mir ist schleierhaft wie man annehmen kann, die EU werde jetzt nicht mehr für Probleme verantwortlich gemacht.

  • Peter Meier sagt:

    In Europa gibt es limmer zwei Sündenböcke: EU und Deutschland. Je nach Fall mal der eine oder andere mehr. So einfach ist die Welt…

  • Franz Eicher sagt:

    Hier nur ein kleiner Hinweis: Großbritannien ist kein Gründungsmitglied. Dies sind tatsächlich Italien, Frankreich, Niederlande, Belgien, Luxemburg und Deutschland.

    Scheint, Sie haben das ganze europäische Ding nicht verstanden, wenn Sie in Ihrer offensichtlichen Antipathie nicht einmal das wissen!

    Schade.

  • Hans Müller sagt:

    Nun, wenn das Land „gespaltener als zuvor“ ist, dann hat die EU wohl nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass es überhaupt zu einer solchen Spaltung kommen konnte – wie übrigens in vielen Ländern Europas. Was ist also der tatsächliche Beitrag der EU zur Einigung Europas? Dass es die gesellschaftliche Spaltung innerhalb jedes Nationalstaates als Preis dafür massiv verstärkt und die Souverenität dieser für jeden Mist ausgehebelt hat? Ist das etwas, worauf die EU Stolz sein sollte? Man sollte vielleicht endlich mal damit anfangen, das Problem dort anzupacken, wo es tatsächlich ihren Ursprung hat: in Brüssel, und nicht etwa in London, Bern oder Amsterdam.

    • Michael sagt:

      Da haben Sie aber den Grundgedanken der EU nicht verstanden lieber Herr Müller. Nicht die EU hat dazu beigetragen, das es nicht klappt. Der Gedanke an ein gemeinsames Europa wird eben nur von ein paar wenigen wirklich gelebt. Alle anderen wie z.B. Polen haben nur ihren eigenen Vorteil gesehen – viel nehmen aber nicht geben. Würde man die EU zurück auf die Gründungsmitglieder schrumpfen, war das eine Wirtschaftsmacht sondergleichen. Da würden dann aber die Nichtmitglieder insistieren, das das ein Club der reichen Wirtschaftsländer und Einlass begeheren. Und schon würde die Spirale von neuem beginnen. Fazit: Die meisten Länder der aktuellen EU-Gemeinschaft sind weder politisch noch wirtschaftlich in der Lage, einen positiven Beitrag zu liefern.

  • Rudolf Wildberger sagt:

    Ist Grossbritanien hässlicher geworden oder nicht? Ich weiss es nicht aber in der medialen Darstellung sicher ja. Der misstraue ich zutiefst weil hier ebenfalls in den Mainstreammedien alle EU-Gegner als hinterwälderische, bildungsferne Rassisten und Wutbürger erscheinen. Aber der politischen Auseinandersetzung ausweichen (GB:take back control – CH:MEI, Demokratie) mit wirtschaftlichen Untergangsszenarien drohen ist nicht überzeugend angesichts der „Erfolge“ und Auswirkungen der Politik Brüssels wie Schuldenkrise, Flüchtlinge/Migration, Jugendarbeitslosigkeit. . . . )

    • Christoph Bögli sagt:

      Wieso kreiden Sie diese Probleme der EU an? Das ist wenn schon gerade nationalstaatliches Versagen. Die Schulden und Arbeitslosigkeit hat ja nicht die EU gemacht, sondern inkompetente und korrupte nationale Regierungen, die Flüchtlingspolitik ist reiner nationaler Opportunismus (Merkels Alleingang, Schengen-Dublin wird ignoriert, Abkommen zur Verteilung werden ignoriert, osteuropäische Staaten kommen ihren Verpflichtungen nicht nach, etc.).

      Der tragikomische Witz an solch verquerer Kritik ist, dass es die Probleme so nicht gäbe bzw. besser gelöst werden könnten, wenn es eine handlungsfähige EU gäbe. Aber dort dominieren nach wie vor nur die nationalen Regierungschefs und ihre Interessen, entsprechend dysfunktional ist alles..

    • T Kirk sagt:

      Ich verbringe etwa 25% meiner Zeit in UK – Cambridge, um genau zu sein. Und selbst in dieser Hochburg der Gebildeten lässt sich feststellen: ja, das Land ist hässlicher und rauher geworden; und ja, nahezu alle, die um mehr als eine Ecke denken können, hadern mit der unsinnigen Entscheidung, mit der sie jetzt leben müssen. Demokratie ist die Diktatur des Durchschnitts – v.a., wenn hochkomplexe und langfristige Fragestellungen auf einfache „ja/nein“ Entscheidungen heruntergedampft werden.

      • Max Oppliger sagt:

        Könnte daran liegen, dass die Gescheiten dem Volk, fast in der gesamten EU, nicht erklären können, weshalb es sehr vielen immer schlechter geht. Die Arbeitslosigkeit ist teilweise enorm, die Staatsverschuldungen steigen, Migration und Geldtransfers von arm zu reich, was verständlich aber nur bedingt gut ist. Also, qui bono? Viele Menschen hätten gerne eine Antwort.

      • marga sagt:

        Mir ist der überbordende Reichtum einerseits, sowie die traurige Armut andererseits aufgefallen. Trotzdem ist die Höflichkeit beiderseits geblieben. Ich finde es sehr schade, wenn es England nicht gut gehen sollte.

  • Waldi Noellmer sagt:

    Selbstverständlich ist die EU schuld an der momentanen Brexit-Situation. Die EU ist kein demokratisches System und das merken natürlich die EU-Bürger immer mehr – auch die Menschen, die man lange Zeit als EU-Träumer erleben konnte. Die EU-Führung herrscht – weit weg von den Bürgern – mit rücksichtlosem Führungsgehabe über die Bürger in der EU, ohne jegliche Rücksicht auf die Interessen der Bürger. Die EU-Politiker haben keinerlei Interessen, ihre Politik den Bürgern zu erklären. Die EU-Politiker schweben weit oberhalb ihrer „Untertanen“. Deshalb ist es kein Wunder, dass es zu solchen Ergebnissen wie dem Brexit bei Volksbefragungen kommt. Die Brexit-Entscheidung ist eine große Chance, das Konstrukt EU neu und besser zu gestalten – sofern die EU-Politiker hierzu willens und fähig sind.

    • Christoph Bögli sagt:

      Wieso genau ist die EU denn nicht demokratisch? Das EU-Parlament ist an sich demokratisch gewählt. Dass dieses so wenig zu sagen hat, liegt nur daran, dass die nationalen Regierungen keine Macht abgeben wollen. Wobei diese nationalen Regierungen ja auch demokratisch gewählt sind. Letztlich sind es also die Wähler der Mitgliedsstaaten, die durch ihr Wahlverhalten verhindern, dass die EU demokratischer wird und mehr Kompetenzen erhält. Denn damit die EU wirklich demokratisch würde, müsste man diese halt zu den Vereinigten Staaten von Europa machen. Aber genau da würden Leute wie Sie doch Zetermordio schreien..

      • Josef Marti sagt:

        Die alleinige Macht in diesem Verein hat die EZB resp. EZB Rat und die Eurogruppe mit dessen Vorsitzendem Gelfrisurfreak Djisselbloem. Diese müssen sich gegenüber niemandem rechtfertigen.

        • Christoph Bögli sagt:

          Unsinn, ansonsten kann man auch gleich sagen, die SNB hätte die alleinige Macht in der Schweiz oder die FED in den USA. Dass Zentralbanker als nicht gewählte und politisch unabhängige Personen gerade in Wirtschaftskrisen (zu) viel Macht haben, mag ja sein, aber das ist grundlegendes Problem, das sicher nicht nur die EU betrifft.

          Aber das illustriert die verzerrte Perspektive recht schön: Was überall als völlig normal akzeptiert wird, ist plötzlich fürchterlich wenns um die EU geht..

          • Josef Marti sagt:

            Das betrifft speziell die EU sehr wohl weil nirgendwo auf der Welt eine ZB so stark ein politisches Mandat ausübt das ihr nicht zusteht wie die EZB.

          • Max Oppliger sagt:

            Die Frage ist, was sie mit dieser Macht anfangen und da beginnt bei der EZB eben gerade das Problem. Nicht so in der Schweiz.

      • Martin Frey sagt:

        Ach, der Demokratiedefizite gibt es in der EU natürlich an allen Ecken und Ende, Herr Bögli. Es beginnt grundsätzlich damit, dass deren Institutionen weitreichende Entscheidungen treffen, die für die Unionsbürger verbindlich sind, obwohl diese Organe nicht nach dem demokratischen Elementargrundsatz „one man one vote“ bestellt sind. Dann der Ministerrat, für den die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive nicht existiert. Der Europarat wäre als Parlament stärker legitimiert, verfügt aber über eine geringere Ausstattung mit Kompetenzen und dient mehr als Feigenblatt. Dann die EU-Kommission, als faktisch mächtigstes Organ, deren Mitglieder nie eine demokratische Wahl durchlaufen. Und und und.
        Da gibt es wenig schönzureden, Herr Bögli.

  • P. Dieci sagt:

    Wenn man für die EU ist, muss man gegen den Brexit sein..umgekehrt für den Brexit…egal wie man es sieht, Tatsache ist Europa gibt es nur im Atlas..die EU ist nicht Europa..sie ist nur ein volkswirtschaftliches Missgebilde..ein paar grosse Staaten die das Sagen haben und der Rest sind Trittbrettfahrer, denen es scheinbar finanziell besser geht aber wenig mitzubestimmen haben..ein Grund weshalb sie sich nicht an die Regeln halten..die grossen übrigens auch nicht, sie haben ja das Sagen..PFZ macht starke Wirtschaften stärker..Menschen wandern aus in attraktive Volkswirtschaften..passt den starken..Wettbewerb breiter Volkswirtschaften zerfällt..das wollen die Briten nicht und suchten den Exit..die scheinbar starken möchten sie jetzt erpressen..lassen die Briten nicht zu..das einzig positive.

    • Mike Helbling sagt:

      So gesehen könnte man auch argumentieren, dass die Schweiz nur ein volkswirtschaftliches Missgebilde ist. Die Aussen- und Innengrenzen sind über Jahrhunderte verschoben worden und eher willkürlich entstanden oder gezogen worden.
      Wenn in den Bergkantonen die Jobs fehlen, ziehen die Leute ins Unterland und die Städte und nehmen den Leuten da die Jobs weg. Der kantonale Lastenausgleich verschiebt Geld quer durchs Land, bestraft die Starken und unterstützt die Schwachen.
      Nicht ohne Grund wird die Schweiz oft als Vorbild der EU genannt.

      • Josef Marti sagt:

        Ein Lastenausgleich in welcher Form auch immer wie er in den USA und auch der CH existiert ist nichts anderes als ein Überschussausgleichsmechanismus zwischen starken und schwachen Regionen, ohne den kann ein Währungsraum gar nicht funktionieren. Andernfalls würden Sie in Chur, Bern oder im Wallis überall über Bettler stolpern.

  • Nicolas Richard sagt:

    „Mein Grossbritannien“ – das erinnert stark an Merkels „… dann ist das nicht mein Deutschland“. Gibts für Journalisten und Politikerinnen irgendeinen Anspruch, und sei dieser moralisch, auf ein Land? Im demokratischen Verständnis gehört ein Land allen Bürgern – und nicht der selbsternannten intellektuellen und moralischen Elite.

    • Martin sagt:

      Wenn Sie diese uralte, im Deutschen schon immer gebräuchliche Redewendung nicht als das verstehen, was sie ist – Ihr Problem. Redewendungen haben es so an sich, daß sie eben nicht genau wörtlich gemeint sind, hier schon gar nicht als ein Anspruch auf ein Land. Die intellektuellen und moralischen Eliten sind auch nicht selbsternannt, nur weil Sie nicht dazugehören, sondern es sind diejenigen, die noch in der Lage sind, über den eigenen Tellerrand hinaus zu denken. Von denen gibt es nicht nur in der Schweiz immer weniger. Und wer das tut, muß erkennen, daß es nicht genügt, nur der EU Schuld zuzuweisen und die nationalistischen Träumer zum „Volk“ zu erklären.

  • Michael sagt:

    They had a dream ! Die Gründungsmitglieder der EU wollten soetwas ähnliches wie in der USA schaffen. Was da die Bundesstaaten sind, wären hier die einzelnen souveränen Staaten gewesen.
    Das hat leider nicht so geklappt wie gedacht. Der europäische Mensch scheint damit überfordert sein, sein Wohl zugunsten des Gesamtwohls zurückzustellen. Hauptsache ihm alleine geht es gut und die anderen sind selbst Schuld, wenn es ihnen nicht ebenso gut geht.

    • Quincy sagt:

      Nicht ganz. Der Mensch ist zufrieden wenn es ihm besser geht als anderen, nicht wenn es ihm gut geht. Im Mittelalter und der Antike waren Millionen Menschen zufrieden die kaum einen Bruchteil unseres Lebensstandards hatten.

      • Hans-Jürgen Lorenz sagt:

        Im Mittelalter waren Millionen Menschen zufrieden?
        Ganz bestimmt, weil es ja die Kirche, die Pest und andere Epidemien gab und die Eigner den Bauern
        nicht das Brot gönnte, das musste selbstverständlich abgeliefert werden. Auch zu Zeiten Morgartens übrigens. Etwas Bildung schadet nie, bevor man sich hier als unwissend blossstellt.

  • B.B. sagt:

    Die Engländer haben entschieden nicht mehr so leben zu wollen wie es ihnen die EU-Eliten vorschreiben.
    Klar dass die Damen und Herren in Brüssel davor Angst haben, es könnte ja nicht nur schlecht, sondern auch gut kommen….
    Das darf nicht sein in einer Zeit in der das EU-Gebäude samt Fundament gewaltig wankt.
    Deshalb verbreiten Sie unablässig böse Schreckenszenarien und Panik und zerstören damit die Gemeinschaft noch mehr. Die miserable Laune mit der sie das tun ist in Wahrheit nur der Ausdruck der eigenen Unzufriedenheit!
    „Wait and drink tea“

  • Peter Müller sagt:

    Viele junge Tagiredaktoren betrachten sich leider in der Gesellschaft, in der sie leben, als individualistische Aussenseiter und gleichzeitig als Weltbürger. Ganz allgemein ist die Idee des Nationalstaats in vielen Ländern sowohl bei der Elite als auch bei der Jugend aus der Mode gekommen. Nationen sind doch wichtige moralische Einheiten tatsächlich sind es die Früchte erfolgreicher Nationalstaatlichkeit, die auf Migranten anziehend wirken. Nationalstaaten vergeben ihren Bürgern Rechte, insbesondere auch den Armen. Deren Interessen können nicht einfach durch die Beschwörung der Gewinne aus einem globalen Nutzen abgetan werden. Quelle: Aus dem Buch Exodus von Paul Collier

    • Hans-Jürgen Lorenz sagt:

      Die Zeiten ändern sich, die Beschwörung überholter nationalstaatlicher Grundsätze, ohnehin durch Migranten und Einbürgerungen nicht mehr gegeben, ist da kontraproduktiv.

      • Julia Lehmann sagt:

        Ganz und gar nicht. Nationalismus kann, muss aber keinesfalls, eine ethnische Komponente haben. Migration ist grundsätzlich kein Problem, zumindest so lange der Staat Kontrolle über die Anzahl der Migranten hat.

        „Die Zeiten ändern sich“ ist wohl das nichtssagende Argument, wenn man es überhaupt als Argument bezeichnen kann.

  • Marc Goldinger sagt:

    „«Take back control», der Slogan, mit dem die Brexit-Kampagne warb: Auch Englands Rassisten nehmen ihn sich offenbar zu Herzen.“ Die EU mit ihrer sinnlosen Bürokratie zerfällt. Aber von den Politikern, Bürokraten und dem Mainstream werden alle EU-Gegner immer mit Rassisten in den gleichen Topf geworfen. Das wird in Frankreich so sein, wen Le Pen Präsidentin wird und für den drohenden „Quitaly“ ist dann vermutlich noch Berlusconi verantwortlich…

    • Christoph Bögli sagt:

      Zwei entscheidende Missverständnisse:
      1. Die EU „zerfällt“ nicht, die EU wird seit Jahrzehnten durch nationalen Opportunismus, insbesondere den britischen, sabotiert, demontiert und als Sündenbock missbraucht. Dass sich das Ganze unter den Bedingungen nicht in eine positive Richtung entwickeln kann, ist verständlich, aber dafür tragen eben gerade die EU-Gegner die Verantwortung.
      2. EU-Gegner werden nicht mit Rassisten in den gleichen Topf geworfen, sie sind im gleichen Topf. Das heisst nicht, dass alle EU-Gegner Rassisten sind, aber die meisten Rassisten und Rechtsextreme sind eben EU-Gegner. Und die Abgrenzung innerhalb der EU-Gegner ist in solchen Fragen halt oft genug – bewusst oder unbewusst – alles andere als scharf.

      • Martin Frey sagt:

        Zwei Dinge, Herr Bögli: Zu ihrem Punkt 1) bin ich weitgehend einverstanden, die EU wird in der Tat von allen Seiten missbraucht. Dass dies aber nur auf die EU-Gegner zutrifft stimmt natürlich nicht. Auch die EU-Befürworter verhalten sich dementsprechend.
        Zum Zweiten, Ihrem doch gar pauschalen Urteil über EU-Gegner. Sie verkennen nicht nur, dass sehr viele Gegner durchaus lautere Motive haben, und nicht nur in rechtskonservativen Ecken anzusiedeln sind. Mit Ihrem Bonmot, dass die meisten Rechtsextremen EU-Gegner sind, pflichte ich Ihnen bei. Aber der Umkehrschluss ist unzulässig. Zudem blenden Sie völlig aus, dass Rassismus wie auch Antisemitismus im gesamten politischen Spektrum anzutreffen ist. Von ganz links bis ganz rechts.

  • Martin Muheim sagt:

    Interessant werden die Argumente der Nationalisten, wenn GB als Gegenleistung für den Marktzugang die Personenfreizügigkeit in ähnlichem Rahmen wie die Regelung der EU mit der Schweiz akzeptieren muss.

    • Christoph Bögli sagt:

      Dann ist halt wieder die „erpresserische“ EU und die Regierung Schuld, dass es nicht den Fünfer und das Weggli gilt. Wie ja gerade in der Schweiz auch. Diese Leute sind wohl oder übel immun gegen Tatsachen oder Logik..

  • Franz Gerber sagt:

    Ich frage mich, ob die so verpönte „Nationalstaatlichkeit“ so schlecht ist, wie sie dauernd geredet wird. es gab mehr Jahre des Friedens in Europa ohne EU. Beim Fussball, Olympischen Spielen etc, da ist er willkommen, toleriert und hofiert, der Nationalismus! Da fahren ie alle mit ihren National-Fähnchen durch die Gegend, voller „Stolz auf ihr Land….“ Also gibt es ihn doch, den Nationalismus, in den Köpfen der Menschen. Ich kann daran auch nichts Negatives erkennen. Ziel der EU ist es ja, genau die abzuschaffen, durch die Personenfreizügigkeit die nationalen Identitäten zu zerschlagen, so dass eine gemeinsame EU-Nationalität entstehen soll. Wollen wir das? Ich sicher nicht!

    • Quincy sagt:

      Da sie im Geschichtsunterricht geschlafen haben können sie entweder die alten Geschichtsbücher hervorkramen und lesen, oder im Notfall einfach Nationalismus und Imperialismus googeln.

    • Martin Frey sagt:

      Patriotismus und Nationalismus sind keine Synonyme, Herr Gerber. Schade, dass Sie nicht erkennen, dass dies nicht dasselbe ist.

  • Max Bader sagt:

    Die Brexitgegner haben wegen der Unsicherheit und den Austrittsabsichten einen Niedergang vom UK prophezeit. Dieser ist nicht nur ausgeblieben, sondern im Gegenteil, die Wirtschaft wächst stark. Die Regierung, dessen Schicksal vom Brexit abhängt, geniesst hohen Rückhalt in der Bevölkerung. Da bisher die Brexitbefürworter in allem Recht gehabt haben, muss man nun ein Scheinproblem suchen.

    • Hermann sagt:

      Liegt vielleicht ja daran, dass GB immernoch Mitglied der EU ist.

    • Mike Helbling sagt:

      Lieber Herr Bader, Sie sind sich schon bewusst, dass der Brexit noch nicht im Ansatz umgesetzt ist. Der Austrittsvorgang wird erst im März 2017 in Gang gesetzt und vor 2019 wird dieser kaum vollzogen sein.
      Rechtlich ist also GB immer noch in der EU inklusive all der Verträge und Möglichkeiten, welche den Marktzugang gewährleisten.
      Und von einem starkem Wachstum der GB-Wirtschaft seit Ende Juni kann kaum gesprochen werden. Einerseits ist die Datenlage kaum aussagekräftig und wenn man das ganze Jahr 2016 anschaut war der Wachstum in den letzten drei Jahren immer höher.
      Nochmal: Brexitbefürworter können gar nicht in allem Recht gehabt haben, weil noch nicht mal das Austrittsgesuch gestellt wurde.

    • Monique Schweizer sagt:

      Bader: Wie naiv sind denn Sie? Es sind seither 4 Monate vergangen, der Brexitkündigungstermin ist erst mal vage auf nächstes Jahr festgelegt worden, das Schwundpfund schmiert nur noch ab, die Firmen brauchen noch etwas Zeit zum abwandern, die Frau May spricht schon Verzweiflungsdrohungen aus mit der Unternehmenssteuersenkung auf 10%, wie das UK die über 20 Mrd finanziert, die sie der EU noch schuldet ist auch noch nicht klar. Die Handelsbilanzdefizite steigen langsam aber kontinuierlich an.
      Das wird denk ein schleichender Abstieg — reden wir in 3 Jahren mal drüber, wenn das Brexit Kind dann auch wirklich mal geboren ist, bislang ist das UK erst mal befruchtet vom Brexitsamen und die Schwangerschaft dauert noch sehr lange an und das Königreich wird noch einiges ko….n bis dahin!

      • Julia Lehmann sagt:

        Der konjunkturelle Einbruch wurde unter anderem auch aufgrund der Unsicherheit erwartet. Man dachte beispielsweise, dass dies die Zuversicht der Konsumenten beeinträchten und daher zu weniger Konsum führen würde.

        Jetzt wollen viele natürlich nichts mehr von diesen Vorhersagen wissen.

  • Martin sagt:

    Von Herrn Cassidy hätte ich gerne noch ein bißchen mehr darüber gewußt, wie er in dem ganzen Brexit-Debakel die Sicht der Briten auf ihre Vergangenheit wertet. Commonwealth, Empire, Kriegsgewinner, neue „Rule Britannia“-Gesänge, Wiederinbetriebsetzung der alten königlichen Yacht u.s.w. Es ist doch offensichtlich, daß man in verklärender Art und Weise einer großartigen Vergangenheit, die man nicht in die Gegenwart retten konnte, nachtrauert. Man hat bis heute nicht zur Kenntnis genommen, daß weder die EU noch ihre Mitglieder Großbritannien in irgendeiner glorreichen Position sehen und die Welt nicht auf GB wartet. Dies war jedoch ein wesentlicher Grund für die Rosinenpickerei. Jetzt pickt man außerhalb weiter, aber die Rosinen sind weg. Da kann doch die EU nichts dafür.

    • Julia Lehmann sagt:

      Die Angst vor dem relativen Niedergang und der Wunsch Einfluss und Macht zu bewahren ist doch bei EU-Mitgliedern viel stärker ausgeprägt. Nur die EU, so hört man ständig, ist in der Lage zu verhindern, dass man in die wirtschaftliche und politische Bedeutungslosigkeit verschwindet.

      Der Austritt GBs zeugt daher wohl eher von einem gesunden Selbstvertrauen einerseits und weniger Furcht vor der Zukunft und Nostalgie bezüglich der Vergangenheit andererseits.

  • Julia Lehmann sagt:

    „Da sind die Übergriffe auf Ausländer und andere Minderheiten, die nach dem Referendum nachweislich zugenommen haben.“

    Nachweise hierfür wären nötig. Damit meine ich nicht Nachweise für einen Anstieg in berichteten Übergriffen, sondern Nachweise dafür, dass diese auch stattgefunden haben. Die berichteten Übergriffe schwanken typischerweise stark, steigen seit Jahren an und werden auch von Öffentlichkeitsarbeit beeinflusst.

    Weiters fanden nicht lange nach dem Referendum Terroranschläge in Frankreich und Deutschland statt. Wenn Übergriffe anlassbezogen sind, muss man auch diese Anlässe miteinbeziehen.

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