Warum nicht eine duale Hochschule gründen?
Die Schweiz ist stolz auf die duale Berufsbildung. Zu Recht, denn sie bildet Jahr für Jahr qualifizierte Berufsleute mit besten Zukunftsperspektiven aus. Seit einigen Jahren aber zeigt der zunehmende Run auf die Gymnasien einen Trend zur Akademisierung, während immer mehr Lehrstellen unbesetzt bleiben. Berufliche und akademische Bildung befinden sich je länger, je mehr im Wettbewerb.
Mit dem neuen Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz (HFGK), das seit 2015 in Kraft ist, entsteht in der Schweiz ein neuer gemeinsamer Hochschulraum, bestehend aus den ETH, Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen. Bei allen Vorteilen, die sich für die hochschulpolitische Koordination bieten, besteht sicher auch eine gewisse Gefahr für die verschiedenen Schultypen, Profil zu verlieren. Der Leitspruch «anders, aber gleichwertig» muss aber die Besinnung auf die wirklichen Stärken bedeuten.
So liegt der Vorteil der Fachhochschulen (FH) eindeutig in der Praxisorientierung. Mit der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge sowie der Diskussion um das Promotionsrecht der FH wurde dieser Aspekt in den letzten Jahren etwas vernachlässigt. Fest steht: Die Stärke der FH ist die Verzahnung von Theorie und Praxis, wissenschaftlich orientiert, aber immer auch an die Umsetzung denkend.
Das berufsbegleitende Studium liegt im Trend. 80 von 100 Studierenden einer FH gehen einer Erwerbstätigkeit nach, rund ein Drittel davon ist zu mehr als 41 Prozent berufstätig. Der Transfer des im Studium erworbenen Wissens in die eigene Berufstätigkeit (und umgekehrt) wird von den Studierenden und ihren Arbeitgebern hoch geschätzt. Berufs- und akademische Welt befruchten sich hier gegenseitig. Wäre es nicht folgerichtig, Theorie und Praxis institutionell zu verzahnen und das duale System auf die Fachhochschulen zu übertragen?
Das Ergebnis wäre eine duale Hochschule, angedacht als Teil einer FH im Sinne einer Erweiterung des Angebotes mit einem noch grösseren Praxisbezug, weil die Studierenden direkt im Unternehmen tätig sind.
In einem Pilotprojekt verfolgt die Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) gemeinsam mit Praxispartnern wie der Swisscom und der Schweizerischen Post diese Idee bereits für das MINT-Fach Informatik. Die Studierenden sind in einem Studienausbildungsvertrag bei den Unternehmen angestellt und arbeiten zwei bis drei Tage die Woche im Betrieb, die restliche Zeit absolvieren sie das Bachelor-Studium an der FH. Eindeutiger Mehrwert gegenüber dem berufsbegleitenden Studium ist die Kooperation zwischen Hochschule und Betrieb, um Praxisaufgaben mit den Studieninhalten abgleichen zu können.
Die ersten Erfahrungen zeigen, dass die dual Studierenden durch Team- und Projektarbeit schnell lernen, Verantwortung zu übernehmen und insbesondere in der Handlungskompetenz punkten dürften. Dass nach einem dualen Studium der Berufseinstieg um ein Vielfaches einfacher und schneller ist, ist sowohl für Unternehmen als auch für die Studierenden eine Win-win-Situation.
Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels ist ein duales Studium in der Schweiz ideal, hoch qualifizierte und praxiserprobte Absolventen auszubilden. Die Fachhochschulen können dadurch ihr Profil im neuen Hochschulraum schärfen und ihre Stärke der Praxisorientierung direkt ausspielen. Dies ist nicht als Konkurrenz zur Berufslehre zu sehen, im Gegenteil. Ein duales Studium wäre die ergänzende Brücke zwischen beruflicher und akademischer Bildung.
17 Kommentare zu «Warum nicht eine duale Hochschule gründen?»
…und eine Universität hat als vorrangiges Ziel fleissige Arbeitsbienen oder Mänägerli zu produzieren? Wie war das nochmals mit dem Kantschen befreien aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit und dem humboldschen Bildungdideal? Ach ja im postdemokratischen, durchflexibilisierten und auf den nächsten Quartalsgewinn fixierten Turbo Kapitalismus sollen die Leute ja gescheit genug gemacht werden um ein Zahnrädchen im System zu werden, aber dumm genug bleiben, um das Ganze selbstzerstörerische System nicht hinterfragen und verändern zu können. Ist ja alternativlos das Ganze! Unsere sogenannten Eliten sind Teil des Problems!
Theoretisch sollte eine Universtiät keine Mänägerli ausbilden, sondern Forscher. Da aber nur die wenigsten Studienabgänger danach tatsächlich in ihrem Gebiet eine Forschungsstelle finden können/wollen, müssen sie andersweitig untergebracht werden. Eben als Mänägerli. Und da stehen sie dann in direkter Konkurrenz zu FHs. Das führt dann zu diesem absurden akademischen Klassendenken. Dabei wäre es offensichtlich, wie gut sich Unis und FHs ergänzen. Aber gefressen wird eben vor der Moral…
Kant war doch so ein Studierter, der keinen Taler BIP erwirtschaftet hat. Ohne den hätte es zwar keine Aufklärung und damit auch keine Schweiz gegeben, … aber egal. Heute muss der Studierte sich gleich am ersten Tag sich amortisieren.
Studierte kämen mal auf den Gedanken, dass man zwar Kuhmilch braucht, trotzdem kein Geld damit verdienen kann. Wie man überhaupt zwar viel braucht, aber daran nicht verdienen kann.
Studierte kämen gar auf die Idee, zwar zu nutzen, aber trotzdem nicht daran zu verdienen.
Das aber geht gar nicht. Studenten sollen nach vorne forschen, aber im Geist ganz weit hinten bleiben.
Gibt’s in DE schon seit 30 Jahren. Heisst dort Berufsakademie…
Und was für Tätigkeiten über jemand aus, der die Berufsakademie besuchte?
Die älteste deutsche Berufsakademie (Ba-Wü, seit Mitte der 70er) nennt sich seit 2009 Duale Hochschule (DHBW).
Die Absolventen technischer Studiengänge machen die gleichen Jobs wie Ingenieure. Sie haben natürlich ein schwächeres theoretisches Fundament, dafür aber oft mehr Biss. Die IBM-Deutschlandchefin beispielsweise ist BA-Betriebswirtin.
Ein zweischneidiges Schwert. Die 80% welche neben der Fachhochschule noch arbeiten organisieren dies selber und der Wissenstransfer zwischen Arbeit und Studium erfolgt aus Eigeninitiative. Der Vorschlag tönt für mich ein wenig danach, dass diese Eigeninitiative von der FH und dem Arbeitgeber übernommen werden. Die Selbständigkeit wird so nicht gefördert.
Ein spannender Artikel, welcher ein Gedanke pflegt, welcher ich selber immer unterstützt habe. Nicht zuletzt auch, weil ich persönlich berufsbegleitend Informatik an der ZHAW (vormals HSZ-T) studiert habe.
Neben den beschriebenen Vorteilen sehe ich noch einen weiteren Vorteil: mir hat das Model des berufsbegleitenden Studiums überhaupt erlaubt zu studieren – immerhin war ich damals bereits 34 Jahre alt, also ein Spätzünder und konnte mit einem 80% Arbeitspensum mein Lebensunterhalt finanzieren. Ich bin sehr froh, hat sich mir diese Möglichkeit geboten – mein Arbeitgeber übrigens auch.
Daher verstehe ich auch nicht, weshalb dieses Angebot an der ZHAW aktuell eingeschränkt werden soll (max. 60% Arbeitspensum möglich)? Eine unnötige Einschränkung, wie ich finde.
Gerne schliesse ich mich Adrian Zellers Worten an. Ich war nicht Student an dieser Hochschule, sondern Dozent. Wir forderten von den Studierenden in einem Beruf zu arbeiten, der der Studienrichtung nahe kam (und habe dies auch mit einigen ECTS-Punkten gewürdigt – dies hat aber den „regulären“ staatlichen Hochschulen gar nicht gefallen). Für mich haben sich daraus zu seht spannende Faktoren ergeben:
a) Der Praxisbezug und
b) Der Durchhaltewillen der Studenten (4 x abends und am Samstag zur Schule zu gehen und die Motivation nicht zu verlieren ist schon etwas Besonderes. Die Studenten haben trotz dieser Doppelbelastung auch noch, in der Mehrzahl, intaktes Privatleben geführt)
Schade, dass dieses Modell so heute nicht mehr gelebt wird. Die Absolventen fanden immer eine Stelle.
Vergessen geht hier wieder einmal die höhere Berufsbildung. Diese erfolgt bereits heute berufbegleitend. Finanziert wird sie aber zu einem bedeutend grösseren Anteil als die Hochschulbidlung von den Studierenden selbst bzw. von deren Arbeitgebern, welche als Gegenleistung die Studenten verpflichten, nach dem Studium einige Jahre im Betrieb zu verbleiben. Um die berufliche Bildung zu fördern, sind 1) die Berufsleute finanziell gleichermassen wie die Hochschüler zu unterstützen und 2) die höchsten Berufsabschlüsse international besser als höchste Bildungsstufe kenntlich zu machen (z.B. Bezeichnung professional Bachelor). Die akademikerdominierte Politik hat diese Anliegen in der Vergangenheit abgelehnt, vermutlich einzig aus Angst, selbst relativ an Status zu verlieren.
Solche Diskussion soll man gar nicht erst führen. Eigentlich wartet man auf die Taten des Schneider-Ammann, der oft und in grossen Gesten von der Förderung und den Vorteilen der dualen Bildung redet.
Vielleicht muss man darüber reedgen wie der Staat sich in den letzten 20 Jahren durch überzählige Akademiker finanziell und personell aufgepumpt hat, ganz im Gegenteil zur Entwicklung von Technik, IT, Arbeitsmethoden, Produktivität etc.
Es wäre an der Zeit die Hochschulen und den Staatsapparat gesunzuschrumpfen. Mehr Anforderung, weniger finanzielle Mittel fördern die Kreativität und die Qualität. Damit meine ich nicht sparen an der Ausrüstung, aber durchaus an Löhnen und Fördermittel! Man sieht die Auswüchse der Studierten überall.
Eine schöne Welt mit der dualen Hochschule. Man muss hierbei auch sehen, dass mittlerweile viele Führungskräfte in der Schweiz aus Länder stammen, wo der Weg Kanti/Uni bzw. Kanti/ETH begangen wird. Und da diese Führungskräfte nur ihr System kennen und mit Nichtakademikern wenig anfangen können wird mit der Zeit auch dieses Kanti/Uni System in der Schweiz etabliert werden. Nicht ohne Grund wollen viele Zuwanderer aus dem Grossen Kanton auf Biegen und Brechen ihre Kinder an der Kanti sehen. Die Situation mit der Titel-Deflation ist meines Erachtens so paradox wie mit den Zeichnern; Arbeiten die früher ein Zeichner ausführte machen heute mittlerweile Ingenieure FH und demnächst wohl nur noch Ingenieure ETH.
Nicht dass die Arbeit so anspruchsvoll wäre, sondern weil es die internationalen Manager so wollen.
Wenn die Schweiz das duale Bildungssystem mit Berufsschule und FH retten will, dann muss sie den internationalen Manager auf die Finger schauen und Integrationsregeln und -Bedingungen aufstellen und durchsetzen.
Hans Knecht – „Wenn die Schweiz das duale Bildungssystem mit Berufsschule und FH retten will, dann muss sie den internationalen Manager auf die Finger schauen und Integrationsregeln und -Bedingungen aufstellen und durchsetzen.“ –
„Ihre Worte in Gottes Ohren“ oder besser – auf das Parlament und den Bundesrat gemünzt: „Viel hören, viel sehen, viel sagen – nicht handeln“.
INTEGRATION: Der Pessimist sagt: Masse frisst Klasse. Der Optimist sagt: Die Klasse sagt der Masse welchen Weg sie zu gehen hat!
Das gibt es schon, in Form der Teilzeitstudiengänge an den FHs. Kein Bedarf für Neugründungen.
Wo genau ist hier das Neue? Es gibt schon lange berufsbegleitende (Teilzeit)Studiengänge an den Fachhochschulen.
Und die meisten Studierenden arbeiten nebenher (an der Uni 80%). Viele fangen zwar in völlig berufsfremden Bereichen an (z.B. Gastgewerbe), migrieren aber in Laufe des Studiums in die für sie relevanten Bereiche.
Wir stellen pro Jahr ca. 10 neue Mitarbeiter/innen ein (alle mit Studienabschluss) und ich kann mich bisher nicht an eine einzige Bewerbung erinnern, bei der keine Nebentätigkeit ausgewiesen wird. Wäre mir aufgefallen, auch bei durchschnittlich 79 Bewerbern pro Stelle, wegen des Seltenheitswerts, vor allem aber auch, weil ich die Bewerbung gleich weggelegt hätte….
prof. dr. kurt grünwald scheint das schweizer bildungssystem nur zur hälfte zu kennen und vergisst völlig, dass mehr als die hälfte aller abschlüsse im bereich tertiär b absolviert werden, also in der höheren berufsbildung/höhere fachschule, wo die verbindung von beruf und schule perfekt funktioniert.