Demokratie mit einem Klick

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Wer die Jungen für Politik begeistern will, muss auf ihre Kommunikationsmittel setzen. Foto: gpointstudio/iStock

Man stellt sich vor: Das Internet wird abgeschaltet und niemand in Bern merkt etwas. Was nach einem schlechten Scherz klingt, ist für die Schweizer Politik Realität. Während wir unseren Alltag mehr und mehr über Computer und Smartphones abwickeln, funktioniert die Demokratie wie ein Briefkasten: Wer abstimmen, wählen oder eine Initiative unterschreiben will, braucht Stift, Papier und Briefmarke.

Die direkte Demokratie ist offline und wird es noch lange bleiben. Der Bundesrat hat keine Eile. Das Prestigeprojekt E-Voting sorgt mit Rückschlägen für Schlagzeilen. Und auch das Sammeln von Unterschriften im Internet (E-Collecting) hat Bundesbern auf die lange Bank geschoben, obwohl die Umsetzung mit dem heutigen Stand der Technologie problemlos möglich wäre.

Hinter vorgehaltener Hand äussert man unter der Bundeshauskuppel die Befürchtung, dass eine «Smartphone-Demokratie» zu einem Dammbruch führen und insbesondere eine Flut von Initiativen und Referenden auslösen könnte. Dabei wird die Frage ausgeklammert, wer sich heute Unterschriftensammlungen leisten kann, die zwischen einer halben und einer Million Franken kosten. Eine Mehrheit von Initiativen und Referenden starten finanzstarke Organisationen und Parteien, die im Parlament vertreten sind.

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Bereits vor über 10 Jahren wurden in der Schweiz erste E-Voting-Projekte getestet. Passiert ist seitdem wenig. Foto: Walter Bieri (Keystone)

Zweifellos würde das Internet die Kosten der direkten Demokratie senken. Gerade das Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden wäre etwa um den Faktor zehn billiger als auf der Strasse. Den Tatbeweis liefert die Internet-Plattform Wecollect. Darüber wurden in den letzten Monaten über 50’000 Unterschriften gesammelt und mit 10’000 an einem Tag – für vier Wochen Vaterschaftsurlaub – eine neue Rekordmarke gesetzt.

Das Erfolgsrezept ist simpel: Die Website ermöglicht das Unterschreiben von Initiativen und Referenden auf Smartphones und Computern und macht so den Prozess effizienter.

Der eingebaute Domino-Effekt für die Verbreitung sind Social-Media-Plattformen, welche die Bildung von spontanen Netzwerken fördern, die jenseits von bestehenden Organisationen und Parteien aufpoppen. Plattformen wie Facebook und Twitter könnten die Demokratie vielfältiger und vielstimmiger machen. So haben einige Menschen das erste Mal in ihrem Leben eine Initiative oder ein Referendum auf der Wecollect-Website unterzeichnet.

Überzogene Erwartungen sind fehl am Platz. Die digitale Demokratie wird keine Berge versetzen, aber zweifellos die Schweizer Politiklandschaft umpflügen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis weitere Kräfte das Internet verstärkt für ihre Zwecke nutzen. Ein grosses Potenzial hat beispielsweise die SVP, die sich in den letzten Jahren von einer Bauernpartei zu einer «Viralpartei» gemausert hat und die in den sozialen Medien alle übrigen Parteien in den Schatten stellt.

Bei gesellschaftlichen Entwicklungen ist Angst ein schlechter Ratgeber, um die gemeinsame Zukunft zu gestalten. Statt wie der Bundesrat auf die Bremse zu treten, sollten wir lauter als je zuvor die Digitalisierung der direkten Demokratie einfordern.

Volksinitiativen sind ein effizientes Werkzeug, um breite Debatten zu lancieren. Um den nötigen Schritt Richtung Smartphone-Demokratie zu machen, sollten wir über eine Volksinitiative für die Einführung der digitalen Demokratie nachdenken. Wer will, dass sich jüngere Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an der Demokratie beteiligen, muss Partizipation mit einem Klick ermöglichen.

20 Kommentare zu «Demokratie mit einem Klick»

  • Roland K. Moser sagt:

    „…Abstimmen und Unterschriftensammeln mit Computer und Smartphone: Technisch wäre das schon längst umsetzbar. Warum also geschieht nichts?…“
    Weil es zu betrugsanfällig ist.
    Die Urne und brieflich ist der sicherste Weg fürs stimmen und wählen.

    Beim Unterschriften sammeln könnte man aber tatsächlich wechseln, denn selbst wenn betrogen würde, muss ja noch abgestimmt werden.

    • Andy sagt:

      Die Papierwahl kann jeder Stimmberechtigte nachvollziehen. Bei der elektronischen Wahl ist das nicht mehr der Fall: Selbst wenn das Verfahren und die Geräte offen sind können – wenn überhaupt – es nur wenige Spezialisten nachvollziehen. Die restliche Bevölkerung muss dann uns Informatiker vertrauen dass kein Betrug vorliegt. Im Moment gibt es schlicht kein technisches Verfahren, dass der Papierwahl ebenbürtig ist und man opfert so die Demokratie der Bequemlichkeit.

  • Walter Winkler sagt:

    Abstimmen wie Liken? Unüberlegt und schlecht Informiert Abstimmen, weil es so schnell geht. Hoffentlich ist das noch lange nicht möglich.

  • Tiziano Rapelli sagt:

    In meiner Gemeinde brauchts keine Briefmarke fürs Kuvert. Ausfüllen, zukleben, einwerfen (Briefkasten der Post oder direkt bei der Gemeinde). Ist für den digitalen Zeitgenossen offenbar zu anstrengend.

  • Matti Brunner sagt:

    Das sehe ich wie Herr Winkler.
    Ich persönlich benutze meistens die Briefwahl, gehe aber immer zu Fuss zum Stadthaus um den Brief einzuwerfen (2,2 km). Das ist für mich ein Ritual um der Demokratie meine Ehre zu erweisen.
    Ich sehe auch keinen Nutzen darin, Leute die sich nicht für Politik interessieren oder zu faul sind, zum Wählen zu bewegen. Wichtig ist nur, dass man wählen darf. Man muss aber nicht.

  • Blanche Wu sagt:

    Aber kein Wort zu Datenschutz und Datensicherheit! Bei dieser Thematik muss dies zwingend angesprochen werden, denn die Gefahr vor Manipulation (was ja in der CH sowieso nie geschieht…denken sich doch viele), besteht nun mal. Wenn schon die RUAG gehackt wird, dann auch ein E-Voting.

  • Reto Stadelman sagt:

    Ich bin ein verfechter des papierlosen Büros und ein grosser Fan der Digitalisierung. Dennoch ist die Wahl per Mausklick nicht ohne Risiken. Ein Server der für Wahlen benutzt wird, kann buchstäblich von der ganzen Welt angegriffen werden und ich bin mir sicher: Das wird auch geschehen. Da muss man sehr vorsichtig sein.
    Unabhängig davon würde die Digitalisierung tatsächlich einiges verändern. Unsere Institutionen sind wohl nicht in der Lage, so viele Meinungen und so einfach einzureichende Abstimmungen zu bewältigen. Das ist aber kein Grund die Digitalisierung aufzuschieben. Es wären einfach gewisse Anpassungen nötig, so das nicht jeder Mist ungefiltert den Weg in die Räte findet.

  • Max Nubert sagt:

    Manchmal frage ich mich wirklich wie Menschen, die angeben etwas von Technologie zu verstehen, so blauäugig sein können wenn es um IT Sicherheit geht. E-Voting kann nicht vernünftig gesichert werden, schon die elektronischen Wahlmaschinen von Diebolt in den USA sind manipuliert worden und das sind „offline“ Geräte. Jetzt stelle man sich doch vor, wie online Systeme angegriffen werden können. Zu glauben, man sei sicher vor Angriffen ist einfach nur dumm, keine Firma oder Regierung der Welt kann Systeme bauen, welche frei von Fehlern sind.

    • Leser sagt:

      Wer keine Bedenken bei „Online-Wahlen“/Abstimmungen“ hegt, der hat offensichtlich keine Ahnung von IT…

      • Blanche Wu sagt:

        Ich musste einfach schmunzeln, da der Autor doch ein Netzaktivist ist…aber von IT wohl nicht wirklich einen Plan oder einfach so blauäugig, dass Anonymous uns schon retten wird?

  • Andreas Kermann sagt:

    Um die digitale Demokratie umsetzen zu können müsste ja die Identität des Abstimmenden über eine unveränderbare implantierte digitale Schnittstelle abgesichert sein. Dann müsste die Abstimmungsplattform unhackbar sein – denn zwischen der Schnittstelle und dem Server der die Daten speichert sind nur noch Datenleitungen und nicht mehr tausende von Menschen die das Ergebnis zusammen tragen.
    Trotzdem finde ich die Idee bestechend – sie würde die avantgardistische Stellung der Schweiz in der Welt festigen – sofern wir unsere Ängste gegenüber den neuen Technologien überwinden können!
    Die Vorstellung eines Demokratie-Plugins in Facebook ist wirklich spannend und könnte der Demokratie weltweit auf die Sprünge helfen!

    • Andy sagt:

      Ob „spannend“ das richtige Attribut für ein Facebook Demokratie-Plugin ist bezweifle ich. Der Begriff Horrorvorstellung trifft wohl besser zu. Das Interesse auf der Seit von Facebook dürfte gegeben sein, selbst nur schon zu wissen wer überhaupt Abstimmen geht, könnte weitere Werbegelder generieren….

    • Leser sagt:

      Facebook?
      Der Laden, der Streams manipuliert? Ja am besten lassen wir die Ami-Firma gleich die Auswertung der Abstimmungen übernehmen, zusammen mit der CIA.
      Dann müssen die sich nicht ins Gemeinhaus reinschleichen….

  • Dominik Kaufmann sagt:

    Es ist an sich wünschenswert, über Internet abstimmen zu können (ich habe das vor einigen Jahren in einer Probephase auch einmal gemacht). Wie ich von Informatikern höre, sind solche Systeme aber anfällig für Betrug und Manipulationen, was mein Vertrauen (nachträglich) recht erschüttert hat. Und was mir noch wichtiger erscheint: Es muss unter allen Umständen der Eindruck vermieden werden, die Stimmabgabe in einer Demokratie sei so etwas Ähnliches wie Liken auf Facebook. Es muss immer klar sein, gerade auch bei den Jungen, dass Demokratie im Gegensatz zu Facebook eine ernsthafte (und nichtkommerzielle) Sache ist. Darum ist es vielleicht gut, wenn das Abstimmen nicht zu mühelos geht, um sicherzustellen, dass nur diejenigen abstimmen, die an der Sache auch wirklich interessiert sind.

  • Rolf Rothacher sagt:

    Da alle Bundesbehörden immer wieder von IT-Datenverlusten berichten müssen, manche davon werden erst mit Hilfe ausländischer Geheimdienste entdeckt, kann man die Direkte Demokratie nicht digitalisieren. Sonst werden in Zukunft ein paar Hacker in Russland, China oder den USA bestimmen, was das CH-Volk abstimmt und wählt.
    Hinzu kommt die Unbesonnenheit vieler Internet-Benutzer: man entscheidet direkt aus dem Bauchgefühl heraus (I like it or not), informiert sich nicht wirklich (zu mühsam, mehr als den Titel zu lesen), „diskutiert“ höchstens mit Gleichgesinnten darüber (Shit-Storms sind ja so beliebt) und vertippt sich am Ende vielleicht noch. Direkte Demokratie ist mühsam und aufwändig und dabei sollten wir es belassen.

  • Romeo sagt:

    Wie war das nochmal? Wenn abstimmen und wählen etwas bewegen würde, wäre es längst illegal. Wozu also Aufwand betreiben…?

  • Thomas Lieven sagt:

    Ich bin eher kritisch eingestellt. Eine Zunahme von Initiativen können wir schon heute beobachten. Durch das Bevölkerungswachstum und die stärkere Vernetzung der Bevölkerung sind die Hürden für die Lancierung einer Initiative schon heute so tief, wie noch nie zuvor in der Geschichte der Schweiz. Die Konsequenz davon ist, dass wir über immer mehr Vorlagen abstimmen müssen. Der Stimmbürger kommt hier an seine Grenzen. Am 6. Juni 2016 hatten wir über 5 Bundesvorlagen zu befinden. Einige davon waren eher kompliziert zu verstehen. Je mehr Vorschläge vorliegen, desto weniger Kapazität steht für die Meinungsbildung für die einzelne Vorlage zur Verfügung. In der direkten Demokratie wäre aber meiner Meinung eher Qualität vor Quantität angesagt.

  • Oliver van der Waerden sagt:

    Wenn eine Technologie neu eingeführt wird, gibt es immer eine grosse Euphorie – und grosse Ängste. Mit der Zeit lernen wir dann, abzuwägen und jede Technik da einzusetzen, wo sie sinnvoll ist.
    So wenig wie man die Idee weiterverfolgt hat, in Schuhläden mit Röntgenapparaten zu prüfen, ob ein Schuh passt, so wenig sollte man wegen einer kleinen Bequemlichkeit das e Voting einführen. Das ist viel zu anfällig für Manipulation. Und es ist unmöglich, bei Verdacht auf Wahlbetrug nachzuzählen. Nur eine kleine Handvoll Mitarbeiter beim Hersteller der Wahlmaschinen oder -Software müssen bestochen werden. Viel zu gefährlich. Dazu kommt die Dauerüberwachung, der man sich mit diesen Geräten bekanntlich aussetzt. Nein Danke.

  • Diego Hauser sagt:

    Das sehe ich als Staatsrechtler klar anders als der Autor.

    Demokratie hat auch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und einem gewissen Respekt zu tun, und sie erfordert mündige Bürgerinnen und Bürger, die dies zu schätzen wissen und bereit sind, einen gewissen „Aufwand“ dazu beizutragen. Wem das heutige System tatsächlich „zu viel Aufwand“ ist, der soll sich daran von mir aus bitte weiterhin nicht beteiligen; man muss niemandem zur Stimmabgabe zwingen und man muss auch nicht immer alles im Leben möglichst einfach machen; dann geht nämlich auch Wertschätzung für Demokratie verloren.

    Von den bis heute nicht vollständig gelösten Problemen beim Thema IT-Sicherheit will ich gar nicht erst sprechen.

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