Gleichmacherei statt Chancengleichheit

Sie haben ein Recht auf adäquate Förderung: Schülerinnen an einer Kantonsschule in Winterthur. Foto: Doris Fanconi
Das Langzeitgymnasium steht unter permanentem Rechtfertigungsdruck – nicht zuletzt, weil viele Kantone gar keins haben. Normalerweise sind es Sparpolitiker aus dem rechten politischen Lager, die sich an seiner Abschaffung abarbeiten. Gross war deshalb die Verwirrung, als Anfang Jahr in Zürich für einmal nicht die Rechten das LZG abschaffen wollten, sondern die Grünen. Allerdings hielt die unheilige Allianz zwischen links und rechts nicht lange. Mittlerweile ist es ruhig geworden um den Vorstoss der Grünen. Eine Spurensuche zeigt eine Partei in der bildungspolitischen Zwickmühle. Und sie zeigt ein grundsätzliches Dilemma unseres Bildungssystems.
Eigentlich sind es nämlich zwei Systeme. Zunächst ist da die Primarschule, die für alle gleich ist. Das wollen nicht nur die Grünen so, das ist ein Grundpfeiler der liberalen Schweiz. Bekräftigt wird dieser politische Wille heute mit dem integrativen Unterricht. Irgendwann aber teilen wir die Jugendlichen in verschiedene Bildungswege auf. Dies auch, weil das Langzeitgymnasium nachweislich die besseren Leistungen und ein höheres Maturaniveau generiert.
Während wir also die Kinder unten zusammenführen, trennen wir sie oben. Beide Ansätze nennen wir gerecht, obwohl sie unterschiedlichen Bildungstraditionen entstammen. Unser Bildungssystem verfolgt verschiedene, auch widersprüchliche Ziele. Wir wollen Chancengleichheit, aber auch Begabtenförderung. In diesem Spannungsfeld steht der Vorschlag der Grünen. Ihre Beweggründe sind nachvollziehbar, sogar für einen Gymnasiallehrer, der ein existenzielles Interesse daran hat, das LZG beizubehalten. Das Problem der Aufteilung in zwei Bildungswege wird damit zwar nicht gelöst, aber immerhin um drei Jahre nach hinten verschoben. Mit 15 ist der Einfluss des Elternhauses weniger stark als mit 12, die Entscheidung der Jugendlichen wird ein wenig autonomer.
Bildungsabbau führt nicht zum Ziel
Trotzdem ist der Vorschlag der Grünen der falsche Weg. Das Problem liegt darin, dass er eine Einebnung der verschiedenen Bildungsniveaus nach sich ziehen dürfte. Eine Binnendifferenzierung der Sekundarschule entschärft dieses Problem nur teilweise. Es ist schon bemerkenswert: Egal, ob die Angriffe aufs Gymnasium von rechts oder von links kommen: Immer scheint die Lösung im Abbau statt im Ausbau von schulischer Bildung zu liegen. Als würde die Schule, wenn man sie ihres Zweigs mit dem höchsten Niveau beraubt, gerechter. Es braucht das genaue Gegenteil: Der Weg zu mehr Chancengerechtigkeit führt über mehr, nicht weniger Bildung. Auch schulisch starken Jugendlichen muss man mit einem passenden Schultyp gerecht werden. Das ist auch eine Form von Gerechtigkeit.
Der Schule den schwarzen Peter zuzuschieben und sie als Klassen-Sortiermaschine zu verunglimpfen, ist zu einfach. Das Versprechen der Schule ist Teilhabe. Ein ausdifferenziertes Bildungssystem ist nicht per se ungerecht. Und ohne Langzeitgymnasium wird das System nicht gerechter. Aber ärmer.
20 commentaires sur «Gleichmacherei statt Chancengleichheit»
Es kann doch nicht sein, dass sich die begabten, fleissigen und interessierten Schüler sich jahrelang dem Niveau der unbegabten, faulen und uninteressierten anpassen müssen. Gleichberechtigung heisst, dass es jedem offensteht, eine anspruchvollere Bildung zu absolvieren, aber nur, wenn er dazu befähigt und auch willens ist, den dafür notwendigen Aufwand auf sich zu nehmen.
Aber genau das ist seit 3 Jahrzehnten der Fall, weil die Linksgrünen in der Schule Klassenkampf betreiben und nach unten nivellieren, weil sonst die Migrantenkinder nicht mehr mitkommen und das Wählerpotential verloren geht. Und Chancengleichheit in der Förderung haben wir auch bei den Geschlechtern nicht, weil in den ersten 6 Jahren viele Feministinnen unterrichten und ganz klar die Mädchen fördern und bevorzugen. Die neutrale Schule ist in der Schweiz schon lange nur noch eine Mär…
Das sind Behauptungen, die ich nach weit über 20 Jahren Schuldienst absolut nicht nachvollziehen kann.
Tja, Herr Walser, kommt immer drauf an, wo Sie unterrichten und welcher Partei SIE angehören, je nachdem gibt das eine andere Sichtweise und andere Umstände. Ich kann nur sagen, dass das bei mir schon 1970 der Fall war, in einem roten Quartier. Und jetzt wiederholt sich das bei meinen Kindern. Sogar in der Privatschule ist es mittlerweile so. Aber da muss ich natürlich Beweis führen und dafür reichen die Zeilen hier leider nicht.
Ich bin derselben Meinung das unsere Schulen zur Gleichmacherei statt zur Chanchengleichheit beitragen. Künstler werden heute zu intellektuellen Hertentieren herabgestuft indem sie eine Hochschule für Kunst besuchen, statt dass ihre ureigensten Fähigkeiten weiterentwickelt werden. Leute wie Mozart und Rembrant sind in einem solchen Korsett nicht mehr denkbar. Genialität braucht auch Idealismus und Autonomie bis hin zum Eigensinn und gar eine gewisse form Anarchie. Vor allem sollen sie die Fähigen haben sich über die allgemeinen Lehrmeinungen hinwegsetzen zu können – sonst verbleiben sie in der Ödheit des Banalen.
Noch selten habe ich einen solchen Unsinn gelesen. Seit wann sollte der Abbau von Bildung di Chancengleichheit erhöhen? Eine solche Aussage aus den Reihen der Grünen erstaunt mich sehr. Ein Abbau von Bildung kan unter keinen Umständen ein guter Vorstoss sein.
Zudem: Es gibt schulisch nun einmal stärkere und schwächere Menschen. Dies kann nicht kleingeredet werden. Ich sehe es als Stärke unseres Schulsystems, dass für alle eine Lösung auf dem passenden Leistungsniveau bereit steht. Schliesslich kann heute auch mit einer Lehre noch studiert werden.
« Gleichmacherei statt Chancengleichheit »
Passt perfekt auch auf die Geschlechterpolitik der Cüpli-Sozis.
Pfründe wollen gesichert sein.
Nirgendswo wird soviel rumgebastelt und versucht wie im schulischen Bildungssystem. Vermutlich fühlt sich jeder dazu berufen, etwas anders zu machen und hält sich auch noch befähigt dafür, weil er ja einmal Teil dieses Systemes gewesen ist. Aber – nicht jeder der ein Brot beim Bäcker kauft kann auch Bäcker werden.
Mein 3-teiliges Schulsystem im grossen Kanton mit Volks- Real- und Oberschule fand ich, verglichen mit den ganzen Experimenten heutzutage optimal. Zur 5. Klasse wurden die Weichen gestellt und es gab eine Durchlässigkeit von oben nach unten und umgekehrt. In der Oberstufe des Gymnasiums musste man sich zur 11. Klasse zwischen den Naturwissenschaften und dem sprachlichen Zweig entscheiden. Insgesamt ging man maximal 13 Jahre zur Schule.
Sind denn Sie Bäcker, weil Sie auch mal Brot gekauft haben?
Gleichmacherei, Bestrafung der Leistung, das alles gehört doch zu den Kernprogrammen der Linken. In den meisten Quartieren in der Stadt Zürich sind die Primar-Schulen miserabel. Schreiben, Lesen, Verstehen, Mathematik wird schlicht nicht mehr grundlegend gelernt. Viele Schüler der 3. Sek beherrschen diese Disziplinen nicht. Das fehlt meist weniger an den Schülern, als in den fehlenden Leistungszielen, fehlender Wettbewerb, verteufelung der Leistung. Keine Diktate, keine Aufsätze, keine Nacherzählungen, kein Lehrbuch zur deutschen Grammatik, Satzgliedern, etc. Die Lehrbücher des Beamtenverlags des Kantons Zürich – links geführt, jedenfalls beherrscht -, qualifiziert absolut untauglich, gewährleisten, dass nachher niemand wirklich Französisch kann. Die Bücher sind frei von Grammatikregeln.
Fairerweise muss man aber auch sagen, dass das linke Gleichheits-Dogma in der Schule (wie auch anderswo) primär als Antwort darauf entstand, dass auf der rechts-bürgerlichen Seite traditionell ein Ungleichheits-Dogma bestand, das gerade nichts mit Leistung und liberaler Fairness zu tun hatte. Sondern in der Schule (wie in der Wirtschaft) eher verkappter Feudalismus ist, der ungerechte Strukturen schafft und stärkt, die primär jene bevorteilen, die schon viel haben. Solche Strukturen zu durchbrechen und die Schule offener, zugänglicher und damit auch leistungsabhängiger zu machen, war darum auch ein Verdienst der Linken. Dass dabei manchmal übers Ziel hinaus geschossen wird, ist leider auch so, aber das Thema ist eben zu komplex für undifferenzierte links-rechts-Phrasen.
Hier ist die Rede von den Langzeitgymnasien, für deren Abschaffung sich die Bürgerlichen vornehmlich ins Zeug legen, wie das im Artikel beschrieben wird.
Und im übriugen: Leistung wird nirgens bestraft oder verteufelt. Das habe ich als Lehrer nie erlebt.
Fortsetzung:
Am Ende des Semesters und am Ende des Schuljahres müsste doch in den Kernfächern Mathe und Deutsch immer ein umfassendes Examen stattfinden, und wer am Ende nicht genügt, wiederholt die Klasse. Zugegeben, Aufsätze sind relativ willkürlich bewertet, aber Rechtschreibung, Grammatik, Satzbau, Satzglieder, für alle andern Sprachen auch wichtig, sind ziemlich objektiv prüfbar. Känguru-Tests und dergleichen in Mathe müssen zum Pflichtstoff gehören, und Mathe muss wichtiger werden. Lehrer, die die Leistungsziele nicht erreichen, sind wie in jedem sonstigen Betrieb zu entlassen. Man muss Wettbewerb schaffen, Ranglisten. Diese Semesterprüfungen müssen daher Dritte stellen und korrigieren. Mehr Leistungskontrolle – lohnwirksam – gegenüber den Lehrern, das ist nötig.
Nach Ihrem System müsste man dann fast alle Lehrer in Arbeiter- und Ausländerquartieren entlassen. Wie soll ein Lehrer Leistungsziele erreichen, wenn 90% seiner Klasse nur Balkan-Deutsch reden?
In Akademiker-Quartieren erreicht natürlich auch der schlechteste Lehrer die Lernziele.
Als ob Ausländer-Kinder nicht auch Deutsch lernen könnten. In der Regel haben sie dazu in der Schule schlicht wenig Chancen. Die Mathematik hängt nicht primär am Stand der Deutsch-Kenntnisse, sofern daran, ob man wirklich die deutsche Sprache versteht. Es dürften eben gerade nicht die Klassenlehrer die Semestertests beurteilen, damit man eine objektiveres Bild gewinnen kann. Im heutigen System ist es vielmehr so, dass Kinder aus bildungsferneren Schichten weniger Chancen haben: Es gibt in der Schule keine brauchbaren Lehrbücher mehr, insbesondere auch nicht in Deutsch und Mathe, mit vielen Aufgaben und immer mit Lösungen, getrennt. Mit dem heutigen offiziellen Französisch-Lehrmitteln gewährtleistet der Kanton Zürich – mit grossem « Erfolg » – das niemand Französisch kann.
In der Theorie ja nicht verkehrt, aber in der Praxis sind solche Systeme bisher meist grandios gescheitert. Eine zu grosse Relevanz standardisierter Vergleichstest führt erfahrungsgemäss dazu, dass das ganze Jahr über nur noch für diese Tests gepaukt wird und dabei das eigentliche Lernen in den Hintergrund rückt. Erst recht, wenn man die Karriere der Lehrer direkt an solche Ergebnisse knüpft und diese somit ein grosses Interesse haben, möglichst viele Schüler durch die Tests zu schleusen statt diese angemessen zu beurteilen. Leistungskontrolle schön und gut, aber die müsste schon umfassender berücksichtigen, was ein Lehrer aus den vorhandenen Mitteln und Schüler macht. Ansonsten will erst recht keiner mehr in Problemschulen unterrichten..
Es ist leider effektiv ein gängiges Missverständnis, dass Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu Gleichheit oder « Gerechtigkeit » führten. Das Gegenteil ist der Fall, je höher die Chancengleichheit desto grösser wird tendenziell die Diversität. Was auch sinnvoll ist um die individuellen Stärken möglichst gut zu nutzen und zu fördern. Weshalb verschiedene Leistungsniveaus in der Schule allemal zu befürworten sind. Wichtig ist bloss, dass die Einteilung durch Lehrer und nicht durch Eltern erfolgt, Durchlässigkeit (in beide Richtungen!) angestrebt wird und die unteren Ebenen nicht einfach abgehängt werden.
Gleichstellung statt Gleichberechtigung.
Bei diesem Thema beschäftigt mich vielmehr die Feminisierung der Schulen, in der Knaben keinen Knaben mehr sein dürfen, sondern sich gefälligst wie Mädchen verhalten sollen.
Da passiert aber mit den kleinen und grossen Männern etwas. In der NZZ v Sonntag, 12062016, schreibt Prof. P. Gross wie sich ältere Männer -aus Gründen der besseren Lebensqualität- dem Verhalten älterer Frauen anpassen sollten.
Ich find unglaublich wie hier mit der moralischen oder der empfindungs oder ich-habe-selbst-erlebt Keule um sich geschlagen wird, ohne 1. nur einen einzigen Gedanken dafür zu verwenden, mal kurz über die Kantonsgrenze hinaus zu blicken. Man sähe: Um die Schulkids steht es in Kantonen ohne Langzeitgymnasium weder besser noch schlechter. 2. zeigt die unliebsame erhebung der Universität ZH über das Niveau der erstimmatrikulierten, dass die (hochgelobten) Langzeitgymnasiasten nicht besser abschneiden, als jene aus der Sek (wenn man die Effekte der Bildungsnähe rausrechnet). Anders gesagt: Zürich leistet sich eine teure Schulform, argumentiert mit Elitenförderung, aber ohne dass tatsächlich etwas daraus erwüchse. Vielleicht wäre das Geld am unteren Rand des Spektrums nachhaltiger investiert..