Coiffeur lernen, um Biologe zu werden?

(«Berufsbildungplus»-Kampagne)

Will die erfreuliche Durchlässigkeit des Bildungssystems signalisieren: Plakat der «Berufsbildungplus»-Kampagne. (PD)

Zurzeit ist wieder die Saison der Lehrstellensuche eröffnet. Nach wie vor sind beinahe drei Viertel eines Jahrganges der Volksschulabgänger gehalten, einen Betrieb zu finden, der sie unter Vertrag nimmt, um eine zwei-, drei- oder vierjährige berufliche Ausbildung zu absolvieren. Dies ist eine anstrengende und aufreibende Beschäftigung für die Jugendlichen, aber auch für die hoffenden und bangenden Eltern. Denn die Berufs- und Tätigkeitswünsche wollen oft nicht zu den betrieblichen Angeboten in der Region passen. In einem in einer Kleinstadt domizilierten Uhrenkonzern werden etwa von 250 interessierten Jugendlichen 70 eingeladen für eine mehrtägige praktische Schnuppertätigkeit, davon selektioniert dann der Betrieb schliesslich ein knappes Dutzend. Bei diesem umfassenden Assessment spielen neben dem Aufweis manueller Geschicklichkeit im Besonderen auch die Schulnoten eine wichtige Rolle.

Schulleistungsschwächere Jugendliche hingegen können sich kaum auf solche Berufe bewerben, denn auch bei ihnen ist unabhängig von eventuell vorhandener praktischer Begabung der Zugang zur Berufsbildung und späteren beruflichen Tätigkeit über Schulnoten weitgehend kanalisiert. Trotz Überangebot an offenen Lehrstellen sind ihre Auswahlmöglichkeiten stark reduziert. Denn auch Betriebe und Verbände in weniger nachgefragten Branchen machen sich ebenso ihre Gedanken, ob sie die «richtigen» Jugendlichen finden, und hierbei wird immer mehr auf Schulleistungen geachtet.

Die Krise des Berufes

Heute ist eine weiterführende Bildung nach dem beruflichen Erstabschluss beinahe unumgänglich, um berufliche Tätigkeiten mit Verantwortung oder Kaderpositionen zu erreichen. Eltern und Jugendliche sehen daher eine Berufsbildung mit etablierten Anschlussmöglichkeiten, aber auch eine gute schulische Bildung als wichtige Basis für den Bildungserfolg und die berufliche Karriere an. Hierbei haben unspezifische Bildungsgänge wie das Gymnasium und breit angelegte Berufsbildungen wie die kaufmännische Ausbildung mit oft eingeschlossener Zugangsberechtigung zu den Fachhochschulen an Bedeutung gewonnen.

In einem wirtschaftlich und technologisch volatilen Umfeld verlieren die exklusiv berufsfachlich bestimmten Fähigkeiten gegenüber technischen und wissenschaftsbasierten Kenntnissen ihre zentrale Rolle. Es lässt sich so gesehen eine Krise des Berufes festhalten, die selbst in der von Bund und Kantonen unterstützten «Berufsbildungplus»-Kampagne (2015-2019), die Jugendliche dazu ermuntern soll, eine berufliche Bildung zu ergreifen, sichtbar wird: Die Aussage «Lerne Coiffeur, werde Biologe» ist zwiespältig: Einerseits wird auf die erfreuliche Durchlässigkeit des Bildungssystems hingewiesen, anderseits aber die Berufsbildung dadurch gerechtfertigt, dass sie ein Steigbügelhalter für etwas ganz anderes ist. Wenn ein Jugendlicher hierbei denkt, dass er, um Biologe zu werden, den direkten Weg über das Gymnasium wählen könnte, so ist ihm dies nicht zu verargen.

16 Kommentare zu «Coiffeur lernen, um Biologe zu werden?»

  • Ben sagt:

    …ist ja klar wenn von der quasi Steuerbefreiten äh Wirtschaft keinerlei Wohlwollen gegenüber solchen Menschen aufgebracht wird… und nur immer einseitig Kapital zu liberaliseren und dessen Eigentümer vollumfänglich staatlich abzusichern und mit hunderten Schutzrechten ausstatten (Investitionsschutz) wärend man alle anderen im Regen stehen lässt geht halt nun mal gar nicht… da nützt alles abstrampeln gar nichts…

    • Stefan Schmid sagt:

      Ja, Ben (Zibble), die ideologisch bedingte schlechte Laune führt auch nicht zu besseren Argumenten. Ich bin nicht der Meinung, dass wir ein „Bildungsproblem“ haben, wie das der Autor oben herbei reden möchte. Eher scheint mir, dass innerhalb der Bildungsindustrie der Konkurrenzdruck auf die Schüler als pädagogisch unappetitlich angesehen wird. Aber einmal wird ja jeder Schüler erwachsen, oder nicht?

  • Rolf Rothacher sagt:

    Wie sagte Andreas Thiel so treffend(bzw. ähnlich): „Und wenn wir dann alle studierte Architekten sind und es weder Maurer, noch Schreiner mehr gibt, dann werden wir in Höhlen ums Feuer herum sitzen und darüber sinnieren, was für tolle Häuser wir doch bauen würden, könnten wir noch Häuser bauen.“
    Der Weg, den die Politik seit 20 Jahren einschlägt (Universitäten werden vergoldet, die Berufslehre wird mit schönen, aber leeren Worten abgespeist), bedeutet nicht nur eine weiter steigende Zahl ausländischer Studenten, sondern auch eine sinkende Zahl von Lehrlingen. Das Handwerk wird sich künftig mit angelernte Migranten begnügen müssen und unsere Lebensqualität in der Folge weiter sinken. Der berufliche Sonderfall Schweiz dürfte bald Geschichte sein. Dann passen wir auch endlich in die EU.

    • Franz Kaufmann sagt:

      Das ist nur das Symptom. Solange Kaderpositionen so viel mehr an Verdienst ermöglichen, werden Eltern für ihre Schützlingen den schnellsten Weg dahin suchen.

  • Kaegi Paul sagt:

    Wer keine höhere Ausbildung besucht, der sollte eine zehnte, obligatorische Berufswahlklasse absolvieren. Kann frühzeitig verlassen werden, wenn die Lehrstelle gefunden ist. Verpasstes kann im letzten Jahr noch nachgeholt werden. Berufs-Fehlentscheide durch bessere Information und weniger Schülerdruck können verhindert werden. Das eigentlich letzte Schuljahr sollte nicht wegen Schnupperabwesenheit reduziert werden, sondern nur dem Lernziel folgen.

    • Blanche sagt:

      und warum soll dies ein Schüler tun, wenn er auch ohne dieses zehnte Jahr weiss was er will und seinen Lehrvertrag im Sack hat. Diesen extra noch ein Jahr quälen, damit er sich in den Boden langweilt? Das 10. Schuljahr gibt es bereits und jeder kann es absolvieren, wenn er sich noch nicht fit genug für die Lehre fühlt.

  • Emilio sagt:

    Umgekehrt wuerde es aber klappen: Lerne Biologe, werde Coiffeur.

  • F. Meier sagt:

    Aussagekraft dieses künstlich aufgeblaehten Dreizeilers? Ebenso mager, wie der Text selbst! Da musste sich wohl jemand in 10 Minuten noch etwas aus den Fingern saugen!

  • beat lauper sagt:

    Die Krise des Berufes ist doch eher die Krise des Arbeitsplatzabbaus. Dort wo es früher tausende von Lehrlingen benötigte gibt es nichts mehr. Die Maschinen sind auch verschwunden. Tatsache ist, dass im zarten Alter von 16 die Weichen ziemlich massiv gestellt werden. Und es werden immer noch Leute in Berufen ausgebildet, die es übermorgen nicht mehr gibt.

  • Kaegi Paul sagt:

    Was problematisch wird ist der Trend der zu biligen angelernten Angestellten zu kommen. Man führt einfach Lehren-Light ein und riskiert so nur noch Pfusch zu akzeptieren unter dem Motto schnell erledigt, wenig bezahlt. Und das alles unter dem Mantel „Integration“.

  • Franz sagt:

    Lerne Laborant werde Einkäufer.
    Nach einigen Jahren will man eine Luftveränderung. So weit so gut. Nur ist mit bspw. Ende 20 viel Energie, Durchhaltewillen und Geldmittel nötig um einen solchen Wechsel einzuschlagen. Die Durchlässigkeit der Weiterbildung ist ein grosses Plus. Nur die Gläserne Wechseldecke bei Arbeitgebern und HR zu durchbrechen ist der Knackpunkt welcher sich mit den Jahren stets verschärft hat. Nur noch wenige sind breit einem solchen Kandidaten eine Chance einzuräumen und nehmen den ab Presse mit gut klingendem Abschluss oder einem mit einigen Jahren Erfahrung in genau diesem Gebiet.
    Von der Lehre zum neuen Job oder ist Von Maturs/Uni zum neuen Job der heute einfachere Weg. Man rechne…und kommt zum Schluss..letzteres wäre einfacher gewesen.

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