Strenge ist verführerisch

Bundesratspräsident Johann Schneider-Ammann will eine stärkere Selektion auf Maturastufe. Foto: Lukas Lehmann (Keystone)

Bundesratspräsident Johann Schneider-Ammann – hier in der Session des Ständerats – will eine stärkere Selektion auf Maturastufe. Foto: Lukas Lehmann (Keystone)

Bundesrat Johann Schneider-Ammann fordert eine strengere Matura – und alle applaudieren. Allen voran die Hochschulen, die mit ihren Klagen über die Studienanfänger beim Bundesrat schon lange ein offenes Ohr gefunden haben. Aber auch innerhalb der Gymnasien ist die Forderung nach mehr Strenge weitverbreitet. Breite Teile der Öffentlichkeit begrüssen eine härtere Selektion am Gymnasium ebenfalls. Was geht hier vor? Woher kommt diese Einigkeit über Institutionsgrenzen, Bildungswege und politische Ausrichtungen hinweg? Weshalb finden so viele wie Schneider-Ammann, wir hätten lieber weniger, dafür bessere Maturanden? Ausser natürlich, es geht um das eigene Kind.

Als Gymnasiallehrer ist das Niveau auch mir wichtig. Ich kenne den Ärger beim Korrigieren von Aufsätzen, oh ja. Doch dürfen dieser Ärger und diese Klagen die Grundlage bilden für Bildungspolitik? Ein Kommentator schreibt sinngemäss: «Ich bin völlig einverstanden mit Schneider-Ammann, obwohl ich selbst nicht gut war in den Naturwissenschaften.» Wir sind die Erwachsenen, die Etablierten mit den Diplomen in der Tasche. Mit welchem Recht dürfen wir von unseren Jugendlichen mehr fordern, als wir selber geleistet haben damals? Strenge ist verführerisch, man darf sie nicht verabsolutieren. Sonst sägen wir am Ast, auf dem wir sitzen. Wir brauchen diese Jungen. Wir haben eine Verantwortung ihnen gegenüber. Oder wollen wir sie noch mehr deckeln und dafür Akademiker aus dem Ausland importieren? Zur Bildung gehört mehr als Strenge, dazu gehört auch Förderung.

Das heisst nicht, dass man alle durchwinken soll am Gymnasium. Selektion ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil dieses Schultyps. Doch Selektion ist eben nur ein Teil von Bildung. Sie zu verschärfen, mag ein paar alte Ressentiments befriedigen. Den zunehmenden Fachkräftemangel löst sie jedenfalls nicht. Es ist auch nicht so, dass nichts getan würde. Projekte wie die «basalen Studierkompetenzen» sind erst in der Startphase. Es ist zu hoffen, dass sich die Jugendlichen weitergehenden Massnahmen, etwa dem doppelten Zählen von Erstsprache und Mathematik, anpassen können. Doch offenbar wird das gar nicht angestrebt. Die Rede ist explizit von «selektiveren Kriterien».

Die Schweizer Forschung ist international top, etwa an der ETH. Das wird auch so bleiben. Verschärfte Bestehensnormen ändern in diesem Segment nichts. Doch Bildung ist nicht nur Elitenförderung. Neben den Spitzenplätzen benötigen wir auch ein akademisches Mittelfeld. Das kann nicht nur über die Berufsmaturität erreicht werden. Es ist zwar richtig, die Berufs- und Fachmaturität auszubauen, doch das darf nicht auf Kosten der gymnasialen Maturität gehen.

Eine tiefere Maturaquote passt gut zu den gegenwärtigen Sparplänen. Schlecht passt sie zur Zukunft unseres Landes, das eben kein Billiglohnland ist, sondern das seinen Erfolg im internationalen Wettbewerb einem entscheidenden Faktor verdankt: seinen hoch qualifizierten Fachkräften.

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Wollen wir von unseren Kindern mehr verlangen, als wir geleistet haben? Cartoon: Cagle.com / Nate Beeler «The Columbus Dispatch»

44 Kommentare zu «Strenge ist verführerisch»

  • Marcel Senn sagt:

    Und für Herrn Schneider-Amman würde ich mir Rhetorik als Maturafach wünschen — wie man sich als Berufsmensch oder gar als Leader kurz, prägnant und vor allem nicht so einschläfernd wie JSA ausdrückt!
    Ein gutes Mundwerk ist nach wie vor im Leben einiges entscheidender als die Chemie oder Physiknote, v.a. wenn man keinen mit diesen beiden Themen verwandten Beruf wählt!

    • Reto Stadelman sagt:

      Was ich persönlich für bedauerlich halte. Wie viele Nullen ohne Kompetenz, aber mit einem guten Mundwerk schwimmen wohl ganz oben mit? …

    • Rüdiger sagt:

      @Senn. Für die Polit-Bühne die je länger je mehr der Klatschpresse gleicht, scheint dies nicht zu reichen, das rethorische Geschick von JSA. Aber er hat erfolgreich die Amann-Gruppe geleitet und war im VR der Swatch Group. Das ist mir als Palmares lieber als z.B. derjenige von Frau Somaruga

      • Max Hafner sagt:

        Ich denke JSA hatte einen Stab tüchtiger Mitarbeiter. Nur die Offshore-Geldanlagen waren keine gute Idee. Sie haben recht, auf letztere Idee wäre Sommaruga nie gekommen.

        • Rüdiger sagt:

          Lustig wurde eben gerade mit dem Staat (Kanton) angeschaut dazumals und gutgeheissen. Somit war dies abgesegnete legale Steueroptimierung lieber Herr Hafner und somit eine gute Idee für die Firma/Mitarbeiter…

  • Christoph Gut sagt:

    Schneider-Ammann unterliegt einem Trugschluss. Nur weil man die Matura strenger macht, gibt es nicht mehr bessere Maturanden. Es wird einfach weniger schlechte geben. Es wird auch nicht mehr Maturanden geben, die an die ETH gehen. Letztlich wird es einfach mehr Jugendliche mit kürzeren Ausbildungswegen geben. Ist das das Rezept für die Zukunft. Kürzere Ausbildungswege?

    • Marianne Wissarjonova sagt:

      @Christoph Gut
      Ja, das kann eine sehr gute Sache sein, wenn überflüssige verakademisierte Pseudo-Ausbildungen gekappt werden und die Jugendlichen zu einem sehr frühen Zeitpunkt sich in der Gesellschaft nützlich machen.
      So kann ihr Interesse für die wirklichen Probleme dieser Welt wach werden. Viel wichtiger als die Zahl der Maturanden ist die Zahl derer, die sich später im Beruf weiterbilden. Das Geld, das man mit den unnützen Geisteswissenschaftern und den aufwandoptimierenden Medienwissenschaftern spart, kann man für berufliche Weiterbildungen sinnvoll nutzen.

      • Christoph Gut sagt:

        @Wissarjonova: Wer hat dann gesagt, die schlechteren Maturanden, also z.B. diejenigen, die nicht an der ETH theoretische Physik studieren, seinen unnütz.

      • Jürg Brandenberger sagt:

        Philosophie ist bestimmt eine dieser „unnützen Geisteswissenschaften“ die Sie meinen, nicht wahr? Nun, ich war Ingenieur, also ganz handfest mathematisch und weit weg von den Ideen eines Platon. Aber ein Philosoph in einem Ingenieurteam kann mit den richtigen Fragen extrem viel zu einem besseren Produkt beitragen! Die Zukunft ist interdisziplinär. Da ist eine strengere Selektion wie vorgeschlagen nur kontraproduktiv, Leerlauf und nichts als dummer Aktivismus! Die Fähigkeiten der Schüler sollen das Kriterium sein, nicht die Unfähigkeiten!

  • Zysset sagt:

    Schade, kommt diese Verschärfung zu spät. Da diverse Personen einen Mauturaabschluss haben, aber keiner zweiten Landessprache mächtig sind.

    • Rolf Randegger sagt:

      Was heisst hier zweite Landessprache? Die meisten „Journalisten“ von heute schreiben nicht mal ein korrektes Deutsch!

  • Arne Tvedt sagt:

    Das Gymnasium hat 3 Hauptaufgaben; Wissensvermittlung, Selektion und Motivation. Dabei kommt der reinen Wissensvermittlung eine geringere Bedeutung zu als allgemein angenommen. Das allermeiste was man im Gymnasium lernt ist reichlich unnütz im Studium wie in der Praxis. Daher sollte das Augenmerk vermehrt auf die beiden andere Ziele gelegt werden. Selektiert das Gymnasium wirklich die Fähigsten oder nicht vielmehr Konformisten und Lehraufwandsoptimierer ? Und wo bleibt die Motivation, das Wecken der Wissensdurst und des Interesses am zukünftigen Studienfach ? Mir scheint da besteht ein grosser Nachholebedarf, der nicht durch schärfere Zensuren oder eine anders geartete Gewichtung der Schulnoten zu beheben ist.

  • Marianne Wissarjonova sagt:

    Von den Abgängern der Gymnasien werden maximal 20% zu begehrten Fachkräften. Die Selektion sollte so früh wie möglich anfangenund jedem Kind ermöglichen, sein Intelligenzniveau zu kennen. Intelligenz kann man nicht erlernen, sie ist gegeben. Wer kognitiv den Anforderungen eines ETH-Studiums gewachsen ist, kann man schon mit 14-jährig feststellen und die übrigen auf die richtige Bahn lenken.
    Die übrigen 80% Maturanden machen entweder doch noch einen Berufslehre oder sie heiraten eine gute Partie oder aber sie enden als überqualifizierte, unterbeschäftigte Besserwisser in staatlichen Jobs, von denen niemand richtig weiss, wozu sie eigentlich gut sein sollen.
    Die Akademisierung von Kindergärtnerinnen, Primarlehrern und Krankenschwestern hat nichts mit besserer Ausbildung zu tun.

    • Christoph Gut sagt:

      Woher kommt diese Zahl „Von den Abgängern der Gymnasien werden maximal 20% zu begehrten Fachkräften“? Das ist doch absoluter Unsinn. Maturanden sind auf dem Arbeitsmarkt absolut begehrt.

  • Alois Fischer sagt:

    Wenn Hr. schneider das heute verlangt, wäre es schon viel früher fällig gewesen: Es ist dringend nötig, die Anforderungen im selbnen Mass zu erhöhen, wie die Qualität der Ausbildung! Es ist für mich erschreckend, all diese Beispiele zur Kenntnis zu nehmen, die immer wieder zeigen, dass der Begriff „Matura“ ins Gegenteil verkehrt wird. Und gerade, wenn heute Morgen wieder einmal ein jochbezahlter Fachmann aus dem Aargauer „Bildungsbüro“ meint, dass die „Schule vor Ort“ besser beurteilen könne, ob die Ausbildung einer Kindergärtnerin oder Lehrerin genügend sei, auch wenn sie nicht den Vorgaben entspricht(!) als er es in seinem Bürostuhl könne, dann liegt das Problem nicht im Lehrplan oder „der Schule vor Ort“ – Es liegt einmal mehr an der Führung, die nicht führen will und kann.

  • Christoph Bärtschi sagt:

    Ich bin sehr für eine Verschärfung der Matura Prüfungen.
    Die Schweiz braucht Fachkräfte, das ist richtig, aber wir brauchen nicht „Pseudo-Fachkräfte“ die eine wertlose Matura vorweisen können sondern echte Fachkräfte mit entsprechender Ausbildung und dem Talent resp. der Intelligenz dazu.
    Gerade das Letztere kann aber nicht erlernt werden sondern man hat es oder eben nicht. Die Matura soll unter anderem doch auch dafür da sein den notwendigen Selektionsdruck aufzubauen.
    Es ist doch besser, wenn Jugendliche die eben nicht das Talent oder die Intelligenz für ein Studium besitzen, sich frühzeitig auf eine andere Fachausbildung konzentrieren statt, dass jeder „Hinz und Kunz“ die Matura schafft. Auch so werden sie zu Fachkräften.

    • linus sagt:

      Für mich ist noch niemand eine Fachkraft, dem seine Wand ein Maturadiplom ziert.
      Die Matura dient in meinen Augen nur, das Allgemeinwissen zu verbessern und/oder Zeit zu gewinnen, um sich bei der Berufswahl besser entscheiden zu können. Ein kluger Weg für alle, die nicht Schulmüde sind.
      Erst die Ausbildung nach der Matur ermöglicht die Bildung zur Fachkraft.

    • Reto Stadelman sagt:

      Dann werden „Pseudo-Fachkräfte“ einfach aus dem Ausland rekrutiert. Darum kommen wir nicht herum.

  • Stefan sagt:

    „Mit welchem Recht dürfen wir von unseren Jugendlichen mehr fordern, als wir selber geleistet haben damals?“
    Also: Ich ging 1989 in die Lehre, und machte die Berufmatur selbstverständlich nebenbei. Bei uns waren 80% der Schüler an der BMS, die 20% waren rausgefallen oder kamen nicht dazu.
    Rede ich heute mit einem Lehrling, ob er an die BMS geht, heisst es zu 90%: Nein, ist mir zu streng, habe keinen Bock, etc.
    Reden Sie mal mit einem Lehrmeister, der noch Lehrlinge aus den 80er Jahren kennt. Der wird schon bestätigen, dass Mitte 90er die Leistungsbereitschaft abgeknickt ist.
    Aber in Zeiten des „erlebnisorientierten, spielerischen Lernens“ wundert mich das alles überhaupt nichts.

    • Reto Stadelman sagt:

      Die Zeiten haben sich geändert Stefan. Im IT Zeitalter kann man nicht mehr nur hauptsächlich statisches Wissen lernen wie damals. Umso schwieriger wird es natürlich auch, Leistung zu fordern. Wenn klare Ziele fehlen, kann man auch weniger sauber testen. Klar mag bei vielen Jugendlichen die Leistungsbereitschaft weggebrochen sein. Aber das ist eben nicht das einzige Problem.
      Irgendwann merkt man das plötzlich, dass das Pauken von damals doch gar nicht so schlecht war. Dem gebe ich recht. Aber die Schuld dafür und für eine verfehlte „fancy“ Bildungspolitik liegt bei anderen Personen…

      • Marianne Wissarjonova sagt:

        @Reto Stadelmann
        Definieren Sie bitte „statisches“ Wissen und erklären Sie welche Art von Wissen denn heute gelehrt werden soll. Ich weiss leider nicht, was genau sie ausdrücken wollen.

        Wer meint, am Bildschirm zu hocken und ein bisschen auf den Tasten herumhacken zu können, ersetze solide Sachkenntnis, sitzt auf dem falschen Dampfer.

        • Reto Stadelman sagt:

          Mit stastischem Wissen sind Grundlagen gemeint wie die Mathematik. Aber auch das büffeln von Vokabeln etc. Solche Dinge sind heute weniger gefragt. Gefragt ist die Fähigkeit, aus den vielen zur Verfügung stehenden Werkzeuge schnell eines auszuwählen. Möglichst flexibel muss ein Schüler sein. Effizienz ist wichtiger als Perfektion. Das wirkt sich nunmal auf die Bildung aus. Heute schreibt man drei Aufsätze und nicht einen. Dafür strotzen diese vor Fehlern. Man berechnet in Physik nicht mehr Reibungskoeffizienten, sondern man diskutiert darüber, wann man das ESD abschaltet. Das ist fragwürdig, aber eben auch eine Entwicklung.

  • Johannes Meinert sagt:

    Endlich einmal ein Kommentar mit Weitsicht. Auch wenn Strenge häufig die Antwort zu sein scheint, so ist dies gerade im Kontext der Bildung nicht mehr richtig. Als Hochlohnland sollte die Schweiz nicht die Anzahl der Maturanden senken, sondern erhöhen. Natürlich muss ein hohes Niveau der Abgänger sichergestellt sein. Dies sollte aber nicht durch schwierigere Prüfungen, sondern durch besseren Unterricht und gezielteres Coaching/Förderung des Einzelnen geschehen. Der Schüler/Student/Arbeiter von morgen muss in der lange sein komplexeste Zusammenhänge verstehen und bearbeiten zu können. Alle anderen sind durch Roboter und Computer ersetzbar.

    • Sylvia Gscheit sagt:

      Das Problem beginn schon in der Primarschule. Die Kinder werden zu wenig gefördert, da man ja keine Elite möchte, sondern Mittelmass ausreichend ist. Fehlerfrei Schreiben lernt man dann irgendwann aber der 4. oder 5. Klasse mal halbwegs, Aufsätze werden kaum noch geschrieben und wenn man sich als Eltern wünscht, dass die Kinder P-Niveau erreichen, heisst es, vom Elternhaus kommt zu viel Druck. Eine gute Schule und Bildung ist essentiell für unsere Wissensgesellschaft. Sogar die OECD sagt, dass die Schweiz zu wenig Maturanden hat, um den zukünftigen wirtschaftlichen Anforderungen zu genügen. Es leben die Fachkräfte aus dem Ausland, die in Ländern mit Maturaquoten >50% das Gym gemacht haben. Wir Schweizer sind einfach zu wenig intelligent.

      • Marianne Wissarjonova sagt:

        Sylvia Gscheit,
        Also in der Stadt Bern lernen sie nicht einmal bis zur neunten Klasse halbwegs fehlerfrei schreiben. Das ist der Grund, warum man dort eine hohe Zahl von Gymnasiasten wünscht, weil man hofft, dass sie es in den nächsten drei Jahren dann doch noch lernen.
        Was die hohen Maturaquoten im Ausland betrifft, so ist zum Beispiel in Frankreich die Matura nicht mehr eine Zugangsberechtigung zu einer Hochschule sondern die Zugangsberechtigung zum Arbeitslosenamt. In Frankreich kann man schon akademische weiterkommen, aber dann muss man die richtigen Eltern haben, die richtigen Privatschulen besuchen, mit genug Geld und genug Beziehungsschmalz an die richtige Uni geschleust werden.

        • Sylvia Gscheit sagt:

          Marianne Wissarjonova,
          es wird immer wieder behauptet, dass in Ländern mit hoher Maturaquote die Jugendarbeitslosigkeit viel höher ist als in der Schweiz. Da wird uns aber eine schöne Mär erzählt. In Holland ist die Jugendarbeitslosigkeit ca. 3% Punkte tiefer als in der Schweiz und die Maturaquote doppelt so hoch. Und betreffend dem Besuch von Privatschulen ist es ja in der Schweiz auch nicht anders. Interessant wäre zudem mal zu erfahren, wie viele CH-Kinder in Lörrach zur Schule gehen und wieviele dort auf der Warteliste sind. Davon hört man nichts.

  • Toni Wirz sagt:

    Strenge heisst nicht nur Benotung oder Selektion des Individuums. Strenge sollte auch für die Behörden und Schulleitungen gelten. Als langjähriger Auslandschweizer mit Kindern kritisiere ich vor allem die Verzettelung der Schweizer Systeme. Föderalismus in allen Ehren, aber deren Exzess spült nur noch mehr Ausländer an die hier so hochgelobten Schweizer Hochschulen. Die staatlichen Stellen glänzen ebenfalls mehr mit introvertierter Kompliziertheit, als mit Lösungen für eine globalisierte Welt. Strenge sollte im Zusammenhang mit Berechenbarkeit und Gerechtigkeit einhergehen. Dann wird eine Selektion akzeptiert. Die andauernde Verwässerung der Anforderungen führt nur zu überrissenen Ansprüchen die die aktuelle Gesellschaft nicht erfüllen kann. Realpolitik in der Bildung heisst das Ziel.

  • Hansruedi Kaiser sagt:

    Eigentlich eine interessante Logik: Das „Produkt“ (Gymnasiast/Gymnasiastin) überzeugt nicht. Man beschliesst, die „Produktion“ (gymnasialer Unterricht) so zu belassen, dafür den „Ausschuss“ dieser Produktion konsequenter zu eliminieren.
    Es gäbe auch die andere Möglichkeit: Mehr in die Produktion zu investieren, den gymnasialen Unterricht zu verbessern (kleiner Klassen, bessere Weiterbildung für Lehrpersonen etc.) und so den Ausschuss zu senken. Angesichts der Tatsache, dass das Produkt ja nachgefragt ist (Fachkräftemangel) eigentlich die naheliegender Lösung.

    • Beat Matter sagt:

      Ihrer Meinung! Nur investiert man das Geld lieber in fragwürdige DURO Restaurationen, Steuersenkungen für Reiche, Unternehmen und Bauern…
      Ja, die „bürgerliche Wende“ ist wirklich super…

    • Reto Stadelman sagt:

      So habe ich das noch gar nie gesehen. Aber es bringt es perfekt auf den Punkt. Die Produktion zu verbessern kostet Geld. Das will man nicht investieren. Also eliminiert man den Ausschuss, damit niemand über das Produkt „Maturand“ stänkern kann. Die fehlenden „Teile“ importiert man dann günstiger aus dem Ausland.
      Dumm nur das es sich bei den aussortierten Produkten um die eigenen Kinder handelt…

  • Jürg Oberli sagt:

    Mit der Bildung ist’s dasselbe Problem wie mir jedem anderen politisierten Gegenstand. Es reden tausende von Leuten mit die überhaupt, aber wirklich überhaupt keine Ahnung haben.
    Das ist der Königsweg zur Mittelmässigkeit!

  • Peter Huber sagt:

    Schade dass die Aussage: „Neben den Spitzenplätzen benötigen wir auch ein akademisches Mittelfeld. Das kann nicht nur über die Berufsmaturität erreicht werden.“ nicht begründet wird.
    Meines Erachtens sollte die Maturität ein Abschluss sein, mit dem man die Voraussetzungen hat, in allen Wissenbereichen studieren zu können. Also wirklich umfassend gebildet ist. Ich habe das Gefühl, dies ist nicht mehr der Fall. Da gibt es Studenten der exakten Wissenschaften die eigentlich keine zweite Landessprache können oder Linguisten mit sehr bescheidenen Mathematikkenntnissen. Wenn die eigenen Fähigkeiten und Interessen eher schmal gefächert sind, ist der FH/HF Weg wohl der bessere. Wobei des (noch) nicht für alle Interessen einen solchen Weg gibt.

    • Reto Stadelman sagt:

      Vielleicht kann ich es begründen.
      Der Unterschied zwischen Uni und FH ist nicht die breite / schmale Fächerung von Fächern.
      FHs wenden an, Unis erforschen Neues.
      So zumindest sieht es die Theorie vor. Faktisch forschen die wenigsten Uni Absolventen weiter. Und das nennt man dann, zusammen mit den FH Absolventen, das akademische Mittelfeld. Wollen sie plötzlich, all die nicht-Forscher an einer FH ausbilden? Das Mittelfeld kann nicht nur über die FHs ausgebildet werden. Wobei man sich das aber durchaus überlegen könnte.
      Übrigens teile ich ihre Meinung nicht, dass eine Matur eine Voraussetzung sein muss, um in allen Wissensbereichen zu studieren. Eine Spezialisierung in der Matur macht absolut Sinn. Nur so erkennt man mögliche Leidenschaften frühzeitig.

    • Reto Stadelman sagt:

      Universalgenies sind eine Seltenheit. Die Matur auf sie zuzuscheiden und den anderen „nur“ die Berufsmatur „vorzusetzen“ ist keine gute Idee.
      Zumal ich ihnen garantieren kann: Eine Berufsmatur ist ebenso Allgemeinbilden wie eine Matur. Man dringt einfach nicht so tief in die Materie ein. Es ist ja auch nicht das Ziel, aus Berufsmaturanden Spitzenforscher zu machen (Ausnahmen bestätigen die Regel) sondern ausgezeichnete Anwender von Wissen. Eben: Der Unterschied FH Uni.

  • Marc Nemo sagt:

    Bundesrat Schneider Amman hat recht. Die Maturität soll bescheinigen, dass der Schüler über eine gewisse Reife verfügt. Zu einer Reife gehört eine unabdingbare Kernkompetenz. Zu dieser gehören das genügende Beherrschen der Muttersprache und eine ausreichende mathematische Kompetenz. Zur zeit verkommt das Gymnasium zu einem Institut der angewandten Mathe: Wie kompensiere ich auf einfachstem Wege (Zeichnen, Musik,……) Fächer die „unangenehm“ sind. Das war nicht Zweck der Maturareform und gehört korrigiert.

    • Andreas Thoma sagt:

      Wissen Sie überhaupt in wie vielen Kantonen das Fach Sport auf Stufe Gymnasium promotionswirksam ist? Anscheinend nicht! Ausserdem weiss ich aus Erfahrung, dass die Notenschnitte eher mit den unterrichtenden Lehrpersonen korrelieren als mit dem Fach.

  • Tim Meier sagt:

    Sie stellen die Frage: „Doch ist das wirklich das richtige Signal in Zeiten des Fachkräftemangels? “ Aus meiner Sicht: Absolut Ja! Wir benötigen dringend mehr gute und sehr gute Berufsleute. Die Attraktivität der Berufslehre und damit auch des zweiten Bildungsweges sollte unbedingt erhöht werden. Ich durfte als Projektleiter ein grosses Projekt in China realisieren. Dabei hatte ich vor Ort die Unterstützung eines Schweizer Berufmannes auf Meisterebene im Elektro/Automationsbereich. Dieser Kollege war sämtlichen Chinesischen Hochschulabsolventen in der Praxis und im realen Berufsleben weit überlegen, er führte sie erfolgreich. Die jungen Chinesischen Hochschulabgänger waren absolut Spitze im theoretischen Wissen, aber in der Umsetzung in die Praxis happerte es, da waren sie total verloren

  • Roger Walser sagt:

    Wenn alle nur noch studieren und keine „dreckige“ Arbeit mehr machen wollen müssen wir entsprechendes Personal aus dem Ausland rekrutieren. Deren Kinder wollen aber die Jobs der Eltern nicht machen und werden auch studieren. Folglich müssen wir noch mehr „einfache“ Arbeiter im Ausland rekrutieren. Wer erkennt den Fehler in diesem System?

    • marsel sagt:

      Der Fehler ist, dass dreckige Arbeit schlecht bezahlt wird. Warum soll man sich denn kaputtarbeiten für einen iesen Lohn, während man zuschauen kann, wie andere für jeden Mist, den sie sich ausdenken, mit hohen Löhnen und Bonis belohnt werden?

  • H.Trickler sagt:

    NEIN!! Ich will nicht mehr fordern als ich 1965 beim Abschluss der Matura geleistet habe – aber auch nicht viel weniger, so wie es Gutmenschen heutzutage für richtig halten!

    Die Forschung an ETH ist erstklassig, aber nicht dank denjenigen welche eine schwache Matur hingelegt haben, sondern weil einige Professoren Spitzenleute sind, die sich nota bene zu Recht über schlechte Studenten ärgern!

  • marsel sagt:

    Statt besseren Unterricht eine strengere Abschlussprüfung zu fordern ist einfach nur dumm und eines Bundesrates eigentlich nicht würdig. Hat der nicht mal brauchbare Berater? Jedenfalls konnte er bei mir noch nie den Eindruck erwecken, er sei als Wirtschaftsminister auch nur einigermassen geeignet. Werden solche Leute, wennn sie warum auch immer BR geworden sind, normalerweise nicht im Militärdepartement deponiert?
    .
    Und mal grundsätzlich: Wir brauchen also Maturanden und dementsprechend weniger Studenten, gut. Ausserdem braucht die Wirtschaft wegen des technologischen Fortschritts immer weniger Arbeiter, gut. Und wovon sollen wir leben in Zukunft?

  • Hans von Gunten sagt:

    „Neben den Spitzenplätzen benötigen wir auch ein akademisches Mittelfeld.“ Weshalb? Das Mittelfeld soll arbeiten gehen und sich beruflich weiterbilden. Das hat die Schweiz weit gebracht und ist auch zukunftsträchtig. Vielleicht könnte der Staat dort noch ein bisschen mehr Unterstützung bieten damit die Weiterbildungen noch besser und vorwärtsgerichteter werden.

  • Leo Klaus sagt:

    Sehr gut geschrieben! Solange wir massenweise Fachkraefte aus dem Ausland importieren (Notabene: Dort ist die Selektion ueberigens praktisch nicht vorhanden), macht es ueberhaupt keinen Sinn, grundlos bei uns strengere Selektion zu verlangen. Ausser man gibt zu, dass unsere Maturanden weniger gelent haben. Wenn dem so ist, dann muesste man sich zuerst fragen, ob das mit weniger Strenge zu tun hat, oder mit weniger Resourcen welche den Schulen zur Verfuegung stehen.

    Machen wir uns nicht vor. Bildung ist absolut wichtig, und sie kostet, und nicht zu knapp. Natuerlich kann man weiter Steuern senken, mit USR-III, USR-IV usw., und das US-Bildungssytem bei uns einfuehren. Man sieht, wohin das letztendlich fuehrt!

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